Wilhelm Busch

Die Suchaktion Gottes

Kurzgeschichten der Bibel

 

Der notvolle Kampf eines erweckten Herzens

 

1. Chronik 5,19-20: „Und sie stritten mit den Hagaritern; und es ward ihnen geholfen wider sie. Denn sie schrieen zu Gott im Streit, und er ließ sich erbitten; denn sie vertrauten ihm.“

 

Vor kurzem war hier in Essen eine Gemeindeversammlung. Da wurde es wieder einmal ausgesprochen, was von allen Seiten auf uns eindringt: Die Kirche soll nicht so viel von der Bibel sprechen. Sie soll vielmehr die aktuellen Tagesfragen auf die Kanzel bringen.

Nun, ihr könnt mir wohl glauben, dass es mich oft reizt, ein Wort zu sagen über Gewerkschaftsfragen, über das Saargebiet oder unsre Aufrüstung. Aber jedes Mal, wenn ich in diese Versuchung komme, steht eine Erinnerung vor mir auf: Da saß ich als ganz junger Leutnant in einem Soldaten-Gottesdienst hinter der Front. Ich war auf den lebendigen Gott gestoßen. Ich hatte Angst vor ihm. Was sollte aus mir werden, wenn ich einen tödlichen Schuss bekam? Mich bewegte die große Frage: „Wie bekommt ein Sünder Frieden mit Gott?“

Darauf musste doch die Kirche die Antwort haben. Aber der Pfarrer auf der Kanzel redete nur aktuelle Dinge. Er hielt kurz gesagt – eine richtige – Kriegspredigt.

Verzweifelt saß ich zu Füßen dieses Schwätzers. Nun, Gott selbst hat sich seines verlorenen Kindes angenommen. Und jetzt bin ich selbst Prediger. Sooft ich auf die Kanzel trete, muss ich denken: Vielleicht sitzt solch eine suchende Seele hier voll Heilsverlangen. Dieser Seele möchte ich helfen und verzichte dann gern auf den Ruhm eines „aktuellen Predigers“.

Unser Text heute spricht von einer Sache, die nur erweckte Herzen interessiert.

 

1) „Es ward ihnen geholfen“

 

Es sind ja nicht irgendwelche Kriegsgeschichten, die uns im Alten Testament erzählt werden. Israel ist Gottes Volk. Und seine Geschichten sind Vorbilder für den geistlichen Kampf der Gemeinde Jesu.

In unserer Geschichte handelt es sich nicht um das ganze Israel. Zwei und ein halber Stamm hatten sich östlich vom Jordan niedergelassen. Und dies kleine Häuflein kam nun in große Bedrängnis. Die Mächte des Heidentums machten sich auf, die kleine Schar zu erdrücken.

Wenn das geschah, dann war die Erkenntnis des wahren Gottes in diesem Lande vernichtet. Dann war ein Licht ausgelöscht. Dann war jede Spur von Offenbarung Gottes, vom Gesetz Gottes und von der herrlichen Gnade und Erwählung Gottes getilgt. Dann war da, geistlich gesprochen, Nacht.

In meiner Bücherei habe ich ein wertvolles Bändchen aus dem Jahr 1745 von der Madame de la Mothe Guyon. Darin werden diese Geschichten ausgelegt mit – so heißt es dort – „Erklärungen, das innere Leben betreffend“.

„Das innere Leben betreffend“ möchte ich unsere Geschichte auslegen.

Bei den meisten unter uns ist es doch so, dass Gott durch seinen Heiligen Geist ein kleines Glaubenslicht angezündet hat. Vielleicht ist es ein sehr kleines Licht. Vielleicht haben wir nur eine geringe geistliche Erkenntnis. Aber wie es auch sei: dieses kleine Licht gleicht dem armen Häuflein aus Israel. Es ist ungeheuer preisgegeben. Da erhebt sich ringsum die ganze Welt und will es auslöschen. Oft sind es die eigenen Familienangehörigen. – Ich habe kürzlich beobachtet, wie ein Mann ein Streichholz mit dem Fuß austrat. So massiv will die Welt jedes lebendige Glaubensflämmchen austreten.

Wenn das nur alles wäre! Aber da kommt unsre eigene Vernunft, da kommen Fleisch und Blut und streiten wider unser armseliges geistliches Leben. Da weht das Glaubensflämmchen im Sturm und will erlöschen.

Wie oft ist es erloschen! Ich werde oft höhnisch gefragt: „Wo bleiben all die jungen Menschen, die in Ihrer Jugendarbeit einmal mitmachten?“ Dann frage ich weiter: „Wo blieben die vielen, die nach dem Krieg erschüttert im Gottesdienst saßen?“ Viele, viele haben es erfahren, wie ihr Glaubensleben erstickt, ausgelöscht und vernichtet wurde.

Es kommt mir oft vor, als wenn die ganze Hölle in Bereitschaft stünde, um jedes geistliche innere Leben in einem Menschenherzen zu vernichten. Wir wissen alle davon, wie preisgegeben unser geringes geistliches Leben ist. Wir sind wie das Häuflein Israels vor den Hagaritern.

