Jeremia 20, 9: „Da dachte ich: Wohlan,
ich will sein nicht mehr gedenken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber
es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen
verschlossen, dass ich’s nicht leiden konnte, und wäre schier vergangen.“
Kurzgeschichten
sind heute die große Mode in der Literatur.
Nun,
die besten Kurzgeschichten finde ich in der Bibel. Allerdings sind die ganz
anders als die üblichen. Worin liegt eigentlich der Unterschied?
Die
üblichen Kurzgeschichten erzählen von dem bunten, wilden Schauplatz der äußeren
Welt. Sie halten aus dem wirren Kaleidoskop der Weltgeschehnisse einen
Augenblick fest.
Ganz
anders die Kurzgeschichten der Bibel. Die Bibel weiß, dass die dramatischsten
Ereignisse in einem Menschenherzen vorgehen, das von Gott gerufen wurde.
Dass
wir uns recht verstehen! Nur ein Herz, das von Gott gerufen wurde, ist der
Schauplatz großer und bedeutungsvoller Dinge. Die andern Herzen sind – nun ja, „wie
Schmer“ (Ps. 119,70); oder wie ein Jahrmarkt, wo lauter Lärm durcheinander
schwirrt; oder wie ein Luftballon, der von großen Gefühlen aufgeblasen wird;
oder wie eine Drehorgel, die immer dieselbe Platte spielt; oder wie ein Friedhof,
voller Totengebein.
Aber
Herzen, die von Gott gerufen sind, die werden zum Schauplatz bedeutender
Ereignisse. Davon erzählt hier Jeremia.
1) Die Anfechtung des Angefochtenen
Wenn
im nur wüsste, ob ihr das Wort „Anfechtung“ versteht! Das ist nämlich ein Wort,
das sich im Sprachschatz der Welt gar nicht findet. Seht, was ein „Tabellenerster“ oder ein „Sechstagefavorit“ ist, weiß nur
der, der eine Ahnung vom Sport hat. Und was „Anfechtung“ ist, weiß nur, wer es
mit dem lebendigen Gott zu tun hat. Nur in der Zone Gottes kommt das Wort „Anfechtung“
vor. Was ist Anfechtung?
Jeremia
war vom Herrn beschlagnahmt worden. Nun gehörte er nicht mehr sich selbst oder
der Welt, sondern seinem Heiland. Das ist eine große Sache. „Es ist etwas, des
Heilands sein! / Ich dein, o Jesu, und du mein / in Wahrheit sagen können …“ Da
wird das Herz fröhlich, wenn das klar geworden ist. Die Bibel spricht einmal
von königlichen Menschen, die auf den Wegen des Herrn singen. Es ist noch immer
so gewesen: Wenn ein Weltmensch diesen Gesang einer erlösten und versöhnten
Seele hörte, dann sagte er: „Ich beneide dich!“ „Sie singen auf den Wegen des
Herrn.“ Ja, aber der Weg ist lang. Und dann kommen die Anfechtungen. Man wollte
in der Kraft des Herrn gehen – und erlebt schreckliche Niederlagen. Man
entdeckt, dass das eigene Herz wirklich ein böser Abgrund ist, aus dem die
gemeinsten Dinge aufsteigen. Und während man noch mit sich zu tun hat, kommen
von außen lauter Schwierigkeiten. Da verstummt so langsam das „Singen auf den
Wegen des Herrn“.
Und
dann bemerkt man, dass man auf diesem Wege unheimlich einsam werden kann. Der
Gang wird immer mutloser, das Beten immer matter. Man ahnt nicht, dass jetzt
die Hölle den Atem anhält. Denn alle Anfechtung hat es letztlich mit dem Fürsten
der Finsternis zu tun, der nicht will, dass ein Mensch aus seinem Bereich
ausbricht und als Kind Gottes seine Straße zieht.
Und
schließlich – wenn so ein Gotteskind ganz müde und ganz angefochten ist – dann
spielt Satan die letzte Karte aus und rät: „Was quälst du dich? Wirf doch das
Ganze über Bord. Das Ganze!“
So
hier Jeremia: „Ich dachte: Wohlan, ich will sein nicht mehr gedenken!“
Unheimlich!
Ein Mann wie der große Jeremia erfährt diese Anfechtung der Angefochtenen: „Ich
will sein nicht mehr gedenken. Ich mache Schluss mit dem Christentum. Ich werfe
alles über Bord!“ So steht's mit Jeremia! Wo wollen wir denn bleiben?
