Es ging auf
Weihnachten zu. In der Kaserne sprach man eigentlich nur noch vom
Weihnachtsurlaub. „Freut euch nicht zu früh", sagte Paul, der bedächtige
Bauernjunge aus Westfalen. „Wer weiß, ob wir noch wegkommen. Ein paar müssen
ja doch hierbleiben und Wache schieben."
Günter lachte:
„Warum soll es denn uns gerade treffen? Etwa ausgerechnet mich, ja? Nee, mein
Lieber, was meiner Mutter Sohn ist — der ist am Heiligen Abend zu Hause."
Und dann traf es
ihn doch. Was war das für ein magerer Trost, daß der Feldwebel ihm sagte, er
dürfe über Neujahr nach Hause! Und so stand er denn am Heiligen Abend eisern
auf Wache. „Ist das nun ein Weihnachtsfest?"
Am ersten Feiertag
erhält Günter früh eine Postkarte von seinem Stubengenossen Paul. Die Karte
kommt von einem Wirtshaustisch; Bierspritzer haben die Schrift verwischt, und
ein paar unleserliche Unterschriften lassen erkennen, daß man schon reichlich
Alkohol konsumiert hatte. Blitzartig sieht Günter vor seinem Auge die
lärmende, halbbetrunkene Gesellschaft. „War das nun ein Weihnachtsfest?"
so denkt er bei sich, während er langsam in der Frühe des zweiten Festtages
durch das Kasernentor geht. Heute hat er nach dem Wachdienst frei.
Wenigstens ein Feiertag!
Aber wohin jetzt?
Da fangen in der nahen Kirche die Glocken an zu läuten. Günter wundert sich
selbst, daß er — wie von einer verborgenen Macht gezogen — dem Schall der
Glocken folgt. Aber er ist ja so allein. Und er hat so viel übrige Zeit. Und jetzt
morgens — wo soll man da hin? Wenn er zu Hause gewesen wäre, wäre er an den
Festtagen gewiß auch mit den Eltern einmal in die Kirche gegangen.
Nun sitzt er in dem
hohen Kirchenraum. Es sind heute, am zweiten Feiertag, wenig Leute da. Günter
ärgert sich ein bißchen über den dünnen Gesang. Darum fällt er lauter ein, als
er eigentlich vorgehabt hat. Immer mehr
nimmt ihn das frohe Singen gefangen:
„Fröhlich soll mein Herze springen
Dieser Zeit, da vor Freud
Alle Engel singen . . .
Heute geht aus seiner Kammer
Gottes Held, der die Welt
Reißt aus allem Jammer."
Dann steht ein
junger Vikar auf der Kanzel, dem man heute, am zweiten Feiertag, die
Frühpredigt übertragen hat. „Der ist nicht viel älter als ich", denkt
Günter. Es ist ihm darum wie eine innere Verpflichtung, den Altersgenossen
ernst zu nehmen.
Und der nimmt seine
Sache auch ernst. Günter stößt sich nicht an der etwas unbeholfenen und
ängstlichen Art des jungen Predigers. Es geht ihm durch und durch, als der
junge Pfarrer dort oben sagt: „Wie ernst muß es doch Gott um unsere Errettung
zu tun sein, daß er seinen eingeborenen Sohn gab!"
Darüber hat Günter
eigentlich noch nie nachgedacht. Wirklich noch nie! Daß man überhaupt eine
Errettung braucht! — Aber jetzt ist ihm alles ganz klar. Sein Gewissen sagt
ihm, daß der da oben recht hat. Und so läßt er sich gern und willig mitführen
zu dem Kind von Bethlehem, in dem Gott uns die Errettung geschenkt hat.
Ja, alles was er
gehört hat, wird ihm so wichtig, daß er sich ein Herz faßt und nach dem
Gottesdienst in die Sakristei geht. Der junge Prediger ist fast erschrocken,
daß sein Wort wirklich solch eine Wirkung gehabt hat, daß es sogar ein stolzes
Soldatenherz hat erschüttern können. Nun freut er sich. Gern nimmt er den
Suchenden auf und lädt ihn für den Nachmittag in seine kleine Bude ein.
Und hier, an diesem
Nachmittag, geschieht es, daß ein junger Mann den ändern zum Heiland führen
kann.
Als Günter am Abend
durchs Kasernentor geht, lächelt er still vor sich hin: „Merkwürdig! Kein
Heimaturlaub! Aber jetzt ist doch wirklich auch für mich Weihnachten
geworden!"