Wilhelm Busch

Die Suchaktion Gottes

Kurzgeschichten der Bibel

 

Das Missverständnis gegenüber Gott

 

HesekieI 20, 1-3: „Und es begab sich im siebenten Jahr, am zehnten Tage des fünften Monats, kamen etliche aus den Ältesten Israels, den Herrn zu fragen, und setzten sich vor mir nieder. Da geschah des Herrn Wort zu mir und sprach: Du Menschenkind, sage den Ältesten Israels und sprich zu ihnen: So spricht der Herr, Herr: Seid ihr gekommen, mich zu fragen? So wahr ich lebe, ich will von euch ungefragt sein, spricht der Herr, Herr.“

 

Man sollte es einfach nicht für möglich halten, dass diese Textgeschichte vor 2500 Jahren geschehen ist. Denn das, was uns da berichtet wird, ist unter uns alltäglich.

Um was handelt es sich denn? Um ein Missverständnis.

Die Welt ist voller Missverständnisse. Die meisten haben ja eine komische Seite. Und so ist dafür gesorgt, dass die Welt nicht gar zu trübselig wird.

Aber in unserm Text ist die Rede von einem ungeheuren Missverständnis, das die schwerwiegendsten Folgen hat. Es geht darum, dass wir Menschen unsre Stellung dem lebendigen Gott gegenüber missverstehen.

 

1) Gott will nicht Anerkennung, sondern Übergabe

 

Es ist eigentlich eine empörende Geschichte, die unser Text erzählt. Zu dem Propheten Hesekiel kamen eines Tages einige ehrwürdige Männer. Sie gehörten zu den „Ältesten Israels“. Es waren also Leute aus den vornehmen und bekannten Familien, Männer, deren Wort eine Geltung hatte.

Die kamen zu dem Propheten und setzten sich – wie es üblich war – vor ihm nieder. Ehe aber einer mit den üblichen Begrüßungsworten begonnen hatte, fuhr der Prophet sie an: „Seid ihr gekommen, den Herrn zu fragen? Er will von euch ungefragt sein!“

Das sollte sich einmal ein Pfarrer erlauben! Die Leute würden umgehend aus der Kirche austreten.

Der Prophet Hesekiel allerdings hat für sein barsches Wesen einen guten Grund. Nicht er weist diese Ältesten ab, sondern – der Herr selbst. So steht hier: „Es geschah das Wort des Herrn zu mir und sprach: Sage den Ältesten: Ich will von euch ungefragt sein.“ Und damit kein Irrtum entsteht, fügt der Prophet noch einmal hinzu: „Das sagt der Herr, Herr.“

Also Gott selbst weist diese Ältesten ab. Das ist ja furchtbar! Wenn das uns geschähe!? Wenn Gott uns jetzt sagte: „Lass mich in Ruhe! Ich will nichts mehr von dir wissen!“ –

Warum ist der Herr so hart und unfreundlich? Diese Männer waren doch keine Gottesleugner und Atheisten. Sie glaubten doch an Gott. Sie gingen in die Kirche und erkannten den Propheten Gottes an.

Und doch weist Gott sie ab. Wie sollen wir das verstehen? Ein Beispiel kann es erklären: Als im 30jährigen Krieg der Kaiserliche Feldherr Wallenstein Stralsund belagerte, bot diese Stadt Verhandlungen an. Aber die zerschlugen sich. Wallenstein wollte nur eins: die vollständige Übergabe, die Kapitulation der Stadt.

Gott belagert uns auch. Er hat – um im Bild zu bleiben – seltsame Geschütze in Stellung gebracht – Geschütze der Liebe. Er sendet seinen lieben Sohn. Der stirbt für uns und bezahlt all unsre Schuld. Der steht von den Toten auf und lockt uns durch den Heiligen Geist. Gott bombardiert die Herzen mit lauter Liebe und Erlösung.

Und wir? Wir verhandeln: Wir sind bereit, Gott anzuerkennen. Wir sind bereit, für ihn Geld zu opfern. Aber er sagt: „Nein! Ich will eure Kapitulation!“

Seht noch einmal auf die Ältesten Israels, die zu Hesekiel kamen. Diese Leute verweigerten Gott die völlige Übergabe der Herzen. Darum gab ihnen Gott keine Antwort, keinen Rat, keine Hilfe.

Genauso ergeht es so vielen so genannten Christen heute. Sie wissen nichts von Freude am Herrn, von Erfahrungen mit ihm. Ihr ganzes Glaubensleben kommt nie in Ordnung, weil sie noch nie die weiße Fahne der Kapitulation auf der Zitadelle ihres Herzens aufgezogen haben – vor dem Gott, der in Jesus zu ihnen kommt, – nicht um zu verderben, sondern um sie glücklich und selig zu machen.

