„... gib mir einen neuen, gewissen Geist“
Vorwärtskommen Ja! Gottes Wort - Nein!
Er wollte nicht, aber er mußte!
„Die Pflastersteine lachen mich an!"
Herrlich - herrlicher - am herrlichsten!
„Ich tue recht und scheue niemanden!"
„Leucht’ in unser armes Leben...!"
Wie es doch noch Weihnachten wurde
„So möchte ich nicht sterben...!"
„Das habe ich noch nie erlebt!"
Als mich einmal
jemand fragte, wo ich all die Geschichten her hätte, konnte ich nur erwidern:
„Man erlebt halt so viel“.
Und nun sind hier
ein paar solcher Geschichten zusammengestellt. Viele von ihnen sind in den
letzten Jahren da und dort gedruckt worden. Einer, der das Manuskript durchlas,
stellte es in Zweifel, ob Geschichte, die vor 1939 geschrieben wurden, heute
noch etwas zu sagen hätten. Ich muß es dem Leser überlassen, das zu beurteilen.
Der Apostel Paulus
hat einmal gesagt, daß er nichts wisse, als den Gekreuzigten. Genauso geht es
in diesen Geschichten. Sie wollen nur eines: ein Zeugnis ablegen für Jesus, den
Gekreuzigten und Auferstandenen.
Essen, im September
1947
Wilhelm Busch,
Essen
Ein Lied in der Bahnhofshalle — Ein getrösteter Bergmann
Es war vormittags, so gegen neun Uhr.
Ich ging quer durch die große Bahnhofshalle. An meiner rechten Hand hielt sich mein kleiner Junge, an die linke klammerte sich mein Töchterlein fest, damit es im Gedränge nicht losgerissen würde.
Die weite Halle machte den beiden kleinen Trabanten sichtlich Eindruck. Das dumpfe Gemurmel der Menschenmenge gab einen verworrenen Widerhall. Da meinten die beiden, sie müßten doch einmal ausprobieren, ob ihre Stimmen auch so schön hallen in diesem weiten Raum.
Also stieß bald der Junge, bald das kleine Mädchen einen hellen Juchzer aus. Und sie freuten sich königlich an dem gewünschten Erfolg.
Aber so ein Juchzer ist schnell vorüber. Und darum war der Genuß immer nur kurz. Um ihn auszudehnen, gingen sie zu einem Liede über.
Das kleine Mädchen
stimmte an, und der Junge fiel mit seiner lauten, hellen Stimme ein:
„Harre, meine Seele, harre des Herrn!
Alles ihm befehle,
Hilft er doch so gern . . .!"
Das war natürlich eine ungewohnte Melodie, vormittags um neun Uhr, in der Bahnhofshalle. "Wenn da eine Lokomotive gellend zischte, wenn ein Zigarettenverkäufer brüllend seine Ware anpries, wenn ein Bursche unbekümmert den allerneuesten Schlager pfiff —, da drehte sich natürlich kein Mensch um.
Aber ein geistliches Lied! In der Bahnhofshalle! Schallend gesungen von zwei hellen Kinderstimmen — das gab schon einiges Aufsehen. Etliche lächelten, ein paar guckten verlegen, wieder andere schüttelten den Kopf.
Die Kinder ließ das
völlig unbekümmert; fröhlich sangen sie weiter:
„. . . . größer als der Helfer
Ist die Not ja nicht."
Da ging ein Bergmann vorbei. Er hatte wohl den Weg quer durch die Bahnhofshalle gewählt, um schneller heimzukommen. Mit seinem müden Gang, seinem gesenkten Kopf und den hängenden Schultern sah er aus, als wenn unsichtbare Lasten auf ihn drückten. Die „Kaffeetöte" auf seinem Rücken zeigte, daß er von Schicht kam.
Jetzt drang der
Gesang an sein Ohr. Er blieb stehen. Ernst schaute er auf die Kinder. Es war,
als wolle er dieses Lied in sich hineintrinken:
„. . . rett' auch meine Seele,
Du treuer Gott."
Dann ging er weiter. Ganz anders auf einmal ... als wenn er aus einer Quelle getrunken hätte! Und da wußte ich, daß die beiden Kinder in aller Dummheit und Schwachheit etwas Großes vollbracht hatten. — —
Am Nachmittag besuchte mich ein lieber Gast von auswärts.
„Mann", sagte
er, „ich muß dir mal eine köstliche Geschichte erzählen. Heute morgen, als ich
auf eurem Hauptbahnhof ankam, war ich ein sehr verdrießlicher und
sorgenbeladener Mann. Es war mir Verschiedenes quer gegangen. Und als ich nun
so recht betrübt durch die Sperre gehe, da klingt es an mein Ohr:
„In allen Stürmen, in aller Not
Wird er dich beschirmen,
Der treue Gott."
Das hallte durch die Bahnhofshalle, als wenn vom Himmel herab eine Stimme zu mir sprechen wollte. Es müssen wohl Kinder gewesen sein, die irgendwo sangen. Ich habe sie im Gedränge nicht sehen können. Aber ich habe da alle meine Sorgen auf meinen himmlischen Herrn geworfen und bin fröhlich weitergegangen."
Ich aber bin schnell zu meinen Kindern gelaufen und habe ihnen einen kräftigen Kuß gegeben.
Ungleiche Reisegesellschaft and wie man ihrer Herr wird!
„Mensch, guck dir dies Gedränge an!" — Rappelvoll stand der Bahnsteig des riesigen Frankfurter Hauptbahnhofs. Und als der Personenzug nach Heidelberg endlich anrückte, gab's einen Sturm wie auf die „Düppeler Schanzen".
Nun ja, Ferienanfang! Da geht's eben ein bißchen stürmisch her auf der Eisenbahn.
Mit meinen Geschwistern hatte ich mich in ein großes Abteil „für Reisende mit Traglasten" gequetscht. Jeder kennt ja die Wagen: „9 Sitzplätze, 20 Stehplätze". Unserer alten Mutter hatten wir im Eck einen Sitzplatz ergattert. Wir anderen türmten unser Gepäck aufeinander und setzten uns darauf. Ja, und dann ging's los! Der Bummelzug hielt an jedem Nest. Wenn man gerade meinte, nun sei er glücklich in Fahrt, da war's schon wieder aus. Und kein Mensch wollte aussteigen! Im Gegenteil, immer mehr stiegen zu. Wir hatten das Gefühl, als reise die ganze Menschheit nach Heidelberg. Und dazu brannte die Sonne nicht schlecht auf die heißen, überfüllten Wagen. Es war schon kein Vergnügen mehr. Kein Wunder, daß die Stimmung im Abteil „für Reisende mit Traglasten" schlecht, ja geradezu gereizt war. Es fehlte nur noch das „Streichholz", welches das Pulverfaß zur „Explosion" brachte. Das kam dann auch wirklich an irgendeiner Station in Gestalt einer sehr resoluten Frau, die, ihr Kindchen auf dem Arm, auch noch mitfahren wollte.
„Besetzt!"
brüllte ein Mann zum Fenster hinaus.
Die Frau tat, als habe sie nichts gehört. Entschlossen riß sie die Tür auf und drängte sich herein.
„Ich habe Ihnen doch gesagt, daß besetzt ist", sagte der Mann scharf und drückte gegen die Frau.
„Ich muß aber mit", schrie sie aufgeregt und drückte sich herein. Sie hätte aber doch den Kürzeren gezogen, wenn nicht der Schaffner von außen her die Türe zugequetscht hätte.
„Nu ist die Heringstonne fertig", meinte einer trocken.
Aber der wütende Mann hatte keinen Sinn für Humor. Er schimpfte Mord und Brand. Alle seine Gereiztheit ließ er an der armen Frau aus.
Andere fielen ihm zu.
Doch die Frau hatte den Mund am rechten Fleck. Kein Wort blieb sie schuldig. Und bald war der hitzigste Krach im Gange.
Der Mann wurde vor Wut richtig blaurot im Gesicht.
Der
Krach nahm immer bedrohlichere Formen an. Da — stimmt unsere Mutter mit ihrer schönen,
hellen Stimme ein Lied an. Wir begreifen schnell und fallen, zuerst ein wenig
verlegen, ein. Aber dann klingt's aus acht Kehlen:
„Geh
aus, mein Herz, und suche Freud
In
dieser schönen Sommerzeit . . ."
Wahrhaftig, wir singen den Krach einfach nieder. Die Leute schauen uns erstaunt an. Jede Miene fragt: „Seid ihr verrückt?"
Aber
nun sind wir schon mal dran und machen fröhlich weiter. Und das schöne Lied
hat viele Strophen.
„Die
Baume stehen voller Laub,
Das
Erdreich decket seinen Staub
Mit
einem grünen Kleide ..."
Wirklich,
jetzt gucken schon ein paar ganz schüchtern aus dem Fenster und entdecken auch,
daß da draußen in sommerlicher Herrlichkeit Gottes schöne Welt liegt.
„Die
Bächlein rauschen in dem Sand
Und
malen sich und ihren Rand
Mit
schattenreichen Myrten.
Die
Wiesen Hegen hart dabei . . ."
Uns
selber gefällt unser Lied immer besser. Und — wie es scheint — den Leuten auch.
Sie schweigen jetzt wenigstens.
„Der
Weizen wachset mit Gewalt,
Darüber
freut sich jung und alt
Und
rühmt die große Güte
Des,
der so überschwenglich labt
Und
mit so manchem Gut begabt
Das
menschliche Gemüte."
Ach,
wie schaut der Mann noch finster drein! Und wie bissig ist das Gesicht der
Frau! Aber wo Gottes Lob erklingt, hält's der Teufel nicht aus.
„Ich
selber kann und mag nicht ruhn,
Des
großen Gottes großes Tun
Erweckt
mir alle Sinnen.
Ich
singe mit, wenn alles singt . . .“
Wie ging es nun weiter? Allmählich hellte sich die böse Miene des Mannes auf, und er rückte ein ganz klein wenig beiseite. So hatte die Frau nun auf einmal Platz und guckte auch schon fröhlicher in die Welt.
Wir
aber sangen und sangen . . . Wir sangen die Ewigkeit in die Zeit.
„Welch
hohe Lust, welch heller Schein
Wird
wohl in Christi Garten sein?
Wie
wird es da wohl klingen . . ."
Und
schließlich schlössen wir unser Lied mit dem ernsten Gebetsvers:
„Erwähle mich zum Paradeis
Und laß mich bis zur letzten Reis'
An Leib und Seele grünen . . ."
Wir
waren zu Ende. Da erhob sich in der Ecke ein Mann und bot der Frau schweigend
seinen Platz an. Jeder bemühte sich auf einmal, so lieb wie möglich zu sein.
Und da war's nun — seltsam — ganz erträglich im Abteil. Alle hatten Platz
genug, die überhitzte Spannung war verflogen. Schließlich meinte jemand
schüchtern: „Singen Sie doch noch eins." So stimmten wir an:
„Harre,
meine Seele, harre des Herrn . . ."
Das
konnten viele. Erst brummten sie leise mit, bald sangen ein paar und rissen die
anderen mit, und schließlich sangen alle. Und so sangen wir miteinander bis
Heidelberg hinauf.
„Herein!"
Der Pfarrer drehte sich nach der Tür um. Etwas aufgeregt kam eine stattliche Frau herein. Gleich polterte sie los:
„lch höre, Sie wollen meine Nichte nicht konfirmieren?"
Der Pfarrer begütigte: „Setzen Sie sich erst mal. So! Nun will ich Ihnen in aller Ruhe die Sache erklären. Sehen Sie, Ihre Nichte — sie wohnt ja wohl seit dem Tode der Eltern ganz bei Ihnen — ist geistig ungeheuer beschränkt. Sie ist ja auch in der Hilfsschule für Minderbegabte. Ich habe versucht, das Kind zu unterrichten. Aber es hat nicht ein Lied behalten können, vom Katechismus ganz zu schweigen. Und da müssen Sie verstehen, daß ich dies blöde, schwach begabte Kind unmöglich zur Konfirmation zulassen kann . . ."
Die Frau unterbrach ihn: „Das ist ja alles schön und gut; aber jetzt will ich Ihnen sagen: Gott hat dies arme, schwache Kind als Werkzeug benutzt, um unser ganzes Haus umzuwandeln."
Erstaunt schaute der Pfarrer auf: „Wie ging denn das zu?"
„Ich weiß nicht, ob Sie es wissen: Wir führen eine Wirtschaft. Ich muß offen bekennen: es herrschte bei uns ein übler, leichtsinniger Geist. Als nun meine Schwester starb, vor einem Jahr, nahm ich ihr Töchterchen in mein Haus auf. Das arme Wurm tat mir leid. Viel Platz hatte ich ja auch nicht. Aber ich stellte noch ein Bett in die große Kammer, in der die beiden Mädel schlafen, die in der Wirtschaft beschäftigt sind.
Und nun geschah etwas Seltsames. Als das Kind am ersten Abend spät mit den Mädeln zu Bett ging, da faltete es seine Hände und betete den einzigen Spruch, den es behalten hatte: ,Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, gewissen Geist. '
Na, sie können sich denken, die beiden Mädel fingen an zu kichern und zu spotten. Aber die Kleine kümmerte sich nicht darum. Sie schlief ein. Und am nächsten Morgen betete sie ihr Sprüchlein aufs neue.
Wieder großes Hallo der beiden. Als aber die Kleine am Abend wieder betete und eines von den beiden Mädchen anfing zu lachen, sagte das andere ernst: ,Du, dies Kind hat recht; das ist es, was uns fehlt: ein reines Herz. O Gott, ja, das fehlt mir. Ich bete mit!'
Und wahrhaftig, das Mädel betete auch: ,Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz und gib mir einen neuen, gewissen Geist!' Nach drei Tagen betete auch die andere um einen neuen Geist. Und nun wissen Sie das besser als ich, Herr Pastor, wenn man um den Heiligen Geist bittet, dann kommt er.
Ich will's kurz machen. Meine Mädel wurden ganz anders. Ich fragte: ,Wie kommt das, daß ihr so anders geworden seid?' Da erzählten sie alles. Und sie sagten: ‚Wenn der Geist hier im Haus nicht anders wird, dann gehen wir.' Nun, ich erschrak, Sie hatten recht. Da fing auch ich heimlich an zu beten. Und heute sieht es bei uns anders aus, völlig anders. Mein Mann hält mit uns des Morgens Andacht. Wo früher der Teufel regierte, da regiert heute Gottes neuer Geist, und das alles kam durch dieses Kind."
Aufmerksam
hatte der Pfarrer zugehört. „Liebe Frau", sagte er tief bewegt, „das Kind
wird konfirmiert!"
„Fränzken", von dem diese Geschichte handelt, ist heute ein
stattlicher junger Mann. Er nimmt es mir nicht übel, daß ich die Geschichte
weitererzähle, und denkt gewiß, sie könnte manch einem ein „Licht aufstecken
helfen". — —
„Und am allerschlimmsten sind die Konfirmanden", schloß der Mann
seinen Bericht über meine neue Gemeinde. „Da nehmen Sie am besten jedesmal
einen kräftigen Rohrstock mit."
Mir wurde angst und bange. Da stand ich nun als blutjunger Pfarrer vor
dieser großen Gemeinde. Wenn der Mann recht hatte, dann mußte es eine
furchtbare Horde sein, die hier hauste. Und die Konfirmanden! O du liebe Zeit!
Ich hatte in meinem Leben noch nie einen Jungen verhauen und gedachte es auch
in Zukunft so zu halten. — Wie würde es mir ergehen?
Mit furchtsamem Herzen stand ich am nächsten Morgen vor meinen
„Wilden". Aber bald merkte ich, daß die ebenso Angst hatten vor mir wie
ich vor ihnen. Da mußte ich lachen, und es wurde sehr nett.
Allerdings — einer fehlte — „Fränzken". Als ich nach ihm fragte,
ging ein Schmunzeln durch die Reihen. „Aha", dachte ich, „das ist wohl der
Häuptling eurer Streiche! Darum seid ihr so manierlich, weil der fehlt!"
Und ich nahm mir vor, auf der Hut zu sein vor „Fränzken". Aber
„Fränzken" boykottierte mich. Er erschien einfach nicht. Also mußte ich
mich eines Tages auf den Weg machen, „Fränzken" zu suchen.
Ein niedriges, schmutziges Haus, geschwärzt vom Ruß der nahen
Industriewerke, in der Nähe einer Großstadt-„Aschenkippe".
Auf mein Schellen öffnet ein junges Mädchen die Tür. Sie mustert mich
erstaunt und — läuft ins Zimmer zurück. Ich gehe ihr nach. Aus der anliegenden
Kammer höre ich klägliches Jammern. Ich gehe hinein. Ein furchtbares Bild: auf
dem schmalen
Bett liegt eine Frau im allerletzten Stadium einer entsetzlichen
Wassersucht. Ein schrecklicher Anblick!
Und dies arme Weib jammert. Es dauert erst einige Zeit, bis ich sie
verstehe: „Mein armer Junge! Mein armes Fränzken! Kein Mensch hat ihn lieb! Der
Lehrer haut ihn! Der Vater haut ihn! Der Pfarrer haut ihn! O mein Fränzken! Nur
ich habe ihn lieb! Und ich muß sterben ..."
Ich bin erschüttert. Das ist Mutterliebe! Sie denkt nicht an ihr Elend.
Sie denkt nur an ihr Kind.
„Ich will Ihren Jungen liebhaben", sage ich bewegt.
Zwei Tage lebt sie noch. Zwei Tage, an denen der Mann irgendwo im
Gasthaus saß.
Zwei Tage, in denen Gottes Wort Einzug hielt in der armen Hütte und der
Heiland Jesus einem armen Menschenherzen seinen Frieden schenkte. Dann ging
sie heim. Bei der Beerdigung sah ich zum erstenmal „Fränzken". Er war ein
großer, starker Junge mit verschlossenem Gesicht. Wir schlössen, so gut es
ging, Freundschaft miteinander. Und von da ab kam er nach der Schule häufig zu
mir und wurde immer mehr unser Hausgenosse. Trotzdem war mir immer so, als
stehe zwischen ihm und uns eine Mauer.
Kurz vor Ostern war Konfirmation. „Fränzken" stand in der großen
Schar der Kinder. Er sah ungewohnt feierlich aus in seinem dunklen Anzug und
dem Stehkragen. Was in ihm vorging, konnte ich nicht erkennen. Die Mauer stand
dazwischen.
Eine Woche später war das Abendmahl der Konfirmanden. Am Abend vorher
sammelte ich noch einmal die Schar, um ihnen eine Vorbereitung zu geben für die
wichtige Stunde.
