Wilhelm Busch

Die Suchaktion Gottes

Kurzgeschichten der Bibel

 

Ganz anders, als man denkt

 

Matthäus 9, 9: „Und da Jesus von dannen ging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus i und sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm.“

 

In der biblischen Bildersprache wird die Völkerwelt immer mit einem „Meer“ verglichen. Das scheint mir ein ausgezeichnetes Bild zu sein. Wer einmal an der See war, der weiß: Das Meer ist nie ganz ruhig. Auch bei ruhigster See laufen immerzu die Wellen unruhig auf den Sand. So ist die Völkerwelt – voll Unruhe. Man braucht nur in eine Zeitung zu schauen, um zu sehen, wie sehr die Völkerwelt dem Meer gleicht.

Nun ist es nicht meine Aufgabe, darüber viel zu reden. Ich will den Leitartiklern der Zeitungen nicht in ihr Handwerk pfuschen.

Meine Aufgabe aber ist es, euch darauf aufmerksam zu machen, dass es noch eine andere Unruhe in der Welt gibt, eine völlig andere Unruhe. Sie zielt nicht – wie die Völkerunruhe – auf Zerstörung, Mord und Brand. Sie geht vielmehr auf Errettung aus. Ich will euch diese Unruhe mit einem Satz nennen: „Jesus sucht Menschen.“ Gott hat die Wand zerschlagen, die ihn von uns trennte, und hat seinen Sohn gesandt. Nun ist der in der Welt und sucht Menschen. Und unsere Kurzgeschichte sagt uns, dass es dabei völlig anders zugeht, als man sich das denkt.

 

1) Seht nur, was für Leute er sich sucht!

 

Fragen Sie doch mal irgendeinen durchschnittlichen Normalverbraucher der europäischen Kulturgüter: „Was halten Sie von Jesus?“ Sie werden in 99 von 100 Fällen die Antwort bekommen: „Er war ein Religionsstifter.“

Wie maßlos dumm ist dieser Satz! Nehmen wir einmal an, Jesus sei so etwas wie ein Religionsstifter gewesen. An wen hätte er sich dann todsicher gewandt? An die religiösen Leute. Es gab solche haufenweise in Israel zu Jesu Zeit. Aber die haben ihn auf den Tod gehasst. Seltsam!

An wen hat sich Jesus gewandt? „Er sah einen Menschen am Zoll sitzen …“ Wir haben von Jugend an gelernt, dass die Zöllner in Israel die gewissenlosesten Menschen waren: Betrüger, Leichtsinnige, Verräter an ihrem Volk und sonst noch alles Mögliche; kurz: Sünder. An solche Sünder wendet sich Jesus – noch heute.

Jesus will nicht religiösen Leuten Befriedigung ihrer religiösen Bedürfnisse geben. Er will vielmehr Sünder erretten.

Kürzlich sagte mir ein kluger Mann: „Sie dürfen in Ihren Predigten nicht einfach von, Sündern’ reden. Unter solch einem Wort kann sich der Mensch von heute einfach nichts mehr vorstellen.“ Darauf kann ich nur antworten: „Jesus sucht solange, bis er einen Menschen findet, der sich unter diesem Wort sehr gut etwas vorstellen kann – nämlich sich selbst.“

Sehr eindrücklich erzählte einmal ein Mitarbeiter in unserem Jugendwerk: „Im letzten Sommerlager kam eines Tages ein Junge, von dem ich das nie erwartet hätte, zu mir und sagte verzweifelt: ,Ich halte es nicht mehr aus in meinen Sünden. Hilf mir!“' Und dann fuhr dieser Mitarbeiter fort: Wie war ich glücklich, dass ich eine Botschaft für ihn hatte „von dem Jesus, der Sünder sucht.“

Es gibt im Neuen Testament eine packende Geschichte. Da geht Jesus durch ein Spalier von neugierigen Leuten. Er sieht einem ins Gesicht. Das Gesicht sagt: „Ich tue recht und scheue niemand.“ Jesus geht still weiter. Da steht ein anderer. Jesus sieht ihn an. Das Gesicht sagt: „Ich suche meinen Gott in der Natur.“ Jesus geht still weiter. Er schaut den Nächsten an. Dessen Gesicht sagt: „Ich tue meine Pflicht.“ Jesus geht weiter. Auf einmal bleibt er stehen. Er hat auf einem niedrigen Baum ein Gesicht erspäht. Das schreit geradezu: „Ich halte es nicht mehr aus in meinen Sünden!“ Da sagt Jesus: „Zachäus, steige eilends hernieder. Denn Ich muss heute bei dir einkehren.“

Jesus hat einmal von einem guten Hirten gesprochen, der ein Schaf verloren hat. Nun lässt er 99 allein in der Wüste und sucht das eine. So ließ Jesus diese Leute in der Wüste ihrer Selbstgerechtigkeit, ihrer Phrasen – und suchte den Zachäus. Der war ein Kollege des Matthäus in unserer Geschichte.