2) Der Kompromiss-Vorschlag der Vernunft
Erschütternder
Augenblick, als der große Prophet Jeremia sich vornimmt: „Ich will sein nicht
mehr gedenken.“ Und es ist, als ob er selbst bis ins Innerste erschrickt vor
dieser furchtbaren Gefahr.
Und
seht, in diesem Augenblick mischt sich seine eigene – ach, so unerleuchtete – Vernunft
ein und macht einen Kompromiss-Vorschlag.
Ihr
wisst doch, was ein Kompromiss ist? Da streiten sich zwei um ein Stücklein Gartenland. Nachdem sie ihr Geld verprozessiert
haben, machen sie einen vernünftigen Kompromiss: Jeder kriegt die Hälfte.
Ein
Kompromiss ist immer sehr vernünftig. Nun meldet sich also diese Vernunft auch
beim Jeremia und macht einen Kompromiss-Vorschlag:
„Du
brauchst ja nicht gleich alles über Bord zu werfen. Es genügt doch auch, wenn
du ein gemäßigtes, ein heimliches Christentum führst.“ Im Text heißt es so: „Ich
dachte: Wohlan, ich will nicht mehr in seinem Namen reden.“ Luther übersetzt „predigen“.
Aber da denken wir gleich an Pfarrer und feierliche Ansprachen. Im hebräischen
Text steht hier: „Ich will nicht mehr in seinem Namen sprechen.“
Versteht
ihr das? Das heißt: Ich habe an der Front gestanden, wo der Einbruch des
Reiches Gottes in diese Welt geschehen ist. Diese Stellung an der Front hat
mich müde gemacht. Nein! Ich will nicht das ganze Christentum über Bord werfen,
aber ich will mich aus der Front lösen. Ich will ein Etappensoldat des
Christentums werden.
Da
macht man dann Frieden mit Fleisch und Blut. Man macht Frieden mit der Welt.
Und weil man nicht recht weiß, wie es um den Frieden mit Gott bestellt ist,
hält man Frieden mit dem Pastor man lädt ihn mal zum Abendessen ein und
entdeckt zu seiner Beruhigung, dass der es ja offenbar auch gar nicht so ernst
nimmt mit Gott.
Allerdings
– die Bibel nimmt man immer seltener zur Hand. Zur Stille kommt man nicht mehr.
So
ein Etappenchrist gleicht den Ruinen des Tempels in Jerusalem als die Römer
abzogen: Da war einmal das Opfer gebracht worden. Da waren einmal die
Lobgesänge ertönt. Da hatte man einmal das Bußgebet gehört. Aber nun – ausgebrannte
Ruinen!
Solch
ein Christ ist wie die Harfe Davids nach seinem Tod. Da lag sie, die so
herrliche Lieder begleitet hatte. Nun war sie stumm.
Die
Kirche besteht weithin aus Christen dieser Art. Und darum ist der Teufel
manchmal sehr zufrieden mit uns.
3) Die große Gnade
Kehren
wir noch mal zu der Kurzgeschichte zurück, die Jeremia erzählt: „Ich dachte:
Wohlan, ich will sein nicht mehr gedenken ich will nicht mehr in seinem Namen
sprechen. Aber – –“ ja, nun kommt das seltsame Ende der Geschichte: „– aber es ward
in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer.“ Wörtlich übersetzt geht es nun
weiter: „Im bemühe mich, es auszuhalten.“
Es
gibt viele unter uns, die tragen dieses entsetzliche Feuer in ihren Gewissen
mit sich herum. Sie wissen genau, dass ihr Leben in Ordnung kommen müsste. Dass
der Mann von Golgatha auf sie wartet. Aber sie bemühen sich, dies Feuer
auszuhalten – bis es erlischt. Zu dieser Stelle sagt Calvin so ernst: „Wir
müssen darum besorgt sein, dass nicht unsre Trägheit die innere Glut auslöscht.“
Wie
erging es Jeremia? „Ich bemühte mich, es auszuhalten, aber ich hielt es nicht
aus.“
Wisst
ihr, was dann erfolgt? Dann lässt man sich fallen ins Bodenlose – und fällt in
die Arme Jesu Christi. Und da hört man ihn sagen: „Fürchte dich nicht, ich habe
dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“ Wir singen
im Jugendhaus gern den Vers – und diese Erfahrung wünsche ich uns allen –: „Wie
lang hab ich müh'voll gerungen, / geseufzt unter
Sünde und Schmerz. / Doch als ich mich ihm überlassen, / da strömte sein Fried'
in mein Herz …“