Das machte ich so: Ich hatte ein Steinhausen-Bild vom Großen Abendmahl
aufgehängt. „Kinder!" sagte ich, „dies Bild ist noch nicht zu Ende. Das
geht da über den Rand hinaus weiter. Und da dürft ihr stehen. Auch euch
hat der Heiland an seinen Tisch gerufen und geladen. Das ist eine hohe Ehre und
eine ganz große Freude." So erklärte ich ihnen das Abendmahl.
Dann sangen wir noch ein Lied, beteten und gingen still nach Hause.
Als Letzter verließ ich den Saal. Im Hof stand noch ein Trüpplein
Jungen. „Na, was ist los?" fragte ich. Schweigend wiesen sie auf
„Fränzken". Der stand da, an die Mauer gelehnt. Die hellen Tränen liefen
ihm über die Backen. Der ganze Kerl war ein Bild unsagbaren Jammers. „Was ist
denn mit dir los?" fragte ich. Keine Antwort. Da nahm ich ihn
kurzentschlossen am Arm und brachte ihn in meine Wohnung.
Da saß er nun weinend vor mir und — schwieg. Mir griff das ans Herz. So
ein Junge weint nicht. „Nun rück mal raus, Fränzken, was drückt dich? Komm,
sag's mir!" Da kam es heraus, stotternd — schluchzend: „Alle dürfen morgen
zum Abendmahl gehen, nur ich nicht." — „Du nicht? Warum du nicht?" — „Ich
— ich bin zu schlecht!" Ich war tief bewegt. Wenn dieser
trotzige Junge so erschüttert war, dann wurde es ernst. — Ja, es wurde ernst.
Was nun gesprochen wurde, soll kein Mensch erfahren. Das geht keinen Menschen
etwas an. Das war nur bestimmt für Gott. Als Fränzken fertig war mit abladen,
war's ein ganzer Berg von Schuld. Erschüttert sind wir niedergekniet und haben
alles vor den Herrn Jesus hingelegt und sein Erbarmen angerufen. Und dann habe
ich gesagt: „So, Fränzken, jetzt mußt du aber auch glauben, daß auch du,
gerade du, zum Herrn Jesus kommen darfst."
Nie vergesse ich diese Abendmahlsfeier. Alle Kinder traten an den Altar
mit ihren Angehörigen. Aber dann kam „Fränzken!" Ganz allein kam er über
den Altarplatz auf mich zu. Seine Mutter war tot. Sein Vater saß irgendwo in
der Wirtschaft. Doch „Fränzkens" Angesicht glänzte vor Freude.
Mir aber fiel Jesu Wort ein:
„Also wird Freude sein im Himmel über einen Sünder, der Buße tut, vor neunundneunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen."
Und wo endet solche Erziehung?
Es ist schrecklich, wenn ein Mann weint! Worüber können einem
richtigen Mann die Tränen kommen? Es ist das Leid um den eigenen Sohn. Das kann
einen Mann schon im Tiefsten erschüttern. Das Leid ist aber dann besonders
bitter, wenn solch ein Mann als Vater sich sagen muß: Das habe ich selbst
verschuldet.
Doch laßt mich lieber die Sache der Reihe nach erzählen:
Den Sohn lernte ich als vierzehnjährigen kleinen Kerl kennen. Da kam er
in die Bibelstunden, die wir für solche Jungen eingerichtet haben.
Mit großer Freude kam er. Wie der vom Pflug aufgerissene Ackerboden die
Körner, so nahm sein Herz den guten Samen des Wortes Gottes auf. Wie die
Sonnenblume sich nach dem Licht hinwendet, so streckte der Junge sich nach
Jesus und seinem Heil aus.
Dann kam eine Zeit, die Zeit des Dritten Reiches, da standen unsre
Bibelstunden im Mittelpunkt des Kampfes. Man lief Sturm dagegen. Es wurde
erklärt, es sei unnötig und unnatürlich, wenn frische Jungen in Bibelstunden
zusammenkämen. Und die Jungen, die doch kamen, wurden verspottet und
ausgelacht, ja, manchmal bedroht. Die Jungen trugen das tapfer. Sie verstanden
gut, daß man um Jesu und der Wahrheit willen auch Kampf auf sich nehmen muß.
Aber viele Eltern wurden ängstlich. Unter ihnen auch der Vater meines
jungen Freundes. Er meinte: „Man kann ja auch so ein Christ sein."
„Nein", sagten wir ihm, „es gibt kein Christentum ohne Gemeinschaft unter
Gottes Wort."
„Ja, aber wenn mein Junge dadurch auffällt, wenn man ihn für rückständig
oder gar für dumm hält? Und er muß doch vorwärtskommen! Vorwärtskommen muß er
auf alle Fälle. Da darf man auch schon mal das Segel nach dem Wind
stellen."
„Lieber Herr", so machte ihm der Leiter unserer Jungenstunde klar,
„gewiß soll Ihr Junge vorwärtskommen! Und das wird er auch, denn er ist ein
tüchtiger Kerl. Wenn Sie ihn aber abhalten, in unsere Bibelstunde zu kommen,
dann nehmen Sie dem Jungen den Halt ..."
„Ach was, den Halt muß er in sich haben!"
„Nein, Sie irren sich. Wir haben keinen Halt in uns. Nur wenn so ein
Junge den Herrn Jesus kennt, dann hat er Halt."
Aber der Vater setzte seinen Willen durch. Es gelang ihm, den eigenen
Sohn zu überreden, von den Bibelstunden fernzubleiben. Immer wieder luden ihn
die anderen jungen Freunde ein, die noch zur Jugend-Bibelstunde kamen. Sie wußten
ja nicht, was vorangegangen war. Sie bedauerten nur, daß dieser Freund nicht
mehr kam, und suchten vergeblich nach Gründen.
Die Folge war natürlich, daß der Junge seine alten Freunde mied und
ihnen, wo er nur konnte, aus dem Wege ging. Es dauerte auch gar nicht lange,
dann hatte er andere Freunde gefunden, denen die Bibelstunde für Jungen schon
lange ein Dorn im Auge war.
Königlich freuten sich diese, daß nun einer von den „frommen
Knaben" zu ihnen stieß. „Dem wollen wir es beibringen!" hieß die
Parole. Und sie brachten's ihm bei. Der Vater merkte das zum ersten Male am
Karfreitag, als die ganze Familie zur Kirche gehen wollte. „Ich gehe
nicht", erklärte patzig der Junge. „Du nicht? Warum denn nicht?"
fragte erstaunt der Vater. „Ach, das ist doch alles Quatsch!" stieß der
Junge heraus. „Man muß Geduld haben", dachte der Mann und ließ seinen Sohn
zu Hause. Aber wenige Tage später beklagte sich die Mutter: „Unser Junge wird
so frech. Ich kann ihm gar nichts mehr richtig sagen. Sofort widerspricht
er."
Der Vater war erstaunt. Sein Sohn?! Er war doch immer so stolz
auf seinen gehorsamen Sohn gewesen. So stellte er ihn kurzerhand zur Rede. Der
Junge aber begehrte auf. Da wurde der Vater zornig und haute „dem Bengel"
eine kräftige Ohrfeige herunter.
Seit diesem Tage war die Brücke zwischen Vater und Sohn abgebrochen. Es
würde zu weit führen, wollte man die ganze Leidensgeschichte erzählen, die nun
folgte. Der Junge tat, was er wollte. Er kam spät nach Hause, er rauchte
unheimlich viel Zigaretten. Abende lang saß er in den Kinos. Na, und so weiter
. . .
Es half keine Strafe und keine Ermahnung mehr, es wurde immer nur
schlimmer. Und eines Tages kam der „große Knall". Da erschien nämlich der
Chef, bei dem der Junge in der Lehre war. Und jetzt kam eine ganz böse, dumme
Geschichte ans Tageslicht.
In den Tagen war es, als der Mann mit tränenden Augen vor mir
saß. Natürlich, vorwärtskommen — dreimal Ja! Aber Gottes Wort hören — bloß das
nicht! Der Preis war ihm zu hoch gewesen.
Es bleibt dabei, daß alles nichts hilft, wenn wir das Feinste versäumen:
unsere Jugend zu Jesus zu bringen! Denn: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er
die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?"
Er war ein prächtiger Bursch, der junge Gärtnergeselle.
Bei seiner Schloßherrschaft war er wohl angesehen. Und auch das
Dienstpersonal im Schloß mochte ihn gut leiden.
Kein Wunder, daß die Dorf Jugend ihm anhing und ihn schnell mit
hineinzog in ihr lautes und wildes Treiben.
Ganz wohl war ihm nicht dabei. Er kam aus einem frommen und
christlichen Elternhaus. Seine Mutter hatte ihm mit viel lieben Ermahnungen
eine Bibel in den Koffer gepackt.
Aber wenn der „Schwarze Karl" aus dem Dorfe ihn zum Tanzboden
abholte, dann war das alles vergessen. Ja, es war deutlich zu sehen, daß der
„Schwarze Karl" immer größeren Einfluß auf ihn gewann.
Aber da war noch einer im Dorf, der sich um den jungen Gärtner kümmerte:
ein frommer, gläubiger Maurermeister. Der hatte auch Wohlgefallen an dem jungen
Menschen. Mit großer Betrübnis sah er, wie er immer mehr in ein gottloses und
zuchtloses Leben hineingeriet.
So lud er ihn oft in sein Haus ein. Und der junge Gärtner kam gern
dorthin. Ja, in der Tat fühlte er sich hier viel wohler als unter seinen
leichtsinnigen Gesellen. Die fröhliche und gütige Art und das geheiligte Wesen
des Alten zogen ihn stark an.
Aber wenn der „Schwarze Karl" ihn zu einer Bierreise abholte,
versank das alles wieder, und der junge Gärtner wurde wilder als zuvor.
So wurde er hin und her gerissen. Gott und der Teufel stritten um seine
Seele. Dabei wurde er immer unsteter. Seine Arbeit ließ nach. Er, der früher
ein hervorragender Arbeiter war, mußte manchen Tadel einstecken.
Und dann kam die Kirmes. Ein großer Tag im Dorf!
Tagelang vorher begann die Vorbereitung dafür.
Große Brauereiwagen schafften Bierfässer heran. Karussells und
Verkaufsbuden wurden aufgeschlagen. Die Mädchen sprachen von neuen Kleidern;
und die jungen Burschen überschlugen ihren Kassenbestand.
„Du", sagte der „Schwarze Karl" zu unserm jungen Gärtner, „das
muß ein ganz großer Zug werden. Da wollen wir alles Geld, das wir haben, auf
den Kopf hauen. Ich habe eine ganze Gesellschaft zusammen. Wir wollen einmal
das Dorf aufdrehen, daß es eine Art hat. Du machst doch mit?"
„Natürlich!" antwortete der Gärtner. „Da wollen wir einmal Spaß
haben!"
Und der große Sonntag kam. Überall Gesang, Lärmen und Juchzen. Die Musik
spielte hinreißend. Die Köpfe der Burschen wurden rot vom Alkohol und vom Tanz.
Und mitten in dem Trubel unser junger Gärtner! Er ist einer der
Wildesten. Aber es ergeht ihm seltsam. Je leichtsinniger und ausgelassener er
sich benimmt, desto öder wird es ihm im Herzen. Nein, er ist gar nicht
fröhlich. Im Gegenteil: es ist, als liege eine Last auf seiner Seele. — Er
will's abschütteln. Er tut noch ausgelassener. Aber sein Herz wird nur schwerer
dabei.
Und plötzlich — er sitzt vor dem Bierglas und starrt in den Schwärm der
Tanzenden — sieht er dies ganze Gewühl mit anderen Augen. Es erscheint ihm wie
ein großer Strom, der mit lautem Brausen dem ewigen Verderben entgegeneilt. Und
er — er ist mitten drin. Er, den sein Herr und Heiland so oft gerufen hat. Er,
der von der Erlösung durch Jesus weiß. Er, der den Weg zum Seligwerden wohl
kennt — er ist mitten im Strom des Verderbens.
Er hält es nicht mehr aus. Er springt auf, stößt krachend seinen Stuhl
zurück und eilt hinaus.
Er hört es nicht mehr, wie sie ihm lachend nachrufen. Er achtet nicht
darauf, daß ein paar ihm nacheilen.
Er läuft zum Dorf hinaus, durch Felder und Wälder. Er sieht nicht, wo er
ist. In ihm tobt ein Sturm. „Kann ich und darf ich noch heraus aus dem Strom
des Verderbens?" fragt sein Herz.
Spät am Abend kehrt er in seine Kammer zurück. Dort schließt er sich
ein. Dann wirft er sich auf die Knie und liefert sich seinem Heiland Jesus Christus
völlig aus. Von da an war die Richtung seines Lebens entschieden. Es machte ihn
auch nicht wankend, daß der „Schwarze Karl" sein erbitterter Feind wurde.
Der junge Gärtner wurde später Lehrer, dann Leiter eines großen
Waisenhauses und einer Vorbereitungsschule für Lehrer. Daher wurde er vielen
ein Wegweiser zum ewigen Leben.
In der Ewigkeit wirst du auch einmal seinen Namen erfahren.
In diesen Tagen blätterte ich wieder einmal in alten Familienpapieren.
Das ist gut und nützlich. Daraus lernt man seine Vorfahren kennen. Man
profitiert aber auch allerlei anderes dabei. Eine hübsche kleine Geschichte von
meinem Großvater möchte ich euch jetzt erzählen:
Mein Großvater Wilhelm kam als ein strammer Bursche zum Militär. Er
freute sich auf die Zeit „bei den Preußen". Freilich nahm er sich gleich
vor, vom ersten Tage an offen zu bekennen, daß er ein Jünger Jesu sei.
Das gab natürlich mancherlei Spott. Die Kameraden konnten es einfach
nicht verstehen, daß ein frischer, fixer Bursche, wie es mein Großvater war, in
der Bibel lese und bete. Noch mehr ärgerte es sie freilich, daß Wilhelm in
manchen Dingen nicht mittun wollte. So hieß er denn „Mucker! Pietist! Wassertrinker!"
und was der lobenswerten Titel mehr waren. Er aber ließ sich täglich Kraft, Mut
und Freudigkeit schenken, in seiner Bibel zu lesen. Alle Schmähungen und allen
Spott ertrug er mit freundlicher Ruhe.
Nach einem halben Jahr kam das Probeschießen. Jeder von der Kompanie
hatte drei Schüsse auf die Scheibe abzufeuern. Endlich kam auch Wilhelm an die
Reihe. Vorher sprach er still für sich, ohne die Lippen zu bewegen, zu seinem
Herrn etwa folgendes Gebet: „Wenn Du mich heute zu Ehren bringen wolltest,
nachdem ich um Deinetwillen schon viel Verachtung erfahren mußte, hätte ich, lieber
Herr, nichts dagegen. Doch Dein Wille geschehe!"
Er zielt ruhig. Jetzt knackt der Hahn. Krach! Die Kugel sitzt mitten im
Zentrum.
„Alle Wetter!" sagt der auf sichtführende Leutnant. „Solch guter
Schuß ist schon lange nicht mehr gefallen!"
Wilhelm bereitet den zweiten Schuß vor. Aber nicht bloß das Gewehr,
sondern auch sich selbst, indem er ganz still bei sich spricht: „Herr, stärke
mich!" Ruhig drückt er jetzt ab, und wieder sitzt die Kugel im Schwarzen.
„Sapperment nochmal, was ist mit dir los? Kannst du hexen?"
Wilhelm schiebt die dritte Kugel ins Gewehr. Wieder durchbohrt sie die
12.
„Das ist ja gar nicht möglich", ruft der Leutnant. „Mensch, gib mal
dein Gewehr her. Was hast du denn bloß für eine Knarre?"
Jetzt zielt der Leutnant mit Bedacht, aber ins Zentrum trifft er nicht.
Seit der Zeit war Wilhelm nicht mehr eine verachtete, sondern eine
geachtete Persönlichkeit.
Warum treffen wir so wenig, warum glückt's uns so selten, warum sind wir
so oft Pechvögel, warum hat sich manchmal alles rein wie gegen uns verschworen?
Im Psalm 1 steht das eigenartige Wort von dem Mann, der Lust hat zum
Gesetz des Herrn und der ist wie ein Baum an Wasserbächen: „Was er macht, das
gerät wohl!" Denke doch dem ein wenig nach! Es wird dir sicherlich zum
Segen sein.
Heftig löffelt er seine Suppe, die ich ihm habe hinstellen lassen. Es
ist ein noch junger Mann, eine stattliche Erscheinung. Aber sein Anzug ist
zerlumpt und verdreckt, seine Schuhe sind zerrissen. Nun, das kommt von der
Arbeitslosigkeit und Wanderschaft. Dafür kann er nichts. Aber sein Gesicht!!
Verwüstete, unstete Züge verraten ein zügelloses Leben. Tief hat die Sünde ihre
Spuren in dies Gesicht eingeschrieben.
Nun ist er fertig, legt den Löffel hin. Er steht langsam auf, streckt
mir die Hand hin: „Ich danke auch!" Und will gehen.
Da muß ich seine Hand festhalten. Und es fährt mir heraus: „O Mann, Sie
sollten ein Ebenbild Gottes sein! Was hat die Sünde aus Ihnen gemacht!"
Er sieht mich groß an und geht. Und auch ich gehe und vergesse dies
kleine Erlebnis. —
Zwei Jahre später. Ich bin zu Besuch in einem kleinen süddeutschen
Städtchen. Da spricht mich eines Tages eine liebe alte Frau an: „Ich muß Ihnen
doch einmal sagen, daß ich jeden Tag für Sie und Ihre Arbeit bete."
Erstaunt sehe ich sie an. „Das
ist aber schön", sage ich, „das kann man brauchen. Aber erklären Sie mir,
wie Sie dazu kommen."
„Ja", meint die Frau, „das hat seine besondere Geschichte. Sehen
Sie, ich habe einen kleinen Laden. Und da kommen die Reisenden häufig mit ihren
Autos an und offerieren ihre Waren. Da kam nun seit einiger Zeit ein so
netter, stattlicher Reisender, der mir wegen seines stillen, ernsten Wesens
ganz besonders gefiel. Darum lud ich ihn eines Tages zu einer Tasse Kaffee
ein. Als wir so zusammensaßen, sagte er: „Das sehen Sie mir wohl nicht an, daß
ich vor zwei Jahren ein ganz verkommener ,Sonnenbruder’ war?" „Nein",
sagte ich erstaunt, „wie war denn das?" Und dann erzählte er mir, wie er
als junger Bursch sich mit seinen Eltern verkrachte, wie er in die Welt lief,
wie er allen Schmutz der Großstadt kennenlernte, wie er von Stufe zu Stufe
sank. Schließlich landete er auf der Landstraße. „Und", so erzählte er,
„eines Tages kam ich auf meinen Fahrten in ein Haus, wo mir ein Mann zu essen
gab. Als ich gehen wollte, sagte er mir: ,Sie sollten ein Ebenbild Gottes sein!
