H&HENWEÖ REIHE Heben ohne 2Ultag KLEINE ERZÄHLUNGEN VIERTE FOLGE QUELL-VERLAG STUTTGART © 1954 by Quell-Verlag Stuttgart Printed in Germany Alle Rechte Vorbehalten 8. Auflage 1966 • 92. — 101. Tausend Umschlagentwurf: Robert Eberwein Satz und Drude: Maisch & Quedc, Gerlingen fLuFas 15 im Zeltlager „Lieber Herr Pfarrer! Es ist unmöglich, was Sie da Vorhaben. In der ersten Nacht schon werden Ihre Zelte abmontiert und auf dem Schwarzen Markt verscheuert." „Das lassen Sie nur meine Sorge sein, Herr Betriebsführer! Schicken Sie mir getrost vier Jugendliche von Ihrer Zeche." „Na, Sie müssen's wissen. Gewarnt sind Sie! Glückauf!" „Glückauf!" Ich hängte den Telefonhörer ein. Sehr nachdenklich. Was der Mann da gesagt hatte, das war schon richtig. Sicher war es ein gewagtes Stück, in der wirren Zeit zwischen Kriegsende und Währungsreform ein Zeltlager für jugendliche Bergleute zu ver-anstalten. Sollte ich die Sache lieber aufgeben? Aber dann sah ich sie im Geist vor mir: All diese jungen Kerle, die der Krieg und der Zusammenbruch in das Ruhrgebiet geschwemmt hatte. Heimatlose, elternlose, wurzellose Gesellen! Da saßen sie nun zu Hunderten in den kümmerlichen Baracken, aus denen vor kurzem die polnischen Zwangsarbeiter und all die DPs ausgezogen waren. Die Betriebsführer rauften sich die Haare, wenn sie an diese wunderlichen „Bergleute" dachten. Sechzig von hundert rissen wieder aus, wenn sie zum erstenmal Geld bekommen hatten, und verkauften ihre Schuhe, das Arbeitszeug und was sonst der Zeche gehörte, auf dem Schwarzen Markt. Sollte man nicht in diese „verlorene Generation" das Evangelium hineinwerfen? Gewiß! Ich konnte höchstens 70 Jungen in ein Lager holen. Und Tausende waren uns auf die Seele gelegt. Aber gerade damals hörte ich das schöne chinesische Sprichwort: „Die Größe der Dunkelheit kann uns nicht hindern, wenigstens eine Kerze anzuzünden." Also — ich wollte meine kleine Kerze anzünden. Es ging dann auf einmal alles wie von selber: Die amerikanische Militärregierung interessierte sich für meinen Versuch. Sie stellte Zelte und Verpflegung. Der CVJM gab sein Landheim her. Und nun gingen die Einladungen hinaus: „Jede Zeche schickt vier Jugendliche!" Ja, so weit ging alles gut. Aber — nun wurden die Betriebs-führer besorgt. Sie kannten ihre Gesellen und meinten, ein Pfarrer sei solcher Unternehmung wohl nicht gewachsen. Sie hatten sicher recht. Aber — kannten sie die Macht Jesu? Ich ging zur amerikanischen Militärregierung. Der Colonel lachte: „Versuchen Sie es nur! So ein paar Zelte können die USA verschmerzen!"------- Und dann kam der Tag, an dem die jungen Männer im Zeltlager eintrafen. Ich weiß jetzt nicht mehr, ob ich gelacht oder geweint habe. Jedenfalls — im Handumdrehen war der tollste Tumult da: Einer hatte Zigaretten mitgebracht und machte den Schwarzen Markt auf. Ein anderer saß mit einem Akkordeon im Gras und sang mit seinen Genossen schallend wüste Schlager, die mir die Schamröte ins Gesicht trieben. Dort prügelten sich schon ein paar andere. Nur gut, daß das Abendessen fertig war. Es gelang mir sogar ein Tischgebet. Und dann setzte ich mich zu dem finstersten Burschen, der drohend und brütend in seinem Teller stocherte. Mürrisch rückte er zur Seite. „Wo sind Sie her?" fragte ich. „Crailsheim." „Oh, Sie sind ein Württemberger! Da können wir ja schwäbisch schwätze." Erstaunt schaut er auf. „Kennet Sie denn 's Schwobeland?" „Klar! Mann! Wenn i do dra denk, krieg i 's Heimweh!" Er nickte verständnisvoll. Ich fragte: „Hoscht au Heimweh?" Wieder nickte er. Dann zog er schwerfällig seine Brieftasche heraus. Lange suchte er. Schließlich legte er vor mich auf den Tisch ein Zigarettenbildchen. Das war so abgegriffen, daß man mit dem besten Willen nichts mehr erkennen konnte. „Crailsheim?" fragte ich. Wieder ein Nicken. Und feuchte Augen. Von dem Augenblick ab war er mein bester Helfer und Beistand . . . Aber es kam dann der erste Morgen. Und da mußte ich nun herausrücken mit dem, was ich eigentlich wollte. Die ganze Ge- Seilschaft war im Tagesraum versammelt, etwas neugierig, was es denn jetzt geben sollte. Ich stieg auf einen Stuhl: „Männer! Brüder! Eine Frage: Was könnt Ihr ernst nehmen?" Lachen! Gebrüll: „Gar nichts!" „Nehmt Ihr mich auch nicht ernst?" Wieder Lachen: „Nein! Wie kämen wir dazu?" „Nehmt Ihr euch selbst auch nicht ernst?" Diesmal wurde nicht gelacht. Es erfolgte nur ein bitteres: „Nein!" wie aus einem Munde. „So ist das also! Nun, das ist gut so! Jetzt ist in euren Herzen Platz geschafft für das, was man wirklich mit Freuden ernst nehmen kann. Das ist Gottes Wort. Hier habe ich einen Haufen Bibelteile. Bitte, verteilt sie jetzt unter euch! Wir werden jetzt eine halbe Stunde miteinander in diesem Neuen Testament lesen. Wenn's euch langweilig ist, dann werden wir es nie wieder tun. Aber — mir zuliebe — laßt es uns heute einmal versuchen ..." Damit zog ich ein Päckchen kleiner Hefte hervor, in denen das Markus=Evangelium gedruckt war. Auf dem Titelblatt prangte ein grelles, buntes Bild. Ich hatte die Dinger durch die britische Bibelgesellschaft bekommen. Erstaunt griffen die jungen Männer zu. Fast entsank mir der Mut: Die einen grinsten, die anderen machten Kugelaugen, den dritten sah man an, wie sie überlegten, ob man jetzt mal eine Zigarette anzünden könne. Ja, und ein paar machten ganz ver= stockte Gesichter. Ich schrie inwendig zu Gott und rief dann: „Im Kapitel eins steht eine pfundige Geschichte — von Vers 40 an. Schlagt sie doch bitte mal auf!" Nun fingen sie alle an zu suchen. Damit waren sie eigentlich schon mitten in die Bibelarbeit hineingeraten. Und nun wurde diese wunderbare Geschichte vor uns leben= dig: Wie da eine Volksmenge um den Herrn Jesus sich drängt — wie es auf einmal eine Aufregung gibt: Ein Aussätziger wagt sich herbei; — wie die Menge ihn wegscheuchen will — wie sie erschrocken auseinanderstiebt: Es will sich doch keiner anstecken lassen von der gräßlichen Krankheit — wie der elende Mensch, dies ekelhafte, eiternde, verfaulende Häuflein Elend vor Jesus im Staube liegt. . . Und dann — jetzt halten die jungen Männer den Atem an — dann geht der Heiland einen Schritt auf ihn zu und legt ihm die Hand auf den Kopf. Die Heilandshand auf dem eitrigen, übel* riechenden Haupt! Ihm ist keiner ekelhaft! Er wendet sich von keinem ab, der ihn sucht. Er liebt den, der wie Dreck da im Staube liegt. Und dann richtet Jesus ihn auf und heilt ihn ... So ist das mit dem Herrn Jesus!-------- Die halbe Stunde ist herum. „Sollen wir morgen wieder . . .?" „Ja", ruft's von allen Seiten. Ein „Nein" höre ich nicht. „Also — jetzt hinaus! Jetzt gehen wir zum Schwimmen. Nachher steigt ein Handballspiel." Die Gesellschaft tobt hinaus. Streichhölzer flammen auf. Die Zigaretten vom Schwarzen Markt verbreiten ihren beizenden Rauch. Ich stehe immer noch auf meinem Stuhl und schaue. Da kommt es mir so vor — oder bilde ich es mir nur ein? — als sei irgend etwas verändert. Und auf einmal überfällt es mich wie eine große Beglückung: Nicht ich ringe hier um die verhärteten Seelen dieser Jungen. Er selbst ist unter uns, der Eine, der die Aussätzigen lieb hat. Mittagspause. Die meisten liegen im Gras oder im Zelt und „pennen". So drücken sie das aus. Ihr Sprachschatz ist sehr klein und sehr roh. Ich gehe durch die Zeltreihen... Da, ein wildes Gelächter! Eine laute Stimme! Die Zeltwände sind so dünn. Ich eile hin, um die Ruhestörer zu bitten, die Mittagspause der andern zu ach* ten. Aber dann muß ich stehenbleiben: Die Stimme da drin er* zählt einen Witz. Ach was — Witz?! Das ist nicht witzig, das ist nur abscheulich und unanständig. Empört schlage ich die Lein* wand zurück und trete ins Zelt. Es verschlägt mir den Atem: Da sitzen meine zwei Jüngsten, Jungen von 15 oder 16 Jahren. Ich lege mich zu ihnen ins Stroh: „Jungen! Ich hab' leider gehört, was Ihr euch da erzählt." „Na und?" meint gleichmütig einer und fängt an, sich eine Zigarette zu drehen. „Ihr müßt sehr arme Burschen sein. In euch drin muß es ja aussehen wie in einem Dreckkübel. Denn was da rauskommt, das ist stinkender Dreck." „Ja, so ist das!" sagte der Junge, der eigentlich noch ein Kind ist. Dabei rollen seine Finger nervös die Zigarette. „Die Jungen hier im Lager sagen alle: Der Pfarrer gibt sich ja viele Mühe mit uns. Aber ..." Jetzt sieht er mich an, mit Augen, vor denen man erschrecken kann, weil sie wie erloschen sind. Dann führt er die Zigarette zum Mund, führt sie über die Zungenspitze, klebt sie sorgfältig zu. Und während er jetzt in seiner Tasche nach Streichhölzern kramt, sagt er: „. . . Lassen Sie es bleiben! Bei uns beiden ist jede Mühe verloren. Uns kann man nicht retten ..." Er steckt die Zigarette jetzt an, tut einen tiefen Zug durch die Lunge: „Sehen Sie, so war das! Es hieß bei uns in Schlesien: Die Russen kommen! Nun ging alles stiften. Auch meine Mutter und wir. Fünf Geschwister waren wir." „Und der Vater?" fragte ich dazwischen. Er zuckt die Achseln: „Gefallen irgendwo. Wir waren ein kleiner Treck, fast nur Frauen und Kinder. Unterwegs trafen wir eine Flakbatterie. Die nahm uns Jungen mit. Sie brauchten Helfer. Na, da kamen wir unter Männer. Was wir da erlebt und gesehen haben! Und nachher in einem Kriegsgefangenenlager in Italien." „Italien?" „Na