Wilhelm Busch – Gott allein gebührt die Ehre

 

1. Sonntag nach Epiphanias

»Denn dein ist das Reich!« (Matthäus 6, 13b)

 

In meiner früheren Gemeinde in Bielefeld warf ich einmal in unserem Jugendkreis die Frage auf, was den Jungen im Gottesdienst am besten gefiele. Da rief gleich einer: »Am schönsten ist es, wenn am Schluss das Vaterunser gesungen wird!« Wir fragten: »Warum gefällt dir das am besten?« Da sagte er: »Seht, die ganze Woche ist man unter den Menschen, die Gott die Ehre verweigern, die sein Heil verachten und seine Gemeinde verspotten. Und selbst ist man auch meist so kümmerlich. Da ist es dann ein erhabener Augenblick, wenn die ganze Gemeinde am Schluss des Vaterunsers einstimmt in den Lobgesang und alle Gott die Ehre geben! Da wird mein Herz weit, und ich kann gar nicht laut genug mit einstimmen: Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit!« Durch diese Worte des Jungen ist mir der Schluss des Vaterunsers so wichtig geworden. Und darum möchte ich euch den Schluss auslegen.

 

 

»Denn dein ist das Reich!«

 

 

1. Dieser Satz gibt Gott die Ehre

Man muss sich mal klarmachen, wie das war, als der Herr Jesus seine Jünger dies Gebet lehrte. Dann versteht man erst, wie ungeheuerlich dieser Satz ist. Das römische Weltreich war auf der Höhe seiner Macht. Auf dem Thron saß der zweite römische Kaiser: Tiberius. Wir haben ein Standbild von ihm. Da sitzt er in lässiger Haltung auf einem reichgeschmückten Stein. Um die Stirn windet sich der Lorbeerkranz des Siegers. Die Linke fasst mit seltsamer Heftigkeit das römische Kurzschwert. Die Rechte ist majestätisch erhoben und hält den Stab des Herrschers. Jede Miene spricht: »Es gibt nur ein Reich. Und das ist mein!«

Und da steht in einem Winkel der Erde ein schlichter Mann. Der lehrt seine Jünger, die Augen aufzuheben zu dem, der im Himmel sitzt, und betet: »Denn dein ist das Reich!«

Das ist entweder unsagbar lächerlich — oder es ist die Wahrheit. Ja, es ist wahr. Und aus diesem einen Satz spricht der Tiefenblick der Bibel, der weiß, dass auch dies Römerreich unter dem Satz steht: »Alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit wie des Grases Blume. Das Gras verwelkt und die Blume fällt ab.« Es gibt nur ein unvergängliches Reich, das Reich unseres Gottes. Von dem mächtigen Tiberius heißt es: »Ach wie nichtig, ach wie flüchtig ist der Menschen Herrschen. Der durch Macht ist hochgestiegen, muss zuletzt, aus Unver­mögen, in dem Grabe niederliegen.« Von dem dreieinigen Gott aber singt die Gemeinde: »Wie du warst vor aller Zeit, so bleibst du in Ewigkeit.«

»Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herr­lichkeit in Ewigkeit.«

So gibt dieser Gebetssatz Gott die Ehre.

 

 

2. Ein Gang durch das Reich Gottes

Unsere Väter sagten, das Reich Gottes habe drei Regionen oder Bezirke. Und wir wollen miteinander im Geist durch die drei Regionen gehen.

Das ist zum Ersten das Reich der Natur. Es gehört zu den Dingen, die ich nie begreifen werde, dass der Mensch sich in diesem Naturkreis munter tummelt, dass er forscht, stu­diert, dass er immer neue Wunder in diesem Naturreich entdeckt und doch so selten dazu kommt, dem die Ehre zu geben, der das alles so wunderbar und geheimnisvoll ge­schaffen hat. Und weil der Mensch in seiner Blindheit den Schöpfer nicht kennt, glaubt er auch nicht, dass es Wunder gibt. Der dreieinige Gott aber ist König im Naturreich. Darum konnte der Sohn Gottes den Sturm stillen. Darum wird er auch einmal die Toten auferwecken. »Himmel, Wasser, Luft und Erde, nebst der ungezählten Herde der Geschöpfe in den Feldern, in den Seen, in den Wäldern, sind Herr über Tod und Leben, dir zum Ei­gentum ergeben. Tiere, Menschen, Geister scheuen, Men­schensohn, dein mächtig Dräuen.« Die zweite Region ist das Gnadenreich. Als der Herr Jesus auf Golgatha starb für die Menschen, da hat er für Gott ein Volk erkauft. Das ist die Schar derer, die vor Gott nicht mehr auf ihre eigene Gerechtigkeit pochen, sondern sagen: »Ich rühm' die Gnade, die mir Heil gebracht!« Das sind die, die weder das Gericht noch die Welt fürchten, weil Jesus ihnen Gnade schenkte. Es sind die, die durch Gnade Vergebung der Sünde haben und damit Frieden mit Gott. Gott bietet am Kreuz Jesu Gnade an. Wer das im Glauben annimmt, der ist ins Gnadenreich eingetreten. Gottes Wort sagt von diesen Gläubigen: »Ihr seid nun Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen.«

 

Und die dritte Region seines Reiches ist das Reich der Herr­lichkeit. Man muss nur mal das 4. und 5. Kapitel der Offen­barung lesen. Da gehen einem die Augen über vor der Herrlichkeit des Himmels. »In dem Reiche deiner Ehren kann man stets dich loben hören von dem himmlischen Ge­schlechte, von der Menge deiner Knechte, die dort ohne Furcht und Grauen dein verklärtes Antlitz schauen, die dich unermüdlich preisen und dir Ehr und Dienst er­weisen.«

So umfasst das Reich, von dem hier die Rede ist, alles: Himmel und Erde, Schöpfung und Herrlichkeit, und vor allem die mit Blut erkaufte Gemeinde. Im Blick auf all das beten wir an: »Denn dein ist das Reich.«

 

 

3. Dieser Satz bedeutet persönliche Hingabe

Lasst mich ein Beispiel gebrauchen. Es war im Jahre 1162. Der gewaltige Barbarossa war Kaiser im Heiligen Römi­schen Reich. Aber die Stadt Mailand wollte ihn nicht. Sie vertrieb die kaiserlichen Gesandten, wählte eigene Beamte und machte sich die Nachbarstädte Untertan. Aber da war Barbarossa herangezogen mit einem riesigen Heer. Zwei Jahre belagerte er die starke Stadt. Und dann kam der Augenblick, wo die weiße Fahne hochging, wo die Häupter der Stadt vor dem König erschienen und vor Bar­barossa bekennen mussten: »Dir gehört das Reich!« Ich meine, nur so kann man richtig beten: »Denn dein ist das Reich!« Dass das Herz die weiße Fahne aufzieht vor dem, der seinen Sohn für Sünder gab und der durch den Heiligen Geist so stark um uns wirbt. Es gibt ein ergreifendes Beispiel in der Bibel. Da ist der Prophet Jeremia. Der bekannte: »Herr, du hast mich über­redet, und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen!« Seht, da musste er die weiße Fahne im Herzen aufziehen und bekennen: »Denn dein ist das Reich — und darum auch mein Leben mit allem, was ich bin und habe.«

Oh Freunde! Es ist eine selige Sache, wenn es in unserem Leben heißt:

 

»Der allmächtige Gott hat das Reich eingenommen. Lasst uns freuen und fröhlich sein und ihm die Ehre geben.«

 

»Denn dein ist das Reich!«