Sonntag Okuli 1944
»...denn er hat gesagt: >Ich bin Gottes Sohn!<«
(aus der Matthäuspassion)
In meiner Heimatstadt Frankfurt wurde in jedem Jahr die
Matthäuspassion von J.S. Bach aufgeführt. Schon von früher Jugend an nahmen
mich meine Eltern dort mit hin. Diese großartige Passionsmusik gehört zu meinen
tiefsten Jugendeindrücken.
Da ist dieser
Spott unter dem Kreuz besonders eindrücklich — achtstimmig toben, grollen,
schrillen, schreien die Chöre die Hohnworte: »Er hat Gott vertraut, der erlöse
ihn nun, hat er Lust zu ihm ... « Man hört förmlich das wirre Geschrei unter
dem Kreuz. Aber dann — und da lief es mir immer kalt über den Rücken — dann
vereinen sich auf einmal die Stimmen. Und gewaltig, unisono, schließt dieser
Chor: » ...denn er hat gesagt: >Ich bin Gottes Sohn!<« Da hat Bach,
dieser Freund des Evangeliums, deutlich gemacht, dass hier der dumme Spott
aufgehört hat, dass hier die eigentliche Anklage ist, dass hier die Stelle ist,
wo die Geister sich scheiden. Wie ein Bekenntnis aus Hass heraus ist dieser
lapidare Satz:
»...denn er hat gesagt:
Ich bin Gottes Sohn!<«
1. Jesus selbst hat es gesagt
»Er hat es gesagt: >Ich bin Gottes Sohn!<« Das ist mir
wichtig. Denn seit Jesus in mein Leben kam, lag mir alles daran, volle Klarheit
über ihn zu haben. Die Welt macht es sich ja in Glaubensdingen sehr leicht. Sie
glaubt einfach, was gerade Mode ist. Und je nach Bedarf wechselt man den
Glauben — wie ein Hemd. Das können die nicht mehr tun, die Gottes Geist erweckt
hat. Sie wollen Gewissheit. Sie wollen Felsgrund unter den Füßen. Ein Erweckter
sagt: »Ich kann jetzt nicht Menschengeschwätz brauchen. Ich brauche einen
Glauben, der auch im Sterben nicht zerbricht.« Seht, darum musste ich Klarheit
über Jesus haben. Die Welt lässt Jesus auch gelten. Aber nur als einen
Menschen. Am vernehmlichsten ist das wohl ausgesprochen worden in einem Buch
von Gustav Frenssen: »Hilligenlei«. Das Buch erschien 1905 und hatte im ersten
Weltkrieg schon eine Auflage von 160000, obwohl es über 600 Seiten hat. Da wird
erzählt, dass der Heiland ein ganz schlichter Mensch war: »Und als er tot war,
da kamen sie aus allen Ländern. Syrer und Ägypter, germanische Soldaten und
griechische Arbeiter. Und sie überzeichneten das Heilandsleben.« Und etwas
weiter lesen wir dann: »Dann kam Paulus, ein durch und durch kranker Mensch,
und legte um das schlichte, bange, demütige Menschenkind Jesus siebenfach
glitzernden Goldbrokat und machte ihn zu einem ewigen Gotteswesen.«
So schrieb Frenssen. So lehrten Professoren, Studienräte und
Lehrer. Und das Volk glaubte es — weil sie die Bibel nicht mehr lasen.
Ihr braucht jetzt mal nicht auf die Jünger Jesu zu hören und
auch nicht auf die Kirche. Hört doch, was die Feinde Jesu sagen. Das sind doch
in diesem Fall gewiss unverdächtige Zeugen: » ... er hat gesagt: >Ich bin
Gottes Sohn!<« — Nicht die Kirche und Paulus haben ihn dazu gemacht. Nicht
die Kirche und Paulus haben ihm »den Goldbrokat der Gottessohnschaft«
umgehängt. Nein! Er selbst hat es getan. So sagen es seine Feinde.
