1. Chronik 5,19-20: „Und sie stritten
mit den Hagaritern; und es ward ihnen geholfen wider
sie. Denn sie schrieen zu Gott im Streit, und er ließ sich erbitten; denn sie
vertrauten ihm.“
Vor
kurzem war hier in Essen eine Gemeindeversammlung. Da wurde es wieder einmal
ausgesprochen, was von allen Seiten auf uns eindringt: Die Kirche soll nicht so
viel von der Bibel sprechen. Sie soll vielmehr die aktuellen Tagesfragen auf die
Kanzel bringen.
Nun,
ihr könnt mir wohl glauben, dass es mich oft reizt, ein Wort zu sagen über
Gewerkschaftsfragen, über das Saargebiet oder unsre Aufrüstung. Aber jedes Mal,
wenn ich in diese Versuchung komme, steht eine Erinnerung vor mir auf: Da saß ich
als ganz junger Leutnant in einem Soldaten-Gottesdienst hinter der Front. Ich
war auf den lebendigen Gott gestoßen. Ich hatte Angst vor ihm. Was sollte aus
mir werden, wenn ich einen tödlichen Schuss bekam? Mich bewegte die große Frage:
„Wie bekommt ein Sünder Frieden mit Gott?“
Darauf
musste doch die Kirche die Antwort haben. Aber der Pfarrer auf der Kanzel
redete nur aktuelle Dinge. Er hielt kurz gesagt – eine
richtige – Kriegspredigt.
Verzweifelt
saß ich zu Füßen dieses Schwätzers. Nun, Gott selbst hat sich seines verlorenen
Kindes angenommen. Und jetzt bin ich selbst Prediger. Sooft ich auf die Kanzel
trete, muss ich denken: Vielleicht sitzt solch eine suchende Seele hier voll
Heilsverlangen. Dieser Seele möchte ich helfen und verzichte dann gern auf den Ruhm
eines „aktuellen Predigers“.
Unser
Text heute spricht von einer Sache, die nur erweckte Herzen
interessiert.
1) „Es ward ihnen geholfen“
Es
sind ja nicht irgendwelche Kriegsgeschichten, die uns im Alten Testament
erzählt werden. Israel ist Gottes Volk. Und seine Geschichten sind Vorbilder
für den geistlichen Kampf der Gemeinde Jesu.
In
unserer Geschichte handelt es sich nicht um das ganze Israel. Zwei und ein
halber Stamm hatten sich östlich vom Jordan niedergelassen. Und dies kleine
Häuflein kam nun in große Bedrängnis. Die Mächte des Heidentums machten sich
auf, die kleine Schar zu erdrücken.
Wenn
das geschah, dann war die Erkenntnis des wahren Gottes in diesem Lande
vernichtet. Dann war ein Licht ausgelöscht. Dann war jede Spur von Offenbarung
Gottes, vom Gesetz Gottes und von der herrlichen Gnade und Erwählung Gottes
getilgt. Dann war da, geistlich gesprochen, Nacht.
In
meiner Bücherei habe ich ein wertvolles Bändchen aus dem Jahr 1745 von der
Madame de la Mothe Guyon.
Darin werden diese Geschichten ausgelegt mit – so heißt es dort – „Erklärungen,
das innere Leben betreffend“.
„Das
innere Leben betreffend“ möchte ich unsere Geschichte auslegen.
Bei
den meisten unter uns ist es doch so, dass Gott durch seinen Heiligen Geist ein
kleines Glaubenslicht angezündet hat. Vielleicht ist es ein sehr kleines Licht.
Vielleicht haben wir nur eine geringe geistliche Erkenntnis. Aber wie es auch sei:
dieses kleine Licht gleicht dem armen Häuflein aus Israel. Es ist ungeheuer
preisgegeben. Da erhebt sich ringsum die ganze Welt und will es auslöschen. Oft
sind es die eigenen Familienangehörigen. – Ich habe kürzlich beobachtet, wie
ein Mann ein Streichholz mit dem Fuß austrat. So massiv will die Welt jedes
lebendige Glaubensflämmchen austreten.
Wenn
das nur alles wäre! Aber da kommt unsre eigene Vernunft, da kommen Fleisch und
Blut und streiten wider unser armseliges geistliches Leben. Da weht das
Glaubensflämmchen im Sturm und will erlöschen.
Wie
oft ist es erloschen! Ich werde oft höhnisch gefragt: „Wo bleiben all die
jungen Menschen, die in Ihrer Jugendarbeit einmal mitmachten?“ Dann frage ich
weiter: „Wo blieben die vielen, die nach dem Krieg erschüttert im Gottesdienst saßen?“
Viele, viele haben es erfahren, wie ihr Glaubensleben erstickt, ausgelöscht und
vernichtet wurde.
Es
kommt mir oft vor, als wenn die ganze Hölle in Bereitschaft stünde, um jedes
geistliche innere Leben in einem Menschenherzen zu vernichten. Wir wissen alle
davon, wie preisgegeben unser geringes geistliches Leben ist. Wir sind wie das
Häuflein Israels vor den Hagaritern.
