Wilhelm Busch

Die Suchaktion Gottes

Kurzgeschichten der Bibel

 

„Ich will nicht mehr …“

 

Jeremia 20, 9: „Da dachte ich: Wohlan, ich will sein nicht mehr gedenken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich’s nicht leiden konnte, und wäre schier vergangen.“

 

Kurzgeschichten sind heute die große Mode in der Literatur.

Nun, die besten Kurzgeschichten finde ich in der Bibel. Allerdings sind die ganz anders als die üblichen. Worin liegt eigentlich der Unterschied?

Die üblichen Kurzgeschichten erzählen von dem bunten, wilden Schauplatz der äußeren Welt. Sie halten aus dem wirren Kaleidoskop der Weltgeschehnisse einen Augenblick fest.

Ganz anders die Kurzgeschichten der Bibel. Die Bibel weiß, dass die dramatischsten Ereignisse in einem Menschenherzen vorgehen, das von Gott gerufen wurde.

Dass wir uns recht verstehen! Nur ein Herz, das von Gott gerufen wurde, ist der Schauplatz großer und bedeutungsvoller Dinge. Die andern Herzen sind – nun ja, „wie Schmer“ (Ps. 119,70); oder wie ein Jahrmarkt, wo lauter Lärm durcheinander schwirrt; oder wie ein Luftballon, der von großen Gefühlen aufgeblasen wird; oder wie eine Drehorgel, die immer dieselbe Platte spielt; oder wie ein Friedhof, voller Totengebein.

Aber Herzen, die von Gott gerufen sind, die werden zum Schauplatz bedeutender Ereignisse. Davon erzählt hier Jeremia.

 

1) Die Anfechtung des Angefochtenen

 

Wenn im nur wüsste, ob ihr das Wort „Anfechtung“ versteht! Das ist nämlich ein Wort, das sich im Sprachschatz der Welt gar nicht findet. Seht, was ein „Tabellenerster“ oder ein „Sechstagefavorit“ ist, weiß nur der, der eine Ahnung vom Sport hat. Und was „Anfechtung“ ist, weiß nur, wer es mit dem lebendigen Gott zu tun hat. Nur in der Zone Gottes kommt das Wort „Anfechtung“ vor. Was ist Anfechtung?

Jeremia war vom Herrn beschlagnahmt worden. Nun gehörte er nicht mehr sich selbst oder der Welt, sondern seinem Heiland. Das ist eine große Sache. „Es ist etwas, des Heilands sein! / Ich dein, o Jesu, und du mein / in Wahrheit sagen können …“ Da wird das Herz fröhlich, wenn das klar geworden ist. Die Bibel spricht einmal von königlichen Menschen, die auf den Wegen des Herrn singen. Es ist noch immer so gewesen: Wenn ein Weltmensch diesen Gesang einer erlösten und versöhnten Seele hörte, dann sagte er: „Ich beneide dich!“ „Sie singen auf den Wegen des Herrn.“ Ja, aber der Weg ist lang. Und dann kommen die Anfechtungen. Man wollte in der Kraft des Herrn gehen – und erlebt schreckliche Niederlagen. Man entdeckt, dass das eigene Herz wirklich ein böser Abgrund ist, aus dem die gemeinsten Dinge aufsteigen. Und während man noch mit sich zu tun hat, kommen von außen lauter Schwierigkeiten. Da verstummt so langsam das „Singen auf den Wegen des Herrn“.

Und dann bemerkt man, dass man auf diesem Wege unheimlich einsam werden kann. Der Gang wird immer mutloser, das Beten immer matter. Man ahnt nicht, dass jetzt die Hölle den Atem anhält. Denn alle Anfechtung hat es letztlich mit dem Fürsten der Finsternis zu tun, der nicht will, dass ein Mensch aus seinem Bereich ausbricht und als Kind Gottes seine Straße zieht.

Und schließlich – wenn so ein Gotteskind ganz müde und ganz angefochten ist – dann spielt Satan die letzte Karte aus und rät: „Was quälst du dich? Wirf doch das Ganze über Bord. Das Ganze!“

So hier Jeremia: „Ich dachte: Wohlan, ich will sein nicht mehr gedenken!“

Unheimlich! Ein Mann wie der große Jeremia erfährt diese Anfechtung der Angefochtenen: „Ich will sein nicht mehr gedenken. Ich mache Schluss mit dem Christentum. Ich werfe alles über Bord!“ So steht's mit Jeremia! Wo wollen wir denn bleiben?

