2. Sonntag nach Epiphanias
»Denn dein ist... die Kraft.« (Matthäus 6, 13)
Heute will ich meine Predigt mal mit dem RWE beginnen. Welch
eine schöne Einrichtung ist das! Stellt euch einmal vor, uns fiel heute abend
der Strom aus. Wie ständen wir da! Vollständig im Dunkeln. Bei mir im Haus ist
gar kein Licht, keine Kerze, kein Petroleum, kein Gas. Aber das macht nichts.
Das RWE hat genug für mich. Ich denke an einen vollelektrischen Haushalt: Die
Hausfrau hat keine Kohlen, kein Holz. Aber was tut's! Das RWE hat genug für sie
an Kraft und Wärme, dass sie kochen und den Badeofen heizen kann usw. Ich habe
keine Ahnung von der Technik des RWE. Aber das weiß ich, dass es Kraft und
Licht und Wärme genug für mich hat und dass alles nur darauf ankommt, dass ich
mit ihm verbunden bin. So stehen die Christen mit ihrem Gott. Oh, sie verstehen
vieles nicht. Aber das wissen sie: Bei ihm ist Licht und Kraft genug für mich.
Ich muss an ihn angeschlossen sein. So sagt David in Psalm 27, 1: »Der Herr ist
meines Lebens Kraft.« Und der Sänger des 71. Psalmes: »Ich gehe einher in der
Kraft des Herrn.« Und der fromme König Josaphat betet (2. Chronik 20, 12): »Bei
uns ist keine Kraft... Wir wissen nicht, was wir tun sollen, sondern unsere
Augen sehen nach dir!« Darum lehrt der Herr uns beten:
»Dein ist... die Kraft.«
1. Die Vernunft denkt ganz anders
Die unerleuchtete Vernunft denkt: »Es gibt gar nichts
Kraftloseres als Gott!« In einer großen Freidenkerversammlung hörte ich mal
vor Jahren jemanden höhnen:
»Wo ist denn Gott? Hier stehe ich und lästere ihn. Er soll
mich doch strafen, wenn er kann!« Nun, das war ein dummer Schreier. Aber wie
viele ernste Leute fragen mich täglich: »Wie kann denn Gott das alles zulassen,
den Krieg und die Terrorangriffe und das viele Leid?« Und hinter dieser Frage
steckt doch der Gedanke: Gott will das doch alles nicht. Er ist also offenbar
kraftlos und außerstande, es zu verhindern.
Da steht vor mir ein Vater mit Tränen in den Augen: »Mein
Sohn ist gefallen! Und ich habe soviel gebetet.« Und ich höre aus seinen Worten
die Klage: »Gott ist kraftlos. Er hat nicht helfen können!«
Ja, der Vernunft erscheint Gott kraftlos. Und erst rech wenn wir hinweisen auf die Offenbarung Gottes in Jesus. Ach, da ist ja Gott ganz schwach: Als hilfloses Kind liegt er in der Krippe. Und endlich hängt er am Kreuz. Wenn wir die angenagelten Hände sehen, — will's uns da nicht unsinnig vorkommen, wenn wir zu ihm beten: »Dein ist die Kraft!«?
So denkt die Vernunft: Gott ist ohne Kraft. Und darum
verlässt der natürliche Mensch sich lieber auf sich selbst.
2. Seine Kraft ist verborgen
Ja, lasst uns nur recht bitten um diesen guten Heilige
Geist, damit er uns die blinden Augen aufmache. Dar werden wir Gottes heimliche
Kraft sehen. Eigentlich ist sie gar nicht so verborgen. Die ganze Schöpfung
preist seine Kraft. Jeremia 10, 12: »Er hat die Erde durch seine Kraft
gemacht.« Ja, die Himmel rühmen des Ewigen Ehre ...! Und in jeder Sekunde trägt
er alle Dinge mit seinem kräftigen Wort (Hebräer 1, 4). Wenn die Sonne aufgeht,
rühmt sie seine Kraft. Das Heer der Sterne und das Brausen der Meere sind
Lobgesänge seiner Macht. Und doch — es ist wahr, dass seine
Kraft verborgen ist. Es gibt ein seltsames Wort des Propheten Nahum (1, 3): »Der
Herr ist geduldig und von großer Kraft.« Eine wunderliche Zusammenstellung! Da
sagt Nahum, dass Gott seine große Kraft verbirgt hinter seiner Geduld. Die Welt
soll nur nicht so arg höhnen, wo denn Gottes Kraft heute wäre. Sie soll froh
sein, solange er sich hinter seiner Geduld verbirgt. Denn wenn sie
hervorbricht, dann geschieht es im Zorn. Und was die Welt dann zu erwarten hat,
kann sie in der Offenbarung nachlesen.
