Josua 5, 13-14a: „Und es begab sich, da
Josua bei Jericho war, dass er seine Augen aufhob und ward gewahr, dass ein
Mann ihm gegenüberstand und hatte ein bloßes Schwert in seiner Hand. Und Josua
ging zu ihm und sprach zu ihm: Gehörst du uns an oder unsern Feinden? Er
sprach: Nein, sondern ich bin ein Fürst über das Heer des Herrn und bin jetzt
gekommen. Da fiel Josua auf sein Angesicht zur Erde und betete an.“
Wisst
ihr, was das gefährlichste, ja tödlichste Missverständnis des Christentums ist?
Dass man es als eine Art von Lehre ansieht. Da gibt es dann christliche Dogmen,
christliche Grundsätze, christliche Moral, christliche Politik, christliche Anschauungen.
Das ist ja alles ganz schön. Nur – das ist doch erst das Zweite.
Das
Wichtigste ist dies: Das Evangelium offenbart uns eine Wirklichkeit, die wir
mit unseren Sinnen nicht erfassen konnten. Spurgeon hat einmal gesagt: „Der
Glaube ist ein sechster Sinn, der eine neue Wirklichkeit begreift.“ Seht euch
doch einmal die Pfingstpredigt des Petrus an. Die fängt in ihrem wichtigsten
Teil so an: „Jesus von Nazareth, der Mann, den Gott durch Zeichen und Wunder
beglaubigt hat …“ Da spricht er nicht von einer Lehre, sondern von „einem Mann“.
Der
Glaube sieht, dass uns nur ein dünner Vorhang von der unsichtbaren Welt trennt.
Durch diesen Vorhang trat in der Fülle der Zeit der Sohn des lebendigen Gottes
in unsere zerrüttete Welt. Ja, viel früher schon ist er je und dann hervorgekommen.
Davon spricht unser Text. Er berichtet, wie der Sohn Gottes dem Josua
erscheint. Wir haben hier Christus im Alten Testament.
1) Wann er erschien
Es
war eine ganz besonders notvolle Situation, als der Herr sich seinem Streiter Josua
zeigte. Wir wollen uns die Lage vergegenwärtigen: Gott hat sein Volk Israel aus
Ägypten geführt, aus der schrecklichen Sklaverei. 40 Jahre lang hatte der Knecht
Gottes, Mose, das Volk geführt durch die Wüste bis an die Grenzen des Landes
Kanaan. Dann war Mose gestorben, und Josua hatte die Leitung übernommen. Auf
wunderbare Weise waren sie durch den Jordanstrom gezogen. Und nun standen sie
in Kanaan Am Ziel! Und doch nicht am Ziel! Denn dies Land war bewohnt von
grausamen heidnischen Völkern. Wie ein verlorener Haufen stand Israel in der
Masse der zahlreichen heidnischen Völker. Hinter ihnen sperrte der Jordan den
Rückweg. Vor ihnen erhoben sich die gewaltigen Mauern der uneinnehmbaren
Festung Jericho. Es war eine Lage, von der die Vernunft nur das Urteil fällen
konnte: aussichtslos!
Wie
mag dem stillen, einfachen Gottesmann Josua zumute gewesen sein! Da geht er
eines Tages aus dem Lager, vielleicht um zu beten. Als er seine Augen aufhebt,
steht ein Mann vor ihm. Josua erkennt bald: In ihm offenbart sich Gott. So fällt
er nieder und betet an. Und dabei durchziehen ein ganz großer Friede, tiefer
Trost und abgründige Beruhigung sein bedrängtes Herz. Nun ist alles gut. Er,
sein Herr, ist da!
Wir
fragen noch einmal: Wann erschien der Herr seinem Josua? Antwort: In der Stunde
größter Einsamkeit und Bedrängnis.
So
macht es der Herr Jesus allezeit mit seinen Leuten. Als die Jünger einst in
dunkler Nacht in einem Boot saßen und „Not litten von den Wellen“, als das
Grauen der Nacht sie umfing, da kam Jesus zu ihnen und sagte: „Ich bin's!
Fürchtet euch nicht.“
Als
David, der Sänger Gottes, einst durch tiefe Täler gehen musste, erlebte er
spürbar des Herrn Nähe, dass er bekannte: „Ob ich schon wanderte im finsteren
Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir. Dein Stecken und Stab
trösten mich.“
Es
ist eine seltsame Tatsache, dass gläubige Christen oft gerade in den dunkelsten
Stunden ihres Lebens eine ganz besondere Kraft gewinnen. Das hat seinen Grund
darin: Hier ist Jesus zur Stelle, der die Seinen kennt und ihnen begegnet, wenn
sie keinen Weg mehr sehen. Das nächste Kapitel des Josua-Buches erzählt, wie
dieser Streiter Gottes in großer Gelassenheit Jericho gewann. Die dunkelste
Stunde wurde die herrlichste Segensstunde und Quelle neuer Kraft.