Was hat die Sünde aus Ihnen gemacht!' Dies Wort" — so erzählte er — „traf
mich wie ein Blitzstrahl. Wie in grelles Licht getaucht lag mein verlorenes
Leben vor mir. Ich spürte förmlich den Zorn Gottes über mein verlorenes Leben.
Wie ich aus dem Hause kam, weiß ich nicht mehr. Ich lief durch die Straßen der
großen Stadt, ich wanderte weiter. Aber Tag und Nacht ließ mir dieses Wort
keine Ruhe, bis ich endlich einen fand, der mir weiter half. Er zeigte mir den
Einen, bei dem wir verlorene Menschen unseren verlorenen Adel wiederfinden: Jesus,
unseren Heiland!" So erzählte er. Und dann berichtete er noch kurz,
wie er zu seinen Eltern zurückkam, wie er auch äußerlich wieder ein geachteter
Mensch wurde."
Die Geschichte der alten Frau hatte mich tief bewegt. Dankbar drückte
ich ihr die Hand. Und unsere Gedanken gingen zu all den jungen Menschen, die
verirrt auf den Straßen der Welt laufen . . .
Mein Freund Josef X nimmt es mir nicht übel, wenn ich hier eine
Geschichte von ihm wiedergebe. Erzählt er sie doch selbst gern. Und er ist, wie
ich, der Überzeugung, daß manch einer dadurch Wichtiges lernen kann.
Ich war damals Pfarrer in einem Bergarbeiter-Bezirk. Eines Morgens
verlangt ein Mann mich zu sprechen. An den feinen blauen Narben an Gesicht und
Händen erkenne ich sofort den Bergmann. Das sind die Spuren, die die
unterirdische Arbeit an der Kohle hinterläßt.
„Herr Pfarrer", sagt er zu mir, „darf ich Ihnen mal eine Geschichte
erzählen?"
„Gewiß! Bitte!"
„Sehen Sie, ich bin Bergmann. Dann noch Familienhaupt und Vater von drei
Kindern. Sonst ist von mir nicht mehr viel zu sagen, als daß ich ein ganz
gottloser Mensch bin. Um Gott und die Religion habe ich mich seit meiner
Konfirmation nie mehr gekümmert, außer wenn ich fluche.
Sie wissen ja, wie die Bergleute fluchen können. Sie fluchen, wenn sie
einfahren; sie fluchen, wenn sie ausfahren . . .
Dann ist noch zu sagen, daß ich auch gern eins trinke und in den Kneipen
sitze.
So! Und nun kommt die Geschichte:
Also: Ich bin eines Tages „vor Ort". Es war an der Stelle furchtbar
eng und niedrig. Während ich arbeite, höre ich plötzlich ein merkwürdiges
Knirschen und Knacken. Erschrocken schaue ich auf. Aber ehe ich noch recht
überlegen kann, bricht das Gestein über mir zusammen.
Erschrocken rufe ich noch laut: ,Ach Gott . . .!' Dann ist es dunkel,
und ich weiß nichts mehr.
Als ich wieder zu mir komme, liege ich schwer verbunden in einem
Krankenhausbett. Langsam besinne ich mich und bin sehr verwundert, daß ich hier
liege. Denn so 'ne Sache geht in den meisten Fällen mit 'nem Todesfall aus.
Ein paar Tage später kommen dann meine Kumpels zu mir ins Krankenhaus
und erzählen, wie alles gegangen sei. Einer in der Nähe hätte noch meinen
Schrei gehört, schnell Hilfe geholt, dann hätten sie mich herausgegraben,
schwer zerschunden, aber doch lebendig.
Wie meine Kumpels mich wieder einmal besuchen, meint einer lachend: ,Du
bist mir ein schöner Idiot! Weißt du, was du im „Pütt" unten gerufen hast,
als das Gestein herunterkam? ,Ach Gott . . .!' Das habe ich deutlich gehört. Ha — ha —ha! Gott hat dich aber nicht retten können. Aber wir, wir, deine Kumpels,
wir haben dich rausgebuddelt und gerettet!'
Alles lacht. Ich auch.
Und ich wurde in meiner Gottlosigkeit bestärkt.
Ich wurde auch wieder gesund und fing wieder an zu arbeiten. Aber wenn
ich nun von der Morgenschicht komme, gegessen habe und ein wenig im Bett
liege, dann — ja, sehen Sie — dann fängt in meinem Hirn ein merkwürdiger
Gedanke an zu bohren."
Bis hierher hat er erzählt. Jetzt aber stockt die Rede. Er gerät in
tiefes Nachsinnen.
„Was ist denn das für ein Gedanke?" unterbreche ich die Stille.
Er fährt raus: „Ja, das ist so! Meine Kameraden haben ja ganz recht: sie
haben mich rausgebuddelt. Aber das ist ja gar nicht alles. Wenn einer unter das
Gestein kommt wie ich, dann ist er in den meisten Fällen tot. Und — ich bin nicht
tot. Wie durch ein Wunder bin ich am Leben geblieben. Und nun quält mich
die Frage: ,Wer hat mich so lange unter dem Gestein am Leben erhalten?'"
Fragend schaut er mich an.
Da muß ich lachen. Ich schlage ihm auf die Schulter. „O Mann", sage
ich, „das wissen Sie ja ganz genau. Sprechen Sie es nur ruhig aus. Das war
Gott. Seine gnädige Hand hat Sie gerettet.
. . . In wie viel Not
Hat nicht der gnädige Gott
Über dir Flügel gebreitet?! . . ."
„Ja", meint er, „das habe ich mir auch gedacht." „Aber das ist
nun nicht alles", sage ich. „Meinen Sie denn, Gott habe Sie erhalten,
damit Sie Ihr altes Leben weiterführen? O nein! Diese Errettung ist ein Ruf
Gottes an Sie. Den sollten Sie auf keinen Fall überhören!"
Da springt er auf: „Das ist es ja, worüber ich immer nachdenken muß.
Aber — ich weiß nicht, wie das weitergeht."
Nun darf ich ihm zeigen, „wie das weitergeht". Wir nehmen die Bibel
vor, und ich zeige ihm Jesus.
Und als ein anderer Mensch ging er von da an durch die Welt.
Die Geschichte von einem gestörten Feierabend
„Hans, nun sag' mir mal, wie bist du eigentlich zu uns gekommen?"
Fragend schaute ich den Mann an, der da groß und breitschultrig vor mir
stand.
Der lachte. Umständlich klopfte er seine Pfeife aus, stopfte sie neu und
steckte den Tabak in Brand.
„Wie es kam, daß ich in eure Bibelstunde kam und in euren Männerkreis —
— ja, mein lieber Pastor, das ist eine merkwürdige Geschichte. Wenn's angenehm
ist, gehe ich ein paar Schritte mit und erzähle."
Ich war gespannt. Seit ein paar Jahren sammelte ich in dem
Arbeiterbezirk Männer um Gottes Wort. Es war bestimmt nicht einfach. Einer
hatte einst bei meiner Ankunft erklärt: „Mensch, pack gleich deinen Koffer
wieder und hau ab! Hier ist nischt zu machen!" Trotzdem hatte ich im
Glauben angefangen, und es kamen immer mehr.
So war auch eines Tages dieser Hans erschienen und kam seitdem treu. Ja,
er war bald einer der Eifrigsten in der kleinen Kampfgemeinschaft, in der wir
alle „du" zueinander sagten. —
„Also", fing er an, „was ich früher für einer war, das ist dir ja
wohl bekannt."
Ich nickte. Ja, er war ein gottloser Kerl gewesen. Bei jeder richtigen
Sauferei war Hans dabei. „Des Teufels Gesangbuch", das Kartenspiel, war
seine Leidenschaft. Und fluchen konnte er, daß einem angst und bange wurde.
„Eines Abends liege ich im Fenster", fuhr er jetzt mit seiner
Erzählung fort. „Es war ein schöner, warmer Sommerabend. Ich sah den Kindern
zu, wie sie auf der Straße spielten. Ich sah den Frauen nach, die dies und
jenes einholten. Ich sah ein paar Kumpels nach der Kneipe gehen und überlegte
gerade, ob ich mitgehen sollte — da sehe ich ein Trüppchen Männer vorbeigehen.
Nun, du weißt, ich wohne im Erdgeschoß und konnte sie deshalb anrufen:
,Wo wollt ihr denn hin?'
,In die Bibelstunde!' sagt einer.
Mir bleibt die Sp... weg. ,Wat', rufe ich. ,Bibelstunde? Bibelstunde?
Da gehen doch bloß alte Weiber und Kinder hin!'
,Bei uns nicht!' sagt einer und guckt mich an. ,Bei uns gehen auch
Männer hin!'
Und dann gehen sie weiter. Ich lache hinter ihnen her. ,Ihr
Bibelidioten!'
Aber nun paß auf. Kaum sind sie weg, da packt mich eine merkwürdige
Unruhe. Die läßt mich die ganze Woche nicht los. Als der bewußte Tag kommt,
stehe ich hinter dem Fenster und gucke: richtig, da laufen sie wieder!
Und in dem Augenblick wußte ich ganz klar: du mußt auch mit!
Ich habe mich selber ausgelacht, ich habe mich betrunken, ich habe
geflucht und gespottet.
Es half nichts. Jedesmal, wenn der bewußte Tag kam, stand ich hinterm
Fenster und schaute ihnen nach. Und jedesmal zog es mich wie mit tausend
Stricken, ihnen nachzugehen.
So ging das sieben Wochen. In der achten Woche nahm ich die Mütze vom
Nagel und ging den Kumpels nach. —
Bis in den Saal.
Ja, und da setzte ich mich in die Ecke.
Und dann kamst du. Da wurde gesungen und gebetet und aus der Bibel was
vorgelesen. Und dann — — na, das weißt du ja!"
Erstaunt legte ich dem Hans die Hand auf den Arm: „Was war dann? Ich
weiß von nichts."
Hans guckt mich ein bißchen ärgerlich an: „Ja, dann fingst du doch an,
von mir zu reden. Die anderen werden dir wohl vor der Türe gesagt haben, was
ich für einer sei, und daß ich da sei."
Jetzt muß ich lachen: „Nee, Hans, ich habe nie von dir gesprochen. Aber
wenn's gleich bei dir eingeschlagen hat, dann ist das nur wieder ein Beweis
dafür, daß Gott recht hat, wenn er sagt:
,Ist mein Wort nicht wie ein Feuer und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt?'"
Eine Zeitlang gehen wir schweigend nebeneinander. Endlich sagt mein
Hans:
„Merkwürdig ist das doch; wie will man das erklären?"
„Oh, ich kann es wohl erklären", entgegnete ich. „Die Erklärung
steht im Neuen Testament in Lukas 15; da sagt der Herr Jesus:
‚Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat, und er eines
verliert, nicht lasse die neunundneunzig in der Wüste und hingehe
nach dem verlorenen, bis daß er's finde? Und wenn er's gefunden hat, so
legt er's auf seine Achseln mit Freuden. Und wenn er heimkommt, ruft er seine
Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freuet euch mit mir; denn ich habe
mein Schaf gefunden, das verloren war.
Ich sage euch: Also wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder,
der Buße tut.'
Hans, dir ist Jesus nachgegangen . . .!"
„Ha, ha, ha", lachte der Mann und wischte sich den Schnurrbart.
„Lieber Herr Pfarrer, lassen Sie mich mit Ihrem Christentum in Ruhe. Der eine
sagt so und der andere so, und am Ende weiß man gar nicht mehr, was man glauben
soll. Und so habe ich mir meinen eigenen Glauben zurecht gemacht. Mein Glaubensbekenntnis
heißt: Zwei Pfund Rindfleisch gibt eine gute Suppe."
Ich verabschiedete mich. Es gibt einem einen Stich durchs Herz, wenn man
als Pfarrer bei seinen Hausbesuchen auf so oberflächliche und doch
entschlossene Abwehr trifft. Hier schien jedes weitere Gespräch überflüssig.
Darum ging ich. —
Wer beschreibt mein grenzenloses Erstaunen, als ich ein Vierteljahr
später diesen Mann an einem Platz wieder traf, an dem ich ihn am wenigsten
vermutet hätte. In einem kleinen Saal hatte ich jede Woche eine Bibelstunde.
Und da saß er eines Abends in der vordersten Reihe und nickte mir freundlich
zu. Nach der Bibelstunde kam er auf mich zu und sagte:
„Herr Pastor, ich habe eine Bitte."
„Wenn ich kann, will ich sie Ihnen gern erfüllen. Worin besteht
sie?"
„Ich habe eine Schwägerin. Die ist in irgendeiner Sekte. Und nun hat sie
ganz kindliche Auffassungen von der Bibel. Dauernd verfolgt sie mich mit ihren
Bibelsprüchen. Leider kann ich ihr aber gar nichts entgegnen, weil ich die
Bibel nicht kenne. Das ist ja schließlich auch ein schweres Buch. Weil ich aber
meine Schwägerin jetzt einmal richtig widerlegen will, möchte ich Sie bitten:
Lehren Sie mich die Bibel lesen."
Ich lachte: „Kennen Sie das Abc?"
„Aber gewiß!"
Da zog ich mein Taschentestament heraus, gab es ihm und sagte: „Das will
ich Ihnen schenken, wenn Sie mir versprechen, daß Sie es ganz durchlesen
wollen."
Er versprach es, nahm das Testament und ging davon. —
Ein Vierteljahr lang hörte ich nichts mehr von ihm. Eines Tages erschien
er wieder bei mir. „Nun", fragte ich ihn, „wie ist es Ihnen ergangen mit
der Bibel?"
Er wurde sehr ernst. Langsam und nachdenklich erklärte er mir:
„Ganz eigentümlich ist es mir ergangen. Ich fing an zu lesen. Und da war
vieles, das verstand ich nicht. Weil ich aber versprochen hatte, das ganze
Buch durchzulesen, machte ich weiter. Dann fand ich vieles, was mich
schrecklich ärgerte. Es war, als wenn da einer auf mich sticheln wollte. Am
liebsten hätte ich das Buch an die Wand geworfen. Aber weil ich es versprochen
hatte, las ich weiter. Und dann fand ich vieles, was mich langweilte. Aber ich
las weiter. Und sehr vieles — ja, das muß ich offen sagen — fand ich, das mich
getröstet hat, wie mich noch nie etwas getröstet hat. Und als ich das Buch aus
hatte, da mußte ich zu mir sagen: Wenn das wahr ist, was in diesem Buche steht
— und es ist wahr —, dann bis du ein verlorener Mann, wenn du weiterlebst ohne
Gott wie bisher. Und dann gab es in meinem Herzen einen heißen Kampf, bis ich
diesem Buche recht gab. Nun soll es die Grundlage meines Lebens werden."
Es sind seitdem viele Jahre vergangen. Der Mann hat sich bewährt als ein
treuer Jünger des Herrn Jesus, den er in der Bibel gefunden hat.
Es war einmal ein Mann. Der hatte einen Traum. Und zwar träumte ihm, er
sei gestorben und stehe vor dem Throne Gottes.
Es wurde dort offenbar Gericht gehalten. Denn er sah vor sich eine große
Anzahl Menschen. Einer nach dem anderen trat vor. Bücher wurden aufgetan.
Der Mann griff nach seiner Brusttasche und war sofort beruhigt, als er
hier seine Papiere fühlte.
Endlich kam auch er an die Reihe.
Da stand er vor diesen Augen, die ihn so ernst und durchdringend
anschauten. Er fühlte eine leichte Unruhe. So hatte er sich Gott nicht gedacht,
so ernst, so unbestechlich, so klar, so wirklich. Und merkwürdig — gerade in
diesem Augenblick fielen ihm eine ganze Menge Versäumnisse seines Lebens ein,
an die er vorher nie gedacht hatte. Es fiel ihm z. B. ein, daß er sich um Gott
im Ernst gar nicht gekümmert hatte. Es fiel ihm ein, daß er eigentlich nie
seinen Kindern von dieser ernsten Gerichtsstunde gesagt hatte. Es fiel ihm ein,
daß . . .
Er fuhr zusammen. Fordernd schauten ihn die Augen Gottes an. Da
schüttelte er sein Unbehagen ab, langte in die Brusttasche, zog einen Schein
heraus und hielt ihn triumphierend hin. Es war sein Taufschein. Mußte
der hier nicht genügen? Gewiß, damit würde man ihn freigeben. Das war ihm
sicher.
Ein Engel nahm ihm den Schein ab, sah hinein und legte ihn schweigend
beiseite.
Lodernd schauten die Augen den Mann weiter an. Er erschrak. Ganz
plötzlich fiel ihm ein: Hier galt der Taufschein wohl nicht als Entlastung,
sondern als Belastung, als Anklage gegen ihn. Denn hatte seine Taufe ihn nicht
verpflichtet, ernstlich Gott anzugehören?
Erschrocken fuhr er in die Tasche und zog einen anderen Schein heraus.
Es war sein Konfirmationsschein. Hier hatte er es doch schwarz auf weiß,
daß er ein guter Christ gewesen war. Das mußte Geltung haben. Nun würde man ihn
bestimmt loslassen.
Da war ihm, als sähen die Feueraugen fast spöttisch auf ihn. Der Engel
aber nahm den Schein ganz ruhig und — legte ihn beiseite.
Mit tiefem Schrecken erkannte mit einem Male der Mann: „Hatte ich mich
nicht dem Herrn Jesus angelobt in der Konfirmation? Hatte ich nicht . .
." Oh, er wußte noch sehr gut, wie ihm das Herz damals am kleinen
Dorfaltar bis in den Hals hinein geschlagen hatte. Mutter hatte geweint, Vater
hatte ihn still in die Arme genommen. Und was hatte er in der Stunde nicht
alles für Gedanken und Vorsätze im Herzen gehabt?! „Und — ich habe anderen
Göttern gedient, ich habe . . .", so ging es ihm jetzt durchs Herz.
Aber er riß sich zusammen. „Liebe Zeit, man hat doch noch mehr."
Wieder griff er in die Brusttasche, zog gleich einen ganzen Packen Zettel
heraus: „Hier! Und hier! Und hier! Bitte, bitte!" Ganz keck klang das
beinahe. Es waren lauter Quittungen über allerei Stiftungen, Wohltaten,
Kirchensteuer-Bescheinigungen und ähnliche Dinge. „Hier! Hier . .
."
„Und — — — hier!" sprach dann die Stimme Gottes gewaltig. Er
zeigte auf das Buch, das der Engel hielt. Der las:
Erstes Gebot: Ich bin der Herr,
dein Gott. Du sollst keine anderen
Götter haben neben mir.