Aber nun hat Gott seine große Kraft verhüllt in seiner
Geduld. Ich kann auch sagen: Er hat sie verborgen in Jesus. Ja, der Herr Jesus
heißt »Kraft« — (Jesaja 9, 5) — Und nun will ich euch das Geheimnis des
Evangeliums sagen: Je schwächer der Herr Jesus erscheint, desto mehr Kraft ist
bei ihm — für uns. Wie armselig erscheint z. B. seine Auferstehung ! Da ist so
wenig Pomp und Klimbim, dass die Welt die Auferstehung einfach leugnet. Und
doch — Paulus spricht davon, dass er durch die Kraft seiner Auferstehung ein
Heer von Sündern zum Leben und zur Herrlichkeit führt (Philemon 3, 10).
Am schwächsten erscheint der Herr ja am Kreuz. Und doch — im
Kreuz ist Kraft! Wie ging mir das auf, als ich mit einem Sterbenden betete: »
... Wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den
Ängsten kraft deiner Angst und Pein!« Im Kreuz Jesu ist die Kraft, dich von
deiner schrecklichsten Not zu befreien, von der Last deiner Schuld. Bunyan hat
ja in der »Pilgerreise« das Leben wie eine Fahrt zum Himmelreich beschrieben.
Und da schildert er, wie der Christ sich quält mit einer schweren Last, die ihm
niemand von den Schultern nehmen kann. Und da kommt er an ein Kreuz. Er sieht
hinauf. Und siehe — in dem Augenblick löst sich seine Last und stürzt in den
Abgrund. Oh, wer kann die Vergebung der Sünden durch Jesu Blut schildern? Es
muss erfahren sein!
Im Kreuz ist Kraft, Sündenketten zu sprengen. Ich kannte
einen Trinker, dem keiner helfen konnte. Der Gekreuzigte aber hat ihn frei
gemacht. Ja, im Kreuz ist Kraft, aus verlorenen, von Gott und ihrem Gewissen
verdammten Sündern Kinder Gottes zu machen.
So ist es ein Satz, den nur der Glaube recht erfährt: »Dein
ist die Kraft.« Und für alle angefochtenen Seelen darf ich hinzufügen: Wie er
die Kraft hat zu erwecken, zu erretten, zu heilen und zu trösten, so hat er
auch die Kraft, uns hindurchzubringen bis in den Himmel.
3. Seine Kraft wird aller Welt offenbar werden
In Offenbarung 2 wird uns ein grandioses Bild gezeigt. Schon
sind allerlei Gerichte geschildert, die über die Welt kommen werden. Dann hört
Johannes den siebten Engel posaunen. Und im selben Augenblick bricht im Himmel
ein unendlicher Lobgesang los: »Es sind die Reiche der Welt unsres Herrn und
seines Christus geworden ...« Und dann kommt da ein Satz, der unseren Text
angeht: »Wir danken dir, Herr, allmächtiger Gott, dass du hast angenommen deine
große Kraft und herrschest!« Oh, er hatte immer eine große Kraft. Aber nun hat
er sie — so meint dieser Lobgesang — vor aller Welt angetan wie einen
Herrschermantel. Nun, da alles Starke und alles Mächtige kraftlos geworden ist,
sieht man vor aller Augen, wo in Wahrheit die Kraft ist und war. Wenn wir also
beten: »Dein ist die Kraft« — dann singen wir gewissermaßen schon leise das
Lied der Ewigkeit, der Herrlichkeit und der Vollendung.