ja, da sind wir schließlich gelandet. Es gibt kein Elend, keinen Schmutz, keinen Sumpf, den wir nicht gesehen hätten. Wir sind mit Dreck vergiftet. Und darum ..." Er tut wieder einen tiefen Zug... „... und darum hat das alles keinen Wert. Uns kann doch keiner mehr retten." Es würgt mich am Herzen: Das sind doch noch Kinder! Wer das wohl verantworten muß: die geschändeten, in den Staub getretenen Kinderseelen! Und auf einmal steht ein Bild vor mir: Die Heilandshand auf dem Haupt des Aussätzigen, des unrettbar Verlorenen. „O meine lieben Jungen!" sage ich. „Habt Ihr die Geschichte von heute morgen ganz vergessen?" „Nee, war schön!" „Ihr Kerle! Meint Ihr denn, dieser Herr Jesus hätte euch nicht brennend lieb? Für ihn gibt's keine hoffnungslosen Fälle. Er verabscheut keinen. Er holt vom Rande des Todes zurück..." Ich kann nicht aufhören, von Jesus zu sprechen. Vier Jungen- äugen starren midi an: Die Botschaft ist ja so unerhört! Lang= sam verglimmt die Zigarette zwischen den Fingern. Der Junge wirft den Stummel zur Zelttüre hinaus. Da stehen ein paar andre. „Kommt nur rein!" rufe ich. Bald ist das Zelt voll. Und wieder einmal wiederholt sich die wunderbare Geschichte, die zu allen Zeiten die Pharisäer aufgeregt und verwundert hat: „Dieser Jesus nimmt die Sünder an und isset mit ihnen." So steht es im Lukas=Evangelium im 15. Kapitel. Und so ge= schieht es auch in unseren Tagen. ,©turm auf bem TiFteec' ln ©tuttgact „Huuuiii" heulte der Sturm durch die Straßen und wirbelte Wolken von Staub auf. Ziegel rasselten von den Dächern. In den Anlagen brachen dicke Äste krachend von den Bäumen. Man hätte meinen sollen, daß die Straßen Stuttgarts an die= sem Abend des 30. August 1952 einsam und verlassen sein müß= ten. Aber — es war ja Kirchentag. Da kümmerten sich die Men= sehen nicht um das Geheul des Sturmes und strömten in die Versammlungen. Fast flüchtend betrat ich eins der riesigen Zelte am Neckar, in dem ich an diesem Abend einen Vortrag halten sollte. Es war fürchterlich: Die gewaltigen Zeltplanen rauschten im Sturm wie große Segel. Die Tragebalken bogen sich, und die Lampen schau= kelten beängstigend. Massen von Staub erfüllten den ungeheu* ren Raum ... Wie sollte das werden, wenn nun etwa eine Stütze brach — oder wenn ein Lichtkabel zerriß — oder wenn eine der großen Lampen herabstürzte ...? Und immer neue Massen strömten herein. 5000 Menschen konnte das Zelt fassen. Mein Herz krampfte sich zusammen Wenn hier nun etwas passierte! Ein Mann ging an mir vorüber und sagte aufgeregt: „Haben Sie schon gehört? Im Verpflegungszelt nebenan sind Balken herabgestürzt und haben einige Leute verletzt." Dann eilte er hastig weiter . . . Meine Angst und Sorge stiegen. Wenn ich doch jetzt einen ,.Bruder" hier hätte, mit dem ich beten könnte. Ich mußte alle meine Angst und Sorge abladen. Suchend ging ich durch die Menge. Da stieß ich mit einem zu» sammen, den ich gut kannte. Er war schwerhörig und trug eine kleine Batterie vor der Brust. „Bruder", bat ich ihn, „können Sie mit mir beten?" Da lächelte er: „Genau das wollte ich Ihnen vorschlagen." Langsam gingen wir durch die Menschenmenge ganz nach hinten. Dort war noch eine stille Ecke. „Es fehlt noch der Dritte", sagte ich. Da saß ein Mann neben dem Gang, der ein ernstes und stilles Gesicht hatte. Ich kannte ihn nicht. Aber er weckte mein Vertrauen. „Bruder", fragte ich ihn, „können Sie beten?" Da leuchtet sein Gesicht auf: „Gewiß!" — „Dann kommen Sie mit!" Gehorsam erhob er sich. Da sah ich, daß er ein Holzbein hatte. „Nun ist es richtig", dachte ich, „der Taube, der Lahme und der Ängstliche. Wir sind die richtigen Leute für Jesus." Und dann saßen wir in der äußersten Ecke. Hier, wo zwei Zeltplanen zusammenstießen, merkte man erst so richtig, wie das Zelt vom Sturm geschüttelt wurde. Es war wirklich beängstigend! Aber da faltete der Alte mit dem Holzbein schon still und gesammelt die Hände und betete mit einer wundervollen Ruhe und Vollmacht: „Herr Jesus! Du hast bei dem Sturm auf dem Meer das Schifflein fest in Deiner Hand gehalten. Du hast auch dieses Schiff in Deiner Hand. Dafür danken wir Dir! Amen." Darüber wurde auch mein Herz still, fröhlich und ganz getrost. Denn nun wußte ich wieder, daß die Jünger des Herrn Jesus ja ganz anders in den Stürmen stehen als die anderen Leute. Sie sind immer und überall „sicher in Jesu Armen". — Durch die immer noch hereindrängenden Menschenscharen eilte ich auf das Podium. Und dann sangen wir: „Wohl dem, der einzig schauet Nach Jakobs Gott und Heil. . .!" £)ec 25efcciec Harlem! Negerviertel in New York! Für den, der zum erstenmal hierherkommt, ist es ein bestür* zender Eindruck: diese Mischung von Afrika und abendländischer Zivilisation auf amerikanischem Boden. In meiner Tasche knistert die Einladung in einen Klub, wo ein schwarzer Professor einen Vortrag halten wird. Etwas befangen betrete ich durch die weiten Türen die Diele des schönen Klubhauses. Hier verdichtet sich der befremdende Eindruck: Elegante Damen! Herren in gut geschnittenen Abend* anzügen! Wie seltsam dazu die dunkle Hautfarbe! In den Mis* sionsgeschichten meiner Jugend kamen die Neger nur im Len* denschurz vor, mit Spieß und Assagai. In dem großen Vortragssaal sitze ich neben einer jungen Lady, die ich zuerst für eine Weiße halte. Aber dann sehe ich die dunk* len Schatten zwischen den Fingern und die bläulichen Nägel. Der Professor spricht von amerikanischen Rassenproblemen: „Wir verstehen es, wenn die weißen Mitbürger beunruhigt sind. Heute ist jeder zehnte USA*Bürger ein Farbiger. In New York sogar jeder neunte." Ob die Zahlen wohl stimmen? Aber ich muß aufpassen. Es fällt mir schwer, ihn zu verstehen. Nun bricht ein wilder Beifall los, als er spöttisch erklärt: „Wir bedauern, daß unsere weißen Mitbürger Sorge haben. Aber wir können nichts dafür, daß wir hier sind. Wir Farbigen sind auf eine so dringende Einladung nach USA gekommen, daß wir sie nicht gut ablehnen konnten." Minutenlang Lärm, Lachen, Beifall. In diesem Augenblick spüre ich ein wenig von afrikanischer Wildheit bei diesen zivilisierten Leuten. „... auf eine so dringende Einladung nach USA gekommen ..." Ja, es war eine schreckliche Einladung, wenn die Neger in Afrika geraubt und als Sklaven nach USA gebracht wurden. Die großen Baumwoll=Plantagen der Südstaaten brauchten Arbeiter. Meine Gedanken schweifen ab. Es ist eigentlich noch gar nicht so lange her, daß die Neger-Sklaven mit Bluthunden gehetzt und zu Tode gepeitscht wurden. Bilder aus „Onkel Toms Hütte" stehen vor mir auf. Ja, es ist noch gar nicht so lange her! Und welch ein Weg war es von diesen rechtslosen Sklaven bis zu den reichen Leuten hier um mich herum------- Längst höre ich dem Professor nicht mehr zu. Wie war das noch damals? Richtig! Da ist der große Präsi» dent Abraham Lincoln gewesen. Der hat einen langen, schreck» liehen und blutigen Krieg gegen die Südstaaten von USA ge» führt, — einen furchtbaren Bürgerkrieg. Aber das Ende davon war dann die Einheit der USA und die Freiheit der Sklaven. Ich schrecke auf. Der Professor hat geendigt. Nun habe ich gar nichts mehr gehört. Die kleine Lady neben mir klatscht sich die Hände wund. Vorn verbeugt sich der Professor mit einem kalten Lächeln. Im Gedränge des Volkes gehe ich die Treppe wieder hinunter in die Diele. Und da fällt mir etwas auf: Ein Denkmal aus Mar» mor, das Standbild eines hageren Mannes! Ich bleibe davor ste» hen. Wer mag das sein? Das ist doch kein Neger! Nun ja, in weißen Marmor gehauen, wäre selbst ein Farbiger weiß. Aber diese Gesichtszüge sind unverkennbar die Züge eines Weißen. Ich staune. Bei diesem Rassengegensatz stellen die Neger das Bild eines weißen Mannes in ihrem Klubhaus auf? Wer mag das sein? Ich halte einen jungen Gent, der gerade vorübergeht, am Ärmel fest und stammele ihm in meinem schlechten Englisch die Frage vor, wer denn hier dargestellt sei. Und nun geschieht etwas Seltsames, etwas, das ich nie verges» sen werde: Der junge Mann bleibt vor dem Bilde stehen, schaut es lange — wie verklärt — an und sagt dann: „Das ist Abraham Lincoln, unser Befreier." Er sagt es so feierlich, daß es mich ergreift. Richtig andächtig steht er vor der Statue. Die Hände hat er über der Brust gefaltet. Und immer wieder sagt er leise: „Abra» ham Lincoln, unser Befreier." Meine Blicke gehen von dem jungen Mann zu dem Standbild. „Wie seltsam ist das", muß ich denken. „Da hat irgendwann ein» mal ein Mann auf blutigem Schlachtfeld gekämpft. Dieser junge Mann war nicht dabei. Ja, er hat damals noch gar nicht gelebt. Aber — daß er heute mit erhobenem Angesicht, als freier Mann, hier stehen kann, das verdankt er jenem blutigen Kampf und dem Manne Abraham Lincoln." Langsam gehe ich weiter. Als ich noch einmal zurückschaue, sehe ich, daß der junge Mann immer noch hingerissen vor der Statue Lincolns steht. Und da — da durchfährt es mich: So, genau so stehen wir Christen vor dem Kreuze Jesu Christi. Wir waren nicht dabei, als der Sohn Gottes auf blutiger Walstatt von Golgatha einsam kämpfte. Ja, wir waren damals noch gar nicht geboren. Wir hat* ten keinen Teil an seinem Kampf. Und doch — daß wir erhöbe* nen Angesichts vor den Vater treten dürfen, daß wir „erlöst von der Sklaverei der Welt, Satans und des