Apostelgeschichte 8, 3-4: „Saulus aber
Verstörte die Gemeinde, ging hin und her in die Häuser und zog hervor Männer
und Weiber und überantwortete sie ins Gefängnis. Die nun zerstreut waren,
gingen um und predigten das Wort.“
Manchmal
packt mich die riesengroße Sorge, ob wir nicht alle miteinander hier ein
Theater aufführen; ob wir nicht einfach nur ein wenig Christentum spielen; ob
unser ganzer Christenstand nicht nur ein Schaum ist.
Ist
auch nur bei einem einzigen das Leben geändert worden? Haben wir auch nur eine
einzige Sünde wirklich abgelegt? Sind unsere Verhältnisse wirklich neu geworden
durch den, der gesagt hat: „Ich mache alles neu“? Reicht unser Christenstand
wirklich aus, um selig zu werden, wenn der Tod uns heute überfallen sollte? Wo
kommt auch nur ein einziger von uns aus aller Unruhe zu strahlender Gewissheit?
Immer
wieder geht mein Blick in die erste Christenheit von der uns die Bibel erzählt.
Da war alles so anders als bei uns. Da waren Geist, Leben und Kraft.
Lasst
uns auch heute Morgen diese ersten Christen ansehen. Und dabei wollen wir uns
fragen, ob unser Christenstand wenigstens schon Ansätze zeigt, dem ihrigen
ähnlich zu werden.
1) Sie waren nicht zu entwurzeln
In
Jerusalem ging es damals wild zu: Der junge Schriftgelehrte Saulus hatte eine
fanatische Verfolgung gegen die täglich wachsende Gemeinde der Jesus-Jünger
entfesselt. Der Pöbel hatte seine Sensation, die Fanatiker hatten ihre Opfer.
Und das alles im Namen Gottes! Da starben jung bekehrte Christen, die
Gefängnisse füllten sich.
Die
Christen flohen aus Jerusalem und zerstreuten sich in die Lande. Überall
tauchten diese armen Flüchtlinge auf. Entwurzelte Menschen, von Haus und Herd
gerissen.
Wirklich?
Waren sie das: entwurzelte Menschen? Um diese Frage geht es mir jetzt.
Es
ist ja heute viel davon die Rede, dass der moderne Mensch entwurzelt sei. Wir
denken an die Flüchtlinge. Wir denken an uns Großstadtleute. Unsre Väter
sangen: „Im schönsten Wiesengrunde / ist meiner Heimat Haus …“ Das kann man
nicht singen, wenn man mit zehn anderen Familien in einem Haus wohnt an einer
Straße, durch die der Verkehrsstrom fließt.
Wenn
wir nun diese ersten Christen ansehen, die als arme Flüchtlinge durchs Land
gingen, dann machen sie uns gar nicht den Eindruck von entwurzelten Leuten. Das
wenige, was uns berichtet wird, zeigt uns etwas ganz anderes. Wenn wir einen dieser
Leute treffen könnten und würden ihn anreden: „Du armer, entwurzelter Mensch!“
– dann würde er lächelnd abwehren: „Entwurzelt? Keineswegs! Wir haben die
Wurzeln unseres Lebens nicht in unserem Besitz oder in einem „schönen Wiesengrund“ , sondern im lebendigen Gott, mit dem wir durch Jesus
versöhnt sind. Und aus diesem Wurzelgrund kann uns kein Mensch reißen. „Wer
will uns scheiden von der Liebe Gottes?!“ So würden diese Emigranten, diese
ersten Christen, gesagt haben.
Ich
las in diesen Tagen ein Gedicht von dem Arbeiterdichter Fritz Woike, das mich bewegte. Da heißt es: „Die stolz von Gott
sich trennen, / sind welke Blätter nur; / ob viele sie auch nennen, / verweht
doch ihre Spur. / Sie sind vom Baum gerissen, / der alles Leben trägt. / Ihr
Herz in Finsternissen / vor Furcht und Fragen schlägt.“
Wer
aber durch Jesus, durch Vergebung der Sünden Frieden mit Gott hat, der hat
ewigen Wurzelgrund. Kögel sagt in einem Gedicht: „Das Vaterhaus ist immer nah,
/ wie wechselnd auch die Lose. / Es ist das Kreuz von Golgatha, / Heimat für Heimatlose.“
Und
nun müssen wir uns die Frage vorlegen: Bin ich so in Gott gewurzelt? Es geht
jetzt nicht darum, ob wir glauben, dass Gott da sei. Wenn ein Blatt denken
könnte, dann hätte es auch eine Erinnerung an den Baum, wenn es im Herbst
abfällt. Und es ist doch abgerissen. Es ist ein Unterschied, ob ich am Herzen
Gottes zu Hause bin oder ob ich nur von ihm weiß.
