HesekieI 20, 1-3: „Und
es begab sich im siebenten Jahr, am zehnten Tage des fünften Monats, kamen
etliche aus den Ältesten Israels, den Herrn zu fragen, und setzten sich vor mir
nieder. Da geschah des Herrn Wort zu mir und sprach: Du Menschenkind, sage den Ältesten
Israels und sprich zu ihnen: So spricht der Herr, Herr: Seid ihr gekommen, mich
zu fragen? So wahr ich lebe, ich will von euch ungefragt sein, spricht der
Herr, Herr.“
Man
sollte es einfach nicht für möglich halten, dass diese Textgeschichte vor 2500
Jahren geschehen ist. Denn das, was uns da berichtet wird, ist unter uns
alltäglich.
Um
was handelt es sich denn? Um ein Missverständnis.
Die
Welt ist voller Missverständnisse. Die meisten haben ja eine komische Seite.
Und so ist dafür gesorgt, dass die Welt nicht gar zu trübselig wird.
Aber
in unserm Text ist die Rede von einem ungeheuren Missverständnis, das die
schwerwiegendsten Folgen hat. Es geht darum, dass wir Menschen unsre Stellung
dem lebendigen Gott gegenüber missverstehen.
1) Gott will nicht Anerkennung, sondern Übergabe
Es
ist eigentlich eine empörende Geschichte, die unser Text erzählt. Zu dem
Propheten Hesekiel kamen eines Tages einige ehrwürdige Männer. Sie gehörten zu
den „Ältesten Israels“. Es waren also Leute aus den vornehmen und bekannten
Familien, Männer, deren Wort eine Geltung hatte.
Die
kamen zu dem Propheten und setzten sich – wie es üblich war – vor ihm nieder.
Ehe aber einer mit den üblichen Begrüßungsworten begonnen hatte, fuhr der
Prophet sie an: „Seid ihr gekommen, den Herrn zu fragen? Er will von euch ungefragt
sein!“
Das
sollte sich einmal ein Pfarrer erlauben! Die Leute würden umgehend aus der
Kirche austreten.
Der
Prophet Hesekiel allerdings hat für sein barsches Wesen einen guten Grund.
Nicht er weist diese Ältesten ab, sondern – der Herr selbst. So steht hier: „Es
geschah das Wort des Herrn zu mir und sprach: Sage den Ältesten: Ich will von
euch ungefragt sein.“ Und damit kein Irrtum entsteht, fügt der Prophet noch
einmal hinzu: „Das sagt der Herr, Herr.“
Also
Gott selbst weist diese Ältesten ab. Das ist ja furchtbar! Wenn das uns geschähe!? Wenn Gott uns jetzt
sagte: „Lass mich in Ruhe! Ich will nichts mehr von dir wissen!“ –
Warum
ist der Herr so hart und unfreundlich? Diese Männer waren doch keine
Gottesleugner und Atheisten. Sie glaubten doch an Gott. Sie gingen in die
Kirche und erkannten den Propheten Gottes an.
Und
doch weist Gott sie ab. Wie sollen wir das verstehen? Ein Beispiel kann es
erklären: Als im 30jährigen Krieg der Kaiserliche Feldherr Wallenstein
Stralsund belagerte, bot diese Stadt Verhandlungen an. Aber die zerschlugen
sich. Wallenstein wollte nur eins: die vollständige Übergabe, die Kapitulation
der Stadt.
Gott
belagert uns auch. Er hat – um im Bild zu bleiben – seltsame Geschütze in
Stellung gebracht – Geschütze der Liebe. Er sendet seinen lieben Sohn. Der
stirbt für uns und bezahlt all unsre Schuld. Der steht von den Toten auf und
lockt uns durch den Heiligen Geist. Gott bombardiert die Herzen mit lauter
Liebe und Erlösung.
Und
wir? Wir verhandeln: Wir sind bereit, Gott anzuerkennen. Wir sind bereit, für
ihn Geld zu opfern. Aber er sagt: „Nein! Ich will eure Kapitulation!“
Seht
noch einmal auf die Ältesten Israels, die zu Hesekiel kamen. Diese Leute
verweigerten Gott die völlige Übergabe der Herzen. Darum gab ihnen Gott keine
Antwort, keinen Rat, keine Hilfe.
Genauso
ergeht es so vielen so genannten Christen heute. Sie wissen nichts von Freude
am Herrn, von Erfahrungen mit ihm. Ihr ganzes Glaubensleben kommt nie in
Ordnung, weil sie noch nie die weiße Fahne der Kapitulation auf der Zitadelle ihres
Herzens aufgezogen haben – vor dem Gott, der in Jesus zu ihnen kommt, – nicht
um zu verderben, sondern um sie glücklich und selig zu machen.