 

2) Der Kompromiss-Vorschlag der Vernunft

 

Erschütternder Augenblick, als der große Prophet Jeremia sich vornimmt: „Ich will sein nicht mehr gedenken.“ Und es ist, als ob er selbst bis ins Innerste erschrickt vor dieser furchtbaren Gefahr.

Und seht, in diesem Augenblick mischt sich seine eigene – ach, so unerleuchtete – Vernunft ein und macht einen Kompromiss-Vorschlag.

Ihr wisst doch, was ein Kompromiss ist? Da streiten sich zwei um ein Stücklein Gartenland. Nachdem sie ihr Geld verprozessiert haben, machen sie einen vernünftigen Kompromiss: Jeder kriegt die Hälfte.

Ein Kompromiss ist immer sehr vernünftig. Nun meldet sich also diese Vernunft auch beim Jeremia und macht einen Kompromiss-Vorschlag:

„Du brauchst ja nicht gleich alles über Bord zu werfen. Es genügt doch auch, wenn du ein gemäßigtes, ein heimliches Christentum führst.“ Im Text heißt es so: „Ich dachte: Wohlan, ich will nicht mehr in seinem Namen reden.“ Luther übersetzt „predigen“. Aber da denken wir gleich an Pfarrer und feierliche Ansprachen. Im hebräischen Text steht hier: „Ich will nicht mehr in seinem Namen sprechen.“

Versteht ihr das? Das heißt: Ich habe an der Front gestanden, wo der Einbruch des Reiches Gottes in diese Welt geschehen ist. Diese Stellung an der Front hat mich müde gemacht. Nein! Ich will nicht das ganze Christentum über Bord werfen, aber ich will mich aus der Front lösen. Ich will ein Etappensoldat des Christentums werden.

Da macht man dann Frieden mit Fleisch und Blut. Man macht Frieden mit der Welt. Und weil man nicht recht weiß, wie es um den Frieden mit Gott bestellt ist, hält man Frieden mit dem Pastor man lädt ihn mal zum Abendessen ein und entdeckt zu seiner Beruhigung, dass der es ja offenbar auch gar nicht so ernst nimmt mit Gott.

Allerdings – die Bibel nimmt man immer seltener zur Hand. Zur Stille kommt man nicht mehr.

So ein Etappenchrist gleicht den Ruinen des Tempels in Jerusalem als die Römer abzogen: Da war einmal das Opfer gebracht worden. Da waren einmal die Lobgesänge ertönt. Da hatte man einmal das Bußgebet gehört. Aber nun – ausgebrannte Ruinen!

Solch ein Christ ist wie die Harfe Davids nach seinem Tod. Da lag sie, die so herrliche Lieder begleitet hatte. Nun war sie stumm.

Die Kirche besteht weithin aus Christen dieser Art. Und darum ist der Teufel manchmal sehr zufrieden mit uns.

 

3) Die große Gnade

 

Kehren wir noch mal zu der Kurzgeschichte zurück, die Jeremia erzählt: „Ich dachte: Wohlan, ich will sein nicht mehr gedenken ich will nicht mehr in seinem Namen sprechen. Aber – –“ ja, nun kommt das seltsame Ende der Geschichte: „– aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer.“ Wörtlich übersetzt geht es nun weiter: „Im bemühe mich, es auszuhalten.“

Es gibt viele unter uns, die tragen dieses entsetzliche Feuer in ihren Gewissen mit sich herum. Sie wissen genau, dass ihr Leben in Ordnung kommen müsste. Dass der Mann von Golgatha auf sie wartet. Aber sie bemühen sich, dies Feuer auszuhalten – bis es erlischt. Zu dieser Stelle sagt Calvin so ernst: „Wir müssen darum besorgt sein, dass nicht unsre Trägheit die innere Glut auslöscht.“

Wie erging es Jeremia? „Ich bemühte mich, es auszuhalten, aber ich hielt es nicht aus.“

Wisst ihr, was dann erfolgt? Dann lässt man sich fallen ins Bodenlose – und fällt in die Arme Jesu Christi. Und da hört man ihn sagen: „Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“ Wir singen im Jugendhaus gern den Vers – und diese Erfahrung wünsche ich uns allen –: „Wie lang hab ich müh'voll gerungen, / geseufzt unter Sünde und Schmerz. / Doch als ich mich ihm überlassen, / da strömte sein Fried' in mein Herz …“