Todes" leben dürfen — das verdanken wir seinem Kampf. Ja, Jesus, unser Befreier! Die Worte eines Liedes gehen mir durch den Sinn: „Auch mich, auch mich erlöst er da . . Und wie jener junge Neger vor der Statue Lincolns, so stand ich jetzt im Geiste vor dem Kreuze von Golgatha: Jesus! Unser Befreier! Durch die nächtlichen Straßen ging ich zu meinem Hotel. Das ruhelose Leben New Yorks umbrandete mich lärmend. So merkte es niemand, wie ich leise und fröhlich vor mich hinsang: Jesus ist kommen, nun springen die Bande, Stricke des Todes, die reißen entzwei. Unser Durchbrecher ist nunmehr vorhanden. Er, der Sohn Gottes, der machet recht frei, Bringet zu Ehren aus Sünde und Schande. Jesus ist kommen, nun springen die Bande. crtjclftlldje ©eefcitjct Der gestörte Schlaf Langsam schob sich das riesige Schiff vom New Yorker Pier ab. Ich stand an Deck und schaute hingerissen hinüber nach der gewaltigen Stadt, die jetzt, um Mitternacht, noch von brausen* dem Leben erfüllt war. Da türmten sich die erleuchteten WoU kenkratzer, einer höher als der andere. Es schien mir, als seien sie zu einem Wettlauf angetreten, wer zuerst den Himmel stür-men würde. Ich mußte an den mächtigen König Nebukadnezar denken, wie der eines Tages über seine Stadt Babylon hinsah und dann ausrief: „Dies ist die große Babel, die ich erbaut habe durch meine große Macht, zu Ehren meiner Herrlichkeit!" Da ging ein Zittern durch das Schiff. Der Schleppdampfer hatte die Trossen abgeworfen. Die Schrauben fingen an zu ar= beiten. Immer mehr versank die Lichterstadt vor den Augen. Ich sah auf meine Uhr. Jetzt mußte man wieder eine Stunde vorstellen. Es war also jetzt schon halb zwei. Langsam schien-derte ich zu meiner Kabine, erfüllt von dem starken Wunsch: Nun will ich mal tüchtig ausschlafen. Die Reise quer durch den Kontinent hat mich müde gemacht. Wie gemütlich meine kleine Kabine ist! Die werde ich so bald nicht wieder verlassen. Das Meer ist ruhig, und ich kann das Bullauge öffnen. Beim Rauschen des Ozeans schlafe ich schnell ein.------- „Poch! Poch! Poch!" Ich fahre hoch. Mir ist zumute, als hätte ich erst ein paar Minuten geschlafen. Wirklich, da klopfte es an die Tür. Ach was! Ich bin jetzt nicht zu sprechen! Man soll mich in Ruhe lassen! Aber wieder klopft es. Ärgerlich fahre ich aus dem Bett — ein Blick auf die Uhr belehrt mich, daß es bereits auf Mittag zugeht — und öffne. Vor mir steht — elegant und gepflegt — ein Mann in blütenweißem Jackett. Offenbar ein Steward der ersten Klasse. Wie kommt solch ein Olympier in die Niedrigkeit meiner dritten Klasse? Ich fange an, mich meiner ungekämmten Haare und meines verschlafenen Gesichts zu schämen. „Sind Sie der Pfarrer Busch?" fragt er. „Gewiß! Aber warum stören Sie meinen schönen Schlaf?" Er zieht ein Blatt aus der Tasche. Ich sehe gleich: Es ist der „Bote", ein evangelistisches Blatt für Gasthofangestellte. Er schlägt es auf, zeigt auf einen Artikel und fragt: „Haben Sie das geschrieben?" „Ja! Das hat meine Feder verbrochen." „Dann müssen Sie mir helfen!" Ich erschrecke. Im Geist sehe ich mich schon riesige Fleisch* platten balancieren. Haben sie nicht genug Stewards in ihrer feinen ersten Klasse? Nein! Nein! Vom Servieren verstehe ich nichts! So mache ich ein abweisendes Gesicht. Wie komme ich dazu, dem Manne zu helfen, nur weil der „Bote" einen Artikel von mir gebracht hat! Ein leichtes Lächeln geht über sein Gesicht. Ihm ist es offen* bar einleuchtend, daß ein Mann, der eben aus dem tiefsten Schlaf erwacht, nicht so schnell begreift. Höflich fragt er: „Darf ich Ihnen alles erklären?" Was will ich machen! Ich hole ihm den Klappstuhl aus dem engen Schrank. Aber — wenn er sitzen soll, ist für mich kein Platz mehr in der Kabine. Nur im Bett. So suche ich diesen ge* liebten Platz wieder auf. Und nun kann's losgehen. Was er berichtet, ist wundervoll. Jetzt bin ich hellwach, als ich von ihm höre: „Wir haben einen kleinen Bibelkreis unter den Angestellten des Schiffes. Dazu gehören zwei Stewards, ein Heizer, ein Postbote, ein Koch und sonst so allerlei Volk, was auf einem modernen Ozeandampfer herumläuft. Jeden Abend kommen wir zusammen in einer unbesetzten Kabine der ersten Klasse. Und auf jeder Fahrt studieren wir die Passagierliste, ob da nicht Leute drunter sind, die sich zu uns setzen. Oh!" sagt er stolz, „wir haben schon Bischöfe und andere Kirchenfürsten bei uns gehabt. Und nun dachte ich, Sie könnten uns heute abend die Bibelstunde halten." Wenn ich genug Platz hätte, ich würde vor Freude aus dem Bett springen. „Mann! Bruder! Natürlich! Ich bin ja so glücklich, daß auf diesem großen Schiff Jünger meines Herrn zusammen* kommen." Am Abend geht es an Bord eines solchen Schiffes immer hoch her. Hier drehen sich die Paare im Tanz, dort eilt eine Menge zum Kino. An der Bar fließt der Alkohol in Strömen. In einer unbesetzten, eleganten, geräumigen Kabine der er* sten Klasse aber versammelt sich ein merkwürdiges Häuflein: Neben dem Heizer, der trotz aller Mühe seine Hände nicht ganz sauber bekommen hat, sitzt ein Kaufmann aus der zweiten Klasse. Und daneben hat es sich der gutgenährte Koch bequem gemacht. Ich habe mir einen Platz neben einem Boy gesucht, der in seiner Uniform lustig aussieht. Vor den Fenstern rauschen die graublauen Wogen des Golfstroms. In der Kabine singen wir: „. .. Christ Kyrie, komm zu uns auf die See ...!" Und — Er kommt! Der Herr aller Gnade ist an Bord! Der merkwürdige Vogel Staunend gehe ich hinter meinem Begleiter her, der in seinem wundervoll weißen Jackett eilig vor mir herläuft. „Nicht so schnell!" rufe ich. Denn es ist wirklich unerhört viel zu sehen in solch einem großen modernen Schiff. Es macht meinem Freunde, dem Steward aus der ersten Klasse, große Freude, dem armen Passagier aus der „Dritten" die Herrlichkeit seines Schiffes vorzuführen. Aber wir sind beide nicht ganz sicher, ob es erlaubt ist, überall herumzukriechen. Darum eilt mein Freund. Nur im Vorbeigehen sehe ich die Metzgerei, die gewaltigen Küchen, die Druckerei, das Schwimmbassin der ersten Klasse, den Schießstand mit den beweglichen Zielen, die riesigen Maschinen, die ... die... Nun eilen wir durch einen schmalen Gang, der nur wenig beleuchtet ist, irgendwo tief im Bauch des Schiffes. Da kommt aus einem Seitengang ein Mann in einer gestreiften Jacke. Der Gummibelag des Bodens hat unser aller Schritte gedämpft, daß wir einander nicht hörten. „Bums!" knallen wir aneinander. Unwillkürlich habe ich im letzten Moment meine Arme ausgestreckt. Da halte ich nun den Mann, der sich leise schimpfend den schmerzenden Schädel reibt, gegen den ich nicht schlecht angeprallt bin. Die Situation ist so komisch, daß ich lachen und ihn fragen muß: „Was habe ich denn da für einen Vogel gefangen?" Nein! Die Frage war gar nicht ernst gemeint. Aber der Mann nimmt sie ernst: „Was ich für ein Vogel bin? Ja, gewiß, ein seltsamer Vogel!" sagt er nachdenklich. „Wieso? Was sind Sie denn?" „Jetzt bin ich gerade ,Mädchen für alles' hier an Bord. Ja, was bin ich eigentlich? Ich war schon Seemann, Kellner, Tramp, Farmer — sogar Mönch bin ich eine Zeitlang gewesen —, aber — da konnte ich auch keinen Frieden finden." Genau so sagt der Mann: „Da konnte ich auch keinen Frieden finden." Mich überläuft es heiß: „Mann!" muß ich denken. „Deine Friedlosigkeit muß groß und deine Not schrecklich sein, daß du mir, dem Wildfremden, so etwas sagst." „Kommen Sie doch!" ruft mein Freund vom Ende des Gan= ges. Ach, du liebe Zeit! Vielleicht gibt's Krach, wenn uns ein Offizier hier entdeckt. „Sagen Sie mir schnell Ihren Namen und Ihre Anschrift", flüstere ich dem Mann in der gestreiften Jacke zu. „Greiner. Dampfer Europa. Norddeutscher Lloyd. Das genügt", antwortet der. Dann ist er in der Dämmerung des Ganges ver= schwunden. Alles übrige war dann Sache der Post und — des Heiligen Geistes. Denn als ich zu Hause war, packte ich ein Neues Testa= ment ein und legte einen Brief dazu. In dem schrieb ich: „Hier finden Sie den Weg zum ,Frieden, der höher ist als alle Ver* nunft'." Dann sandte ich alles hinter dem Schiff her. Und eines Tages kamen zwei Briefe. Auf den Umschlägen waren in schönem blauem Druck die gekreuzten Schlüssel des „Norddeutschen Lloyd" zu sehen. Der eine Brief kam von dem Mann in der gestreiften Jacke. Er schrieb: „Ich bin glücklich. Ich habe den Herrn Jesus gefunden, der mich erkauft hat. Nun habe ich Frieden. Ich bin am Ziel!" Der andere stammte von dem Mann in dem blütenweißen Jackett, dem Steward aus der ersten Klasse. Der schrieb: „Unser Bibelkreis hat einen neuen Mann bekommen. Mein Kollege Greiner ist unser Bruder geworden und singt mit uns: ,Christ Kyrie, komm zu uns auf die See'." Noch ein Brief Ehe die beiden Briefe zu mir kamen, von denen ich gerade erzählt habe, erreichte mich noch ein anderer, der es wert ist, daß ich von ihm berichte. Nach meiner großen Reise fuhren meine Gedanken mit dem schönen Schiff immer wieder hinüber nach Amerika. Immer wie-der suchte ich im Geist die Brüder, die ich dort unter der Mann» schaft gefunden hatte. Als ich von Bord gegangen war, hatten einige an der Reling gestanden und gewinkt. Und aus einem Bullauge hatte der Koch ein Tüchlein flattern lassen. Als letzter hatte mir der Steward aus der ersten Klasse die Hand