Dieser Mann aber hat dich, o Herr, nicht geehrt. Er war sein eigener
Gott. Sein Geld war sein Gott. Die Natur war sein Gott. Er ist schuldig.
Zweites Gebot: Du sollst den Namen
des Herrn, deines Gottes, nicht unnützlich führen . . .
Dieser Mann aber hat deinen Namen nicht im Gebet, im Loben und Danken gerufen.
Er hat ihn beim Fluchen leichtsinnig mißbraucht. Er hat gedankenlos deinen
Namen dauernd im Munde gehabt. Aber sein Herz war tot. Er ist schuldig.
Drittes Gebot: Du sollst den Feiertag heiligen.
Dieser Mann hatte tausendfach Gelegenheit, am Sonntag dein Wort, o
Herr, zu hören. Er ist 40 Jahre alt geworden. Alle Sonntage, die er dort unten
erlebt hat, machen allein sechs Jahre aus. Am Sonntag früh las er die Zeitung.
Dann ging er spazieren, dann aß er gut, hatte Besuch, ging auf Besuch. Dein
Wort aber hat er verachtet. Er ist schuldig.
Da schrie der Mann entsetzt auf und — erwachte, schweißgebadet. Lange
lag er regungslos. Noch hielt der Schrecken ihn gefangen.
Da fiel sein Blick
auf die Wand. Richtig, da hing ja — ein wenig vergilbt — sein Konfirmationsspruch.
Eine gewisse Anhänglichkeit hatte ihn bewogen, den Spruch sich an sein Bett zu
hängen. Was darauf stand, wußte er nicht mehr. Für manches hatte er ja ein
fabelhaftes „Gummi"-Gedächtnis. Zum Beispiel Witze, gewisse lose Worte
saugten sich bei ihm fest. So was konnte er noch nach Jahren oft bis aufs
Kleinste wiedererzählen. Aber der Spruch — eigentlich hatte er ihn auch noch
nie recht verstanden.
Er richtete sich
auf und las:
„Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, sonst kann er das
Reich Gottes nicht sehen."
Und darunter stand
die zittrige Unterschrift seines alten Pfarrers, der längst tot war.
Als er ins Büro
kam, sah er etwas angegriffen aus. Seine Kollegen machten ein paar anzügliche
Bemerkungen. Er aber war ganz still. Er hatte die schwerste, aber auch die
glücklichste Nacht seines Lebens gehabt.
Nur ein Traum?
Gerade will ich zu
Bett gehen, da läutet das Telefon: „Hier das B.-Krankenhaus. Herr Pfarrer,
können Sie mal 'rüberkommen? Hier ist ein Mann, der einen Pfarrer wünscht. Aber
es muß schnell sein."
Ein wenig später
sitze ich am Bett eines Sterbenden. Es ist ein Mann in den besten Jahren. Er
ist abends in der Dunkelheit auf der Landstraße von einem Auto erfaßt worden.
Es war auf dem Asphalt naß und glitschig gewesen. Der Chauffeur hatte den Wagen
wohl nicht mehr in der Gewalt gehabt. Der Wagen war gerutscht und in voller
Fahrt gegen diesen Mann geprallt. Dem wurden beide Beine zerschmettert. Und das
Schlimmste: der Chauffeur fuhr in rasender Fahrt weiter. Der Schwerverletzte
aber blieb liegen, bis man ihn nach Stunden fand.
Und jetzt? Jetzt
ist es zu spät. Vor zehn Stunden lief er noch frisch und gesund herum. Jetzt
aber ist er ein Häuflein Elend, mit rasenden Schmerzen. Heute Mittag hätte er
noch gelacht, wenn ihm einer vom Sterben geredet hätte. Und jetzt?
„O Gott, wenn man
doch Frieden hätte! Meine Sünden! Meine Sünden! Wie kriege ich Vergebung . .
."
Ich will mit ihm
reden. Ich sage ihm Gottesworte. Ich nenne ihm den Jesusnamen. Aber er
vernimmt's nicht. Die Schmerzen überkommen ihn wie Fluten. Dann sinkt er in
Bewußtlosigkeit. So stirbt er. Erschüttert stehe ich noch an seiner Leiche.
Am liebsten möchte
ich die Fenster aufreißen und über die rauschende Großstadt hinschreien:
„Suchet den Herrn, solange er zu finden ist! Bekehret euch zeitig! Es gibt ein
Zuspät! Auf dem Sterbebett seid ihr zu schwach! Heute, so ihr seine Stimme
höret, verstocket eure Herzen nicht."
Schrecklich!
Wie dieser Mann
lästerte, spottete und fluchte! Und seine Kameraden warfen die Spielkarten hin
und fluchten mit. Und mitten auf dem Tisch stand die Schnapsflasche. — Welche
Finsternis war in diesem Herzen! Mit kalten Augen stierte mich der Mann an:
„Nee, danke", sagte er, „für Gott haben wir keenen Bedarf. Der hätte da
sein sollen, als ich verunglückte. Jetzt kann ich mein Leben lang in diesem
verd . . . Fahrstuhl sitzen."
Ingrimmig hieb er
auf die Seitenstützen seines armseligen Fahrstuhls.
Ich kannte bereits
die Geschichte seines Unglücks. Er war Bergmann gewesen. Und als er eines
Tages „vor Ort" arbeitete, brach das „Hangende" herab. Man holte ihn
zwar lebendig aus den Steintrümmern heraus. Aber — sein Rückgrat war gebrochen.
Nun war er ein gelähmter Mann. Ein gelähmter Mann, mitten in der Blüte der
Jahre. Ohne jede Hoffnung auf Besserung.
O diese
Verzweiflung! O diese Verbitterung! O diese Nacht im Herzen! —
Wohl besuchten ihn
seine Kumpel, spielten Karten mit ihm, brachten Schnaps mit. Das war gut
gemeint. Aber davon werden ein verfinstertes Herz und ein verzweifeltes Leben
nicht hell.
Am Abend nach
meinem ersten Besuch saß ich in meinem „Männerkreis". Wir forschten
zusammen in der Bibel. Wir sprachen von den täglichen Nöten und Kämpfen. Es
waren ja lauter Bergleute hier zusammen, die es nicht leicht hatten im „Kampf
ums Dasein", auch nicht leicht, in ihrer Umgebung Jesus zu dienen.
Denen erzählte ich
von jenem unglücklichen Mann. „Oho", sagten sie, „dem Mann muß geholfen
werden!"
Und in der Woche
darauf, als ich wieder unseren „Männerabend" beginnen wollte, ging
polternd die Tür auf und — der Fahrstuhl wurde hereingeschoben. Der Mann darin
knurrte und brummte wohl ein wenig. Er maulte: „Die haben mich einfach
mitgenommen, und ich kann mich doch nicht wehren." Aber man merkte schon,
im Grunde war er dankbar, daß sie ihn aus seinem „Bau" herausgeholt
hatten. Ja, er spürte wohl ein wenig die Liebe, trotz der rauhen Behandlung.
Wir sangen wieder
unsere schönen Jesuslieder. „Es ist ein Born, draus heil'ges Blut für arme
Sünder quillt ..." — „Ich bete an die Macht der Liebe ..."
Wir betrachteten
miteinander Gottes Wort. Wir sprachen von unseren Nöten und brachten alles im
Gebet vor Gott.
Diese Stunde muß
dem Manne wohlgetan haben. Denn als meine Freunde ihn in der nächsten Woche
abholen wollten, da hatte er sie schon erwartet.
Von da an gehörten
der Fahrstuhl und sein Insasse zu allen unseren Stunden. Gottes Wort tat seine
herrliche Wirkung an diesem verfinsterten Herzen. Der Mann erkannte, daß sein
größtes Unheil sein verlorener Sündenzustand war. Er fing an,
den Frieden mit
Gott zu suchen, fand Jesus am Kreuz und erfuhr die Wohltat der Sündenvergebung
durch Jesu Blut.
Nun wurde alles
neu. Sein unordentliches Hauswesen kam in Ordnung. Zwar blieben alte Freunde
ärgerlich weg, aber dafür kamen andere. Wo früher nur Schimpfen und Fluchen zu
hören war, da klangen nun Jesuslieder. Die Schnapsflasche verschwand. Dafür lag
die Bibel auf dem Tisch. Frau und Kinder lebten auf. Kurz: Jesus machte alles
neu.
Eines Tages
besuchte ich ihn. Sein Fahrstuhl stand vor dem Haus am Straßenrand, wo die
Sonne so ein wenig zwischen den grauen Häusern hindurchkam. Ich setzte mich
neben ihn auf die Haustreppe.
„Herr Pastor",
sagte er, „wenn ich einmal in der Ewigkeit vor dem Thron Gottes stehe, dann
will ich ihm danken, daß —
er mir — — das
Rückgrat — zerbrochen hat."
Ich erschrak: „Das
ist aber ein großes Wort." „Ja sehen Sie, wenn mich Gott so hätte laufen
lassen, dann wäre ich schnurstracks zur Hölle gelaufen. Ich wollte auf ihn
nicht hören. Da mußte er in seiner rettenden Liebe fest zupacken, um mich zur
Bekehrung zu bringen. Und darum will ich ihm einmal danken dafür."
Ich war tief
bewegt. Er aber fuhr fort: „Sie wissen ja gar nicht, wie fröhlich mein Herz
ist. Seitdem ich weiß, daß ich Jesus gehöre, sieht mich die ganze Welt anders
an. Alles ist so fröhlich. Ja, Herr Pastor", er zeigte auf die graue
Straße, „sogar die Pflastersteine lachen mich an."
Erlebnis unter modernen Heiden
Endlos reiht sich
Haus an Haus. Immer fünf Stockwerke hoch. In dem einen Stockwerk spielt das
Grammophon kreischend einen Schlager.
Im nächsten liegt
ein sterbender Mann.
Im dritten spielt
in großer Enge ein Rudel blasser Kinder.
Jedes Stockwerk hat
seine Menschen, seine Schicksale, seine Freude und viel
bitteres Leid.
Einen Nachmittag
lang bin ich da hindurchgegangen, habe die Menschen besucht. Nun stehe ich ganz
oben im vierten Stock vor einer engen Tür.
„Junge, Junge, was
ist denn da los?" frage ich mich selbst. Hinter der Tür ist ein Krach, als
wenn die Welt unterginge. Ein paar singen. Aber das Singen wird übertönt von
Geschrei — jeder scheint da ein Redner zu sein —, von Lachen und vom Gekreisch
der Weiberstimmen.
Ich gebe mir selber
einen Rippenstoß: „Nur Mut, alter Junge!" Mein Anklopfen hört keiner. Da trete
ich so ein — und sehe, was los ist: Ein großes Schnapsgelage mit allen seinen
Folgen. Allerdings — so richtig betrunken scheint mir noch keiner. Sie sind nur
alle sehr — fröhlich? Nein! Schnaps macht nicht fröhlich. Aber
„angeheitert".
Als ich eintrete,
verstummt der Lärm einen Augenblick. Fragende Gesichter richten sich auf mich.
Dann hat mich einer
erkannt. „Der Pastor!" ruft er halb lachend, halb erschrocken.
„Der Pastor!"
ruft ebenso die Runde. Und einer fährt heraus: „Paßt auf, der will uns auf den
Himmel vertrösten." — Alles lacht.
Und kreischend
schreit ein Weib: „Herr Pfarrer, den Himmel überlassen wir Ihnen und den
Spatzen!"
Wildes Gelächter.
Mich packt der
Grimm: „Es ist nicht wahr", schreie ich nun in den Lärm. „Ich denke nicht
daran, euch auf den Himmel zu vertrösten!"
„Nanu", sagt
einer erstaunt, „ich denke, dazu sind die Pfaffen da!" — Alles stimmt ihm
zu.
„Wozu die Pfaffen
da sind", fahre ich fort, „weiß ich nicht. Aber das weiß ich, daß
ich euch nicht auf den Himmel vertrösten will. Ich denke ja gar nicht
daran."
Ich wandte mich zu
der Frau. „Sehen Sie, Sie wollen den Himmel mir und den Spatzen überlassen.
Überlassen kann man einem anderen nur, was einem gehört. Doch der Himmel gehört
Ihnen ja gar nicht."
„Ja, Mensch, was
wollen Sie denn dann von uns?" schreit ein halb Angesäuselter.
„Was ich will?! Ich
will euch nur sagen, daß keiner, aber auch keiner von euch da hinkommt. Ihr
könnt da gar nicht hinein — so, wie ihr seid. Ihr braucht euch gar keine Mühe
zu geben, dem Reiche Gottes zu entlaufen. Ihr seid schon draußen! Ihr seid
schon verlorene Leute! In meiner Bibel steht: .Wisset ihr nicht, daß die
Ungerechten werden das Reich Gottes nicht ererben? Lasset euch nicht verführen!
Weder die Hurer noch die Abgöttischen noch die Ehebrecher noch die Weichlinge
noch die Knabenschänder noch die Diebe noch die Geizigen noch die Trunkenbolde
noch die Lästerer noch die Räuber werden das Reich Gottes ererben.'"
In dem Zimmer war
es still geworden.
„Das haben wir
nicht gewußt", murmelte einer.
„Das habe ich mir
gleich gedacht", lachte ich ihn an. „Darum bin ich ja auch
hierhergekommen. Und nun laßt mich einmal ein wenig hersitzen. Ich habe euch
noch mehr zu sagen. Ich muß euch doch sagen, wie ihr gerettet werden
könnt."
Und dann erzählte
ich die Geschichte von dem verlorenen Sohn, der so verloren war, daß er
schließlich bei den Schweinen landete. Ja, und dann machte er sich auf und ging
zum Vater. Und der Vater? Was sagte der? Der lief ihm entgegen und küßte ihn.
Und ich erzählte
ihnen, wie der für uns gekreuzigte Sohn Gottes die Arme ausbreitet gegen alle
verlorenen Sünder: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben!"
Und ich erzählte
ihnen, wie der Herr Jesus die Dirne aus dem Schmutz geholt und ihr alles
vergeben hat. Wie er den Zachäus von seinen Geldsäcken befreit hat, wie er den
Raubmörder am Kreuz in letzter Stunde gerettet hat.
Und ich erzählte
ihnen, daß „der Herr nahe ist allen, die ihn
anrufen; allen, die
ihn mit Ernst anrufen". Dann ging ich. — —
Vielleicht fragt
nun einer: „Haben sie den Ruf gehört?" Ach, das ist nicht die
entscheidende Frage für dich, mein Leser!
Frage dich lieber selbst: „Habe i c h ihn denn gehört und will i c h
ihm folgen?"
Vor einigen Jahren
ist ein seltsames Buch erschienen. Es hatte den Titel: „Briefe aus der
Hölle". Darin hat sich einer ausgemalt, wie die Hölle wohl aussehen
könnte.
Eine Szene hat mir
beim Lesen tiefen Eindruck gemacht und ist mir unvergeßlich geblieben:
Der Wanderer geht
über eine endlose, graue Steppe. Überall sieht er Menschen sitzen. Sie haben
gequälte Gesichter, sie raufen sich die Haare, sie sitzen und stützen den Kopf
schwer in die Hand, sie scheinen ratlos zu sein. Es ist so, als ob sie mit
schärfster Konzentration über irgend etwas nachdenken. Die Leute können einem
leid tun.
„Worüber denkt ihr
nach?" fragt der Wanderer sie.
„Über einen
Namen."
„Über einen Namen —
über welchen Namen denn?"
„Ja, das wissen wir
eben nicht. Das ist ja gerade unser Unglück."
„Wie, das wißt ihr
nicht? Ihr denkt über einen Namen nach, den ihr nicht kennt? Das verstehe ich
aber wirklich nicht."
„Ja", sagen
die Verdammten, „wir wissen nur so dunkel, daß es einen Namen gibt, einen
starken und herrlichen Namen. Wenn wir diesen anrufen könnten, dann könnten wir
sogar hier aus der Hölle gerettet werden. Bei Lebzeiten haben wir einmal diesen
Namen gehört. Aber wir haben nicht darauf geachtet. Und nun — können wir ihn
eben nicht mehr finden. Kannst du uns nicht den Namen sagen?"
Dann hängen sich
die Verdammten an den Wanderer, flehen
und bitten, betteln
und winseln, ob er ihnen nicht den Namen nennen könnte.
Das Erschütterndste
aber kommt dann erst:
Der Wanderer nennt
ihnen nun den Namen, den einen, großen, herrlichen Namen, den Namen Jesus. Aber
so deutlich er auch den Namen ihnen sagen mag, es ist, als könnten sie ihn
nicht verstehen. Schließlich ruft er ihn so laut, daß es wie das Heulen eines
Orkans ist, er schreit ihn in alle Winde, er meint, es müßte in den Ohren ihnen
dröhnen — aber es ist, als sei ihr Ohr verstopft. Sie können den Namen nicht
hören. Sie haben kein Organ mehr, ihn zu vernehmen. Da wendet er sich traurig
von ihnen. Wie schrecklich ist das: Der Name ist da, aber sie können ihn nicht
mehr finden. Und ob man den Namen ihnen auch sagt, sie können ihn nicht mehr
fassen. —
Dir aber, mein
Leser, will ich es darum um so deutlicher zurufen:
„Wer den Namen des
Herrn Jesus anrufen wird, der soll gerettet werden“ (Apg. 2, 21). Höre es doch
beizeiten! Sammle in der Zeit, dann hast du in der Not! Wisse, je älter — je
kälter. Erst will man nicht, dann kann man nicht. Darum glaube
es doch:
„Es ist in keinem
ändern Heil, ist auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben,
darin sie sollen selig werden — — als nur der Name Jesus!" (Apg. 4,
12).
Das wird die
schrecklichste Hölle sein, daß man den Namen nicht mehr wissen darf, durch den
wir Rettung und Seligkeit erlangen. Gott helfe uns, daß wir diesen Namen ernst
nehmen, lieb gewinnen und anrufen, solange es noch Zeit ist.
Einen Augenblick
zögere ich in dem dunklen Hausgang. Den ganzen Morgen bin ich durch meine
Gemeinde gegangen, um meine Gemeindeglieder kennenzulernen.
Ja, nun kommt es
mir auf einmal zum Bewußtsein: Ich bin müde, hundemüde! Und — es sei ehrlich
gestanden — auch ein wenig verzagt. Überall fand ich kühle Ablehnung des Evangeliums;
Herzen, die, von tausend Sorgen beschwert, die eine große Sorge nicht
mehr haben: wie man selig wird. Herzen voll von Bitterkeit und Not, daß sie
nicht mehr hören konnten auf das, was ich ihnen sagen wollte.
