In diesen Tagen blätterte ich wieder einmal in alten Familienpapieren.
Das ist gut und nützlich. Daraus lernt man seine Vorfahren kennen. Man
profitiert aber auch allerlei anderes dabei. Eine hübsche kleine Geschichte von
meinem Großvater möchte ich euch jetzt erzählen:
Mein Großvater Wilhelm kam als ein strammer Bursche zum Militär. Er
freute sich auf die Zeit „bei den Preußen". Freilich nahm er sich gleich
vor, vom ersten Tage an offen zu bekennen, daß er ein Jünger Jesu sei.
Das gab natürlich mancherlei Spott. Die Kameraden konnten es einfach
nicht verstehen, daß ein frischer, fixer Bursche, wie es mein Großvater war, in
der Bibel lese und bete. Noch mehr ärgerte es sie freilich, daß Wilhelm in manchen
Dingen nicht mittun wollte. So hieß er denn „Mucker! Pietist! Wassertrinker!"
und was der lobenswerten Titel mehr waren. Er aber ließ sich täglich Kraft, Mut
und Freudigkeit schenken, in seiner Bibel zu lesen. Alle Schmähungen und allen
Spott ertrug er mit freundlicher Ruhe.
Nach einem halben Jahr kam das Probeschießen. Jeder von der Kompanie
hatte drei Schüsse auf die Scheibe abzufeuern. Endlich kam auch Wilhelm an die
Reihe. Vorher sprach er still für sich, ohne die Lippen zu bewegen, zu seinem
Herrn etwa folgendes Gebet: „Wenn Du mich heute zu Ehren bringen wolltest,
nachdem ich um Deinetwillen schon viel Verachtung erfahren mußte, hätte ich,
lieber Herr, nichts dagegen. Doch Dein Wille geschehe!"
Er zielt ruhig. Jetzt knackt der Hahn. Krach! Die Kugel sitzt mitten im
Zentrum.
„Alle Wetter!" sagt der auf sichtführende Leutnant. „Solch guter
Schuß ist schon lange nicht mehr gefallen!"
Wilhelm bereitet den zweiten Schuß vor. Aber nicht bloß das Gewehr,
sondern auch sich selbst, indem er ganz still bei sich spricht: „Herr, stärke
mich!" Ruhig drückt er jetzt ab, und wieder sitzt die Kugel im Schwarzen.
„Sapperment nochmal, was ist mit dir los? Kannst du hexen?"
Wilhelm schiebt die dritte Kugel ins Gewehr. Wieder durchbohrt sie die
12.
„Das ist ja gar nicht möglich", ruft der Leutnant. „Mensch, gib mal
dein Gewehr her. Was hast du denn bloß für eine Knarre?"
Jetzt zielt der Leutnant mit Bedacht, aber ins Zentrum trifft er nicht.
Seit der Zeit war Wilhelm nicht mehr eine verachtete, sondern eine
geachtete Persönlichkeit.
Warum treffen wir so wenig, warum glückt's uns so selten, warum sind wir
so oft Pechvögel, warum hat sich manchmal alles rein wie gegen uns verschworen?
Im Psalm 1 steht das eigenartige Wort von dem Mann, der Lust hat zum
Gesetz des Herrn und der ist wie ein Baum an Wasserbächen: „Was er macht, das
gerät wohl!" Denke doch dem ein wenig nach! Es wird dir sicherlich zum
Segen sein.