gedrückt. „Wie schade!" hatte er traurig gesagt, „daß die Fahrt zu Ende ist. Das wird eine arme Reise, wenn wir wieder zurückfahren nach New York; dann gibt es keine Zusammenkünfte." „Warum denn nicht?" „Ach, wir haben ja keinen Raum! Auf der nächsten Fahrt sind alle Plätze belegt. Es wird Herbst. Da kehren die Amerikaner aus Europa zurück. In unsrer Kabine, in der wir immer zusammenkamen, wird ein reicher Amerikaner mit seinem Sohn wohnen. Sie kommen von einer Kur aus Bad Nauheim." Eigentlich hätte ich mich wundern sollen, daß diese Stewards so genau über ihre Passagiere Bescheid wissen. Aber dann war ich vom Menschenstrom nach vom gedrängt worden. Und der Trubel der Paßkontrolle und der Zollrevision schlug über mir zusammen ... Nun bin ich also zu Hause. „Guten Morgen!" sagt der Briefträger und legt einen Packen Post in meine Hand. Obenauf liegt ein Brief mit einer amerikanischen Marke und dem Aufdruck: „D. Europa". Den muß ich sofort aufreißen, daß der Umschlag in Fetzen geht. Und dann also lese ich eine entzückende Geschichte, die mein Freund im weißen Jackett erlebte: Der Dampfer hat Bremerhaven verlassen und nähert sich der englischen Küste. Jetzt kommt bald die Abendstunde, in der wir uns um Gottes Wort versammelten. Etwas wehmütig gestimmt geht der Steward in die geliebte Kabine. Im Klubsessel sitzt der alte amerikanische Herr. Höflich steht er auf. Der Steward fragt, ob der Herr noch Wünsche habe. Nein! Wünsche habe er nicht. Aber — eine Frage. „Bitte?" sagt der Steward mit leichter Verbeugung. Da fragt der Herr eindringlich: „Haben Sie schon einmal von Jesus gehört?" Der Steward meint zuerst, er habe nicht recht gehört. Aber dann legt er los: Ja, gewiß! Er sei ein Jünger Jesu. Und hier in dieser Kabine habe man auf der Herfahrt kösdiche Stunden um Gottes Wort erlebt. Das sei ja jetzt leider aus. Da leuchtet das Gesicht des alten Herrn auf, und er erklärt: „Nein! Das ist gar nicht aus! Und wenn es den Brüdern recht ist, dann können wir ja auch auf dieser Fahrt die Kabine zu solch gutem Zweck benutzen. Mein Sohn gehört ebenfalls zu den Leuten, die gern dabei wären."------ „Und so haben wir auf dieser Fahrt wieder herrliche Stunden der Gemeinschaft unter Gottes Wort erlebt", schloß mein Freund seinen Bericht. Eine wahrhaft urchristliche Situation auf einem modernen Luxusdampfer! mußte ich denken. Dann rief mich mein Tagewerk. ??jn6ergefdjjtljten Daran habe ich noch nie gedachtI Es war wirklich eine nette Situation: morgens im Schlafzim= mer, während ich mich anziehe. Wie die Schwalben auf der Telefonleitung, so sitzen meine Drei auf einer Wäschetruhe: das „Männlein", die Hanna und „die Dicke". Ich — damals ein junger Vater — erzählte meinen Kindern gern biblische Geschichten. Bis zum heutigen Tag bin ich nämlich überzeugt, daß dies besser und wirkungsvoller ist als alle päd= agogischen Kunststücke. Aber weil mein Tag so sehr ausgefüllt war, mußte dazu die Stunde des Anziehens benutzt werden. Warum auch nicht? Hat nicht der französische „Sonnenkönig" Louis XIV. während des morgendlichen Anziehens seine Empfänge gehalten? Das „Lever du roi" (Aufstehen des Königs) war berühmt. Warum also nicht ein „Lever du pere (Aufstehen des Vaters)? Also — ich erzähle die Geschichte von David und Goliath. Meine Drei auf der Wäschekiste hören atemlos zu. Während ich die Schuhe anziehe, ahme ich das lästerliche Hohn= geschrei des Goliath nach. Erschauern auf der Wäschetruhe! Dann werde ich unterbrochen. Die Situation muß völlig geklärt werden: „Papa! War der Goliath so groß wie unser Haus?" „So ähnlich!" „Adr, so ähnlich! Mach weiter!" Ich binde meine Krawatte und schildere den Glaubensmut des jungen David: Wie er — keine andere Waffe als die Schleuder in der Hand — leichtfüßig auf den schrecklichen Goliath losgeht. Die Krawatte sitzt nicht. Ich reiße sie ärgerlich vom Hals. Und dann finde ich: Sie ist sehr geeignet, eine Schleuder darzu= stellen. „So schwang der kleine David seine Schleuder!" Während ich sie von neuem — diesmal erfolgreicher — binde, berichte ich von dem Gespräch zwischen den beiden Kämpfern: von dem Spott des wüsten Goliath und von dem Glaubenszeugnis des tapferen David. Ich ziehe den Rock an. Dabei lasse ich den Stein sausen, der den Goliath tötet, und — mit David triumphierend — beschließe ich mein Erzählen und Anziehen. Mein Bub aber triumphiert nicht. Traurig fragt er: „Papa, was hat denn da die Tante Goliath gesagt?" Erschrocken schaue ich ihn an: „Ich weiß es nicht!" Dann gehe ich in mein Studierzimmer. „Was hat die Tante Goliath da gesagt?" Junge, Junge! Dar-über habe ich wirklich noch nie nachgedacht. Ja, was hat sie denn wohl gesagt? Sicher hat sie schrecklich geweint, als die Nachricht kam: Dein starker Mann ist tot! Sicher brach ihr in diesem Augenblick eine Welt zusammen. Nein! Daran hatte ich noch nie gedacht. Wie hellsichtig sind Kinder für die tiefe Traurigkeit der gefallenen Welt! Bums! Wieder sitzen meine Drei auf der Wäschetruhe. Diesmal ist die Geschichte vom „Sturm auf dem Meer" dran. Weil die Sache schließlich hochdramarisch wird, muß ich mein Anziehen unterbrechen. Da stehe ich nun in Hemdsärmeln, ohne Kragen und ohne Schuhe und erzähle. In den Augen der Drei spiegelt sich der Schrecken der Jünger, als der Sturm nun immer wilder wird — als sie schließlich in fassungsloser Panik den schlafenden Herrn Jesus wachrütteln: „Herr, hilf uns! Wir verderben!" Und dann geht ein Strahlen über die Gesichter, als der Herr Jesus über das schwankende Deck schreitet. Ich lege meine ganze Seele und alles Vermögen in mein Er» zählen: „Da stand nun der Heiland. Der Sturm riß in sein Gewand und zerrte an seinem Haar. Aber da streckte er die Hand aus und rief mit gewaltiger Stimme: Schweig und verstumme! — Und da . . ." Bums! Mein „Männlein" springt mit einem Satz von der Wäschetruhe und sagt trocken und wissend: „Und dann war der Donner kaputt!" Und befriedigt zieht er ab ins Kinderzimmer. Für ihn war die Sache völlig klar: Wenn der Herr Jesus sich dieses Falles annahm, konnte er nur so endigen. „O Junge!" mußte ich denken, „wenn ich doch immer so selbstverständlich glauben könnte!" (Jlne untjdmlltfje Reichte Das war ein „Schlamassel"! So richtig Verdun 1916! Der Karte nach verlief unser Graben durch den Chaume-Wald. Aber von dem Wald war außer ein paar zersplitterten Baumstümpfen nichts mehr zu sehen. Mag sein, daß hier mal ein Wald mit richtigen Bäumen und Blättern war. Mag sein, daß da mal Vögel sangen. Jetzt pfiffen die Maschinengewehrkugeln ihr tückisches Lied. Der Wald war hundertfältig umgepflügt. Und es stank schrecklich nach Leichen. Dort also standen wir an einem Vormittag dicht gedrängt im Graben. Über uns hinweg heulten die Granaten, pfiffen und gurgelten die Todbringer. „Noch fünf Minuten, dann —!" raunte der Unteroffizier. Ja, dann —! Dann werden wir aus dem Graben stürzen, werden über die Drahtverhaue stolpern, werden zischende Handgranaten gegen lebendige Menschenleiber werfen. Und wenn wir Glück haben, werden wir in zehn Minuten die französische Stellung dort drüben haben. „Noch vier Minuten —!" Da — ein Krachen! Ein Splittern, Heulen und Klirren! Schreie! Unsere Minenwerfer schießen, aber sie schießen zu kurz. Es ist ja kein Wunder: wir liegen hier nur ein paar hundert Meter vom Franzmann entfernt. Schuß auf Schuß sitzt am eigenen Grabenrand. Nun hat sich auch der Franzmann besonnen. Höllisches Sperrfeuer setzt ein. Eine grenzenlose Verwirrung! Dort sackt eine Gruppe lautlos zusammen. Hier rennt einer blutend und heulend durch den Graben. Die Hölle ist los! Alles sucht Deckung! Ich presse mich in die Höhlung eines angefangenen Unterstan-des. Nur einen Viertelmeter geht es in die Grabenwand hinein. Aber es ist doch ein wenig Deckung. „Noch drei Minuten —!" Ach was, Minuten? Ewigkeiten sind es! — Da springt noch einer hinein in meine Deckung. Er preßt sich an die Lehmwand. Flüchtig streift ihn mein Blick. Ich kenne ihn nicht. Ein schnauzbärtiger Sanitäts=Unteroffizier ist es. Totenblässe bedeckt sein Gesicht unter dem Stahlhelm. Entsetzen spricht aus seinen Augen. Er redet. Er stammelt. Er sprudelt Worte heraus. Ich lächle: „Nur Ruhe, Kamerad, das geht vorüber!" Da spricht er klarer. Jetzt verstehe ich seine Worte. Was will er denn? In fliegender Hast erzählt er mir, mir! dem jungen Kriegsfreiwilligen, daß er ein Ehebrecher sei. — In das Heulen der Granaten und Minen, in das Krachen der Geschosse, in das Surren der Splitter beichtet der Mensch —, wie er seine Frau betrogen habe. Und dann — eine neue Sünde! Als junger Mensch hat er gestohlen----- Langsam fasse ich das Schauerliche: Den hat Gott am Kragen. Und da wachen alle alten Sünden auf. Alle, ob er will oder nicht — er muß sie bekennen: eine nach der anderen-------- Ich bin erschüttert. Schweigend höre ich seine Beichte. Rufe gehen durch den Graben: „Heraus!" Wir stürzen heraus, die Sturmleitern hinauf — hinein in die brüllende Schlacht — in den feindlichen Graben — Den Unteroffizier sah ich nie wieder. Er mag Wohlgefallen sein. Aber seitdem weiß ich, wie es am Jüngsten Tag sein wird. Da werden uns alle Sicherheiten genommen werden. Da werden alle unsere Sünden aufstehen. Da werden sie offenbar werden, alle, alle! Und — ob wir wollen oder nicht — wir werden zu ihnen stehen müssen. Wie entsetzlich das sein wird, das habe ich in jenen drei Minuten im Graben bei Verdun gesehen. $ciebe auf Scben „Herr Pfarrer! Sie machen uns Konkurrenz", sagte der dicke Schutzmann und schlug mir wohlwollend auf die Schulter. „Wenn die Leute einen Krach haben, dann kommen sie nicht aufs Revier, sondern zu Ihnen." Ich lachte. Offenbar hatte er von der Geschichte auf dem Wohnungsamt gehört. Die war auch wirklich schön. — — — Es war tief in der Nacht. Da klingelte es aufgeregt an der Hausschelle. Ich kleidete mich notdürftig an. Draußen stand eine junge Frau, hoch in Hoffnung. Ich kannte sie gut. Sie wohnte mit ihrem Mann in einer riesigen Mietskaserne, die jetzt längst ein Opfer der Bomben geworden ist. Es war ein schreckliches Haus. 40 Parteien wohnten dort. Der Hausbesitzer klagte mir einmal: „In jedem Winter wird das Treppengeländer abmon= tiert und verheizt." Nun stand die junge Frau mit verstörtem Gesicht vor mir. Zuerst verstand ich gar nicht, was los war. Endlich hatte ich be= griffen: Man war in Streit geraten mit dem Schwager, der keine Wohnung hatte und auf das Zimmer der jungen Leute Anspruch machte. Jetzt hatte der Schwager eine Rotte von „Kumpels" (so nennen sich die Bergleute) versammelt wie eine Streitmacht. „Sie wollen meinen Mann erstechen und mich rauswerfen!" schrie die Frau hysterisch. „Gut! Ich komme sofort", sagte ich. „Ich muß mich nur erst richtig anziehen. Gehen Sie schon mal voraus und sagen Sie, daß ich käme." Eine halbe Stunde später stieg ich die dunkle Treppe hinauf. Das Geländer fehlte wieder einmal, und es war eine recht hals= brecherische Sache. So, hier ist der dritte Stock. Ich gehe den langen Korridor entlang. Auf einmal brüllt eine Stimme: „Halt! Es gibt Mord!" Wahrhaftig, da stand der junge Ehemann in der Tür hinter einer richtigen Barrikade von Möbeln. In der Hand hielt er einen gewaltigen Knüppel. „Nur Ruhe!" rief ich. „Jetzt kommt der Pastor!" „Ah so! Ich dachte schon, sie kämen — die andern." „Mensch! Nun lassen Sie mich erst mal rein!" Die Barrikade wurde beiseite gerückt. Im Zimmer brannte nur eine kleine Stallaterne. Die Lampe war bei dem vorhergehenden Kampf in Stücke gegangen. Der Boden war glitschig. Ich erfuhr, das sei das Abendessen. Das habe man sich als erstes einmal an den Kopf geworfen. Die Scherben knirschten unter meinen Schuhen. „Wo sind denn die andern?" — Hinten im Zimmer, wohin kaum ein Lichtschein drang, lag die Frau und wimmerte. „Die andern sitzen oben in der Wohnung bei Kochs und betraten, wie sie mich hier rauswerfen können." Da blieb nichts anderes übrig — ich mußte hinauf zu den An= greifern. Also — noch einmal auf die geländerlose Treppe! Im vierten Stock konnte man gleich hören, wo die feindliche Kriegs= macht versammelt war. Mich wundert nur, wie die vielen Leute, die doch an diesem Flur wohnten, bei dem Lärm schlafen konn= ten. Vielleicht waren sie aber auch wach und wagten nur nicht, sich zu beschweren. Mit einem Fußtritt stieß ich die Türe auf: Ein kahles Zimmer. Auf dem Tisch zwei Schnapsflaschen. Männer und Frauen saßen umher. Einige hatten sich, weil nicht genug Stühle da waren, auf dem Boden niedergelassen, lehnten die Rücken an die Wand und streckten die Beine ins allgemeine Getümmel. Als ich eintrat, wurde es still. Jeder meinte, die Polizei käme. Nun war's nur der Pfarrer. „Die schwarze Drossel!" rief einer veräditlich in die Stille. Eine gefährliche Stimmung kam auf. Mir wurde angst und bange. Und unhörbar für die Menschen umher schrie mein Herz zu meinen himmlischen Vater um Hilfe: „Herr! Der du den Löwen des Daniel den Rachen zugehalten hast, bändige auch diese wilden Leute! „Männer!" sagte ich jetzt, „es ist gut, daß Ihr alle versammelt seid. Wir müssen die Sache in Ruhe bereden!" Eine Frau kreischte unverschämt auf. „Halt den Mund!" sagte ich brutal. „Das ist Männersache!" Allgemeines Beifallsgemurmel der Männer erfreute mein Herz. Offenbar waren sie zufrieden, daß die Unverschämte eine Ab= fuhr bekam. „Also — was ist los? Erst muß der Fall geklärt werden. Aber es spricht immer nur einer!" Damit setzte ich mich auf den Fuß* boden, auf den einzigen freien Platz. Die Männer rückten etwas und nahmen mich solcherart in ihre Gemeinschaft auf. Nun begann die Verhandlung. Es war eine verwickelte Rechts* läge. Die konnte ich nicht klären. So sagte ich: „Jetzt tun wir zweierlei. Erstens: Es geht ein Parlamentär in die umkämpfte Wohnung hinunter und sagt, daß die Leute die Barrikade ab* bauen können. Für heute nacht ist der Krieg zu Ende. Und zweitens: Morgen früh treffen sich alle, die keine Morgenschicht haben, um 9 Uhr hier vor dem Haus, und ich gehe mit euch zum Wohnungsamt. Ich verbürge midi dafür, daß dieser Schwager ein Zimmer bekommt." So geschah es. „Na, nu können Sie ja heimgehen!" meinte mein Nachbar, der neben mir auf dem Boden saß. Ich lachte: „Jetzt wollt Ihr mich los sein, damit Ihr weiter saufen könnt! Daraus wird nichts. Jetzt bringe ich alle nach Hause. Wer nimmt den obdachlosen Schwager mit bis morgen?" Ein Mann meldete sich. „Gut! Jetzt gehen wir!" Alles brach auf. Trotz meiner Müdigkeit hatte ich keine Ruhe, bis ich den letzten an seiner Haustüre abgeliefert hatte. Und dann kam der nächste Morgen! Da zog ich an der Spitze von etwa zwölf wilden Gesellen zum Wohnungsamt. Ich weiß nicht, ob es Teilnahme war, was sie alle herbeigeführt hatte. Vielleicht war es auch mehr Neugier und die Hoffnung auf eine Enttäuschung, die dem Pfarrer auf dem Wohnungsamt zuteil werden mußte. Ja, mir war übel zumute. Ich hatte mich ver* bürgt, ein Zimmer zu beschaffen. Wie, wenn es nun nicht gelang? Heimlich faltete ich meine Hände. „Herr, du kannst helfen!" Das Amt war in einer langgestreckten Baracke untergebracht. So konnten die Beamten aus ihren niedrigen Fenstern deutlich sehen, wie diese gefährliche Truppe heranzog. Sie machten besorgte Gesichter. Es war ja eine unruhige Zeit damals. Und dann das Erstaunen, als sie den verzagten Pastor mitten in der Kolonne entdeckten! Das war seltsam! Im Nu lief eine Menge Beamter zusammen. Ich tat grimmig und verlangte den Chef zu sprechen. Bald saß ich dem gegenüber, während man vor der Tür das bedrohliche Gemurmel meiner wilden Begleitung hörte. Aber — wie wurde mir wohl, als ich in ein geistvolles Gesicht sah, das hinter Brillengläsern mich freundlich anschaute. Da schüttete ich mein Herz aus. Der Chef lachte zuerst, dann wischte er sich die Augen — und schließlich half er. Das war ein erhabener Augenblick, als ich vor der Baracke zwischen kümmerlichem Rasen und kargen Sträuchem meinem Volke die herrliche Lösung aller Knoten bekanntgab. „Nun gehen wir einen trinken!" rief befriedigt der Wildeste, den die Sache am wenigsten anging. Ich lächelte ihn an: „Kommt nicht in Frage! Jetzt helfen wir dem Schwager einziehen. Und jeder sieht zu Hause nach, ob er nicht einen Teller oder eine Lampe hat für das arme Paar, dem Ihr gestern abend alles kaputtgeschlagen habt." Der Plan leuchtete ein. Wohlwollen auf der ganzen Front! Müde schlich ich mich nach Hause durch staubige Straßen. In meinem Innern zankten sich zwei Stimmen. Die eine sagte: „Dazu studiert man Theologie, um am Ende solche Kämpfe auszufechten. Wenn unsre gelehrten Professoren doch wüßten, mit welchen Problemen wir uns an der Front herumschlagen müssen!" Kurz, es war eine verdrießliche Stimme. Die andre Stimme aber war sehr fröhlich. Die sang immerzu: „Friede auf Erden! Friede auf Erden! Und wer dazu mithilft, ist ein Bote des Friedenskönigs!" Da entschloß ich mich, nur noch auf diese zweite Stimme zu hören. Und so wurde ich froh an meinem Amt. (Seöffnete äugen „So!" sagte der blinde Mann. „Und nun, Herr Pfarrer, lesen Sie mir noch ein Bibel wort vor!" Ich wurde verlegen. Ich hatte kein Testament bei mir. Und das sollte man als Pfarrer doch immer mit sich tragen. Der Blinde merkte offenbar meine Verlegenheit: „Greifen Sie nur hinter sich", sagte er. „Da — auf dem Fensterbrett — ist eine Bibel." Wirklich, da lag eine! Er konnte sie ja nicht lesen. Aber er hatte offenbar öfters mit solchen Versagern zu tun, wie ich in diesem Augenblick einer war. „Schlagen Sie auf Psalm 34!" kommandierte er. Und ich las: „Ich will den Herrn loben allezeit..." Mein Blick ging hinüber zu dem blinden Mann. Sein Gesicht hatte einen wundervollen Glanz, so, als stünde er mitten unter den himmlischen Heer= scharen und sänge mit ihnen das Lob des Allmächtigen. Ich las: „...da dieser Elende rief, hörte der Herr und half ihm aus allen seinen Nöten.. Wieder mußte ich auf den Blinden sehen. Er nickte still. Welche Geheimnisse mochte es geben zwischen ihm und seinem himmlischen Herrn! Ich las: „...welche auf ihn sehen..." Einen Augenblick stockte ich: Nun läßt dieser Blinde mich ausgerechnet ein Wort lesen, das vom Sehen handelt! Ich kam mir ein bißchen taktlos vor. Aber dann las ich weiter, weil er es wünschte: „Welche auf ihn sehen, die werden erquickt, und ihr Ange= sicht wird nicht zuschanden." „Das ist wahr!" bekräftigte er. Und da begriff ich: Dieser Blinde ist in Wirklichkeit sehend. Er gehörte zu denen, „welche auf ihn sehen", auf Ihn, den Mann von Golgatha, auf den Hei= land, wie er für uns am Kreuz hängt. Diesen wunderbaren Herrn sehen wir