Wilhelm Busch

Die Arche

 

„Da ging Noah in den Kasten... und der Herr schloss hinter ihm zu."

1. Mose 7, 13 und 16

 

Die Bibel ist einer gewaltigen Symphonie zu vergleichen, in der eine reiche Tonfülle ein einfaches Thema umgibt. Schon gleich am An­fang der Bibel wird dies Thema angeschlagen. Die Geschichte von der Sintflut beginnt mit der Feststellung: „Gott sprach: Die Menschen wollen sich von meinem Geist nicht mehr strafen lassen... Darum ist alles Fleisches Ende bei mir beschlossen." Das ist der eine Ton: Gottes Zorn und Gericht. Nun würde man ja erwarten, dass nach dieser Ankündigung die Ge­richte hereinbrechen. Aber es kommt ganz anders: Ausführlich trifft Gott Anstalten zur Errettung des Noah und der Seinigen. Er lässt den Noah einen riesigen Kasten bauen, eine Art von ungefügem Schiff. Wir nennen es die Arche.

Und das ist der andere Ton des Themas: die Errettung. Vom Anfang bis zum Schluss geht dies Thema durch die Bibel: Ge­richt und Errettung. Wenn ihr die letzten Kapitel der Bibel auf­schlagt, findet ihr eine schreckliche Schilderung vom Ende dieses Erdzeitalters. Mitten hinein aber klingen die Lobgesänge der Erretteten. Was war die Arche, durch die sie errettet wurden? Das Kreuz von Golgatha. So ist die Arche ein Vorbild auf das Kreuz. Und wir bekommen Licht über Jesu Kreuz, wenn wir die Arche betrachten.

 

 

Die Rettungs-Arche

 

1. Das Unzeitgemäße der Arche

Im Geist habe ich den Noah gesehen, wie er mitten auf der Steppe die Arche baute. Neugierig kamen die Leute und fragten verwundert: „Wozu baust du das?" Antwort: „Zur Errettung vor Gottes Gericht." Da lächelten die Leute mitleidig. Man lebte doch in einer fortgeschrit­tenen Welt, wo solche primitiven Vorstellungen wie „Gericht Gottes" längst überwunden waren! „Ja, früher", so hieß es, „haben die Men­schen so etwas gefürchtet. Aber nun haben wir doch so gereinigte Gottesvorstellungen, dass uns das komisch vorkommt." Die Arche erschien also als eine Errettung vor einer Gefahr, die gar nicht vorhanden war. Sie war darum völlig unzeitgemäß. So steht es mit dem Kreuz Christi. Was soll die Errettung im Kreuz zu einer Zeit, wo man Gott gar nicht mehr fürchtet und über die „primitive Vorstellung" vom Zorn Gottes erhaben ist? Da werde ich gefragt: „Das Kreuz ist Errettung? Rettet es Sie vor Atombomben? Vor Hunger? Vor Kälte?" — „Nein! Es rettet mich vor den Folgen meiner Sündenschuld, vor der Hölle, vor dem Teufel, vor dem Zorne Gottes."

Nun lächelt der moderne Mensch mitleidig und denkt: „Das sind ja alles eingebildete Gefahren." Ja, wenn der Zorn Gottes eine ein­gebildete Gefahr ist, dann ist allerdings die Botschaft vom Kreuz unzeitgemäß wie die Arche des Noah.

Über der Kanzel der zerstörten Marktkirche in Essen stand in Gold­buchstaben das Bibelwort: „Predige zur Zeit und zur Unzeit." Wie oft habe ich bei diesem Wort denken müssen: Es ist immer Unzeit für die Predigt von der Rettungs-Arche, weil die Menschen zu allen Zeiten den Zorn Gottes für eine eingebildete Gefahr halten. Ihr kennt doch Dürers berühmten Kupferstich, auf dem man einen Ritter furchtlos zwischen zwei schrecklichen Gestalten, Tod und Teu­fel, daherreiten sieht. Als ich kürzlich das Bild betrachtete, dachte ich: Es gibt noch eine andere Gestalt, die furchtlos zwischen Tod und Teufel wandert — nämlich ein blinder Narr. Der würde sagen: „Ich sehe keine Gefahr."

So blinde Narren waren die Menschen zu Noahs Zeit. Und sie sind es bis heute geblieben. Darum wird die Botschaft von der Rettungs-Arche des Kreuzes immer unzeitgemäß sein.

