Wilhelm Busch

Die Suchaktion Gottes

Kurzgeschichten der Bibel

 

Die ersten Christen

 

Apostelgeschichte 8, 3-4: „Saulus aber Verstörte die Gemeinde, ging hin und her in die Häuser und zog hervor Männer und Weiber und überantwortete sie ins Gefängnis. Die nun zerstreut waren, gingen um und predigten das Wort.“

 

Manchmal packt mich die riesengroße Sorge, ob wir nicht alle miteinander hier ein Theater aufführen; ob wir nicht einfach nur ein wenig Christentum spielen; ob unser ganzer Christenstand nicht nur ein Schaum ist.

Ist auch nur bei einem einzigen das Leben geändert worden? Haben wir auch nur eine einzige Sünde wirklich abgelegt? Sind unsere Verhältnisse wirklich neu geworden durch den, der gesagt hat: „Ich mache alles neu“? Reicht unser Christenstand wirklich aus, um selig zu werden, wenn der Tod uns heute überfallen sollte? Wo kommt auch nur ein einziger von uns aus aller Unruhe zu strahlender Gewissheit?

Immer wieder geht mein Blick in die erste Christenheit von der uns die Bibel erzählt. Da war alles so anders als bei uns. Da waren Geist, Leben und Kraft.

Lasst uns auch heute Morgen diese ersten Christen ansehen. Und dabei wollen wir uns fragen, ob unser Christenstand wenigstens schon Ansätze zeigt, dem ihrigen ähnlich zu werden.

 

1) Sie waren nicht zu entwurzeln

 

In Jerusalem ging es damals wild zu: Der junge Schriftgelehrte Saulus hatte eine fanatische Verfolgung gegen die täglich wachsende Gemeinde der Jesus-Jünger entfesselt. Der Pöbel hatte seine Sensation, die Fanatiker hatten ihre Opfer. Und das alles im Namen Gottes! Da starben jung bekehrte Christen, die Gefängnisse füllten sich.

Die Christen flohen aus Jerusalem und zerstreuten sich in die Lande. Überall tauchten diese armen Flüchtlinge auf. Entwurzelte Menschen, von Haus und Herd gerissen.

Wirklich? Waren sie das: entwurzelte Menschen? Um diese Frage geht es mir jetzt.

Es ist ja heute viel davon die Rede, dass der moderne Mensch entwurzelt sei. Wir denken an die Flüchtlinge. Wir denken an uns Großstadtleute. Unsre Väter sangen: „Im schönsten Wiesengrunde / ist meiner Heimat Haus …“ Das kann man nicht singen, wenn man mit zehn anderen Familien in einem Haus wohnt an einer Straße, durch die der Verkehrsstrom fließt.

Wenn wir nun diese ersten Christen ansehen, die als arme Flüchtlinge durchs Land gingen, dann machen sie uns gar nicht den Eindruck von entwurzelten Leuten. Das wenige, was uns berichtet wird, zeigt uns etwas ganz anderes. Wenn wir einen dieser Leute treffen könnten und würden ihn anreden: „Du armer, entwurzelter Mensch!“ – dann würde er lächelnd abwehren: „Entwurzelt? Keineswegs! Wir haben die Wurzeln unseres Lebens nicht in unserem Besitz oder in einem „schönen Wiesengrund“ , sondern im lebendigen Gott, mit dem wir durch Jesus versöhnt sind. Und aus diesem Wurzelgrund kann uns kein Mensch reißen. „Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes?!“ So würden diese Emigranten, diese ersten Christen, gesagt haben.

Ich las in diesen Tagen ein Gedicht von dem Arbeiterdichter Fritz Woike, das mich bewegte. Da heißt es: „Die stolz von Gott sich trennen, / sind welke Blätter nur; / ob viele sie auch nennen, / verweht doch ihre Spur. / Sie sind vom Baum gerissen, / der alles Leben trägt. / Ihr Herz in Finsternissen / vor Furcht und Fragen schlägt.“

Wer aber durch Jesus, durch Vergebung der Sünden Frieden mit Gott hat, der hat ewigen Wurzelgrund. Kögel sagt in einem Gedicht: „Das Vaterhaus ist immer nah, / wie wechselnd auch die Lose. / Es ist das Kreuz von Golgatha, / Heimat für Heimatlose.“

Und nun müssen wir uns die Frage vorlegen: Bin ich so in Gott gewurzelt? Es geht jetzt nicht darum, ob wir glauben, dass Gott da sei. Wenn ein Blatt denken könnte, dann hätte es auch eine Erinnerung an den Baum, wenn es im Herbst abfällt. Und es ist doch abgerissen. Es ist ein Unterschied, ob ich am Herzen Gottes zu Hause bin oder ob ich nur von ihm weiß.