nicht mit unseren leiblichen Augen. „Welche auf ihn sehen ..." — da müssen inwendige Augen aufgetan sein! Und diesem Blinden waren die Augen aufgetan ... Nachdenklich ging ich wenige Minuten später die Straße ent= lang. Graue Mietskasernen auf der rechten Seite! Links eine endlose Mauer, die das Zechengelände absperrte. Rasselnder Lärm tönte von dort. An der Ecke standen ein paar junge Bursdien. Sie grinsten, als ich vorüberging. Einer rief mir nach: „Himmelskomiker!" Ich fuhr herum. Kalte, klare, spöttische junge Augen schauten mich an. Und da durchfuhr es mich: Ja! Ihr habt gute Augen! Aber — in Wirklichkeit seid ihr doch blind. Denn ihr seht Got= tes Heil nicht. Der Blinde aber ist sehend; denn er sieht den Heiland. Richtig erschrocken war ich darüber, wie unheimlich die Bibel alles auf den Kopf stellt: Die Blinden sind sehend, und die Sehenden sind blind. Die Burschen merkten meine Bestürzung und fragten, was mir fehle. Da sagte ich es ihnen — und nun grinsten sie nicht mehr. #niemanb foll (Ich untecfteljcn.. / „Am besten wär's gewesen, wir hätten den Männerabend ab gesagt", rief mein Freund Emst, als ich unser kleines Sälchen betrat. Die 30 Männer standen in einem dichten Klumpen bei= einander. Ich sah, daß eine heftige Diskussion im Gange war. „Absagen? — Wieso?" fragte ich erstaunt. Emst wandte sich mir zu: „Heute wird's mulmig. Auf Beust haben sich ein paar Kumpels ausgemacht, daß sie dir auflauem wollen." „Na und?" „Frag doch nicht so dumm! Dann wollen sie dich verseifen!" Es mag dem Leser befremdlich erscheinen, daß diese Berg= leute ihren Pfarrer duzten. Aber — so war es nun. Da stand dieser Ernst. Vor kurzem war er noch ein wilder Freidenker und feuriger Kommunist gewesen. Aber nun war der Herr Jesus ihm begegnet und hatte ihm das Herz abgewonnen. Und so stand es mit all diesen Männern. Alle waren sie Anfänger im Glauben. Und schon mußten sie erfahren, daß es Unruhe und Rumor gibt, wenn Jesus seine Gemeinde sammelt. Solche Kämpfe aber brachten uns alle so nahe zusammen in eine feine Gemein* schaft, daß das „Du" eine Selbstverständlichkeit war. „So? Die wollen mir auflauem?" Ernst mußte es ja wissen; denn er war Bergmann auf der Zeche „Graf Beust". Ich lachte: „Ach! Unsinn! Das haben sie schon oft gedroht. Und es ist doch nie was draus geworden!" Jetzt mischten sich ein paar andre ein, die auch auf „Graf Beust" arbeiteten: „Du! Es ist wahr, was der Emst sagt. Diesmal wird's mulmig! Der Czermis ist dabei. Und der ist ein Schläger." „Um so wichtiger ist es, daß wir jetzt das Wort Gottes be= trachten!" rief ich. Mir war selber übel zumute. Die Männer hier waren nicht ängstlich. Ihr harter Beruf hatte sie auch hart gemacht. Wenn die so besorgt waren, dann wurde es wirklich gefährlich. Dann setzten wir uns um den Tisch, sangen unsre Jesus=Lieder und lasen und besprachen ein Bibelwort. Dabei wurden unsre Herzen ruhig. Wir hatten ein Kapitel aus der Apostelgeschichte aufgeschlagen, wo der Herr dem Paulus sagt: „Ich bin mit dir, und niemand soll sich unterstehen, dir zu schaden." Der Text war nicht vorgesehen. Aber nun schien er mir in dieser bedroh* liehen Situation das Richtige zu sein. Zum Schluß beteten ein paar Männer. Und nun . . .? „Wir gehen mit dir!" erklärten alle. Ich überlegte. Wenn alle mitgingen, dann gab's eine wilde Schlägerei. Das war sicher nicht im Sinne meines Herrn. Und welche wilden Instinkte wurden da bei meinen Männern ge* weckt! Nein — lieber nicht! „Brüder!" erklärte ich. „Jetzt müßt Ihr mir wirklich die Chance geben, meinen Glauben zu beweisen. Ich will mein Ver* trauen nicht auf eure Fäuste, sondern lieber auf meinen Herrn setzen." Das sahen sie ein. Der Herr Jesus war uns allen die große Wirklichkeit. So ging ich los. Mutterseelenallein! Und doch nicht allein. Er hat gesagt: „Ich bin bei euch alle Tage..." Das wollte ich nun wirklich glauben. Ich ging über den kümmerlich erleuchteten Elisenplatz. Als ich um eine Hausecke bog, sah ich sie auf der düsteren Straße stehen: etwa 20 Männer. Was nun geschah, war so, als wenn gar nicht ich selbst han* delte, sondern als wenn ein anderer mich handeln ließe. Ich trat mit einem raschen Schritt mitten in die Schar und sagte fröhlich: „Ihr wollt mich verhauen? Bitte! Ich stehe zur Verfügung!" Unendliche Verlegenheit! Dann ein Gemurmel: „Ach Quatsch! Kein Mensch will Ihnen was tun! Niemand denkt an so etwas!" So ging es verworren durcheinander. Ein großer Bursche wollte die Situation retten. Er hielt mir eine Schnapsflasche hin: „Da! Trinken Sie mal einen mit uns!" Ich nahm die Flasche, schmetterte sie auf den Boden und sagte: „Dieser verfluchte Schnaps ist euer Unglück!" Jetzt wurde es bedrohlich. „So 'ne Unverschämtheit!" — „Der teure Schnaps!" — „Den müssen Sie mir bezahlen!" rief es durcheinander. Ich zog meinen Geldbeutel: „Wem gehörte die Flasche? Ich bezahle sie. Ihr sollt durch mich nicht geschädigt werden. Aber kauft lieber euren Kindern Brot dafür! Los! Wem gehörte die Flasche?" Keiner meldete sich. Ich steckte meinen Beutel wieder ein. „Männer", rief ich, „was habt Ihr gegen mich?" „Sie wollen die Leute dumm machen!" „Nee! Der Schnaps macht euch dumm, aber nicht das Evan= gelium! Ihr kennt es ja gar nicht. Ich will's euch mal erklären. . ." Ein paar schlichen sich weg. Die andern hörten mir zu, als ich ihnen nun von Jesus sprach, der die Verlorenen errettet. Es wurde eine schöne Sache. Die Männer begleiteten mich nach Hause. Und in der Woche drauf waren zwei von ihnen in unsrem Männerabend. 'flFtficberUdj Nur die Älteren erinnern sich noch an die Zeit um 1930, als die politischen Leidenschaften hoch gingen, als Kommunisten und Nazis in blutigen „Saalschlachten" sich bekämpften und die Bür= ger immer wieder durch die heulenden Sirenen des ÜberfalU kommandos aufgeschreckt wurden, wenn irgendwo eine Schie= ßerei im Gange war. Obwohl ich ein außerordentlich friedlicher Mensch bin, war ich doch eines Tages unversehens in diese mörderliche Ausein= andersetzung verwickelt. Und ein riesiges Brotmesser hat nach meinem Herzen gezielt. Aber der Leser braucht sich nicht zu sorgen: Ich lebe noch immer, und die ganze Geschichte war eigentlich mehr zum Lachen als zum Erschrecken. Zum vierten Stock eines großen grauen Hauses war ich hin= aufgeklettert, um eine Trauung zu halten. Es war damals so, daß viele Trauungen in den Wohnungen stattfanden, wenn die Leute die Kosten für eine große Feier in der Kirche sparen wollten. Etwas verlegen stand die Hochzeitsgesellschaft in der Wohn= küche herum, wo auf dem glühend heißen Herd der Festkaffee kochte. Die meisten kannte ich schon. Da war die Braut — ein kleines, verschüchtertes Ding; da war der Bräutigam — eifriges Mitglied im „Stahlhelm", einer wehrhaften vaterländischen Or= ganisation. Dort stand auch mein Freund Kuno, der sich neuer= dings in der SA der Nazis als großer „Schläger" einen Namen gemacht hatte. Zur Feier des Tages hatte er einen etwas zu gro= ßen Gehrock angetan. Wo er den wohl aufgetrieben hatte —? Die Brautmutter begrüßte mich erhitzt. Man sah ihr an, daß Kuchen und Kaffee ihr Herz völlig beschlagnahmt hatten. Fer= ner hatten sich einige Onkel, Tanten und Vettern eingefunden, die als Statisten und Trauzeugen eine Rolle spielen sollten. Vergeblich suchte mein Auge den Brautvater. Aber — es war immerhin begreiflich, daß dieser Mann der kirchlichen Feier femblieb; denn ich wußte, daß er ein überzeugter Kommunist war. Na, nun konnte es losgehen. Ich stellte ein paar Stühle im Halbkreis um das Brautpaar. Nach einigen Bemühungen hatte ich die Gesellschaft geordnet. Zuerst sangen wir „Lobe den Her= ren . .." Das ging ganz ordentlich. Ich mußte denken: „Wahr= scheinlich ist das Lob Gottes etwas recht Seltenes in diesen Räu= men. Um so eindrücklicher ist es eben jetzt." Dann folgte meine Ansprache. Dabei fand ich nun leider wenig Aufmerksamkeit. Es lag eine Spannung in der Luft. Immer wieder sah sich die Mutter auf= geregt nach der Tür um, die in die Schlafkammer führte. Und dann — ja, dann flog auf einmal diese Türe auf mit Ge= tose. Ehe ich aber noch begriffen hatte, was geschah, war der Trauzeuge im weiten Gehrock aufgesprungen. Mit energischem Ruck zog er die Tür wieder zu und sagte beruhigend zu mir: „Machen Sie getrost weiter!" Na, das tat ich denn auch, allerdings leicht beunruhigt von der Frage, welche dunklen Geheimnisse wohl hinter dieser Tür verborgen seien. So ging die Trauungsfeierlichkeit ohne weitere Zwischenfälle zu Ende. Nun kam der zweite Teil der Feier: das Kaffeetrin-ken. „Herr Pfarrer", hieß es, „Sie bleiben doch noch ein bißchen bei uns?" Ich wurde als Ehrengast auf das Wachstuchsofa ver= staut, der Tisch vor mich hingeschoben. Und um mich herum gruppierte sich die Gesellschaft, soweit am Tisch Platz war. Die andern mußten später zusehen, wie sie zu ihrem Festessen kamen. Immer noch war die komische Spannung in der Luft. Ich über* legte: „Wahrscheinlich ist mit der Festtorte etwas passiert. Viel-leicht ist eins der Kinder darübergeraten." Jedenfalls gab ich mir redlich Mühe, dem armen Brautpaar doch noch zu einem fröhlichen Fest zu verhelfen. So begann ich zu erzählen und zu unterhalten, daß mir der Schweiß von der Stirne rann. Dazu war der Kaffee sehr heiß, der Herd glühte, und außerdem