2) Sie waren nicht zum Schweigen zu bringen
„Die
aber zerstreut waren, gingen um und predigten das Wort.“ Der König Salomo hat
einmal gesagt: „Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über.“ Wo das Herz
voll Schmutz ist, geht der Mund von Zoten über. Und wo das Herz mit Krach und Streit
erfüllt ist, muss man überall von den bösen Gegnern reden. Und wo das Herz voll
Freude an Jesus ist, geht der Mund über vom Zeugnis von ihm.
Waren
diese Christen nicht eigentlich unangenehme und aufdringliche Leute, dass sie
immer und überall von Jesus sprachen? Ich mache viele Besuche. Und dann sage
ich gern den Leuten auch ein Bibelwort. Da empfinde ich oft: Das ist ihnen peinlich.
Einer hat es mir einmal klar gesagt: „Von religiösen Dingen kann man doch nicht
in der Wohnküche sprechen. Das sind doch subtile Dinge.“
Ja,
so denken wir armseligen christlichen Abendländer, die nur noch einen dünnen Aufguss
vom biblischen Christenstand kennen und kaum eine Ahnung haben von der
Geistesfülle der ersten Christenheit.
Dabei
hätten die unter uns, die nur eine Ahnung haben von dem, was Jesus für
verlorene Sünder am Kreuz getan hat, allen Grund, den Mund aufzumachen und der
Welt Jesus zu bezeugen. Denn heute ist es so, dass der Welt der Mund übergeht
von ihrem Jammer, ihrer Schuld und ihrer Ratlosigkeit. Wer ein wenig Ahnung hat
von der modernen Literatur, der weiß, dass sie eigentlich nur noch reden kann
von der Verlorenheit und Gnadenbedürftigkeit des Menschen. Eines der bekanntesten
Bücher von Graham Greene schließt mit den Worten: „In der spärlichen Julisonne
schritt sie rasch dahin – dem furchtbarsten Grauen entgegen.“
Als
ich mich in Gedanken mit dieser Predigt beschäftigte, ging ich über eine Straße
der Innenstadt und fragte mich, ob es wohl wahr sei, dass direkt hinter diesen
großstädtischen Gesichtern, die an mir vorübereilten, diese Abgründe seien. Da hielt
mich ein Mann an, den ich nur wenig kenne. Ich begrüßte ihn oberflächlich. Da
brach es aus ihm heraus – mitten auf der Straße –: „Ach, diese innere Unruhe!
Sollte man nicht was tun für sein Seelenheil? Aber – wo ist Gewissheit?“ Mir
war, als wenn diese verzweifelte Stimme die Stimme der Straße sei, die um Hilfe
schrie.
Sollten
da die Christen nicht von Jesus reden? Und dass bei ihm Vergebung der Sünden
ist? Und Gewissheit?
Die
ersten Christen haben es getan – in aller Einfalt. Und wir? Die Bibel spricht
in ihrer brutalen Realistik einmal von „stummen Hunden“, die stumm sind, wo sie
Laut geben sollten.
3) Sie hatten andere Wertmaßstäbe als die Umwelt
„Die
nun zerstreut waren …“ Ja, du liebe Zeit! Warum ließen denn diese Christen der
ersten Zeit Haus und Gut im Stich um Jesu willen? Ist denn so etwas nicht
verrückt? Bei meinen Hausbesuchen sagte mir kürzlich ein Vater: „Es ist ja ganz
schön, dass mein Junge in Ihren Jugendkreis geht. Aber – ich habe Sorge, dass
er es übertreibt. Wissen Sie: Zuerst kommen doch Beruf und Geldverdienen. Dann
kann er sich ja immer noch um Religion kümmern. Da habe ich dann nichts
dagegen.“ Seht, da war es klar ausgesprochen, wie die Reihenfolge der Werte
geht: Erst kommt die Stellung in der Welt. Und dann ,die Religion'. Das ist ein
klares und vernünftiges Denken.
Wie
anders ist es bei diesen ersten Christen! Sie sagen: „Für uns geht die
Reihenfolge anders. Vor allem sind wir durch Jesus Gottes Kinder. Als solche
wollen wir in der Welt unseren Platz ausfüllen. Wenn aber die Welt die Jesus-Jünger
nicht erträgt, dann – ja, dann wollen wir lieber alles, wirklich alles verlassen
um Jesu willen.“
Es
kann sein, dass solche Proben an uns noch kommen. Wie werden wir dann
entscheiden? Genau so, wie wir es jetzt und heute halten!
Wir
singen wohl mit Begeisterung: „Ein feste Burg ist unser Gott … Nehmen sie den
Leib, / Gut, Ehr, Kind und Weib / lass fahren dahin …“ Aber – wer meint es
wirklich so? Wir spielen Christentum.
Wer
das sieht, kann nur zu Gott schreien: „Gib uns den Geist der ersten Zeugen!“