Und doch – „ihnen ward geholfen“. Das klingt sehr geheimnisvoll. Es ist auch ein großes Geheimnis. Da steht der dahinter, der gesagt hat: „Ich will mich meiner Herde selbst annehmen.“ Ja, es wurde ihnen so großartig geholfen, dass es in unserer Geschichte nachher heißt: „Es wurden die Hagariter und alle, die mit ihnen waren, in ihre Hände gegeben!“

Versteht ihr, was das heißt? Das kleine, arme Glaubensflämmchen soll so stark werden, dass es von der Vernunft, von Fleisch und Blut Besitz nimmt. Ja, dass es in der bedrängenden Welt Beute macht. Im habe es häufig erlebt, dass junge Menschen zuerst von ihrer ganzen Familie verachtet wurden um ihres Glaubens willen. Aber später zogen diese jungen Leute die ganze Familie mit zum Herrn Jesus. So ward ihnen geholfen.

 

2) „Sie schrieen zu Gott“

 

Wenn doch das bedrängte innere Leben bei uns so mächtig würde, dass es den ganzen Menschen und sogar unsere Umgebung überwältigte! Wie das geschieht, das können wir lernen von diesem armen geistlichen Häuflein in unserer Geschichte.

Da steht vor allem: „Sie stritten mit den Hagaritern.“ Es sah wohl ziemlich aussichtslos aus. Aber trotzdem machten sie nicht Frieden, sondern sie stritten, sie nahmen den Kampf auf. Ohne heißen Kampf lebt unser Glaubenslicht nicht lange. Da fallen mir alle die Verse des Grafen Zinzendorf ein: „O Christenmensch, wirf weg die Kinderschuhe, / und tritt den Kampf bei deines Herzogs Fahn' / fein männlich an!“ Oder: „Wir haben neue Streiter wieder nötig. / Der Heiland mache Hunderte erbötig.“ Und: „Mit Liegenbleiben / wird Schönheit nicht bewahrt. / Das Mühn und Treiben / macht Streiter frisch und hart. / Die Augen klar, die Sinne heiter, / schöner ist nichts als bestaubte Streiter.“

Aber nun hätte der geistliche Kampf für das arme Häuflein in unserer Geschichte doch zu einer Niederlage geführt, wenn es nicht etwas Besonderes getan hätte. „Sie schrieen zum Herrn.“ Vielleicht schien ihre Niederlage schon besiegelt. Aber – da schrieen sie zu Gott. „Und er ließ sich erbitten.“

Viele von uns kennen diese Situation: Da sieht man nur Niederlagen. Man hört förmlich den Teufel lachen: „Du, ausgerechnet du willst mir widerstehen?!“ Die Welt lächelt: „Na, mit deinem Christenstand scheint es auch nicht weit her zu sein.“ Das Glaubenslicht ist am Erlöschen. Da rafft sich die Seele auf und lernt dies: Schreien zum Herrn. Und sieh: Der Mann von Golgatha, der Sieger vom Ostermorgen; greift ein.

Sie schrieen zu Gott. Es steht hier nicht: Sie beteten. Ich weiß nicht, wie viel dabei herauskommt, wenn es in der Kirche heißt: „Wir wollen beten.“ Ich fürchte, dass da nur wenige mit dem Herzen dabei sind. Das Schreien eines Glaubensstreiters, der am Erliegen ist, klingt anders. Davon ist nicht viel zu sagen. Es will erfahren sein.

 

3) „Denn sie vertrauten ihm“

 

Das scheint mir nun wirklich der wunderbarste Satz zu sein. Da ist das arme Häuflein aus Israel am Erliegen. Die Hagariter triumphieren: Bald wird der Name Jehovas nicht mehr gehört werden. Die Sünden des Heidentums werden jetzt hier ihren Platz haben.

Da – ja, wie soll ich es sagen? – da schauen diese Verlorenen getrost auf ihren Herrn. Es ist, als spräche ein jeder: „Was gehen mich meine Niederlagen an! Was geht mich meine Ohnmacht an! Was geht mich die unheimliche Macht des Feindes an! Er ist hier, Jesus, der mich erkauft hat! Er ist hier, der stärker ist als der Teufel. Er ist hier, der gesagt hat: „Niemand soll meine Schafe aus meiner Hand reißen.“ Er ist hier, der nicht lügen kann.

Und so ward ihnen geholfen. Und so wird dir und mir geholfen, wenn unser Glaube zerbrechen will. Lasst mich noch einmal ein Verslein von dem Grafen Zinzendorf erwähnen: „Lamm und Haupt: / Es sei geglaubt / und alles auf die Gnad gewagt. / Gar nichts sehn / und kindlich flehn / und dem vertraun, der’s zugesagt. / Das ist deiner Leute Stärk’, / dies sei auch mein Tagewerk, / dass ich auf der Gnade steh, / wüsst ich gleich nicht, wo ich geh.“