Matthäus 9, 9: „Und da Jesus von dannen
ging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus i und sprach zu
ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm.“
In
der biblischen Bildersprache wird die Völkerwelt immer mit einem „Meer“
verglichen. Das scheint mir ein ausgezeichnetes Bild zu sein. Wer einmal an der
See war, der weiß: Das Meer ist nie ganz ruhig. Auch bei ruhigster See laufen
immerzu die Wellen unruhig auf den Sand. So ist die Völkerwelt – voll Unruhe.
Man braucht nur in eine Zeitung zu schauen, um zu sehen, wie sehr die
Völkerwelt dem Meer gleicht.
Nun
ist es nicht meine Aufgabe, darüber viel zu reden. Ich will den Leitartiklern
der Zeitungen nicht in ihr Handwerk pfuschen.
Meine
Aufgabe aber ist es, euch darauf aufmerksam zu machen, dass es noch eine andere
Unruhe in der Welt gibt, eine völlig andere Unruhe. Sie zielt nicht – wie die
Völkerunruhe – auf Zerstörung, Mord und Brand. Sie geht vielmehr auf Errettung aus.
Ich will euch diese Unruhe mit einem Satz nennen: „Jesus sucht Menschen.“ Gott
hat die Wand zerschlagen, die ihn von uns trennte, und hat seinen Sohn gesandt.
Nun ist der in der Welt und sucht Menschen. Und unsere Kurzgeschichte sagt uns,
dass es dabei völlig anders zugeht, als man sich das denkt.
1) Seht nur, was für Leute er sich sucht!
Fragen
Sie doch mal irgendeinen durchschnittlichen Normalverbraucher der europäischen
Kulturgüter: „Was halten Sie von Jesus?“ Sie werden in 99 von 100 Fällen die
Antwort bekommen: „Er war ein Religionsstifter.“
Wie
maßlos dumm ist dieser Satz! Nehmen wir einmal an, Jesus sei so etwas wie ein
Religionsstifter gewesen. An wen hätte er sich dann todsicher gewandt? An die
religiösen Leute. Es gab solche haufenweise in Israel zu Jesu Zeit. Aber die haben
ihn auf den Tod gehasst. Seltsam!
An
wen hat sich Jesus gewandt? „Er sah einen Menschen am Zoll sitzen …“ Wir haben
von Jugend an gelernt, dass die Zöllner in Israel die gewissenlosesten Menschen
waren: Betrüger, Leichtsinnige, Verräter an ihrem Volk und sonst noch alles
Mögliche; kurz: Sünder. An solche Sünder wendet sich Jesus – noch heute.
Jesus
will nicht religiösen Leuten Befriedigung ihrer religiösen Bedürfnisse geben.
Er will vielmehr Sünder erretten.
Kürzlich
sagte mir ein kluger Mann: „Sie dürfen in Ihren Predigten nicht einfach von,
Sündern’ reden. Unter solch einem Wort kann sich der Mensch von heute einfach
nichts mehr vorstellen.“ Darauf kann ich nur antworten: „Jesus sucht solange, bis
er einen Menschen findet, der sich unter diesem Wort sehr gut etwas vorstellen
kann – nämlich sich selbst.“
Sehr
eindrücklich erzählte einmal ein Mitarbeiter in unserem Jugendwerk: „Im letzten
Sommerlager kam eines Tages ein Junge, von dem ich das nie erwartet hätte, zu
mir und sagte verzweifelt: ,Ich halte es nicht mehr
aus in meinen Sünden. Hilf mir!“' Und dann fuhr dieser Mitarbeiter fort: Wie
war ich glücklich, dass ich eine Botschaft für ihn hatte „von dem Jesus, der
Sünder sucht.“
Es
gibt im Neuen Testament eine packende Geschichte. Da geht Jesus durch ein
Spalier von neugierigen Leuten. Er sieht einem ins Gesicht. Das Gesicht sagt: „Ich
tue recht und scheue niemand.“ Jesus geht still weiter. Da steht ein anderer.
Jesus sieht ihn an. Das Gesicht sagt: „Ich suche meinen Gott in der Natur.“
Jesus geht still weiter. Er schaut den Nächsten an. Dessen Gesicht sagt: „Ich
tue meine Pflicht.“ Jesus geht weiter. Auf einmal bleibt er stehen. Er hat auf
einem niedrigen Baum ein Gesicht erspäht. Das schreit geradezu: „Ich halte es
nicht mehr aus in meinen Sünden!“ Da sagt Jesus: „Zachäus, steige eilends hernieder.
Denn Ich muss heute bei dir einkehren.“
Jesus
hat einmal von einem guten Hirten gesprochen, der ein Schaf verloren hat. Nun lässt er 99 allein in der Wüste und sucht
das eine. So ließ Jesus diese Leute in der Wüste ihrer Selbstgerechtigkeit,
ihrer Phrasen – und suchte den Zachäus. Der war ein Kollege des Matthäus in
unserer Geschichte.
2) Hört nur seinen seltsamen Ratschlag!