2) Gott braucht uns nicht, wir aber brauchen ihn
Der
Prophet Hesekiel war ein sehr verachteter, einsamer und von vielen abgelehnter
Mann. Nun kommen die vornehmsten Männer zu ihm mit religiösen Fragen. Da könnte
man doch erwarten, dass der Prophet sehr glücklich wäre und dächte: „Wie schön!
Jetzt fangen die Aktien Gottes an zu steigen!“
Ich
jedenfalls würde mich sehr freuen, wenn alle führenden Leute der Stadt und der
Industrie jetzt hier in unseren Gottesdienst kämen.
Und
was geschieht? Der Prophet macht keineswegs eine beglückte Verbeugung. Er teilt
vielmehr den erschrockenen und verdutzten Männern mit: „Gott hat euch nichts
mehr zu sagen.“ Diese Ältesten haben das gar nicht fassen wollen. Und darum hat
Hesekiel es ihnen in einer längeren Rede begründet. Diese schließt mit den
harten Worten: „So spricht der Herr: Weil ihr mir nicht gehorchen wollt, so
fahret hin!“
Deutlicher
kann es den Ältesten und uns wirklich nicht gesagt werden: „Bildet euch doch nicht
ein, Gott müsste glücklich sein, wenn ihr euch gelegentlich an ihn erinnert. Er
braucht uns nicht. Er hat uns nicht nötig! Aber – wir brauchen ihn!“
Der
Apostel Paulus stand eines Tages in Athen auf dem Areopag. Rings um ihn in
herrlicher Pracht Tempel und Altäre, deren Trümmer die Touristen heute noch
entzücken. Und da hat Paulus den heidnischen Philosophen mit schneidender
Deutlichkeit gesagt: Eure Götter leben davon, dass der Mensch sie anerkennt.
Der lebendige Gott aber bedarf keines Menschen.
Wir
aber bedürfen Gottes. Wenn er eine Sekunde einschlafen würde, würde in dieser
Sekunde das Weltall zerstieben und vergehen.
Aber
nun muss ich euch doch sagen, dass trotz dieser klaren Lage sich im Herzen
Gottes ein Wunder ereignet hat – ein Wunder, das er uns geoffenbart hat. Er,
der keines Menschen bedarf, freut sich doch, wenn ein Mensch verlangend und
aufrichtig zu ihm kommt. Er hat durch seinen Sohn Jesus die Geschichte vom „verlorenen
Sohn“ erzählen lassen. Ihr kennt sie: Da kommt der verlumpte Sohn nach Hause.
Und was tut der Vater? Er schlägt nicht die Haustür zu. Er breitet die Arme aus
und nimmt den Sohn an sein Herz.
So
breitet Gott die Arme aus. Seht nur auf das Kreuz, wo die Arme Gottes für alle
ausgebreitet sind: „Kommt her, Mühselige, ich erquicke euch! Kommt her, Friedelose,
ich tröste euch! Kommt her, Sünder, ich wasche euch rein!“
Und
wenn nur einer zu ihm kommt, erschallt in den himmlischen Räumen unendlicher
Jubel. Jesus sagt: „Es ist Freude im Himmel über einen Sünder, der Buße tut.“
Aber
kehren wir zu Hesekiel zurück:
3) Gott will nicht überhebliche Diskussion, sondern
kindlichen Gehorsam
Man
sieht diese Ältesten geradezu vor sich, wie sie mit etwas Reserve und etwas
gnädiger Freundlichkeit sich vor dem Propheten niedersetzen. Sie haben einige
Fragen, besser gesagt: Probleme auf dem Herzen. Und sie sind bereit, darüber zu
diskutieren.
Wie
wir das kennen! Gewiss – wir Menschen müssen miteinander reden. Und es ist
besser, dass man über Gott, das Evangelium und die Stellung des Christen in der
Welt diskutiert, als dass man nur über das Wetter spricht. Aber kommen wir nicht
allmählich in die Lage der Ältesten: dass uns das Evangelium nur noch zu einem
unverbindlichen Diskussionsgegenstand wird? In Männerabenden und auf Jugendtreffen,
auf Akademien und kirchlichen Wochen wird diskutiert und diskutiert. Der
Wuppertaler Erweckungsprediger G. D. Krummacher saß
einst in einem solchen Kreis. Nachdem er lange zugehört hatte, fragte er: „Kennen
Sie die Naturgeschichte der Kaninchen?“ Allgemeines Erstaunen. Darauf Krummacher: „Sie bohren überall Löcher und bringen es doch
zu nichts.“
Den
Ältesten Israels hat Gott einfach die Diskussion abgeschnitten. Und als sie
erschrocken fragten: „Warum?“, bekamen sie die Antwort: „Brecht mit euren
Sünden und werdet mir im Alltag gehorsam!“ Ein Leben in der einfältigen
Nachfolge Jesu ist mehr als alle unverbindliche Klugheit der Welt. Lasst uns
doch ernstmachen mit dem Heiland, der es so ernst mit
uns meinte, als er am Kreuz für uns starb!