Und nun stehen wir vor der Frage: »Wollen wir ihm das
Rauben?« Wenn wir ihm das nicht glauben, dann müssen wir ihn als einen Betrüger
ansehen. Aber, sieht so ein Betrüger aus? Ich kann nur bekennen: »Ich glaube es
ihm, wenn er sagt: >Ich bin Gottes Sohn<.«
2. Dem Glauben liegt viel daran
Alle Feinde des Herrn sind doch nur Marionetten in seiner
Hand, das spürt man hier. Da stehen sie höhnend unter dem Kreuz. Und dann ist
es, als wenn Gottes starke Hand sie im Genick packte und sie zwänge, vor aller
Welt deutlich zu bekennen: » ... er hat gesagt: >Ich bin Gottes Sohn!««
Gerade an diesem Satz liegt dem Glauben alles. Wenn er nicht nur ein Mensch
war, dann ist sein Sterben eine Tat Gottes zu unserer Errettung. Ein Bild soll
es deutlich machen: Ich ging einst durch die alte Ordensburg in Reval. Ich
wurde auch in den schrecklichen Kerker geführt. Jemand erzählte mir, dass man
da die Gefangenen gezwungen hätte, sich selbst einzumauern. Nun seht, dies
haben wir Menschen freiwillig getan. Wir haben Schuld auf Schuld gehäuft, eine
Mauer von Sünde aufgebaut und uns damit von Gott, vom Leben, von aller Hoffnung
abgemauert.
Wenn sich Gefangene dann in der Burg eingemauert hatten,
konnte keiner mehr dem anderen helfen. Auch der Stärkste, der Edelste konnte
nicht helfen. Hilfe konnte nur noch von außen kommen.
So kann kein Mensch eine Erlösung schaffen. Wir sind ja alle
in der gleichen Verdammnis. Auch der Edelste, auch der Stärkste! Das Alte
Testament sagt das mit den ergreifenden Worten: »Kann doch einen Bruder
niemand erlösen noch ihn Gott versöhnen..., man muss es lassen anstehen
ewiglich« (Psalm 49, 8).
Den in Schuld und Gottesferne Eingemauerten kann die Hilfe
nur von außen kommen, aus einer anderen Dimension. Nur von Gott her.
Und sie ist gekommen. Als Jesus sterbend rief: »Es ist vollbracht
!«, da war die Mauer aufgebrochen. Da war der Weg zu Gott frei geworden durch
die Vergebung der Sünden. Seht, darum liegt dem Glauben alles daran, dass Jesus
wirklich der Mann aus der anderen Dimension ist, der Helfer, der von außen, von
Gott her gekommen ist. 1863 erschien ein vielgelesenes, geistreiches Buch von
Renan mit dem Titel »Leben Jesu«. Da ist Jesus auch als Mensch gezeigt und die
Gottessohnschaft geleugnet. Darauf hat der greise Maler Cornelius ein Bild
gemalt: Man sieht, wie Thomas nach der Auferstehung vor Jesus niederfällt und
sagt: »Mein Herr und mein Gott!« Zu diesem Bild sagte Cornelius: »Das ist meine
Antwort an Renan!«
Der christliche Glaube, ja unser Heil, steht und fällt mit
der Gottessohnschaft Jesu.
3. Dann muss seine Erlösung kräftig sein
Gott war in Jesus und versöhnte die Welt mit sich selbst (2.
Korinther 5, 19). Wenn Gott etwas tut, dann ist es vollkommen. Also ist in
Jesus vollkommenes Heil für jedes Leben. Das bezeugte ich vor kurzem einem
Manne. Da sagte er: »Ich habe von dieser Kraft nichts gespürt.« Ich konnte nur
antworten: »Sie müssen sich nur im Glauben an diesen Kraftstrom anschließen.« —
Lasst mich zum Schluss eine Geschichte erzählen: Ein Mann träumte, er sei in
die Hölle gekommen. Er ging über eine trostlose Steppe. An einem schmutzigen
Fluss saßen regungslos viele Menschen. Er fragte einen: »Was macht ihr da?« »
Wir denken nach!« »Worüber denkt ihr nach?« »Wir denken über
einen Namen nach.« »Über welchen Namen?« »Wir kennen ihn
nicht.« »Wie soll ich das verstehen, dass ihr aber einen Namen nachdenkt, den
ihr nicht kennt?« Da richtete sich der Verlorene auf und sagte: »Wir wissen, es
gibt einen Namen, der so mächtig ist, dass wir sogar aus der Hölle errettet
werden können, wenn wir ihn anriefen. Aber dieser Name fällt uns nicht mehr
ein.« Wir kennen diesen Namen: Jesus! Weil er der Sohn Gottes ist, ist sein
Heil ein völliges Heil, ist sein Sterben eine wirkliche Erlösung. Weil er der
Sohn Gottes ist, kann es von ihm heißen: »Wer den Namen des Herrn Jesus anrufen
wird, soll selig werden« (Apostelgeschichte 2, 21).