war es Sommer. Und während ich mich so bemühte, ohne viel Erfolg zu erzielen — da geschah der Knall! Die Tür zur Schlafkammer flog wieder auf, diesmal noch energischer. In ihr erschien der Brautvater. Später erfuhr ich, daß er sich trotzig und ziemlich betrunken zu einem Mittag» schlaf niedergelegt hatte. Aber dann, als er erwachte, fiel ihm ein, daß er als überzeugter Atheist auf keinen Fall eine kirchliche Trauung in seiner Wohnung dulden dürfe. Da stand er also in der Tür. Sein Blick suchte — nun hatte er mich erspäht. Mit einem riesigen Sprung sauste er an den Tisch, riß ein großes Brotmesser hoch und brüllte: „Nieder mit dem Pfaffen!" Ich saß wehrlos eingekeilt zwischen Sofa, Tisch und Kaffeetassen. Nachher habe ich gedacht, vielleicht hätte es ihn beruhigt, wenn ich meine volle Tasse als Wurfgeschoß gegen ihn geschleudert hätte. Doch solche Maßnahmen waren gar nicht mehr nötig. Die Hilfe kam von anderer Seite: der Mann im Gehrock war aufgesprungen, hatte den Alten gepackt, und dann wälzten sie sich am Boden. Ich sah Arme, Beine, Gehrock und alles durcheinanderwirbeln. Es ging viel schneller, als ich es berichten kann. Offenbar war der Gehrock-Mann in der Kunst des Jiu-Jitsu geübt. Der Alte schrie wütend auf. Dann wälzte sich der Knäuel in die Schlafstube. Vorsichtig machte die Mutter die Tür zu und fragte: „Wollen Sie noch eine Tasse Kaffee, Herr Pastor?" Ich dankte herzlich. Und dann hatte niemand mehr etwas da= gegen einzuwenden, daß ich ging. Als ich die Treppe hinunterging, ging mir ein Lied durch den Kopf, das unsre Väter sehr liebten: „O selig Haus, wo man dich aufgenommen, du wahrer Seelenfreund, Herr Jesu Christ. . .!" Welch eine andre Welt ist das! Mein Herz war traurig. Denn hier wurde das ja so schrecklich deutlich, wohin wir Menschen kommen, wenn der Herr Jesus nicht mehr „unter allen Gästen, die da kommen, der Gefeiertste und Liebste ist". Am meisten aber trauerte ich über meine eigene Ohnmacht. Die Boten des Evangeliums stehen oft sehr hilflos vor den Ge= walten dieser „Welt". natfj 35 yaljcen (Erlebnis eines Großstadtpfarrers) „Bitte, nehmen Sie Platz!" Schweigend setzte sich der Mann. Ich merkte, daß er etwas sagen wollte. Aber offenbar fand er die rechten Worte nicht. Dann griff er entschlossen in seine Rocktasche, zog eine abge= griffene Brieftasche heraus und begann, darin zu kramen. Dabei hatte ich Gelegenheit, ihn zu betrachten. Daß er Berg= mann war und „vor Kohle" arbeitete, sah ich an den blauen Narben im Gesicht und an den Händen. Er schien etwa 50 Jahre alt zu sein. Gesehen hatte ich ihn noch nie — weder in der Kirche noch in irgendeiner christlichen Versammlung. Jetzt hatte er gefunden, was er suchte: Mit einem entschlos= senen Ruck knallte er einen Hundertmarkschein vor mir auf den Tisch und erklärte: „Das gehört Ihrer Jugendarbeit!" Erstaunt schaute ich ihn an. Solche großen Gaben war ich in meinem armen Bergarbeiter=Bezirk nicht gewohnt. Mir kam die Sache nicht ganz geheuer vor. Was mochte dahinterstecken? So zögerte ich, den Schein anzunehmen. Geradezu herrenlos lag er zwischen uns auf dem Tisch. Da merkte der Mann, daß er nun doch etwas sagen müsse. Und so fing er an zu erzählen. Ich kann das nicht so wiedergeben, wie es gesagt wurde. Mit vielen Unterbrechungen und Schweige= pausen kam eine erschütternde Geschichte zu Tage. Als I5jähriger Junge gehörte er zu dem Jugendkreis des ge= segneten Pfarrers Wilhelm Weigle. Weil er mit offenem Herzen dabei war, hatte er einen kleinen Vertrauensposten bekommen: Er durfte die Zeitschriften verteilen und das Geld dafür ein= schlagen, „um Studentenfutter zu kaufen". „ Studentenfutter ?" „Nun ja, das ist so ein süßer Kram. Und das wissen Sie doch, daß Jungen zuweilen ganz versessen sind auf Süßigkeiten." Es mochte etwa alles in allem eine Mark gewesen sein, die er unterschlagen hatte. Jetzt kam ein langes Schweigen. Dann brach es heraus: „Diese eine Mark hat mir mein Leben verdorben! Ich mochte in keine Kirche mehr gehen. Denn ich sagte mir: Ich kann doch als Dieb nicht vor Gottes Angesicht erscheinen. Also blieb ich weg und wurde ein leichtsinniger Weltmensch. Da habe ich jahrelang die eine Mark vergessen. Aber dann heiratete ich. Meine Frau wollte, daß wir uns kirchlich trauen lassen. Ich aber habe mich gewehrt. Sollte ich da hinstehen und beten? Als Dieb?!" Wieder schwieg er lange. Dann fuhr er fort: „Sehen Sie, da fing das Elend an. Ich weiß doch, daß Gott lebt. Aber ich mußte vor ihm weglaufen — wegen der einen Mark! Als die Kinder kamen, hat meine Frau mit ihnen gebetet. Da schrie es in mir: Du kannst nie beten. Ein Dieb kann doch nicht beten . .." Es wurde eine lange Erzählung. Sie schloß damit, daß er sagte: „35 Jahre verfolgt mich nun die eine Mark. Ich kann nicht mehr. Und wenn Sie mich auch verachten — ich muß end= lieh bekennen und die Sache in Ordnung bringen. Darum — hier sind hundert Mark. Nehmen Sie sie, damit ich endlich wieder beten kann!" „Warum hundert Mark? Sie haben doch nur eine einzige unterschlagen!" Erregt schrie er: „Mit Zins und Zinseszins! Ich will endlich Ruhe haben! Ist es nun in Ordnung?" „Nein!" sagte ich. „Nein!" Entsetzt schaute er mich an: „Wieso nicht?!" „Es ist gut, daß Sie endlich bekannt haben. Und es ist richtig, daß Sie das Gestohlene wiedererstattet haben. Ich will es in die Schriftenkasse tun. Aber — das Wichtigste ist noch nicht ge-schehen: Wissen Sie, ob Gott Ihnen vergeben hat?" „Ich habe es doch jetzt wiedergutgemacht." „Können wir das — etwas wiedergutmachen? Die böse Tat ist geschehen. Kann man das auswischen? Und bleibt es nicht bestehen, daß Sie das Vertrauen des alten Pfarrers getäuscht haben? Der ist jetzt tot. Wie wollen Sie das wiedergutmachen?" Er stöhnte auf. So fuhr ich fort, während er mir die Worte geradezu vom Munde riß: „Vor Gott können wir keine böse Tat ungeschehen machen. Aber — es ist einer da, der alles schon ,wiedergutgemacht' hat: Jesus, der Sohn Gottes." Und dann sagte ich ihm langsam das ganz große Wort der Bibel: „Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde." Da vergrub er seinen Kopf in den Armen. Und ich wußte, daß ich nun nichts mehr zu sagen hatte, weil der Sünderheiland selbst zu einem verletzten Gewissen kam, um es zu heilen. Wuttec Warum das Eis so spät kam Ach, was war das eine Aufregung für mich kleinen Jungen, als ich zum erstenmal in meinem Leben eine Hochzeit mitmachen durfte! Schon die weite Reise nach Stuttgart! Und dann die festlichen Leute! Die Kutschen, mit denen man zur Kirche fuhr. Die Feier dort — ich gestehe es — war mir allerdings etwas langweilig. Aber — man konnte sich ja schon auf das Festessen freuen. Und endlich war's so weit. In einem Hotelsaal saß ich mit meiner Schwester ganz unten an der Festtafel. Es war schreck-lieh aufregend: Da lagen große Servietten. Weingläser standen vor uns, in die hinein uns dann Apfelsaft eingeschenkt wurde von einem vornehmen Kellner. Ja, der war so vornehm, daß wir kaum zu atmen wagten, wenn er uns vorlegte. Und da lagen sogar Kartons, auf denen das Menü genau aufgezeichnet stand. Alles war französisch. Und es wunderte uns sehr, daß am Ende doch ganz gewöhnliche deutsche Kartoffeln und sonst lauter Dinge erschienen, die gar nicht französisch aussahen. Aber — da stand ganz unten: „Eis". Das mußte der Höhepunkt werden! Darauf freuten wir uns schrecklich. Kurz, unser Glück wäre vollkommen gewesen, wenn es auf dem Weg zu dem „Eis" nicht ein ärgerliches Hindernis gegeben hätte: Nach jedem Gang stand irgendein befrackter Onkel auf und hielt eine Rede. Manchmal sehr lange. Wir wünschten die Redner ins Pfefferland. Und doch — gerade eine solche Rede ist mir unvergeßlich geblieben. Oder richtiger gesagt: das, was die Rede auslöste. Wieder stand so ein Onkel feierlich auf und lächelte. Offenbar wollte er witzig werden. Und dann fing er an: „Es gibt eine Sage, nach der im Himmel zwei Stühle stehen sollen für Eheleute, die es nie bereut haben, daß sie sich geheiratet haben. Und diese Stühle--------", er machte eine lange Pause, in der man nur die Kellner laufen hörte, „. . . diese Stühle sind bis zum heutigen Tage leer!" Ein paar Leute lachten auf. Aber da geschah es: Mein Vater rief quer durch den ganzen Festsaal hinüber zu meiner Mutter, die an einem andern Ende der Tafel saß: „Mütterchen! Die Stühle kriegen wir!" Es war so viel Freude und Herzlichkeit in diesem impulsiven Ausruf, daß alle fröhlich loslachten und meiner Mutter zuwinkten. Mir aber wurde so wohl ums Herz. Ich wußte nicht recht, warum. Aber später, als ich Kinder leiden sah in unglücklichen Ehen, da wußte ich: Es gibt für Kinder kein größeres Glück, als wenn sie aufwachsen dürfen in einem Hause, wo die gegenseitige Liebe der Eltern ein warmes Nest bereitet. „O selig Haus, wo man dich aufgenommen, Du wahrer Seelenfreund, Herr Jesus Christ. ..!" Was heißt denn das: „Mutter“? (Eine Rede an junge Mütter) Meine verehrten Damen! Jetzt soll ich vor jungen Müttern sprechen. Junge Mütter also sind Sie? Sie bilden sich das wenigstens ein. Daß Sie jung sind, will und kann ich nicht bestreiten. Aber — ob Sie Mütter sind, das ist mir gar nicht so sicher . . . Sie werden unruhig? Sie sagen: Wir haben doch Kinder! Nun ja! Aber jetzt will ich Ihnen erklären: Damit, daß