2) Wie er erschien
Uns
ist das Bild Jesu geläufig, wie er in seinen Erdentagen den Menschen begegnete:
als armer Wanderer voll Milde. Und wir kennen ihn gut als den Mann mit der
Dornenkrone, der unendlich leidend am Kreuz hängt. Ganz anders erscheint Jesus
hier: ein Mann mit einem Schwert. Und zwar hat er nicht einen spielerischen
Ehrendolch. Nein! Er hat ein gewaltiges Schwert zum Kampf bereit aus der
Scheide gezogen.
Jesus
also offenbart sich hier als der starke Held. So sah ihn David, als er sagte: „Der
Herr ist der rechte Kriegsmann.“
Ich
versuche mir vorzustellen, was bei diesem Anblick in der Seele des Josua
vorging: Eben noch hat er nur die unheimliche Menge der heidnischen Völker
gesehen und die schrecklichen, drohenden Mauern Jerichos. Nun ist das Bild mit
einem Schlage verändert: Wie gering sind alle diese Feinde gegenüber dem Einen,
Starken!
Und
das eben ist die Schau des Glaubens. Den gläubigen Christen erwächst ein ganz
unerklärlicher und seltsamer Mut aus dem Blick auf Jesus, welcher stärker ist
als alle Widerstände. Ich denke an den rheinischen Missionar Nommensen, der im vorigen Jahrhundert mutterseelenallein in
das Innere Sumatras zog, das von Kannibalen bewohnt war. Mit einem lächelnden
Mut hat er sich einmal in eine Versammlung von Tausenden gewagt, die bis zur
Weißglut von den heidnischen Zauberpriestern aufgehetzt waren. Und er hat
gesiegt. Er wagte es, weil er nur Jesus sah, der stärker ist.
Ich
denke an einen jungen Mann, der – obgleich er sehr schüchtern und zart ist – es
wagt, gegen eine tobende Verwandtschaft ein Leben mit Jesus zu leben. Er leitet
neben seiner Berufsarbeit einen stattlichen Jugendkreis.
O
dieser Blick des Glaubens auf Jesus, vor dem auf einmal all das, was einem
vorher Grauen machte, klein wird! Es sind ja nicht nur die Menschen und fremden
Mächte, die den gläubigen Christen ängstigen. Vielmehr kann er sich bis zur
Verzweiflung entsetzen vor sich selbst, vor seinen Sünden und vor seinem
eigenen Versagen. Aber dann sieht er auf Jesus und erfährt wie Paulus: „Wo die
Sünde mächtig geworden ist, da ist die Gnade viel mächtiger geworden.“
Vor
dem Blick auf den starken Jesus schrumpfen buchstäblich die anderen Dinge
zusammen. Ich kannte einen Mann, der durch erbliche Belastung ein Trinker war.
Die Ärzte sagten ihm: „Das ist eben wie eine unheilbare Krankheit.“ Aber dann haben
wir es zusammen erlebt, wie er im Blick auf Jesus immer wieder Sieger wurde
darüber.
„Jesus
ist stärker!“ Mit diesem Kampfruf überwinden die Streiter Jesu alle
unüberwindlichen Mauern, den Teufel und gar den Tod. Im Sterben noch schauen sie
auf Jesus und verachten den Tod. Er kann sie nicht mehr töten.
3) Wem er erschien
Darauf
müssen wir noch achten. Der Herr erschien ja nicht den Heiden in der Stadt
Jericho. Die Amoriter und Philister ahnten nichts von
seiner wunderbaren Gegenwart.
So
begegnet der Herr Jesus auch heute nicht jedem Hinz und Kunz.
Wem
erschien er? Dem Josua!
Was
war denn Besonderes an diesem Mann? War er ein großer Politiker, dessen Name in
den Zeitungen stand? War er ein reicher Mann, eine Wirtschaftsgröße? War er ein
Gelehrter, der sich einen Namen unter den Großen dieser Welt gemacht hatte?
Alles nicht! All das spielt vor Gott keine entscheidende Rolle.
Es
ist von Josua nur eins zu sagen: Es ging ihm um die Ehre Gottes in seinem Leben
und in der Welt. Er hatte auf dem Sinai gestanden mit seinem Meister Moses und
gezittert vor dem Ernst der heiligen Gebote Gottes. Er wusste um die Gegenwart
dieses majestätischen Gottes, und er lebte in seiner Gegenwart. Er wusste, wie
verloren die Welt ohne Gott ist. Er kannte das Schicksal der Kanaaniter, ehe es
sich vollzog. Er nahm das ernst: „Wir sollen Gott fürchten und lieben …“
Solchen
Seelen offenbart sich der Heiland mit all seiner Liebe, mit seinem Trost,
seinem Erbarmen und seiner Herrlichkeit. Möchten wir zu ihnen gehören!