Weihnachten 1944
»Und siehe, des
Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn umleuchtete sie, und sie
fürchteten sich sehr... Und der Engel sprach zu ihnen: >Fürchtet euch nicht!
Siehe, ich verkündige euch große Freude.<« (Lukas 2, 9-10a)
Als ich nachdenklich die Weihnachtsgeschichte las, habe ich
eine seltsame Entdeckung gemacht. Der erste Teil dieser Geschichte, der in
Bethlehem spielt, handelt vom Sohn Gottes. Nun sollte man doch erwarten, dass
es da in lauter Glanz und Herrlichkeit zuginge. Aber nein! Wir sehen nur eine
Krippe, riechen den Stallgeruch. Ja, es ist geradezu peinlich alles vermieden,
was von der Herrlichkeit des Sohnes Gottes zeugen könnte. Der zweite Teil der
Geschichte, der auf dem Feld spielt, handelt von armen Hirten. Da sollte man
doch annehmen, dass es da recht armselig zuginge, dass man da nichts anderes
sähe als Armut und Rauheit. Man erwartet Stallgeruch. Und was finden wir?
Himmelsglanz, Herrlichkeit und Engelsharmonien. Eine seltsam verdrehte Welt!
Damit deutet der Heilige Geist etwas Wichtiges an. Unsere
Armut ist nämlich auf den Sohn Gottes gefallen, seine Herrlichkeit aber ist zu
uns gekommen. Nikolaus Hermann sagt das in einem Lied so: »Er wird ein Knecht
und ich ein Herr, das mag ein Wechsel sein!« Und Paulus drückt dasselbe in 2.
Korinther 8, 9 so aus: »Er ward arm um euretwillen, auf dass ihr durch seine
Armut reich würdet.«
Da ist also die Rede von der seligen Weihnachtsbescherung,
die uns das Kind in der Krippe bereitet.
1. Er schenkt uns seine himmlische Herrlichkeit
Habt ihr schon mal Heimweh gehabt? Eine schlimme Sache. Als
der Sohn Gottes auf Erden war, hat auch er Heimweh gekannt. Das kommt
ergreifend zum Ausdruck in Johannes 17, 5, wo er betet: »Und nun verkläre mich
du, Vater, bei dir selbst mit der Klarheit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt
war.« Da hören wir, dass der Herr Jesus von Anfang an bei seinem Vater
»Klarheit« hatte. Es steht da im Griechischen ein Wort, das man kaum übersetzen
kann: Es bedeutet »himmlische Klarheit, Glanz und Herrlichkeit« (Griechisch:
Doxa). Aber als er nun als schwaches Kind in der Krippe liegt, da hatte er
keine »Doxa« mehr. Wo ist sie denn hingekommen? Ja, seht nur mal schnell hinaus
auf das Hirtenfeld! Was sehen wir da? Die Klarheit, die Doxa des Herrn,
umleuchtet die Hirten. Ja, er ist arm geworden, auf dass wir durch seine Armut
reich würden. Das ist sein Weihnachtsgeschenk für die, die an ihn glauben, dass
sie seine Klarheit und Herrlichkeit bekommen.
Wohl, der Glanz auf dem Hirtenfeld ist schnell erloschen.
Aber seht nur die Hirten an, wie sie von Bethlehem zurückkehren: »Sie priesen
und lobten Gott.« Da ist die »Doxa« in ihr Herz und Leben gekommen, wie sie zu
allen kommt, die an Ihn glauben.
Vielleicht sagt nun ein Weltmensch spöttisch: »Ja, ich sehe
aber nichts von eurer Herrlichkeit. Es geht bei euch ebenso armselig zu wie bei
uns.« Antwort: Nein! Wir Christen singen mitten im Leide und Jammer der Tage:
»Freude, Freude, über Freude, Christus wehret allem Leide.« Da ist
die »Doxa«. Und im übrigen ist das, was wir jetzt haben,
erst ein Angeld auf die zukünftige Herrlichkeit. Johannes sagt: »Es ist noch
nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen
wird, dass wir ihm gleich sein werden« (1. Johannes 3, 2).
2. Er schenkt uns seine Geborgenheit
Wenn die Bibel die ewige Welt Gottes schildert, dann sagt
sie immer wieder, dass da »kein Leid und kein Geschrei und keine Angst« ist.
Und in dieser ewigen Welt, wo man im starken Gott völlig geborgen ist, hat der
Sohn Gottes gelebt, ehe er Mensch wurde.