 

2) Sie waren nicht zum Schweigen zu bringen

 

„Die aber zerstreut waren, gingen um und predigten das Wort.“ Der König Salomo hat einmal gesagt: „Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.“ Wo das Herz voll Schmutz ist, geht der Mund von Zoten über. Und wo das Herz mit Krach und Streit erfüllt ist, muss man überall von den bösen Gegnern reden. Und wo das Herz voll Freude an Jesus ist, geht der Mund über vom Zeugnis von ihm.

Waren diese Christen nicht eigentlich unangenehme und aufdringliche Leute, dass sie immer und überall von Jesus sprachen? Ich mache viele Besuche. Und dann sage ich gern den Leuten auch ein Bibelwort. Da empfinde ich oft: Das ist ihnen peinlich. Einer hat es mir einmal klar gesagt: „Von religiösen Dingen kann man doch nicht in der Wohnküche sprechen. Das sind doch subtile Dinge.“

Ja, so denken wir armseligen christlichen Abendländer, die nur noch einen dünnen Aufguss vom biblischen Christenstand kennen und kaum eine Ahnung haben von der Geistesfülle der ersten Christenheit.

Dabei hätten die unter uns, die nur eine Ahnung haben von dem, was Jesus für verlorene Sünder am Kreuz getan hat, allen Grund, den Mund aufzumachen und der Welt Jesus zu bezeugen. Denn heute ist es so, dass der Welt der Mund übergeht von ihrem Jammer, ihrer Schuld und ihrer Ratlosigkeit. Wer ein wenig Ahnung hat von der modernen Literatur, der weiß, dass sie eigentlich nur noch reden kann von der Verlorenheit und Gnadenbedürftigkeit des Menschen. Eines der bekanntesten Bücher von Graham Greene schließt mit den Worten: „In der spärlichen Julisonne schritt sie rasch dahin – dem furchtbarsten Grauen entgegen.“

Als ich mich in Gedanken mit dieser Predigt beschäftigte, ging ich über eine Straße der Innenstadt und fragte mich, ob es wohl wahr sei, dass direkt hinter diesen großstädtischen Gesichtern, die an mir vorübereilten, diese Abgründe seien. Da hielt mich ein Mann an, den ich nur wenig kenne. Ich begrüßte ihn oberflächlich. Da brach es aus ihm heraus – mitten auf der Straße –: „Ach, diese innere Unruhe! Sollte man nicht was tun für sein Seelenheil? Aber – wo ist Gewissheit?“ Mir war, als wenn diese verzweifelte Stimme die Stimme der Straße sei, die um Hilfe schrie.

Sollten da die Christen nicht von Jesus reden? Und dass bei ihm Vergebung der Sünden ist? Und Gewissheit?

Die ersten Christen haben es getan – in aller Einfalt. Und wir? Die Bibel spricht in ihrer brutalen Realistik einmal von „stummen Hunden“, die stumm sind, wo sie Laut geben sollten.

 

3) Sie hatten andere Wertmaßstäbe als die Umwelt

 

„Die nun zerstreut waren …“ Ja, du liebe Zeit! Warum ließen denn diese Christen der ersten Zeit Haus und Gut im Stich um Jesu willen? Ist denn so etwas nicht verrückt? Bei meinen Hausbesuchen sagte mir kürzlich ein Vater: „Es ist ja ganz schön, dass mein Junge in Ihren Jugendkreis geht. Aber – ich habe Sorge, dass er es übertreibt. Wissen Sie: Zuerst kommen doch Beruf und Geldverdienen. Dann kann er sich ja immer noch um Religion kümmern. Da habe ich dann nichts dagegen.“ Seht, da war es klar ausgesprochen, wie die Reihenfolge der Werte geht: Erst kommt die Stellung in der Welt. Und dann ,die Religion'. Das ist ein klares und vernünftiges Denken.

Wie anders ist es bei diesen ersten Christen! Sie sagen: „Für uns geht die Reihenfolge anders. Vor allem sind wir durch Jesus Gottes Kinder. Als solche wollen wir in der Welt unseren Platz ausfüllen. Wenn aber die Welt die Jesus-Jünger nicht erträgt, dann – ja, dann wollen wir lieber alles, wirklich alles verlassen um Jesu willen.“

Es kann sein, dass solche Proben an uns noch kommen. Wie werden wir dann entscheiden? Genau so, wie wir es jetzt und heute halten!

Wir singen wohl mit Begeisterung: „Ein feste Burg ist unser Gott … Nehmen sie den Leib, / Gut, Ehr, Kind und Weib / lass fahren dahin …“ Aber – wer meint es wirklich so? Wir spielen Christentum.

Wer das sieht, kann nur zu Gott schreien: „Gib uns den Geist der ersten Zeugen!“