4. Sonntag nach Epiphanias
»Denn dein ist das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit
in Ewigkeit! Amen!« (Matthäus 6, 13)
Noch ist deutlich in meiner Erinnerung, wie ich als kleiner
Junge einmal mit meiner älteren Schwester bei Nacht unter dem Sternenhimmel
stand. Da erklärte sie mir, die Sterne seien große Welten. Und manche seien
Tausende von Lichtjahren entfernt. Fast erschrocken schaute ich in die fernen
Räume. Und dann fragte ich: »Was kommt denn dahinter?« Sie schwieg. »Du, was
kommt denn dahinter?« — »Ja, dahinter ist auch dasselbe — der endlos weite
Raum!« — »Ja, aber irgendwo muss das doch aufhören?« -»Nein! Es hört nicht auf,
der Raum ist unendlich.« Mir wurde schwindlig. Und ich begriff, wie wenig wir
begreifen können. So unfassbar wie die Unendlichkeit des Raumes ist uns die
Unendlichkeit der Zeit — die Ewigkeit! »Dein ist das Reich und die Kraft und
die Herrlichkeit -in Ewigkeit.« Es ist, als würden wir nun am Schluss des Vaterunsers
an das Gestade eines Meeres geführt, wo sich der Blick verliert im
Grenzenlosen.
Wir wollen aber dies Wort betrachten, indem wir es hineinstellen
in den Zusammenhang des Wortes Gottes.
»...in Ewigkeit.«
1 Ewigkeit — der Gegensatz zu allem Irdischen!
In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts machte sich
der Kaufmann Heinrich Schliemann auf, um die alte Stadt Troja in Kleinasien
auszugraben. Bei dem türkischen Dorf Hisserlik begann er zu graben. Da fand er
sieben Städte untereinander. Welch ein Bild menschlicher Vergänglichkeit!
Da entstand eine Stadt mit all ihrem brausenden Leben. Und dann sinkt sie in
Schutt. Eines Tages bauen andere auf den Trümmern. Und wieder Vergehen und
Bauen und Vergehen.
Gottes Wort sagt: »Alles Fleisch ist wie Gras und alle seine
Herrlichkeit wie des Grases Blume. Das Gras verdorrt und die Blume verwelkt.«
Vor ein paar Wochen stand ich in Württemberg auf den Ruinen
eines römischen Kastells, das man ausgegraben hat. Da lag der Rest eines
rostigen römischen Schwertes. Ich sah im Geist den römischen Krieger vor mir,
wie er stolz sein Schwert faßte und »Roma aeterne« (ewiges Rom) sagte. Nun
konnte man die Herrlichkeit für 0,20 RM. ansehen. So ist alles Irdische.
Von Gott aber heißt es: »Dein ist die Herrlichkeit — in
Ewigkeitl« Welch eine Kluft zwischen Mensch und Gott!
2. Ewigkeit — sie ragt in die Vergänglichkeit hinein
Stellt euch einen Ertrinkenden vor, der in einen reißenden
Strom gestürzt ist. Nun reißt ihn die wirbelnde Strömung mit. Aber wenn er den
Kopf über Wasser bekommt, dann sieht er fern die rettenden Ufer.
So sind wir: mitgerissen vom Strom der Vergänglichkeit. Und
so ein Wort wie der Schluss des Vaterunser lässt uns sehnsüchtig hinüberschauen
an die Gestade der Ewigkeit, der unvergänglichen Welt.
Aber, Freunde! Nun darf ich euch das Evangelium, die frohe
Botschaft bringen. Es gibt einen Punkt, da ragt die Ewigkeit hinein in die
vergängliche Welt. Eine Insel der Ewigkeit ragt hinein in den flutenden Strom
der vergänglichen Zeit. Das ist das Kreuz Christi von Golgatha. Wer hier
angekommen ist, der hat seine Füße auf den Felsgrund der Ewigkeit gestellt.
