„Da aber Elisa gestorben war und man ihn begraben hatte, fielen die Kriegsleute der Moabiter ins Land desselben Jahrs. Und es begab sich, dass man einen Mann begrub; da sie aber die Kriegsleute sahen, warfen sie den Mann in Elisas Grab. Und da er hinabkam und die Gebeine Elisas berührte, ward er lebendig und trat auf seine Füße."
2. Könige 13, 20-21
In Südamerika gibt es gewaltige Urwälder. Kühne Forscher sind dort eingedrungen trotz der Bedrohung durch wilde Tiere, Fieber und Giftpfeile der Eingeborenen. Völlig unvermutet fanden sie mitten in den tiefen Wäldern eine große Stadt. Die Menschen, die sie gebaut hatten, waren längst gestorben. Das Volk, das hier einst geblüht hatte, war untergegangen. Verlassen war die Stadt. Aber als die Forscher dorthin kamen, staunten sie über die gewaltigen Bauten und über die dort vorhandenen Schätze.
So kommt mir oft das Alte Testament vor. Ein Urwald von Unkenntnis und Missverstand hat sich um dies Buch gelagert. Gelehrte und Törichte haben dagegen geeifert. Die breiten Straßen unseres Jahrhunderts gehen längst daran vorbei.
Wer aber trotzdem dort eindringt, der findet in dem Alten Testament die herrlichsten Schätze und die lauterste Wahrheit. Möchten wir das auch jetzt erleben bei der Betrachtung unseres seltsamen Textes. Wir überschreiben ihn:
1. Der tote Prophet
Was wird denn hier im 2. Königsbuch erzählt?
Langsam bewegte sich ein feierlicher Leichenzug durch die Felder. Plötzlich gab es eine Stockung. Aufgeregte Flüchtlinge rannten vorüber und schrieen: „Die Moabiter kommen!" Die Leidtragenden wussten sofort Bescheid: Seitdem man in Israel den Herrn verlassen hatte, gab es keinen Frieden mehr. Beständig kamen die Streifscharen der heidnischen Völker über die Grenzen und brandschatzten das unglückliche Land.
„Was tun?" fragten nun bei der Beerdigung die erschrockenen Leute. Schon tauchten am Horizont die Moabiter auf. Da war es aus. Der Leichenzug löste sich auf. Jeder rannte davon. Verlassen standen die Träger mit der Bahre, auf welche der Leichnam lag. Die braven Männer wollten die Leiche nicht einfach unbegraben stehen lassen. Einer wusste Rat. Er zeigte auf eine Felswand: „Drüben ist ein Grab! Da haben wir vor kurzem den Propheten Elisa beigesetzt!"
Schnell rannte man dorthin. Die Felsplatte, die das Grab verschloss, flog beiseite. Und recht unfeierlich kippte man den Toten in die Grabhöhle. Der rollte hinein, bis er neben der Leiche des Elisa lag.
Aber nun geschah etwas, was die Träger plötzlich erstarren ließ. Kaum hatte der Tote die Leiche des Elisa berührt, da war es, als fahre ein Lebensfunke in ihn. Er bewegte sich. Taumelnd erhob er sich. Die Träger rannten davon, von doppeltem Schrecken gejagt — und hinter ihnen her lief der Mann, der von den Toten erstanden war.
In der Tat — eine wunderbare Geschichte! Die Gelehrten sind schnell bei der Hand: „Das sind alte Sagen!" Nun, der Herr Jesus ist anderer Meinung. Er sagt: „Die Schrift zeugt von mir." Jawohl, auch in dieser seltsamen Geschichte treibt der Heilige Geist Kreuzes-Unterricht.
2. Jesu, meines Todes Tod
Ich bin überzeugt: Diese Geschichte will uns nicht das ganze Geheimnis des Kreuzes enthüllen, sondern sie will eine einzige Wahrheit über das Kreuz Christi einprägen. Und diese einzige Wahrheit heißt: Die Berührung mit Jesu Kreuz macht die Toten lebendig.
Nun muss ich aber zuerst erklären, was denn die Bibel unter
„Toten" versteht.
Seht, in der Schöpfungsgeschichte heißt es: „Gott blies dem Menschen den lebendigen Odem ein." Der Mensch war göttlichen Geschlechtes. Gottes Leben war in ihm.