 

2) Gott braucht uns nicht, wir aber brauchen ihn

 

Der Prophet Hesekiel war ein sehr verachteter, einsamer und von vielen abgelehnter Mann. Nun kommen die vornehmsten Männer zu ihm mit religiösen Fragen. Da könnte man doch erwarten, dass der Prophet sehr glücklich wäre und dächte: „Wie schön! Jetzt fangen die Aktien Gottes an zu steigen!“

Ich jedenfalls würde mich sehr freuen, wenn alle führenden Leute der Stadt und der Industrie jetzt hier in unseren Gottesdienst kämen.

Und was geschieht? Der Prophet macht keineswegs eine beglückte Verbeugung. Er teilt vielmehr den erschrockenen und verdutzten Männern mit: „Gott hat euch nichts mehr zu sagen.“ Diese Ältesten haben das gar nicht fassen wollen. Und darum hat Hesekiel es ihnen in einer längeren Rede begründet. Diese schließt mit den harten Worten: „So spricht der Herr: Weil ihr mir nicht gehorchen wollt, so fahret hin!“

Deutlicher kann es den Ältesten und uns wirklich nicht gesagt werden: „Bildet euch doch nicht ein, Gott müsste glücklich sein, wenn ihr euch gelegentlich an ihn erinnert. Er braucht uns nicht. Er hat uns nicht nötig! Aber – wir brauchen ihn!“

Der Apostel Paulus stand eines Tages in Athen auf dem Areopag. Rings um ihn in herrlicher Pracht Tempel und Altäre, deren Trümmer die Touristen heute noch entzücken. Und da hat Paulus den heidnischen Philosophen mit schneidender Deutlichkeit gesagt: Eure Götter leben davon, dass der Mensch sie anerkennt. Der lebendige Gott aber bedarf keines Menschen.

Wir aber bedürfen Gottes. Wenn er eine Sekunde einschlafen würde, würde in dieser Sekunde das Weltall zerstieben und vergehen.

Aber nun muss ich euch doch sagen, dass trotz dieser klaren Lage sich im Herzen Gottes ein Wunder ereignet hat – ein Wunder, das er uns geoffenbart hat. Er, der keines Menschen bedarf, freut sich doch, wenn ein Mensch verlangend und aufrichtig zu ihm kommt. Er hat durch seinen Sohn Jesus die Geschichte vom „verlorenen Sohn“ erzählen lassen. Ihr kennt sie: Da kommt der verlumpte Sohn nach Hause. Und was tut der Vater? Er schlägt nicht die Haustür zu. Er breitet die Arme aus und nimmt den Sohn an sein Herz.

So breitet Gott die Arme aus. Seht nur auf das Kreuz, wo die Arme Gottes für alle ausgebreitet sind: „Kommt her, Mühselige, ich erquicke euch! Kommt her, Friedelose, ich tröste euch! Kommt her, Sünder, ich wasche euch rein!“

Und wenn nur einer zu ihm kommt, erschallt in den himmlischen Räumen unendlicher Jubel. Jesus sagt: „Es ist Freude im Himmel über einen Sünder, der Buße tut.“

Aber kehren wir zu Hesekiel zurück:

 

3) Gott will nicht überhebliche Diskussion, sondern kindlichen Gehorsam

 

Man sieht diese Ältesten geradezu vor sich, wie sie mit etwas Reserve und etwas gnädiger Freundlichkeit sich vor dem Propheten niedersetzen. Sie haben einige Fragen, besser gesagt: Probleme auf dem Herzen. Und sie sind bereit, darüber zu diskutieren.

Wie wir das kennen! Gewiss – wir Menschen müssen miteinander reden. Und es ist besser, dass man über Gott, das Evangelium und die Stellung des Christen in der Welt diskutiert, als dass man nur über das Wetter spricht. Aber kommen wir nicht allmählich in die Lage der Ältesten: dass uns das Evangelium nur noch zu einem unverbindlichen Diskussionsgegenstand wird? In Männerabenden und auf Jugendtreffen, auf Akademien und kirchlichen Wochen wird diskutiert und diskutiert. Der Wuppertaler Erweckungsprediger G. D. Krummacher saß einst in einem solchen Kreis. Nachdem er lange zugehört hatte, fragte er: „Kennen Sie die Naturgeschichte der Kaninchen?“ Allgemeines Erstaunen. Darauf Krummacher: „Sie bohren überall Löcher und bringen es doch zu nichts.“

Den Ältesten Israels hat Gott einfach die Diskussion abgeschnitten. Und als sie erschrocken fragten: „Warum?“, bekamen sie die Antwort: „Brecht mit euren Sünden und werdet mir im Alltag gehorsam!“ Ein Leben in der einfältigen Nachfolge Jesu ist mehr als alle unverbindliche Klugheit der Welt. Lasst uns doch ernstmachen mit dem Heiland, der es so ernst mit uns meinte, als er am Kreuz für uns starb!