Da hinten, in dem
dunklen Hinterhaus, soll ein alter, blinder Mann wohnen. Ich habe fast keine
Kraft und keinen Mut mehr zu diesem Besuch. Was wird der erst klagen! Und
schimpfen!
Aber dann fasse ich
mir doch ein Herz, überquere den kleinen dunklen Hof und betrete die düstere
Korbmacherwerkstatt.
Langsam gewöhnen
sich meine Augen an die Dunkelheit: Da, hinter Bergen von Körben und
zerbrochenen Stühlen, erhebt sich ein alter Mann. Als er steht, sehe ich, daß
er eine stattliche Erscheinung ist. Erloschene Augen richten sich fragend auf
mich.
„Guten Tag! Ich bin
der neue Pfarrer der Gemeinde."
Da geht ein
freundliches Lächeln über sein Gesicht. Höflich lädt er mich zum Niedersetzen
ein auf einem niedrigen Hocker. Ich bitte ihn, mir ein wenig von seinem Leben
zu erzählen.
Ja, und dann kommt
ein großes Staunen über mich. Kein Klagen höre ich, kein Schimpfen! Im
Gegenteil: der alte Mann erzählt mir, wieviel Barmherzigkeit ihm Gott in seinem
Leben getan habe. Je länger er spricht, desto mehr wird sein Erzählen ein
fröhliches Loben des großen Gottes, der durch Jesus, unsern Heiland, sein Vater
sei.
Als ich gehen will,
bittet er: „Herr Pfarrer, ich habe einen Wunsch. Lesen Sie mir doch einmal
meinen Lieblingspsalm vor, den Psalm 34." Ich ziehe mein Testament heraus
und fange an zu lesen:
„Ich will den Herrn loben allezeit; sein Lob soll immerdar in meinem
Munde sein.
Meine Seele soll sich rühmen des Herrn . . .
. . . welche auf ihn sehen, die werden erquickt, und ihr Angesicht wird
nicht zuschanden . . .
Der Herr erlöst die Seele seiner Knechte, und alle, die auf ihn trauen,
werden keine Schuld haben."
Immer noch läßt er
mich nicht gehen. „Herr Pfarrer, wir müssen noch einen Vers zusammen
singen!"
Mit sicheren
tastenden Bewegungen räumt er einen ganzen Berg Weiden und Körbe beiseite. Dann
kommt ein kleines Harmonium zum Vorschein, das er sorgfältig mit einem roten
Tuch zugedeckt hat.
Nun sitzt der alte
Mann vor dem Harmonium. Sicher gleiten seine Finger über die Tasten. Und
während seine blinden Augen aussehen, als schauten sie in die Ewigkeit, fängt
er mit kräftiger Stimme an zu singen:
Weil denn weder
Ziel noch Ende sich in Gottes Liebe findt,
Ei, so heb ich
meine Hände zu dir, Vater, als dein Kind,
Bitte, wollst mir
Gnade geben, dich aus aller meiner Macht
Zu umfangen Tag und
Nacht hier in meinem ganzen Leben,
Bis ich dich nach
dieser Zeit lob und lieb in Ewigkeit."
Erschüttert stand
ich da. Hier saß ein armer, blinder Mann und lobte Gott. Mir fiel eine
biblische Geschichte ein. Als Salomo den neuen Tempel einweihte, „konnten die
Priester nicht stehen im Hause des Herrn, weil die Herrlichkeit des Herrn das
Haus erfüllte". So ähnlich ging es hier.
Als er ausgesungen
hatte, verließ ich still die Werkstatt.
Rasselnd und
fauchend ist der kleine Vorortzug davongefahren.
Ich wandere hinein
in den schweigenden Winterwald. Tiefe Stille umgibt mich. Der Atem wird in der
Kälte zu dichten Rauchwolken. Leise knirscht der Schnee unter meinen Sohlen!
Wie herrlich doch
die Natur auch jetzt in der Todesstarre ist! In tausend, in millionen
Kristallen spiegelt sich das Licht des Tages. Jeder kleine Zweig ist ein
Wunderwerk in seiner dichten Bereifung.
Stunde um Stunde
wandere ich durch diese schweigende, herrliche Winterwelt. Durch meinen Sinn
gehen die Worte aus dem Psalm:
„Herr, mein Gott,
du bist sehr herrlich. Du bist schön und prächtig geschmückt . . . Herr, wie
sind deine Werke so groß und viel! Wunderbar sind deine Werke. Und das erkennt
meine Seele wohl."
Tiefe Stille
ringsum. Nur hier und da ein kleines Geräusch, wenn ein einsamer Vogel durchs
Gezweig fliegt und leise der Schnee von den Bäumen rieselt.
„Gott, man lobt
dich in der Stille ..."
Ein paar Stunden
später sitze ich wieder im Vorortzug, der mich in die lärmende Großstadt
zurückbringt. Lachend und schwatzend drängen sich die Menschen in dem
überhitzten Abteil. Aber meine Seele ist erfüllt von dem großen Schweigen des
Winterwaldes.
Ja, herrlich ist
die Schöpfung. Herrlich ist Gottes weite Welt!
Am Nachmittag führt
mich mein Weg in eine dunkle, schmutzige Straße. Keine Spur ist hier zu sehen
von der Herrlichkeit des Winters. Schwarz und zertreten ist der Schnee, aus dem
ein paar Jungen vergeblich Schneebälle zu drehen versuchen.
Mitten zwischen den
hohen Mietskasernen ein altes, baufälliges Häuslein. Ich steige die knarrende,
ausgetretene Treppe hinauf. Dumpfe Gerüche erfüllen das enge Treppenhaus.
Oben unter dem Dach
wohnt eine alte Frau. Krebskrank! Die Krankheit hat ihr ganzes Gesicht
zerfressen. Es hat mir früher gegraust, sooft ich sie ansah. Seitdem es nun
aber noch schlimmer mit ihr geworden ist, trägt sie ein Tuch um ihr Gesicht.
Ich trete in das
enge Zimmer ein. Es muß wohl heute schlecht stehen um die Alte, denn sie liegt
im Bett. Das trübe Licht, das durch das schräge Dachfenster hereinfällt,
erhellt nur schwach das sonst gemütliche, wohlaufgeräumte Stüblein, das
vollgestopft ist mit Erinnerungen aus alter Zeit. Sie hat einmal bessere Tage
gesehen, die alte Frau, die nun so einsam und arm daliegt.
Ich setze mich
neben sie ans Bett. „Na, wie geht's denn heute, Großmutter?"
„Großartig!"
sagt sie. „Herrlich, ganz herrlich! Sehen Sie, da hat die freundliche junge
Nachbarsfrau mich heute morgen schon so gut betreut, sie hat mich gewaschen und
mir mein Zimmer aufgeräumt. Und dann kam die Gemeindeschwester und hat mir
Feuer in den Ofen gemacht. Und dabei hatte ich gestern noch solche Sorgen, wo
ich wohl ein wenig Kohlen herbekommen sollte."
„Ja, ist es aber
für Sie nun nicht sehr einsam, wenn Sie den ganzen Tag hier so allein liegen
müssen? Ich denke, die Schmerzen machen Ihnen doch auch sehr zu schaffen? Und
schlafen können Sie nachts, soviel ich weiß, auch nicht!"
Da richtet sich die
Alte auf: „Wie Sie aber reden, Herr Pfarrer! Ich bin keine Stunde allein.
Sehen Sie, da auf dem Stuhl, auf dem Sie sitzen, da sitzt mein Herr Jesus. Mit
dem rede ich von allem, was mein Herz bewegt, von der Vergangenheit, von
Menschen, die ich liebhabe, und von allen möglichen Sachen. Dann spricht er mir
Trost zu und schenkt mir seinen herrlichen Frieden, daß ich ganz glücklich
werde ..."
Als ich die Treppe
wieder hinuntergehe, taucht noch einmal das Bild des herrlichen Winterwaldes
vor mir auf. Doch nun weiß ich: Herrlicher als alle Schönheit der Schöpfung
ist ein Menschenherz, dem Jesus seinen Frieden geschenkt hat.
Während ich durch
den Matsch des schmutzigen, zertretenen Schnees stapfe, gehen die Gedanken
weiter: Was wird denn noch herrlicher sein? — Am herrlichsten wird es sein,
wenn Gott einmal alle seine Verheißungen wahrgemacht hat:
„Siehe, ich schaffe
einen neuen Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt ..."
„Es wird kein Leid
und kein Geschrei mehr sein ..."
„Gott wird
abwischen alle Tränen von unseren Augen ..."
Einen Augenblick
stehe ich still vor der weißgestrichenen Tür von Zimmer Nr. 24 des großen
Krankenhauses. Was soll ich dem Mann sagen, der dort liegt? Er hat Schweres
erlebt. Bei einer Autofahrt ist er verunglückt und liegt nun mit zerschmettertem
Armgelenk hier in der fremden Stadt im Krankenhaus. Und inzwischen ist zu Hause
seine treue und geliebte Frau einem Herzschlag erlegen und zu Grabe getragen
worden. Und zu all den äußeren und inneren Schmerzen mögen die Sorgen kommen um
das große Geschäft zu Hause, das den Chef so nötig braucht.
Ach, was soll ich
diesem armen Mann sagen?
Ich trete in das
Krankenzimmer, stehe vor dem Bett, fasse nach der gesunden Hand und stammle ein
paar Trostworte.
Da schaut mich der
alte Herr mit einem unbeschreiblichen Blick an und sagt: „Ich bin
geborgen!"
Ich versteh ihn. Da,
neben ihm auf dem Nachttisch, liegt die aufgeschlagene Bibel. Sie spricht auf
jeder Seite von der Liebe Gottes, die in Jesus erschienen ist. In seiner Liebe
ist dieser Lastträger geborgen.
Und nun sehe ich im
Geiste die große Schar derer, die sich mit Freuden Kinder Gottes nannten.
Lastträger waren alle. Aber jeder bezeugt es fröhlich: Ich bin geborgen!
Ich denke an
Abraham. Er war ein Fremdling geworden. Aber der Herr hatte ihm gesagt:
„Abraham, ich bin dein Schild und dein sehr großer Lohn!" — „Geborgen!"
Da ist Paulus.
Zerschlagen, in Ketten, liegt er im Gefängnis in Philippi. Aber „um Mitternacht
beteten Paulus und Silas und lobten Gott im Gefängnis". Ist das nicht
unerhört? Das konnten sie nur tun, weil sie „geborgen" waren in der Liebe
Gottes.
Da ist Luther. Der
schreibt seinem Kurfürsten, der um ihn besorgt ist, er möge sich nur nicht
sorgen. Denn mit all seiner Macht könne er den Luther doch nicht schützen.
Vielmehr wolle er, der Luther, „Seine kurfürstlichen Gnaden schützen". „Geborgen!"
Und von Feinden
umgeben, vom Papst gebannt, vom Kaiser geächtet, lehrt er die Christenheit das
Lied:
„Ein feste Burg ist unser Gott,
Ein gute Wehr und Waffen."
Das heißt „geborgen".
Und ich denke an
Paul Gerhardt, den Liederdichter. In den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges,
als die Flammen sein Dorf in Schutt und Asche gelegt hatten, singt er:
„Warum sollt ich mich denn grämen?
Hab ich doch Christum noch!
Wer will mir den nehmen?"
„Geborgen."
Geborgen sind sie
alle, die das Heil Gottes in Jesus ergriffen haben. Geborgen sind sie in der
Liebe Gottes. Und was der Dichter des 36. Psalms bezeugt hat, das ist täglich
ihre Erfahrung: „Wie teuer ist deine Güte, Gott, daß Menschenkinder unter dem
Schatten deiner Flügel Zuflucht haben."
Vor kurzem sah ich
in meiner Kinderstube ein liebliches Bild. Meine Jüngste hatte sich irgendwo
gestoßen. Am Kopf war eine dicke Beule. Aber nun saß sie ganz getröstet und
fröhlich auf dem Schoß der Mutter. An den dicken Bäckchen hingen noch die
Tränen. Aber die Augen lachten schon wieder. „Geborgen!"
Da mußte ich
denken: Das ist ein Bild der Christen. Mancherlei Wunden schlägt ihnen die
Welt. Aber wenn auch das Herz zittert über mannigfacher Not und über dem, was
ihr Gewissen ihnen vorhält, so sind sie doch geborgen in der Liebe ihres Herrn,
und sie rühmen: „Wir überwinden weit um deswillen, der uns geliebt hat. Denn
ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben mich scheiden kann von der Liebe
Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm Herrn" (Römer 8, 37 ff.).
Geradezu aufregen
kann mich dieser Satz!
Wie oft, ach ja,
wie ermüdend oft habe ich es erlebt, daß mir einer, dem ich das Evangelium
bezeugte, freundlich abwinkte und überlegen sagte: „Wissen Sie, ich halte mich
an die Religion, die schon mein Vater hatte. Und die heißt: Tue recht und
scheue niemand."
Da bin ich dann oft
aufgefahren und habe heftig erwidert: „Das ist die blödeste Religion, die ich
kenne. Denn erstens ist es eine Religion, bei der Gott noch nicht mal vorkommt.
Und zweitens — ist es gar nicht wahr!"
Dann hat der andre
wohl still gelächelt, als wenn er sagen wollte: „Wahrscheinlich hast du recht.
Aber so ist es für mich am bequemsten."
Und da läßt sich ja
dann nichts machen.
Aber einmal hat es
mir Gott doch geschenkt, daß so ein selbstgerechter Sünder aus seinem stolzen
Sattel stürzte. Es ist schon fünfzehn Jahre her. Und der Mann, um den sich's
dabei handelt, ist längst in der Ewigkeit. So kann man die Geschichte ruhig
erzählen.
Ja, man muß sie
erzählen. Denn wir haben viel vergehen sehen: ein Kaiserreich und eine Republik
und einen totalitären Staat. Und mit diesen Systemen fielen jedesmal
Weltanschauungen dahin. Aber der dumme Satz: „Ich tue recht und scheue
niemand" ist geblieben, — geblieben in einem Volk, das jahrelang geradezu
vorgelebt hat, was Menschenfurcht ist. Doch wer will sich darüber wundern? Den
Satz haben schon die Pharisäer zu Kaiser Augustus' Zeiten gesagt.
Aber nun zu der
Geschichte!
Da besuchte ich
oftmals einen alten Mann in einem Altersheim. Er war ein gottloser,
verhärteter Kerl. Und was ich ihm auch aus der Bibel vorlas, das lief an ihm ab
wie Wasser am Marmorstein.
Als ich eines Tages
wieder in sein Zimmer trete, liegt er im Bett. „Oh, sind Sie krank, Vater
N.?" frage ich. Verdrießlich antwortet er: „Ach, wenn man mal
fünfundsiebzig ist, kann man ja ruhig sterben."
„Stop!" rufe
ich. „Halt! Das ist nicht richtig! Ob man ruhig sterben kann, das hängt nicht
vom Alter ab. Ich habe einen vierzehnjährigen Jungen ruhig sterben sehen. Und
ich habe einen alten Sünder verzweifelt in seinen Sünden dahinfahren sehen.
Nein! Vom Alter hängt das nicht ab. Das hängt vom Frieden mit Gott ab!"
Etwas unsicher
schaut mich der Alte an. Dann legt er los: „Frieden mit Gott? Den habe ich! Ich
habe nichts gegen Gott. Mein Wahlspruch war: Tue recht und scheue niemand!
Danach habe ich gelebt. Ich habe niemand bestohlen, ich habe niemand Unrecht
getan ..."
Und während er nun
alle seine „guten Taten" aufzählt, kratzt er mit beiden Händen auf der
Bettdecke. Es ist, als wenn er alle seine Vorzüge und guten Taten auf ein
Häuflein zusammenscharren und vor Gott hinlegen wolle.
Immer noch zählt er
auf, während seine Hände das unsichtbare Häuflein hübsch säuberlich
zusammenscharren: „. . .ich habe nie Streit gehabt in meinem Hause, ich war immer
kameradschaftlich gegen meine Arbeitskollegen, ich habe ..."
Endlich ist er
fertig.
„Lieber Mann!"
sage ich nun, „da kann ich Ihnen ja nur gratulieren, daß Sie so prächtig und
großartig vor das Angesicht des lebendigen Gottes gehen können. Ich bin zwar
nur halb so alt wie Sie. Aber so großartig stehe ich leider nicht da. Wenn ich
auf mein Leben zurückschaue, dann muß ich sehr traurig werden darüber, wie oft
ich versagt habe. Wie oft habe ich Gottes Gebote übertreten! Wie oft bin ich
Liebe schuldig geblieben! Wie oft habe ich mit meinen Launen meine Umgebung
gequält! Oh, da ist viel, viel Schuld. Und sehen Sie! Darum bin ich froh, daß
ich einen Heiland habe, der am Kreuz für mich gestorben ist und der mich
verlorenen Menschen mit Gott versöhnt hat. Ja, dieser Heiland ist meine ganze
Hoffnung."
Einige Augenblicke
ist es sehr still im Zimmer. Dann seufzt der Alte tief auf und gibt zu: „Ja,
wenn ich mir die Sache genau überlege, dann ist in meinem Leben auch nicht
alles so gewesen, wie es sein sollte ..."
„Oho!" lege
ich nun aber los. „Was soll das denn heißen? Eben haben Sie doch noch so
großartig getan, wie Sie vor Gott bestehen könnten und wie Ihr Leben hoch in
Ordnung sei!"
„Ja . . .",
sagt er zögernd, „wenn man sein Leben mal so richtig ansieht, dann ..."
„Ja, lieber Vater,
dann packen Sie mal aus und machen Sie Ihr Gewissen frei!"
Und dann kam eine
Beichte. Was da gesprochen wurde, hat nur Gott hören dürfen. Aber als der Alte
zu Ende war, stand ein riesiger Berg von Schuld und Sünde da, vor dem das kleine
Hügelchen auf der Bettdecke ganz und gar verschwand. Ich war erschüttert. „O
lieber Mann! Mit solchem Berg von Sünde wollten Sie in die Ewigkeit gehen?! So
wollten Sie vor den dreimal heiligen Gott treten?!" Und dann kniete ich an
seinem Bett nieder, und wir brachten diesen Berg von Schuld vor Gott.
Als wir das getan
hatten, durfte ich ihm sagen: „Nun heben Sie Ihre Augen auf zum Heiland am
Kreuz! Die Strafe liegt auf ihm, auf daß wir Frieden hätten."
Dann ging ich und
ließ ihn in großer innerer Not und Herzensunruhe. Als ich nach wenigen Tagen
wiederkam, fand ich einen völlig verwandelten Mann vor. Nun hatte sein Herz den
gefunden, der gekommen ist in die Welt, „die Sünder selig zu machen".
Und als ein
Begnadigter und von Gott Angenommener und wirklich mit Gott Versöhnter ist er
im Jahr darauf friedlich hinübergegangen in die Ewigkeit.