 

2. Die Sicherheit der Arche

Mit lapidaren Sätzen schildert nun die Bibel den Beginn der Sintflut: „Da brachen alle Brunnen der großen Tiefe auf, und es taten sich auf die Fenster des Himmels... Und das Gewässer nahm Überhand und wuchs so sehr auf Erden, dass alle hohen Berge unter dem ganzen Himmel bedeckt wurden... Da ging alles Fleisch unter... Und das Gewässer stand auf Erden 150 Tage." Welch eine schreckliche Stille nach den grauenvollen Ereignissen!

Durch diese Stille schwebt die Arche. Sie allein birgt noch Leben. Nur ein paar Zentimeter Holz trennen die Menschen darin von dem Ver­derben. Aber — sie sind sicher geborgen.

Welch herrliches Gleichnis für das Kreuz des Heilandes! Wer sich durch Gottes Gebot von seinem verlorenen und bösen Herzenszustand überführen lässt, wer nun nichts mehr zu seiner Entschuldi­gung sagt, sich vielmehr vor Gott ganz und gar schuldig gibt — wer aber dann im Gehorsam des Glaubens Jesus, den Gekreuzigten, an­nimmt als den Versöhner, wer an Ihn glaubt als den, der Sünder gerecht spricht, — kurz: wer diesen von Gott selbst verordneten Heilsweg in der Wahrheit geht, der ist in die Arche aufgenommen. Der ist geborgen im Frieden mit Gott. Der weiß sich gerettet vor dem Zorngericht Gottes. Und er singt mit dem 46. Psalm: „Wenn­gleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, — dennoch soll die Stadt Gottes fein lustig bleiben..." Ja, die Welt wird untergehen in Gottes Gericht. Sie wird ertrinken im Meer ihrer Schuld und verbrennen in den Flammen des Zorns. Aber von der Stadt Gottes heißt es Jesaja 33, 24: „Das Volk, das darin wohnt, wird Vergebung der Sünden haben." Welch sichere Arche bietet Gott uns an im Kreuz!

 

3. Der Entscheidungs-Charakter der Arche

„Da ging Noah in die Arche..." Und nun folgt ein seltsames Sätz­chen: „...und der Herr schloss hinter ihm zu."

Was heißt denn das? Nun machte Gott selbst einen Unterschied zwi­schen drinnen und draußen. Noah war gerettet und konnte nicht mehr heraus. Und die andern waren verloren, und die Arche konnte sie nicht mehr aufnehmen.

 „Gott schloss hinter ihm zu." Das gibt es auch bei der neutestamentlichen Kreuzesarche. Irgendwann müssen wir uns einmal klar für den Herrn entscheiden. Das ist unser Schritt. Aber selige Stunde, wenn dann Gott Seinen Schritt tut und zuschließt. Paulus drückt das so aus: „Der Geist gibt Zeugnis unserm Geist, dass wir Gottes Kinder sind." Die Bibel nennt das „Versiegelung mit dem Heiligen Geist". Da ist man seines Heils gewiss. Da erlebt man wohl noch Kämpfe, Niederlagen und Nöte. Aber — man kann nicht mehr herausfallen aus dem Heil.

„Gott schloss hinter ihm zu." Das heißt aber weiter: Die draußen konnten auch nicht mehr hinein. Vielleicht waren da Bekannte des Noah. Als die Sintflut losbrach, erinnerten sie sich seiner, nahmen einen Kahn und klopften an der Arche an. Aber die blieb verschlos­sen, und der Sturm riss den Kahn in die Tiefe. Es rettet uns einmal nicht die Bekanntschaft mit Christen. Wir müssen selbst in der Arche geborgen sein.

Und da waren wohl auch Leute, die hatten an der Arche mitgebaut. O, wie mögen sie angeklopft haben! Aber sie kamen um. Man kann als Pfarrer und Mithelfer in der Arbeit des Reiches Gottes am Bau der Arche beteiligt gewesen sein — und geht doch verloren, weil man selbst die Rettung nicht angenommen hat.

Als die Sintflut hereinbrach, war die Arche plötzlich nicht mehr un­zeitgemäß. Und wer weise ist, der weiß, dass es heute nichts Wich­tigeres gibt als Jesu Sterben für uns.

Darum freue ich mich, zum Schluss sagen zu dürfen: Die Rettungs-Arche im Kreuze Jesu steht für uns alle heute offen.