Ich
sehe im Geist diesen Matthäus in seiner Zollbude sitzen. Wer beständig in einer
klar erkannten Sünde lebt, legt sich allmählich eine äußere Fassade von
Frechheit und Sicherheit und Unzugänglichkeit zu. „Ein hoffnungsloser Fall!“
hätte jeder Pfarrer geurteilt.
Und
da steht nun eines Tages der Herr Jesus vor dieser frechen Physiognomie. Was
wird er jetzt tun? Er wird dem jungen Mann einmal sehr deutlich und unverblümt
sagen, wie verzweifelt böse dessen Schade ist.
Aber
nein! Kein Wort des Vorwurfs kommt aus Jesu Mund. Der Herzenskündiger
weiß offenbar, dass ein Sünder sehr unglücklich ist; dass sein Gewissen
blutende Wunden hat, die nicht dadurch geheilt werden, dass man hineinschlägt.
Also
– Jesus schilt nicht. Dann wird er doch dem Mann einige gute, zu beherzigende
Mahnungen geben? Wenn Jesus ein Religionsstifter war, musste er doch gerade
darin ganz groß sein!
Aber
nichts von Mahnungen! Nein! Er zeigt etwas anderes: Er zeigt dem Matthäus den
Weg aus der Grube. Und der Weg ist – er selbst. „Folge mir nach!“
Ich
bekomme oft von höheren Schülern die Frage gestellt: „Warum halten Sie allein
das Christentum für die Wahrheit? Der Buddhismus und der Islam sind doch auch
gute Religionen.“ Als Antwort darauf möchte ich erzählen, was einmal ein
Chinese dazu gesagt hat: „Es fiel ein Mann in einen tiefen, leeren Brunnen. Da
kam Buddha vorbei. Der Mann rief um Hilfe. Buddha aber sagte: ,O du Armer! Ich will darüber nachsinnen, was dies Unglück
zu bedeuten hat.' Und ging weiter. – Da kam Mohammed vorbei. Er sah den
Unglücklichen und erklärte: , Das ist eben Kismet,
Schicksal.' Und ging weiter. Da kam der weise Konfuzius vorbei. Er hörte die
Hilferufe und rief in den Brunnen: ,Du hättest
aufpassen sollen! Sei das nächste Mal vorsichtiger.’ Und ging weiter. Da kam Jesus
vorbei. Er sah den Elenden, stieg in den Brunnen hinunter und holte ihn heraus.“
Er
selber ist der Helfer und Erretter. Er stieg hinab in die elende Welt, ja in
des Todes Rachen am Kreuz, Und nun ist er selber der Heiland der Sünder.
„Folge
mir nach!“ sagt er zu Matthäus. Sonst nichts! Menschen, die begriffen haben, dass
sie Sünder sind und dass darum Gottes gerechtes Gericht über ihnen steht und dass
sie der Hölle zueilen, haben keinen anderen Helfer als Jesus. Aber er ist der
wirkliche Helfer. Denn 1) will er Sünde wirklich und ganz und gar vergeben, 2)
will er herausführen in das Leben der Freiheit, wo man nicht mehr unter bösen
Mächten steht, sondern im Licht Gottes.
3) Seht seine herrliche Unbekümmertheit!
„Folge
mir nach!“ sagt der Heiland zu Matthäus. Und er stand auf und folgte ihm.
Ich
habe mich immer gefragt: Was wurde aus dem Zollhäuschen? Da lagen doch
Rechnungsbücher! Da lag doch allerhand Geld! Was wurde daraus? „Herr Jesus!“
möchte man rufen, „so geht es doch nicht. So gerät ja das ganze römisch-jüdische
Zollsystem in Unordnung!“
Seht
doch Jesu herrliche Unbekümmertheit! „Lass die Toten ihre Toten begraben!“ sagt
er. Und überlässt das Zollhäuschen den Spatzen, den Dieben, den – Toten.
Das
Ganze ist sehr wichtig. Dem Herrn Jesus ist eine Menschenseele wichtiger als
das ganze römische Zollsystem. Dem Sohn Gottes ist der Mensch wichtiger als die
Dinge es sind.
Wir
führen heute Kriege um Dinge: um Öl, um Kanäle, um Machtpositionen. Und der
Mensch ? Da zuckt man die Achseln. Die Dinge
haben Besitz von uns ergriffen. Und die Menschen
gehen darüber zugrunde. Ja, unser eigenes Menschentum geht im wahrsten Sinne
des Wortes zum Teufel wenn wir von den Dingen besessen sind.
Welch
ein Heiland ist Jesus! Ihm geht es nur um den Menschen. Und weil er weiß: Uns
ist nur geholfen, wenn wir Kinder Gottes werden, darum stirbt er sogar für uns
am Kreuz, um uns zu Kindern Gottes zu machen.
So
steht er nun vor uns und sagt: „Folge mir nach!“ Was werden wir ihm antworten?
Möge es doch auch von uns heißen: „Er stand auf und folgte ihm nach.“