Müde von einem
reichen Sonntagsdienst sitze ich in meinem Sessel. Diese Sonntage im Jahre 1944
waren ja jedesmal ein wenig aufregend — namentlich für einen Pfarrer. Und
namentlich in Essen, wo wir Tag und Nacht nicht mehr aus den Alarmen
herauskamen.
In der Nacht hatten
die Sirenen zweimal geheult. Würden die müden Menschen nun zum Gottesdienst
kommen? Ja, sie kamen. Sie füllten den Keller, der uns nach der Zerstörung
aller Räume geblieben war, bis auf den letzten Platz.
Aber während des
Gottesdienstes blieb die Sorge: Wird nicht neuer Alarm uns auseinandertreiben?
Oder wird die Gestapo nicht irgendeinen Grund finden, die Versammlung
aufzulösen?
Und dieselben
Sorgen am Nachmittag in dem wackeren Jugendkreis, der es trotz der Bedrohung
durch Bomben und Gestapo wagte, zusammenzukommen um das Wort Gottes.
Aber alles war
wunderbar gut gegangen.
So sitze ich voll
Dankbarkeit in meinem Sessel. Eben will ich ein Buch vornehmen, da fangen die
Sirenen an. Voralarm! Nun, das ist noch nicht so sehr bedrohlich. Ich mache
mich auf, um im Radio zu hören, was los ist. Da — auf einmal — ein wüstes,
nervenzerreißendes Heulen — ein ohrenbetäubender Krach —: die erste Bombe!
Der Alarm kam zu
spät. Zu spät für uns, um noch in den nahen Bunker zu laufen. Sekundenlang
Türenschlagen — Rennen — Schreien —, dann findet sich die ganze Hausbewohnerschaft
im Keller zusammen. O dieser Keller! Es ist uns allen klar, daß er keinen
Schutz bietet, wenn nur eine dieser schweren Bomben in der Nähe des Hauses
krepiert.
Und nun bricht die
Hölle los. Brandbomben zischen herunter. Schwere Bomben heulen heran. Das
Kellerlein schwankt wie ein Schiff im Sturm. Über uns Klirren. Da sind die neu
eingesetzten Fenster wieder in die Brüche gegangen.
Ich schaue auf die
Uhr: Erst fünf Minuten sind vorbei. Und solch ein Angriff dauert sicher
fünfundvierzig Minuten. Es ist qualvoll! Die junge Frau, die oben im Haus
wohnt, hat sich auf den Boden gekauert und wimmert nur.
„Kinder", sage
ich, „wollen wir nicht ein Lied singen?" Und schon stimme ich an:
„Stark ist meines Jesu Hand,
Und Er wird mich ewig fassen;
Hat zu viel an mich gewandt,
Um mich wieder loszulassen ..."
Wie gut ist es, daß
meine Kinder jede Woche ein geistliches Lied gelernt haben, das sie mir immer
am Sonntagmorgen aufsagten! Nun können wir das halbe Gesangbuch auswendig.
So singen wir ein
Lied nach dem ändern:
Befiehl du deine Wege
Und was dein Herze kränkt
Der allertreusten Pflege
Des, der den Himmel lenkt ..."
Wir singen aus der
Not und dem Entsetzen heraus. Wir singen uns alle Furcht vom Herzen. Wir singen
unsre Glaubenslieder dem drohenden Tod ins Gesicht hinein.
„Wenn sich die Sonn verhüllt,
(längst ist der
elektrische Strom weg und Finsternis umhüllt uns)
Der Löwe um mich brüllt, (und
wie er brüllt!)
So weiß ich auch in finst'rer Nacht,
Daß Jesus mich bewacht."
Endlich ist der
Angriff zu Ende. Wir stürzen hinauf. Überall Flammenschein! Unsere Wohnung ist
ein Chaos. Und doch sind wir so froh, daß das Haus noch steht. Vor dem Hause
liegt die Leiche eines Mannes, dem der Luftdruck das Gesicht wegriß, das nun
unheimlich grinsend neben ihm liegt.
Wir schütteln den
Kalk aus den Betten und bringen die Kinder zu Bett. Und dann beuge ich mich
über meine Jüngste, um ihr einen Gutenachtkuß zu geben. Da schlingt sie die
Arme um mich und sagt aus tiefstem Herzen: „Papa, das war schön!"
Einen kurzen Moment
bin ich fassungslos. „Schön?! Dies Entsetzliche schön?!" Aber es ist
wahr: Das Kind hat recht. Ja, es war schön, als wir so unsere Jesuslieder
sangen — mitten im Rachen des Todes. Es war schön, denn wir hatten alle
gemerkt, daß während dieses Singens der Herr Jesus Sein Wort wahr machte: „Wo
zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter
ihnen." Ja, es war schön, als ein großer Friede über uns kam, so daß auch
die wimmernde junge Frau still wurde.
„Es war
schön!" Strahlend groß ging mir auf, daß es bei Jesus schön ist, auch wenn
man in der Hölle säße. Ja, daß es schöner ist, mit Jesus in der Hölle zu sein
als ohne Ihn im Paradies.
„Brich herein, süßer Schein
Sel'ger Ewigkeit;
Leucht’ in unser armes Leben,
Unsern Füßen Kraft zu geben,
Unsern Seelen Freud'!"
Wo sind wohl
Christenleute, die diesen Vers noch nicht gesungen haben? Und doch sieht man
so wenig davon, daß das Licht der Ewigkeit das arme Alltagsleben verklärt. Das
muß wohl an uns liegen. Wo es aber geschieht, da ist es etwas ganz Großes und
Wundersames.
Das mußte ich
denken, als ich vor einiger Zeit in einem Blättlein einen kurzen Bericht las.
Es ist ein Blatt, durch das die Betheler Diakone untereinander Verbindung
halten.
Die Geschichte
spielt in einem Durchgangslager für Flüchtlinge und Vertriebene aus dem Osten.
Welch ein Strom von Elend und Herzeleid passiert jeden Tag dies riesige Lager!
Und so ein Diakon, der hier Dienst tut, muß schon recht bei dem Herrn Jesus in
die Schule gehen, daß sein Herz nicht abstumpft dieser unendlichen Not
gegenüber und daß er den einzelnen Menschen noch sehen kann.
Solch einem
Betheler Diakon fiel ein altes Ehepaar auf, das eines Tages in das Lager kam.
Der Alte war ein sterbender Mann, und es wurde schnell deutlich, daß sein
irdischer Pilgerweg in diesem Lager an das Ziel kommen würde.
An seinem
Sterbelager saß seine treue Weggefährtin. Was sie sich zu sagen hatten, war ja
wohl im Laufe eines langen Lebens besprochen. Und das war gut. Denn die
Verständigung war schwierig, weil die alte Mutter ganz taub war. Und alles, was
ihr Mann ihr sagen wollte, schrieb er auf eine Schiefertafel, die sie bei ihrem
geringen Gepäck mitführten.
Eines Tages nun
ging der Diakon an den beiden vorbei und sah, daß der Alte mit letzter Kraft
etwas auf die Tafel schrieb. Er trat näher, um festzustellen, ob der Alte etwa
einen Wunsch hätte. Und da las er, was der alte Flüchtling geschrieben hatte:
„Jetzt gehe ich
nach Hause zum Heiland. Da werden wir nicht mehr vertrieben; da werden wir
nicht mehr ausgeplündert; da wird Gott abwischen alle Tränen von unsern
Augen."
So etwa schrieb der
Alte. Wie gesagt — ich kann es nur aus dem Gedächtnis und nicht einmal ganz
wörtlich zitieren. Ich glaube, er hat es sogar noch viel schöner
aufgeschrieben, als ich es nun zusammenkriege. Und mehr hat der Diakon nicht
berichtet.
Aber als ich diese
Notiz gelesen hatte, da sah ich im Geist die beiden Alten in dem grauenvollen
Flüchtlingslager sitzen. Ringsum furchtbare Not. Und vor ihnen die schwere Trennungsstunde.
Aber über ihnen hat
sich der Himmel aufgetan. Und das „Licht vom unerschöpften Lichte" ist in
ihr armes Leben hereingebrochen.
„Ewigkeit,
In die Zeit
Leuchte hell herein,
Daß uns werde klein das Kleine
Und das Große groß erscheine!
Sel'ge Ewigkeit!"
„Ach, lassen Sie
mich doch in Ruhe!" sagt der Kranke und dreht sich ärgerlich in seinem
Bett um. Gleichmütig sehen die Kranken aus den ändern Betten auf mich. O ja,
Seelsorge im Krankenhaus ist kein Kinderspiel!
Da ist nun einer,
der wohl ein wenig versteht, was in solch einem Augenblick im Herzen eines
Pfarrers vor sich geht. Und darum sagt er, gleichsam erklärend: „Ach, Sie
müssen verstehen: Uns ist in den vergangenen Jahren so viel vorerzählt worden.
Und wir haben das alles geglaubt. Und nun sind wir die Dummen. Da ist es ja
wohl am besten, man glaubt gar nichts mehr."
Beifällig nicken
die ändern.
Ach ja, ich
verstehe das gut. Und im Geist sehe ich das riesige Heer von Menschen vor mir,
die einmal blindlings „geglaubt" haben: an den Führer und an das Gute im
Menschen und an den Sieg und an Deutschland. Und nun hat ihr Glaube entsetzlich
Bankrott gemacht. Was soll man da noch andres tun, als sich einem völligen
Nihilismus bedenkenlos in die Arme werfen?
Und da sind die
ändern, die „den Schwindel durchschaut" haben. Aber — was konnten sie
ausrichten gegen Dummheit und Bosheit? Sie hoffen nichts mehr und glauben
nichts mehr. O ja, ich verstehe sie gut.
Immer noch schauen
die Kranken mich an: Sie haben wohl das Gefühl, daß der Pfarrer nun auch nichts
mehr sagen kann und nach einem guten Abgang sucht. Vielleicht aber auch lebt
ganz tief in ihren Herzen eine stille Hoffnung, der Pfarrer könne ihnen einen
neuen Weg zeigen.
Und das will ich
tun!
„Darf ich Ihnen mal
eine kleine Geschichte erzählen?" frage ich. Alle sind sofort
einverstanden. Sogar der Unfreundliche dreht sich mir wieder zu.
Und ich erzähle
ihnen ein Erlebnis aus dem Jahr 1925. Ich war damals junger Pfarrer in einem
riesigen Bergarbeiterbezirk. In den großen Menschenmassen dieses armen Bezirks
herrschte ein dumpfer Haß gegen Kirche und Pfarrer. Weil die Menschen nicht zu
mir in die Kirche kamen, ging ich zu ihnen und suchte sie in den Wohnungen auf.
Von Haus zu Haus ging ich. Es war eigentlich immer das gleiche. Wenn ich sagte:
„Ich bin der evangelische Pfarrer", flog die Wohnungstür zu. Aber dann
hatte ich immer schon meinen Fuß dazwischen und setzte das Gespräch fort. Kurz,
langweilig war es nicht.
So komme ich eines
Tages in die Taubenstraße. Es war paradox, daß sie so hieß. Denn sie war
berühmt, weil hier die größten „Schläger" wohnten. An einer Tür klopfe
ich an. „Herein!" ruft eine männliche Stimme. Und ich trete in eine
reinliche Wohnküche, in der ein junger Mann erregt auf und ab läuft. „Was
wollen Sie?" herrscht er mich an.
„Ich bin der
evangelische Pfarrer und wollte Sie mal aufsuchen."
Geradezu
erschrocken schaut er mich an. Und dann geht's los: „Was? Ein Pfarrer? Das hat
mir gerade noch gefehlt! Raus!!!" Ich muß lachen. „Junger Mann", sage
ich. „warum so erregt? Meines Wissens habe ich Ihnen doch nichts geklaut?"
Er hält sich die
Ohren zu: „Ich will nichts hören! Gehen Sie! Ich habe den Glauben an die
Menschheit verloren."
„Kommen Sie an mein
Herz, junger Mann!" rufe ich. „Wir beide gehören zusammen. Diesen Glauben
habe ich auch verloren."
Groß schaut er mich
an: „Wie? Sie als Pfarrer müssen doch den Glauben an die Menschheit
hochhalten!"
„So, muß ich das?
Ich kann Ihnen nur versichern: Dieser Glaube ist in Fetzen davongegangen. Ich
war im Krieg, als Soldat und später als Offizier. Da habe ich die Menschen kennengelernt.
Dieser Neid! Einer gönnte dem ändern nichts. Und dann die Zoten! Von morgens
bis in die Nacht ‚Thema 1'. Und die Brutalität! Nein! Glaube an die Menschheit!
Davon habe ich genug!"
Er kann sich gar
nicht fassen. Er schüttelt den Kopf: „Das nimmt mich doch wunder, wo Sie Pastor
sind."
„Oh, ich bin sogar
radikaler als Sie", erschüttere ich ihn vollends. „Sie sind überzeugt, daß
die Menschheit nichts taugt. Nur Sie allein taugen etwas. Nur Sie allein heben
sich strahlend von diesem düsteren Hintergrund ab. Woher haben Sie ein Recht
zu dieser wunderlichen Überzeugung? Ich bin so weit, daß ich sogar den Glauben
an mich selbst verloren habe. Ich sage mit dem Apostel Paulus: Ich weiß, daß in
mir nichts Gutes wohnt. Wollen habe ich wohl, aber vollbringen das Gute finde ich
nicht."
Immer noch
schüttelt er den Kopf und sagt schließlich ärgerlich: „Ja, dann möchte ich nur
wissen, warum Sie überhaupt noch Pfarrer sind."
„Das will ich Ihnen
sagen. Sehen Sie, ich habe einen neuen Glauben gefunden, der mir nicht mehr
kaputt geht. Der besteht, auch wenn die ganze Welt in Trümmer fällt. Der
besteht sogar im Tode."
Jetzt ist er
richtig gespannt: „Da möchte ich doch wissen, was das für ein Glaube sein
soll?"
„Das will ich Ihnen
gern sagen: Es ist das herzliche Vertrauen zu Jesus Christus, dem Sohne
Gottes, dem Heiland der Welt."
Er greift sich an
den Kopf: „Das ist ja das alte Christentum. Ich meine, damit wäre es längst zu
Ende."
Nun muß ich wieder
lachen: „O Mann! Sie Narr! Damit fängt es nun ja erst richtig an, wenn die
Menschen mit all ihren dummen Ersatzglauben am Ende sind!"
Und dann sitzen wir
zwei zusammen. Und ich kann ihm berichten von dem Heiland, der uns Gott
geoffenbart hat, der uns mit Gott versöhnt hat und der uns mit
unaussprechlicher Liebe liebt; der gekommen ist, daß wir Leben und volle Genüge
haben sollen." — — —
Aufmerksam haben
mir die Männer im Krankenhaus zugehört. Ob ihnen wohl ein wenig deutlich
wurde, daß das Evangelium von Jesus die einzige Chance ist für eine Zeit, die
alles, aber auch alles verloren hat?
Karl Freund
wandelte an einem Sonntagmorgen den stillen Waldweg entlang. Er atmete tief auf
und blieb beglückt stehen. So liebte er es. Ringsum das stille Rauschen des
Waldes, das Singen der Vögel, der blaue Himmel und das glänzende Licht, das die
Morgensonne in Pfeilbündeln durch das dichte Laub warf. Wie schön doch das
alles war!
Unwillkürlich
faltete er die Hände. Er fühlte sich richtig eins mit der herrlichen Natur. Er
war in ihr und sie in ihm. So feierte er seinen Gottesdienst.
„Nein!" dachte
er, „da sitzen sie nun in dämmrigen, muffigen Kirchen und lassen sich
irgendwelche mittelalterlichen Dogmen vortragen. Nein, wie man bloß daran
Freude haben kann?! Hier ist Gott! Hier inmitten all' der herrlichen Natur ...
Ja, hier . . . Hier kann man ihn fühlen im Atmen der Natur. Und wer hier nicht
Gott erlebt, der muß einen Stein in der Brust haben ..."
Bei jedem Schritt
entdeckte er neue Offenbarungen der Natur. Ganz feierlich war ihm zumute.
Einige Jahre
später.
Wieder geht Karl
Freund durch den stillen sommerlichen Wald. Aber diesmal ist sein Herz nicht
voll freudiger Harmonie. Es ist notvoll und zerrissen. Gestern ging das Glück
seines Lebens in Trümmer. Seine junge Frau hat einem Kindlein das Leben
geschenkt, aber sie selbst hat unter unsagbaren Qualen ihr junges Leben lassen
müssen. Und kurz nachher ist auch das Kindlein gestorben.
Nun ist er früh am
Morgen hinausgeeilt in seine geliebte Natur. Sie soll ihm Trost und seelische
Kraft geben. Schon stundenlang schreitet er durch den Wald. Es ist alles wie
sonst: Das Sonnenlicht fällt durch die Bäume, die Vögel zwitschern, die Wolken
ziehen . . . Aber in seinem Herzen will es nicht stille werden. Es hat keinen
Wert, sich etwas vorzumachen. Es ist schon so: Die Natur hat heute keinen Trost
für sein zerrissenes Herz.
Fast wild macht ihn
der Anblick der herrlichen Waldespracht. Während die alten Bäume so gleichmütig
rauschen, als sei nichts geschehen, möchte er am liebsten aufschreien: „Was
soll mir all eure Schönheit? Was soll mir das Rauschen? In einem Vierteljahr
ist ja doch Herbst. Dann muß auch eure Schönheit sterben, sterben, ja sterben
..."
Er kommt von dem
Gedanken nicht los. Es hämmert in seinen Schläfen: „Sterben ... ja sterben . .
." Langsam geht er weiter. Das Bild der Toten steht vor ihm. In all seinem
Schmerz ist noch ein besonderer Stachel: Am Abend, ehe seine Frau ins
Krankenhaus ging, an dem Abend — er kann es heute gar nicht verstehen —, an dem
Abend hatte er noch einen kleinen Wortwechsel mit ihr. Wie war das nur möglich
gewesen! Gewiß, er war abgearbeitet, gereizt. Aber es hat ja keinen Zweck,
allerlei Entschuldigungen zu suchen. Tatsache war, daß er harte, unfreundliche
Worte zu ihr sagte. Und das war nun das Letzte gewesen! Wie ihn das jetzt
schmerzte! Nie mehr gutzumachen! Nie mehr! . . .
Karl Freund stürmte
den Weg entlang. Ja, wenn er jetzt jemand hätte, der zu ihm sprechen könnte . .