Zur Zeit der Ebbe hatte sich ein junger Mann zu weit auf den
bloßgelegten Meeresgrund hinausgewagt. Plötzlich überraschte ihn die Flut. Er
konnte den Strand nicht erreichen. Da rief man ihm vom Ufer zu: »Retten Sie
sich zum Kreuz!« Unfern von ihm war nämlich auf einer vorspringenden Landzunge
zur Erinnerung an ein untergegangenes Schiff ein hohes eisernes Kreuz auf
einem Steinsockel errichtet worden. Dahin drang er nun vor, kletterte an dem
Kreuz empor und klammerte sich da fest — bis ein Boot ihn heimholte.
Jede meiner Predigten soll ein Ruf sein: »Rette dich zum
Kreuz!« Hier ragt die Ewigkeit in die Zeit. Hier ist Halt im flutenden Strom
der Zeit. Und hier ist der Ort, von wo aus der Herr seine Leute heimholt zur
Herrlichkeit, in's ewige Vaterhaus.
3. Ewigkeit — sie soll das Leben der Christen prägen
Es gibt zweierlei Menschen: Weltmenschen und Ewigkeitsmenschen.
Das Leben der Weltmenschen ist geprägt vom Wesen dieser vergänglichen Zeit und
Welt. Was ist denn das für ein Wesen? Wenn die Bibel das Wesen der vergänglichen
Weltmächte schildern will, dann gebraucht sie das Bild von reißenden Tieren.
Das Wesen der Welt ist tierisch, bestialisch.
Das Wesen der Ewigkeit aber ist durch ein anderes Tierbild
geschildert. Wer Offenbarung 5 gelesen hat, der weiß: im Mittelpunkt der ewigen
Welt ist »ein Lamm, wie wenn es geschlachtet wäre.« Das ist der gekreuzigte
Heiland. Und nun werden Ewigkeitsmenschen nach seinem Bild geprägt, Das Ideal
der Ewigkeitsmenschen ist es, dem Lamm« ähnlich zu werden.
Vor kurzem fuhr ich mit einem jungen Offizier, der das Eiserne
Kreuz erster Klasse trug, und der nun gefallen ist, im Zug. Als wir einen
Augenblick im Gang standen, setzte sich ein frecher Kerl auf unseren Platz,
obwohl wir den Platz belegt hatten. Ich wollte eben auffahren, da zog mich der
junge Offizier, der ein Christ war, nur leise am Arm weg. Sein Gesicht war so
unglücklich, dass ich so wenig dem Lamme ähnlich sei. Er sagte kein Wort. Aber
mir genügte es. Ich schämte mich. Der freche Mensch aber schaute erschrocken
auf den jungen Offizier — es wurde ihm unbehaglich. Und dann stand er auf und
ging. Er war auf eine neue Welt gestoßen. Oh, dass die Ewigkeit unser Leben
prägte!
Was das bedeutet, will ich noch an einem anderen Beispiel
zeigen. Das Wesen dieser Welt ist Friedlosigkeit. Ewigkeit aber — das ist
Frieden. Vom Lamme Jesus geht ein großer Friede aus. Darum ist ein
Ewigkeitsmensch in großen Frieden förmlich eingehüllt. »Sie schmecken den
Frieden bei allem Getümmel.« Lest nur einmal die Apostelgeschichte 7, wie
Stephanus gesteinigt wird. Mitten in dem Tumult steht dieser Mann mit einem
himmlischen Frieden. Und wir können nur beten: »Schenk gleich Stephanus uns
Frieden, mitten in der Angst der Welt, wenn das Los, das uns beschieden, in den
schwersten Kampf uns stellt ... « Und noch eins: Ewigkeitsmenschen haben ihren
Standpunkt über den Dingen. Als einst das gewaltige römische Reich seine Macht
einsetzte, die Christen auszurotten, da sagte ein erfahrener Christ: »nubicula
— transibit!«(Es ist ein Wölkchen — es wird vorübergehen!) Ja,
Ewigkeitsmenschen haben einen erhabenen Standpunkt. Sie wissen um die
Vergänglichkeit aller Dinge. Auch um die Vergänglichkeit des Leides.
Am Ende heißt es bei ihnen (Offenbarung 7, 17): »Gott wird
abwischen alle Tränen von ihren Augen.«