„War" — sage ich. Denn durch den Sündenfall wurde das total anders. Der Gottesfunke erstarb, das Gotteslicht erlosch. Und nun ist der natürliche Mensch tot: tot in Sünden, tot für Gott. Er kann Gott nicht erkennen. Er kann nicht beten. Er kann nicht glauben. Er bildet sich ein, er sei gut; aber seine Werke sind böse. Er steht unter Gottes Zorn und Gericht; aber er fürchtet sich davor nicht. Das ist der Mensch: Er rennt herum, spielt Fußball, geht ins Kino, lacht, weint, sorgt sich, schafft — und ist für Gott und vor Gott tot.
Aber nun gibt es eine einzige Stelle, durch die wir geistlich lebendig werden können: Jesu Kreuz.
Wie das geschieht, das will ich deutlich machen an unserer Textgeschichte. Da wurde dieser Tote in das Grab des Elisa geworfen. Er war gleichsam mit Elisa zusammen tot und mit Elisa zusammen begraben. Und davon wurde er lebendig.
Elisa ist ein Vorbild auf Jesus. Eine Berührung mit dem Kreuz bedeutet also: Ich muss mit Jesus zusammen sterben, mit Jesus begraben sein. Und in der Tat spricht die Bibel so von dem eigentlichen christlichen Erlebnis: Ich erkenne an, dass der Tod, der Jesus traf, eigentlich mir zusteht. Ich müsste rufen: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen!" Ich habe Gottes ganzen Zorn verdient. Dies erkenne ich unter Jesu Kreuz an.
Ich lasse mich mit Jesus begraben. Das heißt: Ich erkenne an, dass mein altes Gott-loses Leben nichts wert ist. Ich lege es hinein in Jesu Grab.
Und seht: Indem ich so mein Leben mit Jesus in den Tod gebe, indem ich mich mit Jesus an das Kreuz hänge und in das Grab lege, geschieht es, dass ein neues Leben aus Gott in mir aufwacht. Wie der Tote, der mit Elisa im Grab lag, lebendig wurde, so wache ich aus der Begegnung mit dem Kreuz auf zu einem neuen Leben aus Gott.
Lasst mich ein Beispiel berichten, wie ein Mann durch Berührung mit Jesu Sterben geistlich lebendig wurde:
Der gesegnete D. Le Seur erzählt, wie er im Berliner CVJM eine Bibelstunde über Jesu Passion hörte. Er berichtet: „Die große, selige Wahrheit: Jesus starb für mich! traf in mein Gewissen hinein. Ich lief in den Tiergarten, aufs tiefste erschüttert. Mir war klar: Entweder muss man dieser unfassbaren Güte Gottes ein Nein entgegen-schleudern und dann alle Folgen tragen, — oder man kann nicht anders, als dem, der das getan hat, sein Leben hinzugeben." Le Seur erwählte das zweite. Und er bekannte vierzig Jahre später: „Das Eine ist mir geblieben und wird mir bleiben bis zur Stunde des Todes, ja des Gerichtes — die leuchtende, selige Gewissheit: Jesus starb für mich!"
3. Sein Tod — nicht das Ende
Elisa war ein einsamer Mann gewesen. Volk und König hatten den treuen Zeugen Gottes gehasst. Und als er starb, war man sicher froh: „Nun ist es mit ihm zu Ende." Aber in unsrer Geschichte erlebt man: Sein Tod ist noch nicht das Ende.
Welch ein Hinweis auf Jesus! Welt und Hölle triumphierten, als Er das Haupt neigte und verschied. Aber schon ist der Mann da, der durch Seinen Tod lebendig wird: Der römische Hauptmann bekennt laut seinen Glauben an Jesus.
Ich las vor kurzem eine interessante Geschichte des römischen Kaiserreichs. Jeder neue Cäsar ließ sich auf den Münzen feiern als „Hoffnung der Welt", als „Friedensbringer". Alle aber gingen unter in Blut und Mord. Und mit ihnen versank das römische Imperium. Doch über den Trümmern erhob sich der Gekreuzigte. Lebensströme gehen von_ Seinem Kreuze aus — bis auf diesen Tag. Und Millionen huldigen Ihm, dem Gekreuzigten, als dem „Friedensbringer" und der „einzigen Hoffnung der Welt". Sein Tod war nicht das Ende, sondern der Anfang. Auch in meinem Leben.