. Aber das Rauschen der Bäume ließ ihn so kalt und unberührt. Groll und Erbitterung
kamen über ihn. Alles Menschenleid schien sie nicht zu kümmern. Sie standen,
wie sie standen, die alten Bäume . . . Da drang auf einmal Glockengeläut durch
die Morgenstille. Karl horchte auf. Ohne zu wissen, was er tat, folgte er dem
Klang. Bald lichtete sich der Wald, und ein Dörflein lag im Wiesengrunde.
Wie im Traum ging
Karl hinter einem jungen Bauern her, der über den alten Friedhof dem Kirchlein
zuwanderte. Jetzt durchschritt er das niedrige Portal. Und nun saß er — seit
langem zum ersten Male — in einer Kirche. Leise setzte die Orgel ein. Und dann
fielen die Stimmen der Bauern um ihn her ein; sie sangen:
„Jesu, meine Freude,
Meines Herzens Weide,
Jesu, meine Zier:
Ach, wie lang, ach lange
Ist dem Herzen bange
Und verlangt nach dir ..."
Ihm war es, als
sängen die Menschen nur für ihn. Jetzt trat der Pfarrer an den Altar und las in
die Stille hinein:
„Jesus Christus spricht:
Kommet her zu mir alle,
die ihr
mühselig und beladen seid.
Ich will euch erquicken . . ."
Da schlug Karl
Freund die Hände vors Gesicht und ließ den befreienden Tränen ihren Lauf.
Es ging auf
Weihnachten zu. In der Kaserne sprach man eigentlich nur noch vom
Weihnachtsurlaub. „Freut euch nicht zu früh", sagte Paul, der bedächtige
Bauernjunge aus Westfalen. „Wer weiß, ob wir noch wegkommen. Ein paar müssen
ja doch hierbleiben und Wache schieben."
Günter lachte:
„Warum soll es denn uns gerade treffen? Etwa ausgerechnet mich, ja? Nee, mein
Lieber, was meiner Mutter Sohn ist — der ist am Heiligen Abend zu Hause."
Und dann traf es
ihn doch. Was war das für ein magerer Trost, daß der Feldwebel ihm sagte, er
dürfe über Neujahr nach Hause! Und so stand er denn am Heiligen Abend eisern
auf Wache. „Ist das nun ein Weihnachtsfest?"
Am ersten Feiertag
erhält Günter früh eine Postkarte von seinem Stubengenossen Paul. Die Karte
kommt von einem Wirtshaustisch; Bierspritzer haben die Schrift verwischt, und
ein paar unleserliche Unterschriften lassen erkennen, daß man schon reichlich
Alkohol konsumiert hatte. Blitzartig sieht Günter vor seinem Auge die
lärmende, halbbetrunkene Gesellschaft. „War das nun ein Weihnachtsfest?"
so denkt er bei sich, während er langsam in der Frühe des zweiten Festtages
durch das Kasernentor geht. Heute hat er nach dem Wachdienst frei.
Wenigstens ein
Feiertag!
Aber wohin jetzt?
Da fangen in der nahen Kirche die Glocken an zu läuten. Günter wundert sich
selbst, daß er — wie von einer verborgenen Macht gezogen — dem Schall der
Glocken folgt. Aber er ist ja so allein. Und er hat so viel übrige Zeit. Und
jetzt morgens — wo soll man da hin? Wenn er zu Hause gewesen wäre, wäre er an
den Festtagen gewiß auch mit den Eltern einmal in die Kirche gegangen.
Nun sitzt er in dem
hohen Kirchenraum. Es sind heute, am zweiten Feiertag, wenig Leute da. Günter
ärgert sich ein bißchen über den dünnen Gesang. Darum fällt er lauter ein, als
er eigentlich vorgehabt hat. Immer mehr
nimmt ihn das frohe Singen gefangen:
„Fröhlich soll mein Herze springen
Dieser Zeit, da vor Freud
Alle Engel singen . . .
Heute geht aus seiner Kammer
Gottes Held, der die Welt
Reißt aus allem Jammer."
Dann steht ein
junger Vikar auf der Kanzel, dem man heute, am zweiten Feiertag, die
Frühpredigt übertragen hat. „Der ist nicht viel älter als ich", denkt
Günter. Es ist ihm darum wie eine innere Verpflichtung, den Altersgenossen
ernst zu nehmen.
Und der nimmt seine
Sache auch ernst. Günter stößt sich nicht an der etwas unbeholfenen und
ängstlichen Art des jungen Predigers. Es geht ihm durch und durch, als der
junge Pfarrer dort oben sagt: „Wie ernst muß es doch Gott um unsere Errettung
zu tun sein, daß er seinen eingeborenen Sohn gab!"
Darüber hat Günter
eigentlich noch nie nachgedacht. Wirklich noch nie! Daß man überhaupt eine
Errettung braucht! — Aber jetzt ist ihm alles ganz klar. Sein Gewissen sagt
ihm, daß der da oben recht hat. Und so läßt er sich gern und willig mitführen
zu dem Kind von Bethlehem, in dem Gott uns die Errettung geschenkt hat.
Ja, alles was er
gehört hat, wird ihm so wichtig, daß er sich ein Herz faßt und nach dem
Gottesdienst in die Sakristei geht. Der junge Prediger ist fast erschrocken,
daß sein Wort wirklich solch eine Wirkung gehabt hat, daß es sogar ein stolzes
Soldatenherz hat erschüttern können. Nun freut er sich. Gern nimmt er den
Suchenden auf und lädt ihn für den Nachmittag in seine kleine Bude ein.
Und hier, an diesem
Nachmittag, geschieht es, daß ein junger Mann den ändern zum Heiland führen
kann.
Als Günter am Abend
durchs Kasernentor geht, lächelt er still vor sich hin: „Merkwürdig! Kein
Heimaturlaub! Aber jetzt ist doch wirklich auch für mich Weihnachten
geworden!"
Ein düsterer, roter
Backsteinbau in einer lauten Straße. Hier hat die große Industriestadt ihre
unversorgten Alten untergebracht.
Es ist ein
seltsames Trüpplein, diese alten Leute! Der da mit der hohen Gestalt hat einmal
bessere Tage gesehen. Kein Mensch weiß, wie er hierher geraten ist. Einsam geht
er durch seine Tage. Auch hier noch verschanzt er sich gegenüber seinen Leidensgefährten
hinter großer Vornehmheit.
Und das Mütterchen
da. Wie ein spannender Roman ist es, wenn sie ihre Lebensgeschichte erzählt.
Und jener dort war
einmal Schneidermeister. Nun hat er von der alten Herrlichkeit nichts gerettet
als seinen schwarzen Rock, an dem er beständig näht und bügelt, um ihn sonntags
in stets neuem Glänze zu zeigen.
Einer fiel mir
immer besonders auf. Der hatte einen merkwürdig traurigen Zug im Gesicht.
Eines Tages erzählte er mir seine Geschichte. Ganz einfach war sie. Mühe und
Arbeit war sein Leben. Nun war die Frau tot, die Tochter verheiratet. „Besucht
denn Ihre Tochter Sie ab und zu?" Da wird sein Gesicht bitter: „O nein,
sie mögen mich nicht."
Eines Tages hat er
eine neue Wolljacke an. „Die ist aber schön warm. Wo ist denn die her?"
„Von meiner
Tochter."
„Hat sie Ihnen ein
Paket geschickt? Das ist aber nett."
„Ja", erwidert
er, „sie sorgt schon für mich, wie es nötig ist, da kann ich nicht klagen. Es
war allerhand Schönes in dem Paket, aber ..."
Ich unterbreche
ihn. „Das ist doch fein, da gibt's doch kein Aber!"
Er will sich
abwenden. Ich halte ihn fest: „Nun sagen Sie mir, was Sie am Paket Ihrer
Tochter auszusetzen haben!"
Da schaut er mich
unendlich bitter und traurig an und sagt: „Es war keine Liebe drin!"
Auf einmal verstand
ich den Alten. Und ich verstand noch mehr. Ich verstand, warum viele von den
Alten hier so bitter aussehen. Gewiß, sie haben eine Wohnung und Essen und Kleider.
Gewiß, sie sind versorgt. Aber — es ist keine Liebe drin! Das Wort wurde ich
nicht mehr los. Am Arbeitsamt führte mein Weg vorbei. Hunderte von Männern
drängten sich hier. Warum waren die Gesichter so verbissen? Warum lag in den
Augen so eine Traurigkeit? Warum? Sollten sie nicht anerkennen, daß die
Gesellschaft und der Staat für sie sorgten, so gut sie es vermochten? Gewiß, es
ist wenig. Aber warum schauten sie so verbittert?
Da war es mir, als
wenn sie alle denselben Satz riefen, all die blassen Gesichter und die
traurigen Augen und die schweren Herzen: „Es ist keine Liebe drin!"
Ich weiß, es war
keine politische Frage mehr und keine wirtschaftliche. Es war eine Anklage des
Herzens gegen die Gesellschaftsordnung. Und die Anklage lautete: „Es ist keine
Liebe drin!" Man hatte die Menschen des 20. Jahrhunderts zu Maschinenteilchen
gemacht, zu Nummern, die man beliebig brauchte oder wegwarf.
An einer Kneipe
gehe ich vorüber. Im Tabaksqualm drängen sich Männer. Aber sie haben doch eine
eigene Wohnung, ein Daheim, haben eine Frau, die sie erwartet, und Kinder!
Warum findet man sie hier und nicht in ihrer Wohnung? „Es ist keine Liebe
drin!" Oh, wie oft hört man es von denen, die am Schnaps zugrunde gingen!
Die blassen Frauen,
die verhärmten Mütter! Sie waren doch einmal fröhliche junge Mädchen, als sie
heirateten! Fanden sie kein Glück in ihrer Familie? „Es war keine Liebe
drin!" flüstern sie schmerzlich.
Wir lesen täglich
von Selbstmördern. Warum sind sie aus der Welt geflohen, aus dieser Welt, die
doch so schön sein kann? Es ist, als ob es aus den Gräbern riefe: „Es ist keine
Liebe drin!"
Du Gotteskind! Die
Welt, in der du stehst, braucht dich! Sie braucht nicht deine Redensarten,
nicht deine sittlichen Entrüstungen und was du sonst dergleichen billig feil
hast.
Du Christ . . . die
Welt von heute braucht von dir — Jesusliebe.
„Kem" ist ein
Bäckergeselle, der heute wacker in der evangelischen Jugendarbeit steht. Aber
als die Geschichte passierte, war er erst Lehrling.
Ach, er war ein
blasser und schwächlicher Junge. Daher hat er auch seinen seltsamen Spitznamen
„Kem". Das ist nämlich eine jungensmäßige Abkürzung von „Kalkeimer".
So nannten ihn die Jungen in unsrem Jugendkreis, weil er so entsetzlich blaß
aussah — eben wie ein Kalkeimer.
Aber es war kein
Wunder, daß er so aussah. Denn es war Krieg. Tag und Nacht war in unserer Stadt
Essen Alarm. Da mußte man sehen, wie man die Arbeit dazwischenkriegte. Und an
so einem kleinen Lehrling blieb natürlich eine Menge hängen.
Aber unser
„Kem" fand immer noch Zeit, unsre Bibelstunden zu besuchen. Wir kamen in
einem dunklen Keller zusammen, denn die Gemeindehäuser waren längst alle
zerstört. Doch das machte nichts. Der Herr Jesus kam zu uns auch in den Keller
und erfüllte alles mit Seiner Herrlichkeit. Und auch den jungen „Kem"
gewann Er sich zu eigen. Oh, wir haben feine Stunden dort in dem Keller
zusammen erlebt!
Wieder einmal war
ein furchtbarer Angriff über Essen niedergegangen. Als der Abend sich
herabsenkte, brannte die Stadt an allen Ecken und Enden. Über Häusertrümmer
bahnte ich mir meinen Weg zu unsrem Keller. Wahrhaftig! Es hatte sich wieder
ein Trüpplein eingefunden. Die Lichtleitungen waren zwar zerstört, und wir
mußten bei einem kleinen Kerzenstümpfchen beisammensitzen. Aber das „Licht der
Welt" ging hell in unsren Herzen auf. Und uns Leuten, die wir „in
Finsternis und Schatten des Todes" saßen, ging auf „der Aufgang aus der
Höhe". (Wer die Bibel kennt, weiß, daß das Wort aus dem Lobgesang des
Zacharias im 1. Kapitel des Lukas-Evangeliums stammt.)
Als wir
auseinandergingen, blieb „Kem" vor mir stehen. Einen Moment sah ich eine
große Traurigkeit in seinem Gesicht, als er sagte: „Nun haben wir auch alles
verloren. Eine Luftmine hat das Haus, in dem wir wohnten, in einen Trümmerhaufen
verwandelt . . ." Aber dann ging auf einmal ein unbeschreiblicher Glanz
über das blasse Gesicht. Es war, als wenn ihm die Freude aus allen Knopflöchern
strahlte, als er fortfuhr: „. . . jetzt habe ich nichts mehr als bloß meinen
Heiland."
„O Junge",
sagte ich und drückte ihm die Hand, „da ist dir ja das Beste geblieben! Da ist
dir ja der eigentliche Reichtum nicht verloren gegangen!"
Und „Kem"
nickte freudestrahlend — mit Tränen in den Augen.
Als ich die Tränen
sah, fiel mir ein Verslein aus dem württembergischen Gesangbuch ein, das
heißt:
„So wein' ich, wenn ich wein',
Doch noch mit Loben.
Das Loben schickt sich fein
Zu solchen Proben.
Man kann den Kummer sich
Vom Herzen singen.
Nur Jesus freuet mich!
Dort wird es klingen!"
Saßen wir da
neulich einmal in einem Kreis junger Männer zusammen. Nach kurzer Zeit kam das
Gespräch auf Kriegserlebnisse. Obwohl es ganz junge Kerle waren, hatten sie
doch alle schon Unheimliches erlebt.
Auf einmal begann
„Schauster". Das ist natürlich sein Spitzname. Und er verdient auch
einen. Denn er ist ein lustiger und quicklebendiger Junge, der in kurzer Zeit
einen ganzen Saal voller Leute zum Lachen bringen kann.
Und darum packte es
alle mächtig, als wir seinen Worten einen ungeheuren Ernst und ein tiefes
Grauen anspürten.
Er erzählte: „Da
lag ich eines Tages in unsrer Flakstellung im Bunker auf der Pritsche und las
in meiner Bibel. Auf einmal kam ein Kamerad zu mir heran und fragte: ,Was
liest du da?' — ,Die Bibel.' Na, nun ging's aber los: ,Das ist doch ein
unsinniges Buch! Das ist doch ein Buch voller Widersprüche! Das liest doch kein
vernünftiger Mensch mehr! Das macht dich doch nur dumm!'
Ich hörte mir das
alles an und entgegnete schließlich nur den einen Satz: ,Was willst du
eigentlich machen, wenn das Jüngste Gericht kommt und du mit all deinen Sünden
vor Gott stehst?'
Da ging's natürlich
erst recht los. Das sei ja alles Unsinn. Ein Gericht Gottes gäbe es nicht. Und
da könne man richtig sehen, wie dumm die Menschen seien . . .
Am nächsten Tag
kamen feindliche Flieger und deckten unsre Stellung ein. Es war furchtbar.
Brandbomben und Sprengbomben krachten und hagelten in und um die Stellung. Als
es zu Ende war, ging es ans Aufräumen. Da lag der Mann, der am Tag vorher so
gespottet hatte, in einer grauenvollen Verfassung. Beide Beine waren ihm
abgebrannt. Ich packte mit an, und wir trugen ihn zum Verbinden. Da sah er mich
auf einmal groß an. Ein abgründiges Erschrecken ging über sein Gesicht, als er
fragte: ,Sag mal, gibt es wirklich ein Gericht Gottes?'
Und dann starb
er."
Ganz ernst schloß
„Schauster" seinen Bericht mit den Worten: „So möchte ich einmal nicht
sterben!"
„So möchte ich
einmal nicht sterben!" Genau dasselbe Wort hörte ich ein paar Tage vorher
von einem andren jungen Mann. Das war in einem fröhlichen Zeltlager. Ich saß in
meinem Zelt. Da ging der Vorhang zurück. Ein junger Mann steckte den Kopf
herein und fragte: „Darf ich Sie einmal sprechen?" Es gab ein feines,
ernstes Gespräch, das damit endigte, daß wir beide zusammen die Hände falteten
und der junge Mann von Herzen dankte, daß er den Herrn Jesus Christus als
seinen Heiland und Erlöser gefunden habe und daß er sich durch Sein Blut errettet
wisse von Sünde, Tod und Hölle.
Als er nun gehen
wollte, hielt ich ihn einen Augenblick fest. „Sag mal, wie bist du eigentlich
auf diesen Weg gekommen? Ich weiß doch, daß alle deine Freunde und Bekannten
vom Herrn Jesus nichts wissen wollen."
Da wurde er sehr
ernst und sagte: „Ich habe im Krieg ein kleines Erlebnis gehabt, das hat mich
nicht mehr losgelassen. Ein Mann von 45 Jahren bekam einen Bauchschuß. Als er
nun dalag, wimmerte er immerzu: .Wenn ich doch beten könnte! Es soll einer mit
mir beten! Ich kann doch nicht beten! Kann denn niemand mit mir beten?'
Ich war damals 16
Jahre alt. Und wie ich den Mann so jammern hörte, da bin ich furchtbar
erschrocken und habe gedacht: So möchte ich einmal nicht sterben! Nein,
so möchte ich nicht sterben, daß ich nicht einmal beten kann. — Ich habe dann
mit dem Mann zu beten versucht. Und seit jener Zeit habe ich mir vorgenommen,
ich möchte ein Kind Gottes werden."
Ein Gespräch in der Vorortbahn
„Quatsch!"
Ärgerlich knüllt
Herr A. seine Zeitung zusammen. Sein Nachbar schrickt ordentlich zusammen.
„Nanu? Was ist denn
Quatsch?"
„Ach, diese
blödsinnigen Osterbetrachtungen! Hören Sie bloß mal: ,Auferstehung! Der
Frühling ist da! Vom Eise befreit sind Strom und Bäche, sagte der große Dichter
Goethe. Oberall feiert die Natur Auferstehung. Lieblicher rauschen die Bäche,
die Blümlein erwachen, die Vöglein kehren zurück. Es ist Ostern. Überall . .
.!' — ist das ein Quatsch!"
„Na, aber erlauben
Sie, das ist doch kein Quatsch! Wieso soll denn das Quatsch sein? Ist denn
Ostern vielleicht nicht das Fest der Auferstehung?"
„Ja, sicher! Aber
nicht um die Auferstehung in der Natur geht es, so herrlich sie ist, sondern um
die Auferstehung Jesu!"
„Na, aber erlauben
Sie: Was sagen Sie da? Ich höre wohl nicht recht. Auferstehung Jesu?!"