 

2) Hört nur seinen seltsamen Ratschlag!

 

Ich sehe im Geist diesen Matthäus in seiner Zollbude sitzen. Wer beständig in einer klar erkannten Sünde lebt, legt sich allmählich eine äußere Fassade von Frechheit und Sicherheit und Unzugänglichkeit zu. „Ein hoffnungsloser Fall!“ hätte jeder Pfarrer geurteilt.

Und da steht nun eines Tages der Herr Jesus vor dieser frechen Physiognomie. Was wird er jetzt tun? Er wird dem jungen Mann einmal sehr deutlich und unverblümt sagen, wie verzweifelt böse dessen Schade ist.

Aber nein! Kein Wort des Vorwurfs kommt aus Jesu Mund. Der Herzenskündiger weiß offenbar, dass ein Sünder sehr unglücklich ist; dass sein Gewissen blutende Wunden hat, die nicht dadurch geheilt werden, dass man hineinschlägt.

Also – Jesus schilt nicht. Dann wird er doch dem Mann einige gute, zu beherzigende Mahnungen geben? Wenn Jesus ein Religionsstifter war, musste er doch gerade darin ganz groß sein!

Aber nichts von Mahnungen! Nein! Er zeigt etwas anderes: Er zeigt dem Matthäus den Weg aus der Grube. Und der Weg ist – er selbst. „Folge mir nach!“

Ich bekomme oft von höheren Schülern die Frage gestellt: „Warum halten Sie allein das Christentum für die Wahrheit? Der Buddhismus und der Islam sind doch auch gute Religionen.“ Als Antwort darauf möchte ich erzählen, was einmal ein Chinese dazu gesagt hat: „Es fiel ein Mann in einen tiefen, leeren Brunnen. Da kam Buddha vorbei. Der Mann rief um Hilfe. Buddha aber sagte: ,O du Armer! Ich will darüber nachsinnen, was dies Unglück zu bedeuten hat.' Und ging weiter. – Da kam Mohammed vorbei. Er sah den Unglücklichen und erklärte: , Das ist eben Kismet, Schicksal.' Und ging weiter. Da kam der weise Konfuzius vorbei. Er hörte die Hilferufe und rief in den Brunnen: ,Du hättest aufpassen sollen! Sei das nächste Mal vorsichtiger.’ Und ging weiter. Da kam Jesus vorbei. Er sah den Elenden, stieg in den Brunnen hinunter und holte ihn heraus.“

Er selber ist der Helfer und Erretter. Er stieg hinab in die elende Welt, ja in des Todes Rachen am Kreuz, Und nun ist er selber der Heiland der Sünder.

„Folge mir nach!“ sagt er zu Matthäus. Sonst nichts! Menschen, die begriffen haben, dass sie Sünder sind und dass darum Gottes gerechtes Gericht über ihnen steht und dass sie der Hölle zueilen, haben keinen anderen Helfer als Jesus. Aber er ist der wirkliche Helfer. Denn 1) will er Sünde wirklich und ganz und gar vergeben, 2) will er herausführen in das Leben der Freiheit, wo man nicht mehr unter bösen Mächten steht, sondern im Licht Gottes.

 

3) Seht seine herrliche Unbekümmertheit!

 

„Folge mir nach!“ sagt der Heiland zu Matthäus. Und er stand auf und folgte ihm.

Ich habe mich immer gefragt: Was wurde aus dem Zollhäuschen? Da lagen doch Rechnungsbücher! Da lag doch allerhand Geld! Was wurde daraus? „Herr Jesus!“ möchte man rufen, „so geht es doch nicht. So gerät ja das ganze römisch-jüdische Zollsystem in Unordnung!“

Seht doch Jesu herrliche Unbekümmertheit! „Lass die Toten ihre Toten begraben!“ sagt er. Und überlässt das Zollhäuschen den Spatzen, den Dieben, den – Toten.

Das Ganze ist sehr wichtig. Dem Herrn Jesus ist eine Menschenseele wichtiger als das ganze römische Zollsystem. Dem Sohn Gottes ist der Mensch wichtiger als die Dinge es sind.

Wir führen heute Kriege um Dinge: um Öl, um Kanäle, um Machtpositionen. Und der Mensch ? Da zuckt man die Achseln. Die Dinge haben Besitz von uns ergriffen. Und die Menschen gehen darüber zugrunde. Ja, unser eigenes Menschentum geht im wahrsten Sinne des Wortes zum Teufel wenn wir von den Dingen besessen sind.

Welch ein Heiland ist Jesus! Ihm geht es nur um den Menschen. Und weil er weiß: Uns ist nur geholfen, wenn wir Kinder Gottes werden, darum stirbt er sogar für uns am Kreuz, um uns zu Kindern Gottes zu machen.

So steht er nun vor uns und sagt: „Folge mir nach!“ Was werden wir ihm antworten? Möge es doch auch von uns heißen: „Er stand auf und folgte ihm nach.“