Aber nun liegt er als Kind in der Krippe. Und damit ist er
in die Welt geraten, wo man Angst und Furcht haben muss. Schon trachtet man ihm
nach dem Leben, und seine Eltern müssen mit ihm nach Ägypten fliehen. Und im
Erwachsenenalter beginnt die Furcht erst recht. Wir sehen ihn in Gethsemane
zittern. Und in Lukas 12, 50 sagt er: »Ich muss mich taufen lassen mit der
Leidenstaufe. Und wie ist mir so bange, bis sie vollendet werde.« Ja, wo ist
denn seine Geborgenheit und Furchtlosigkeit hingekommen? Schaut nur schnell
hinaus auf das Hirtenfeld! Da steht gerade der Engel des Herrn vor ihnen, den
Hirten, und verkündet ihnen: »Fürchtet euch nicht!« Und warum? »Euch ist heute
der Heiland geboren!« Wiederum ist es so: »Er wird arm, dass wir durch seine
Armut reich würden.« Der Sohn Gottes geht in die Angst und Unbeschütztheit
hinein, damit wir Kinder Gottes werden und dadurch seine Geborgenheit und
Furchtlosigkeit erben. »Fürchtet euch nicht!« Das ist doch ein köstliches
Weihnachtsgeschenk im Jahr 1944. Es ist ja so viel Furcht bei uns: Furcht vor
dem, was kommt, Furcht vor Menschen, Furcht vor dem Tod, Furcht vor Schrecken,
und Gott gebe, dass wir die wichtigste Furcht kennen: die vor dem Zorne Gottes
über alle unsere Sünde.
Und nun will uns das Kind in der Krippe zu Kindern Gottes
machen und uns seine Geborgenheit beim himmlischen Vater schenken. Da ist man
wirklich geborgen. Da braucht man keine Furcht mehr zu haben vor Schrecken, Tod
und Teufel, ja auch nicht mehr vor dem Jüngsten Tag und Gericht Gottes. »Nun
soll kein Angst noch Pein noch Zorn hinfort uns schaden, dieweil uns Gott aus
Gnaden lässt seine Kinder sein.«
3. Er schenkt uns seine Freude
In einem alten Lied heißt es: »Im Himmel, im Himmel ist
Freude so viel...« In dieser Welt ewiger Freude hat der Sohn Gottes gelebt, ehe
er als Mensch in Bethlehem geboren wurde. Und nun liegt er da im Stall. Von da
geht sein Weg schnurstracks zum Kreuz. Da ist die Freude fort. Im Hebräerbrief
heißt es in Kapitel 12, 2: »Er, der wohl hätte mögen Freude haben, erduldete
das Kreuz und achtete der Schande nicht...«
Ja, wo ist denn seine himmlische Freude hingekommen? Geht
noch einmal mit mir hinaus auf das Feld zu den Hirten. Da steht der leuchtende
Gottesbote vor den Hirten und verkündet: »Siehe, ich verkündige euch große
Freude.« Zu den armen Hirten, zu den freudlosen Sündern ist sie gekommen. Und
zu allen anderen, die an ihn glauben als ihren Heiland und Erlöser. Wieder
heißt es da: »Er ward arm um unsretwillen, auf dass wir durch seine Armut reich
würden.«
Er geht den dunklen Weg über Krippe und Kreuz, damit die
Freude zu uns kommt. Oh, wie ist die Freude zu den Hirten und allen, die an den
Sohn Gottes glauben, gekommen! Die Hirten, so sagten wir schon, »priesen und
lobten Gott«.
Ich kam vor kurzem in ein Haus, in dem man viel Schweres
erlebt hatte, der Sohn war gefallen, das Haus war ausgebrannt, viel Schweres
war vorgekommen. Und da sangen sie gerade: »Jesu, wie soll ich dir danken? Ich
bekenne, dass von dir meine Seligkeit herrühr...« Nicht wahr, das ist eine
tiefe Freude, die alle Welt nicht geben kann. Da ist die himmlische Freude, die
der Heiland auf die Welt gebracht hat, die er gewissermaßen an uns abgetreten
hat. Von ihm heißt es: »Er lud auf sich unsre Schmerzen« (Jesaja 53, 4). Du
darfst im Glauben ruhig deine Schmerzen und Nöte dazulegen und dir von ihm
seine himmlische Freude geben lassen. Es gibt viele, die sagen: »Das gibt in
diesem Jahr ein armes Weihnachtsfest!« Für viele mag das stimmen. Wer aber im
Stall zu Bethlehem eingekehrt ist und sich vom Heiland beschenken lässt, für
den stimmt das nicht. Der singt auch in diesem Jahr aus Herzensgrund: »Des
lasst uns alle fröhlich sein, und mit den Hirten gehn hinein, zu sehn, was Gott
uns hat beschert, in seinem lieben Sohn verehrt.«