„Doch! Sie hören
recht! Um die Auferstehung Jesu handelt es sich! Darum, daß der Sohn Gottes,
von Menschen gekreuzigt und ins Grab gelegt, von den Toten auferstanden
ist."
„Gibt's denn das
heute noch, daß Menschen so etwas glauben? Die Wissenschaft hat —!"
„Wie? Was hat die
Wissenschaft?"
„Widerlegt hat sie
die Auferstehung Jesu. Das weiß doch jedes Kind."
„Nun, dann weiß
leider jedes Kind etwas sehr Dummes. Meine Kinder singen aber immer noch: ,Weil
ich Jesu Schäflein bin, freu' ich mich . . .' Aber sagen Sie, wieso hat die Wissenschaft
die Auferstehung Jesu widerlegt? Ich fürchte, Sie haben phantastische
Vorstellungen von der Wissenschaft."
„Bitte, ich habe
erst vor einiger Zeit gelesen, daß man die Auferstehung Jesu geistig verstehen
muß. In seinen Worten lebt er weiter!"
„Das klingt ja ganz
nett. Nur haben die Apostel Jesu den größten Wert darauf gelegt, daß Er
leiblich auferstanden ist. Sie betonen, daß sie Ihn betastet haben und daß Er
vor ihnen gegessen hat."
„Ach, mein lieber
Herr, die Apostel! Was die schon sagen! Die hatten doch nur eine Vision!
Die dachten Tag und Nacht an nichts anderes als an die Auferstehung. Na, und
schließlich bildeten sie sich ein, sie hätten Jesus gesehen. Das habe ich auch
in einem wissenschaftlichen Artikel gelesen."
„Komische
Wissenschaft! Machen Sie sich doch mal die Mühe und lesen Sie im Neuen
Testament nach! Die Jünger dachten gar nicht Tag und Nacht an die Auferstehung.
An das Gegenteil dachten sie. Als Jesus aus dem Grabe kam, wollten sie es
nicht glauben. Sie waren sehr kritisch und sehr nüchtern. Nein, so entsteht
keine Autosuggestion!"
„Aber ich kann doch
nicht glauben, daß einer von den Toten aufersteht?"
„Die Leute in
Jerusalem, die Jesus gekreuzigt hatten, wollten es auch nicht glauben. Nun
hatten die jedoch ein gutes Mittel, sich zu überzeugen, ob dies auch wirklich
so sei."
„Nun?"
„Sie brauchten nur
das Grab zu öffnen und nachzusehen, ob Jesus noch drin liege. Das werden sie
sicher auch getan haben. Wäre der Leichnam noch drin gewesen, hätten sie gewiß
ein großes Geschrei erhoben. Davon aber hören wir nichts. Also — das Grab war
leer. Jesus ist auferstanden!"
„Aber, mein lieber
Herr — beinahe hätte ich Sie rückständig genannt —, das beweist doch gar
nichts. Ich erinnere mich, daß ich darüber einmal einen sehr interessanten
Vortrag gehört habe. Da wurde klar bewiesen, daß Jesus nur scheintot war. Und
so ist er eben am dritten Tag aus dem Grab herausgegangen. Da haben Sie eine
sehr gute, natürliche Erklärung für die Auferstehung."
„Na, Sie haben ja
eine ganze Serie von Erklärungen bereit. Wenn die eine nicht zieht, dann holen
Sie die nächste vor. Sie sind ein seltsamer Wahrheitssucher! — Aber — nehmen
Sie mir's nicht übel — was Sie da gesagt haben, ist auch — Quatsch!"
„Aber bitte
—!"
„Na, nichts für
ungut ... — also passen Sie mal auf: Am Ostermorgen gingen drei rüstige Frauen
zum Grabe Jesu, so erzählt die Bibel. Das war ja bekanntlich eine Felsenhöhle,
die durch einen schweren Felsblock verschlossen war. Die Frauen
wollten den
Leichnam Jesu einbalsamieren, wie es damals üblich war. Unterwegs kamen ihnen
Bedenken: ,Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?' Der Stein war also so
schwer, daß drei gesunde Frauen ihn nicht wegwälzen konnten. Und den soll ein
Scheintoter weggewälzt haben, und zwar einer, der drei Tage nichts gegessen
hat, der eine grausame römische Geißelung und eine Kreuzigung hinter sich hat?
Bei der Kreuzigung wurden die Hände durchbohrt, also der Schlagaderbogen
verletzt. So ein Leichnam war stark ausgeblutet. So ein Scheintoter reißt keine
Felsblöcke mehr um. Außerdem hatten sich ja die Römer vorher überzeugt, daß er
wirklich tot war. Nein, nein, mit so primitven Erklärungen kommen Sie der Sache
nicht bei!"
„Ja, mein Herr,
dann ist der Leichnam eben auf andere Weise verschwunden. Ich erinnere mich,
gehört zu haben, daß die Jünger ihn gestohlen haben."
„So, davon haben
Sie gehört? Davon spricht sogar die Bibel selbst."
„Na, sehen Sie, da
klärt sich ja —"
„Ja, es klärt sich.
Die Bibel erzählt nämlich, daß die Feinde Jesu diese Lüge ausstreuten, als das
leere Grab nicht mehr zu verheimlichen war. Natürlich glaubte das schon damals
kein Mensch; denn bekanntlich wurde Jesu Grab von römischen Soldaten bewacht.
Und den Dieb möchte ich sehen, der römischen Soldaten einen Leichnam
stiehlt!"
„Hören Sie mal:
Glauben Sie wirklich an die Auferstehung Jesu?"
„Allerdings! Vor
allem glaube ich deshalb daran, weil mir Jesus in meinem Leben begegnet ist.
Ich wollte nicht mehr leben ohne die Gewißheit, daß ich einen lebendigen
Heiland habe. Auch Sie können ihn in Gottes Wort finden. Lesen Sie doch mal
heute, am Ostertag, die Auferstehungsgeschichte!"
Der Fernsprecher
schrillt. „Herr Pfarrer, in Ihrem Bezirk steht zur Zeit der Zirkus Sarrasani.
Da ist vorgestern eine Amerikanerin gestorben. Sie müssen die Beerdigung
übernehmen!"
Zeit und Stunde
werden ausgemacht.
Am nächsten Tag
stehe ich bei der Friedhofskapelle. Da ist der Sarg. Eine große amerikanische
Flagge bedeckt ihn. Ein Wärter tritt zu mir: „Wissen Sie, daß es sich um eine
Indianerin handelt? Ihr Zelt, in dem sie in dem großen Zirkuslager wohnte, hat
Feuer gefangen, und an den Brandwunden ist sie gestorben."
Eine Indianerin?
War sie wohl Christin? Und welche verschlungenen Wege führten sie wohl von den
Steppen Nordamerikas zu uns? Ehe ich noch alle auf mich einstürmenden Gedanken
ordnen kann, höre ich draußen Musik. Ich eile hinaus.
Ein buntes Bild. Da
kommt der ganze Zirkus anmarschiert. Voran drei farbige Musikkapellen. Dahinter
der Zirkusdirektor. Dann kommen die Indianer. An der Spitze der hochgewachsene
Häuptling, hinter ihm die anderen Männer und Frauen seines Stammes, große,
hagere Gestalten im Schmuck der Adlerfedern. Dahinter ein endloser Zug:
Kosaken und Tataren, Chinesen und Japaner, Rifkabylen aus Nordafrika und
Cowboys von den Vereinigten Staaten, Neger, Tänzerinnen. Besonders fällt mir
eine Reihe junger Mädchen in Reithosen und Sporenstiefeln auf, deren Gesichter
über und über geschminkt und gepudert sind. Sie alle füllen schwatzend und
lärmend die enge Friedhofskapelle. Das Gedränge ist groß. Die jungen Reitmädchen
setzen sich auf die Fensterbank, um von da oben alles sehen zu können. Und dann
stellt mich der Zirkusdirektor dem Indianerhäuptling vor. Ein seltsames Bild:
der evangelische Pfarrer in seiner Amtstracht, dem der Indianerhäuptling in
voller Kriegsbemalung die Hand drückt.
Aber dann fällt mir
meine Leichenrede schwer aufs Herz. Eine solche Beerdigung habe ich noch nie
erlebt. Es wird gut sein, wenn ich dem fahrenden Volk ein Wort von der Wanderschaft
des Erdenlebens sage und von der großen Ewigkeit.
Wird das aber
möglich sein? Zaghaft wende ich mich an den Zirkusdirektor: „Sagen Sie doch
bitte, verstehen die Leute denn deutsch?"
„I bewahre —",
lacht er, „— und auch englisch verstehen nur ein paar von ihnen. Da sind viele
Ausländer drunter, die nur ihre Muttersprache verstehen. Die verständigen sich
mit mir durch ihren englisch sprechenden Dolmetscher. Reden Sie nur irgend
etwas, es versteht's doch niemand."
Da kommt eine große
Verzagtheit über mich. Das wäre ja sinnlos, wenn ich reden sollte, was kein
Mensch versteht. Nun, dann will ich wenigstens zu denen reden, die mich doch
verstehen müssen. Der Zirkusdirektor und der und jener unter den Deutschen,
sie werden lange nicht in der Kirche gewesen sein. Denen will ich ein
Ewigkeitswort sagen!
So lese ich ein
Bibelwort und sage ein paar Sätze. Die Versammlung ist schrecklich unruhig.
Die Mädchen dort oben auf der Fensterbank beschäftigen sich mit
Taschenspiegeln, Lippenstift und Puderquaste. Nun, es muß auch langweilig
sein, wenn man eine Rede nicht versteht.
Ich spreche von dem
traurigen Schicksal dieser Indianerin, die nun in fremdem Land ihr Grab findet.
„Ihr, die ihr immer umherzieht durch alle Länder, ihr alle seid heimatlose Leute.
Aber euch möchte ich sagen, daß dafür die ewige Heimat zu euch gekommen ist.
Unsere Seele ist zu Hause, wenn sie bei Jesus ist."
Da geschieht etwas
ganz Seltsames.
Als ich den Namen
Jesus ausspreche, geht's wie eine Bewegung durch die Versammlung. Das ist ein
Wort, das sie alle verstehen. Und beim Klang des Wortes Jesus horchen sie auf.
Aber ich merke sofort: es ist nicht nur deshalb, weil der Name allen bekannt
ist; er hat eine ganz eigentümliche Gewalt. Die Indianer neigen sich. Die
unruhigen Asiaten werden ganz still. Die Russen schauen mich mit großen Augen
an. — Da habe ich nun auf einmal meine Leichenrede gefunden. Sie kann von nun
an nur noch ein Wort sein: dieser große Name Jesus!
So sage ich einen
Satz nach dem anderen. Es kommt mir nur mehr auf den Namen Jesus an. Immer
wieder verneigen sich die Indianer. Ganz still ist's mit einmal in der
Versammlung. Meine Augen gehen zu den leichtfertigen Mädchen: verschwunden
sind Lippenstift und Spiegel. Der einen laufen die hellen Tränen übers Gesicht.
Eine andre stützt den Kopf in die Hände; ob ihre Gedanken wohl zurückgehen in
eine reinere Jugendzeit, wo sie zum erstenmal den Namen Jesus hörte?
Und während ich
weiter den Namen Jesus verkündige und all diese Menschen aus den
verschiedensten Teilen der Welt vor ihm stille werden, ist mir's, als erlebte
ich schon ein Stücklein von dem, was am Ende einmal sein wird: daß in dem Namen
sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und
unter der Erde sind!
Nein! Diesen
schrecklichen Morgen im Jahre 1940 werde ich nie vergessen können.
Da machte die
Gestapo einen ganz großen „Schlag" gegen die evangelische Jugendarbeit
unsrer Stadt. In meinem Büro erschienen zwei finstere Männer, stöberten in
allen Akten, beschlagnahmten „verdächtiges Material" und fuhren
schließlich mit allen Schreibmaschinen davon.
Mir war der Kopf
noch ganz benommen. Da schellte es. Eine weinende Frau kam an, die Mutter eines
treuen Mitarbeiters: „Bei uns sind sie gewesen und haben alle Schränke
ausgeleert und alle Schubladen umgekippt. Und dann haben sie einen Ball
gefunden. Da haben sie erklärt: Jetzt haben wir den Beweis, daß hier verbotener
Sport getrieben wird . . .'" — — Sie war noch nicht zu Ende, da erschien
ein Vater mit einem ähnlichen Bericht. Der Schreck stand ihm im Gesicht
geschrieben. Und ich dachte: „Die müssen bös gehaust haben, wenn ein starker
Mann so verstört wird."
Am Ende waren 40
bis 50 Leute versammelt. Bei allen meinen freiwilligen Mitarbeitern waren die
Beamten eingebrochen, hatten verwüstende Haussuchung gehalten und wilde Drohungen
ausgestoßen.
Wir haben dann ein
Wort Gottes zusammen gelesen von der Stadt Gottes, die „fein lustig
bleiben" soll, auch wenn die Berge wanken.
Darauf haben wir
zusammen gebetet. Getröstet verließen sie mich, und doch Furcht im Herzen, was
daraus werden würde.
Nun, es ist
eigentlich gar nichts daraus geworden. Vielleicht wollte man den jungen Leuten
und ihren Eltern nur ein wenig den Mut zur Mitarbeit im evangelischen
Jugendwerk nehmen.
Aber eine kleine
Geschichte ist im Zuge dieser Sache geschehen, die es wert ist, daß sie
erzählt wird:
Zunächst also
wurden all die jungen Männer zu einem Verhör bestellt und in langen, quälenden
Verhandlungen vernommen.
Und am Ende kam ich
selbst an die Reihe als verantwortlicher Leiter. Mit Herzklopfen stand ich
wieder in dem Raum, in dem ich schon so viele schwere Stunden erlebt hatte.
Lange schaute mich
der verhörende Beamte schweigend an. Dann atmete er auf einmal tief auf und
sagte — eine tiefe Erschütterung war seinen Worten anzuspüren —: „Jetzt habe
ich 50 Ihrer Jungen verhört. Und dabei ist etwas geschehen, was ich noch nie
erlebt habe. Keiner von den 50 hat mich angelogen. Alle haben lieber zu ihrem
eigenen Schaden ausgesagt, als daß sie eine Lüge gesagt hätten. Daß es so etwas
gibt!"
Mir wurde das Herz
fröhlich. „O ihr Jungen!" mußte ich denken, „ihr habt gewaltiger gepredigt
als mancher berühmte Evangelist. Ihr habt das Gewissen dieses verhärteten
Mannes angerührt!"
Der Beamte saß
schweigend auf einem Stuhl. „Armer Mann!" hätte ich gern zu ihm gesagt,
wenn das möglich gewesen wäre. Denn es streifte mich in diesem Augenblick eine
Ahnung, wie furchtbar eine Welt ist — ohne Christus!
Verzweifelt kämpfte
ich um mein Haus. Der furchtbare Fliegerangriff vor zwei Tagen hatte die Stadt
in ein Flammenmeer verwandelt.
Rings umher hatte
man den Kampf aufgegeben. Da standen nur noch rußgeschwärzte Mauern, in denen
es leise rauchte.
Es war nicht mehr
viel zu retten. Die beiden obersten Stockwerke waren schon ausgebrannt. Aber
wenn es gelang, das Feuer zum Stehen zu bringen, konnte ich meine wertvolle
Bücherei und ein paar Möbel retten.
Die Augen waren
entzündet von Rauch und Müdigkeit, die Hände verbrannt. Mit langen Stangen
rissen wir das Feuer auseinander. Wasser gab es schon längst nicht mehr.
Da — alles hob den
Kopf! Was war das? „Wahrhaftig — das Telefon geht noch!" Es war
lächerlich, wie in dem zerstörten, brennenden Hause, in das von oben der blaue
Frühlingshimmel hereinschaute, das Telefon klingelte.
Ich stürzte hin:
„Hier die Geheime Staatspolizei. Kommen Sie mal sofort hierher!" — „Ich
kann doch nicht. Mir verbrennt mein letzter Besitz!" — „Wenn die
Staatspolizei ruft, haben Sie sofort zu erscheinen. Wir erwarten Sie in einer
halben Stunde!" — — —
Und dann saß ich im
Büro der Gestapo vor einem eleganten Beamten, der meine verbrannten Kleider nur
flüchtig streifte und mir dann irgendeines der unsagbar lächerlichen Verbote
mitteilte, mit denen die evangelische Jugendarbeit beständig gequält wurde.
„Ihre Sorgen möchte
ich haben!" entfuhr es mir. Und dann erschrak ich selber vor dem Wort.
Aber der hohe Herr war sehr gnädig. „Wieso?" fragte er nur.
„Nun, hier geht
eine Welt unter. Und Sie entblöden sich nicht, mich wegen einer solchen Sache
herzubestellen!"
Da wurde er auf
einmal sehr ernst und sagte: „Uns ist diese Sache wichtig. Sehen Sie, wir haben
Sie genau beobachtet. Und da haben wir festgestellt, daß Sie noch keinen
Gottesdienst und keine Jugendstunde haben ausfallen lassen. Als Ihre Sääle und
Kirchen zerstört waren, gingen Sie in die Keller. Und wenn ein Keller
verschüttet war, richteten Sie sich im nächsten ein."
Ich mußte lächeln:
„Ja, der Siegeszug des Evangeliums geht weiter!"
Da fuhr er auf:
„Und unser weltanschaulicher Kampf geht auch weiter! Und wenn die Welt
untergeht!!"
Wir sahen uns in
die Augen und fühlten, einer am ändern, eine unheimliche Entschlossenheit.
„Damit geben Sie
zu", sagte ich langsam, „daß das Thema dieser schrecklichen Zeit heißt: Christus
oder Antichristus!"
„Da gebe ich Ihnen
recht. Es geht nur um die Frage, ob Ihr eingebildeter Jesus Christus noch
länger die Hirne gefangen halten soll — oder ob wir und unsre Weltanschauung
herrschen. Darum geht es allein in dieser Zeit. Alles andre ist nur
Begleitmusik."
Ich konnte nicht
anders — ich streckte ihm die Hand hin und sagte: „Wenn uns auch Welten
trennen, mit Ihnen verstehe ich mich über all die Köpfe hinweg, die nicht
begreifen, um was es geht."
Und dann durfte ich
ihm sagen, daß Jesus Christus keine Einbildung ist, sondern daß Er lebt.
Als ich nach Hause
ging, fiel mir auf einmal mein brennendes Haus ein. Das hatte ich ganz
vergessen!
Und das war gut. Es
ging ja auch nicht um Haus und Besitz. Und mein Herz wurde in all meiner Not
fröhlich, daß ich einem Herrn dienen durfte, dessen Sieg sicher ist, seitdem Er
auf Golgatha rief: „Es ist vollbracht!"