Und
doch – „ihnen ward geholfen“. Das klingt sehr geheimnisvoll. Es ist auch ein
großes Geheimnis. Da steht der dahinter, der gesagt hat: „Ich will mich meiner
Herde selbst annehmen.“ Ja, es wurde ihnen so großartig geholfen, dass es in
unserer Geschichte nachher heißt: „Es wurden die Hagariter
und alle, die mit ihnen waren, in ihre Hände gegeben!“
Versteht
ihr, was das heißt? Das kleine, arme Glaubensflämmchen soll so stark werden, dass
es von der Vernunft, von Fleisch und Blut Besitz nimmt. Ja, dass es in der
bedrängenden Welt Beute macht. Im habe es häufig erlebt, dass junge Menschen
zuerst von ihrer ganzen Familie verachtet wurden um ihres Glaubens willen. Aber
später zogen diese jungen Leute die ganze Familie mit zum Herrn Jesus. So ward
ihnen geholfen.
2) „Sie schrieen zu Gott“
Wenn
doch das bedrängte innere Leben bei uns so mächtig würde, dass es den ganzen
Menschen und sogar unsere Umgebung überwältigte! Wie das geschieht, das können
wir lernen von diesem armen geistlichen Häuflein in unserer Geschichte.
Da
steht vor allem: „Sie stritten mit den Hagaritern.“
Es sah wohl ziemlich aussichtslos aus. Aber trotzdem machten sie nicht Frieden,
sondern sie stritten, sie nahmen den Kampf auf. Ohne heißen Kampf lebt unser
Glaubenslicht nicht lange. Da fallen mir alle die Verse des Grafen Zinzendorf
ein: „O Christenmensch, wirf weg die Kinderschuhe, / und tritt den Kampf bei
deines Herzogs Fahn' / fein männlich an!“ Oder: „Wir haben
neue Streiter wieder nötig. / Der Heiland mache Hunderte erbötig.“ Und: „Mit
Liegenbleiben / wird Schönheit nicht bewahrt. / Das Mühn
und Treiben / macht Streiter frisch und hart. / Die Augen klar, die Sinne
heiter, / schöner ist nichts als bestaubte Streiter.“
Aber
nun hätte der geistliche Kampf für das arme Häuflein in unserer Geschichte doch
zu einer Niederlage geführt, wenn es nicht etwas Besonderes getan hätte. „Sie schrieen
zum Herrn.“ Vielleicht schien ihre Niederlage schon besiegelt. Aber – da schrieen
sie zu Gott. „Und er ließ sich erbitten.“
Viele
von uns kennen diese Situation: Da sieht man nur Niederlagen. Man hört förmlich
den Teufel lachen: „Du, ausgerechnet du willst mir widerstehen?!“ Die Welt
lächelt: „Na, mit deinem Christenstand scheint es auch nicht weit her zu sein.“
Das Glaubenslicht ist am Erlöschen. Da rafft sich die Seele auf und lernt dies:
Schreien zum Herrn. Und sieh: Der Mann von Golgatha, der Sieger vom
Ostermorgen; greift ein.
Sie
schrieen zu Gott. Es steht hier nicht: Sie beteten. Ich weiß nicht, wie viel
dabei herauskommt, wenn es in der Kirche heißt: „Wir wollen beten.“ Ich
fürchte, dass da nur wenige mit dem Herzen dabei sind. Das Schreien eines
Glaubensstreiters, der am Erliegen ist, klingt anders. Davon ist nicht viel zu
sagen. Es will erfahren sein.
3) „Denn sie vertrauten ihm“
Das
scheint mir nun wirklich der wunderbarste Satz zu sein. Da ist das arme
Häuflein aus Israel am Erliegen. Die Hagariter triumphieren:
Bald wird der Name Jehovas nicht mehr gehört werden. Die Sünden des Heidentums
werden jetzt hier ihren Platz haben.
Da
– ja, wie soll ich es sagen? – da schauen diese Verlorenen getrost auf ihren
Herrn. Es ist, als spräche ein jeder: „Was gehen mich meine Niederlagen an! Was
geht mich meine Ohnmacht an! Was geht mich die unheimliche Macht des Feindes
an! Er ist hier, Jesus, der mich erkauft hat! Er ist hier, der stärker ist als
der Teufel. Er ist hier, der gesagt hat: „Niemand soll meine Schafe aus meiner
Hand reißen.“ Er ist hier, der nicht lügen kann.
Und
so ward ihnen geholfen. Und so wird dir und mir geholfen, wenn unser Glaube
zerbrechen will. Lasst mich noch einmal ein Verslein
von dem Grafen Zinzendorf erwähnen: „Lamm und Haupt: / Es sei geglaubt / und
alles auf die Gnad gewagt. / Gar nichts sehn / und kindlich flehn
/ und dem vertraun, der’s
zugesagt. / Das ist deiner Leute Stärk’, / dies sei auch mein Tagewerk, / dass
ich auf der Gnade steh, / wüsst ich gleich nicht, wo
ich geh.“