Wilhelm Busch - Kleine Erzählungen

 

Christus oder Antichristus

 

Verzweifelt kämpfte ich um mein Haus. Der furchtbare Flie­gerangriff vor zwei Tagen hatte die Stadt in ein Flammenmeer verwandelt.

Rings umher hatte man den Kampf aufgegeben. Da standen nur noch rußgeschwärzte Mauern, in denen es leise rauchte.

Es war nicht mehr viel zu retten. Die beiden obersten Stock­werke waren schon ausgebrannt. Aber wenn es gelang, das Feuer zum Stehen zu bringen, konnte ich meine wertvolle Bücherei und ein paar Möbel retten.

Die Augen waren entzündet von Rauch und Müdigkeit, die Hände verbrannt. Mit langen Stangen rissen wir das Feuer aus­einander. Wasser gab es schon längst nicht mehr.

Da — alles hob den Kopf! Was war das? „Wahrhaftig — das Telefon geht noch!" Es war lächerlich, wie in dem zerstör­ten, brennenden Hause, in das von oben der blaue Frühlings­himmel hereinschaute, das Telefon klingelte.

Ich stürzte hin: „Hier die Geheime Staatspolizei. Kommen Sie mal sofort hierher!" — „Ich kann doch nicht. Mir verbrennt mein letzter Besitz!" — „Wenn die Staatspolizei ruft, haben Sie sofort zu erscheinen. Wir erwarten Sie in einer halben Stunde!" — — —

Und dann saß ich im Büro der Gestapo vor einem eleganten Beamten, der meine verbrannten Kleider nur flüchtig streifte und mir dann irgendeines der unsagbar lächerlichen Verbote mitteilte, mit denen die evangelische Jugendarbeit beständig gequält wurde.

„Ihre Sorgen möchte ich haben!" entfuhr es mir. Und dann erschrak ich selber vor dem Wort. Aber der hohe Herr war sehr gnädig. „Wieso?" fragte er nur.

„Nun, hier geht eine Welt unter. Und Sie entblöden sich nicht, mich wegen einer solchen Sache herzubestellen!"

Da wurde er auf einmal sehr ernst und sagte: „Uns ist diese Sache wichtig. Sehen Sie, wir haben Sie genau beobachtet. Und da haben wir festgestellt, daß Sie noch keinen Gottesdienst und keine Jugendstunde haben ausfallen lassen. Als Ihre Sääle und Kirchen zerstört waren, gingen Sie in die Keller. Und wenn ein Keller verschüttet war, richteten Sie sich im nächsten ein."

Ich mußte lächeln: „Ja, der Siegeszug des Evangeliums geht weiter!"

Da fuhr er auf: „Und unser weltanschaulicher Kampf geht auch weiter! Und wenn die Welt untergeht!!"

Wir sahen uns in die Augen und fühlten, einer am ändern, eine unheimliche Entschlossenheit.

„Damit geben Sie zu", sagte ich langsam, „daß das Thema dieser schrecklichen Zeit heißt: Christus oder Antichristus!"

„Da gebe ich Ihnen recht. Es geht nur um die Frage, ob Ihr eingebildeter Jesus Christus noch länger die Hirne gefangen halten soll — oder ob wir und unsre Weltanschauung herr­schen. Darum geht es allein in dieser Zeit. Alles andre ist nur Begleitmusik."

Ich konnte nicht anders — ich streckte ihm die Hand hin und sagte: „Wenn uns auch Welten trennen, mit Ihnen verstehe ich mich über all die Köpfe hinweg, die nicht begreifen, um was es geht."

Und dann durfte ich ihm sagen, daß Jesus Christus keine Ein­bildung ist, sondern daß Er lebt.

Als ich nach Hause ging, fiel mir auf einmal mein brennen­des Haus ein. Das hatte ich ganz vergessen!

Und das war gut. Es ging ja auch nicht um Haus und Besitz. Und mein Herz wurde in all meiner Not fröhlich, daß ich einem Herrn dienen durfte, dessen Sieg sicher ist, seitdem Er auf Golgatha rief: „Es ist vollbracht!"