Sie Kinder haben, sind Sie noch lange nicht Mütter. Das ist ja nur der An= fang. Ja, das Kinderkriegen ist nur der Anfang . . . Wie mei= nen Sie? Ich soll Ihnen sagen, was es denn bedeutet: Mutter* sein? Das will ich gerade tun. Eine richtige Mutter hat ihr Kind so lieb, aus dem Herzen heraus so lieb, daß sie genau weiß, was das Kind jetzt gerade braucht. Ich will es Ihnen an ein paar Beispielen deutlich machen: Ich kenne eine junge Mutter, die ihrem Kind jedesmal nachgibt, wenn es einen Trotzkopf aufsetzt. Das „Goldige" soll doch nicht schmollen! Aber als das Kind eine Kaffeetasse — na ja, es war eine schöne Sammeltasse! — kaputtgeschmissen hat, da hat sie das Kind jämmerlich verprügelt.. . Wie, Sie meinen, das sei richtig? Unsinn ist das! Im ersten Fall hätte sie ihm ruhig einen Klaps geben können. Ein Kind ist kein goldiges Spielzeug. Aber bei der Tasse? Das ist Ungeschick und nicht Bosheit. Ich sage: Eine richtige Mutter weiß, was ihr Kind gerade braucht. Ich will Ihnen von meiner Mutter erzählen. Als ich noch Schuljunge war, schrieben wir eine Mathematik* arbeit. Ich hatte Angst davor und keine Lust, mich anzustren* gen. Und so bemerkte ich mit Freuden, daß mir an dem Morgen mein Hals ein bißchen weh tat. Hurra! Eine gesegnete kleine Krankheit! Es war schöner, im Bett zu liegen und zu lesen, als so eine blöde Arbeit zu schreiben. Und meine Mutter? Sie redete kein Wort gegen meine Krankheit. Im Gegen* teil, sie nahm sie ungeheuer ernst. Schnell kam sie mit einem schrecklich dicken, rauhen, scheußlichen Wolltuch an. Das wurde mir um den Hals gebunden. Und dann hieß es: „Ganz ruhig liegen! Nur ja nicht lesen! Kranke müssen ganz ruhen!" Nach einer Stunde war ich windelweich, stand auf und ging in die Schule. Sehen Sie, das war hart, aber gesund. Genau das brauchte der Junge in dieser Stunde ... Sie lachen? Gewiß, aber begreifen Sie bitte, wieviel Weisheit in dieser Behandlung lag. Darf ich Ihnen noch eine Geschichte von meiner Mutter be= richten? Da war ich schon ein Mann. Aber auch ein Mann bleibt ja das Kind seiner Mutter. Ich war im Nazireich verhaftet wor-den, weil ich trotz eines Redeverbotes gepredigt hatte. Sie wissen wohl, daß ich Pfarrer bin. Und es war ja damals etwas Alltägliches, daß Pfarrer verhaftet wurden. Aber wen es traf, den traf es eben doch hart. Sehr verzagt saß ich eines Tages in meiner engen Zelle, als mir ein Brief gebracht wurde. Ein Brief von meiner Mutter. Natürlich war er geöffnet. Damit hatte meine Mutter ja rechnen müssen. Aber nun passen Sie auf: Obwohl sie wußte, daß der Brief geöffnet würde, hatte sie keinen Augenblick an die Zensoren gedacht, nur an ihren Sohn. Sie schrieb: „.. .ich bin froh, daß Du um Jesu willen leiden darfst. Ich bin sehr stolz auf Dich. Werde nur nicht weich! Der Herr Jesus kann Dir täglich Stärke und Kraft geben..." So, in dieser Tonart, ging es weiter. Ich kann Ihnen sagen: Genau das hatte ich in dieser Stunde gebraucht: ein Herz, das sich in meiner Schmach und Einsamkeit rückhaltlos neben mich stellte .. Sehen Sie: Das heißt Muttersein: sein Kind aus dem Herzen heraus so liebhaben, daß man ihm genau das gibt, was es braucht — ein rauhes Halstuch oder einen göttlichen Trost. Sie sind sehr still geworden, meine Damen? Sie fühlen, daß Muttersein eine ganz große Sache ist. Ja, das ist es. Und wie eine Frau eine rechte Mutter sein will, ohne Gott um solche Weisheit und um solche Liebe zu bitten — das verstehe ich nicht. Es wird auch nichts. Mütter, die nicht beten können, sind keine rechten Mütter . . . „Ach was! Beten hat ja doch keinen Wert!" sagte Dr. N. lächelnd und tat dazu einen tiefen Zug an seiner Zigarre. „Da bin ich anderer Meinung", erwiderte ich. „Ich will Ihnen mal 'ne kleine Geschichte erzählen." „Ach, vielleicht so 'ne Geschichte vom lieben Gott?" „Nein! Eine Geschichte von meiner Mutter." „Was hat denn die damit zu tun?" fragte Dr. N. ärgerlich. „Das werden Sie ja gleich sehen. Also — hören Sie zu: Mit= ten im ersten Weltkrieg tat ich eines Tages einen riesigen Freu= densprung; denn ich hatte ganz unvermutet Urlaub bekommen. Nun, Sie kennen das ja, wie es einem beim Urlaub geht. Da fährt die Eisenbahn viel zu langsam. Es dauert und dauert------ Aber endlich — nachts um ein Uhr — kam ich doch auf dem Frankfurter Hauptbahnhof an. Natürlich fuhr keine Straßen* bahn mehr. So lud ich mir denn den schweren ,Affen' auf den Buckel und machte mich zu Fuß auf den Weg. Ach, all die be= kannten Stätten — jetzt im Mondlicht sahen sie so ganz anders aus. Dazu hatte ich sie auch zwei lange Jahre nicht mehr ge= sehen. Aber endlich bog ich um die letzte Ecke. Da drüben — etwa hundert Meter entfernt — lag mein Elternhaus. Ganz unwill* kürlidi pfiff ich den alten Pfiff, mit dem ich früher mein Heim* kommen angemeldet hatte. Ich tat es allerdings etwas gedämpft, denn ich wollte ja nicht die Straße alarmieren. Der Pfiff kam mir nur so über die Lippen, wie es einem wohl mal geht. Ich war mir auch klar darüber, daß mich jetzt, gegen zwei Uhr nachts, daheim doch niemand hörte. Doch als ich ein paar Schritte gegangen war, strahlte im Hause das Licht auf. Und als ich an die Haustür kam, stand da meine Mutter, breitete die Arme aus und rief: ,Mein Sohn!' Ich war sehr erstaunt: ,Mutter! Du bist schon an der Haus* tür, ehe ich geklingelt habe? Woher weißt du denn . . .' ,Ach', sagte sie lächelnd, ,ich habe dich doch pfeifen gehört. Als ich den bekannten Pfiff hörte, wußte ich: Das ist Wilhelm!' Ich war tief bewegt. Das können Sie sich wohl denken. Mein Urlaub war ja ganz unerwartet gekommen. Ich war also unan* gemeldet jetzt da. Aber ich verstand auf einmal: Wenn eine Mutter schläft, dann schläft ihr Herz doch nicht. Das ist immer wach bei ihren Kindern." „Ja, eine schöne Geschichte!" sagte jetzt Dr. N. „Aber was soll sie hier?" „Nun", erwiderte ich, „in meiner Bibel steht: ,Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, daß sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie desselben vergäße, will ich doch dein nicht vergessen', spricht Gott. Aufmerksam hatte Dr. N. zugehört. So konnte ich fortfahren: „Wenn nun schon eine Mutter den leisen nächtlichen Pfiff ihres Kindes hört — wieviel mehr wird der Vater im Himmel hören, wenn seine Kinder zu ihm rufen! Meinen Sie nicht auch?" Dr. N. war jetzt doch still geworden. Die Sache mit der Mut-ter ging ihm offensichtlich nach. Hoffentlich ist ihm darüber auch sein dummes Reden vom Beten, das ja doch keinen Wert habe, vergangen. Die böse und die gute Schwiegermutter „Herr Pfarrer, Sie müssen meiner Tochter mal ins Gewissen reden!" jammerte die Frau. Händeringend saß sie vor mir. Ich kannte sie gar nicht. In meinen Gottesdiensten jedenfalls hatte ich sie nie gesehen. Mit ihrer geschwätzigen Art machte sie einen unguten Eindruck auf mich. „So? Ihre Tochter ist auf bösen Wegen? Was hat sie denn getan?" „Oh, Sie müssen ihr mal ins Gewissen reden! Jeden Abend steht sie in der Haustür mit einem jungen Mann." Ich mußte lachen: „Das ist der Lauf der Welt. Ich denke, sie wird Ihnen den jungen Mann eines Tages in die Wohnung brin-gen und ..." Weiter kam ich nicht. Wie von der Tarantel gestochen sprang sie auf und rief: „Nie darf mir der Kerl in die Wohnung kommen! Ich bin froh, daß ich ihn los bin!" Ich staunte: „Sie kennen den jungen Mann?" „Aber natürlich! Meine Tochter war ja mit ihm verheiratet." „Ihre Tochter war mit ihm verheiratet? Und ietzt steht sie mit ihm des Abends vor dei Haustür?? Das verstehe ich nicht!" „Ja, meine Tochter ist doch von ihm geschieden. Ich habe mei= ner Tochter gleich gesagt, als sie ihn das erstemal anbrachte: Der ist nichts für dich!" „Und da hat Ihre Tochter ihn doch geheiratet?" „Leider!" klagte die Frau. „Ich hab' sie immer gewarnt." „Aber wenn Ihre Tochter mit ihm verheiratet ist, braucht sie doch mit ihm nicht vor der Haustür zu stehen." „Na, verstehen Sie doch! Sie hat sich dann doch von ihm scheiden lassen!" „Ach so! Sie hat sich scheiden lassen, weil Sie das wollten. Und jetzt zeigt sich, daß die beiden sich doch zu lieb haben. Und nun treffen sich die Geschiedenen wie ein heimliches Liebespaar? Ist es so?" Die Frau nickte. Das war ja eine komische Geschichte! Da mußte ich noch ein wenig klarer sehen. So fragte ich: „Warum mochten Sie den jungen Mann nicht? Ist er faul? Trinkt er? Mißhandelt er seine Frau? Verpulvert er das Geld?" Sie schüttelte den Kopf. „Nee, das ist es nicht. So ist er ja ganz ordentlich. Nur — ich wollte ihn nicht. Er ist doch bloß Bergmann. Und meine Tochter ist hübsch. Die konnte was Bes= seres kriegen." Da war's um meine Fassung geschehen. Jetzt wusch ich der Alten den Kopf, daß sie ganz klein wurde. Und dann ging ich mit ihr zu der Tochter. Ich fand eine nette junge Frau. Und da erfuhr ich dann, wie sehr sie ihren Mann liebte, aber unter dem Einfluß der Mutter die Scheidung betrieben hätte. Doch nun — ja, nun stellte sich heraus, daß sie und ihr Mann das sehr bereu= ten. Und sie wüßten nicht, was sie tun sollten. Kurz und gut: Ich sorgte dafür, daß die beiden eine eigene Wohnung fanden und aus dem Einfluß der Mutter herauskamen. Sie haben wieder geheiratet und sind recht glücklich miteinam der geworden.--------- Wer einmal den vielen Ehescheidungen auf den Grund sehen könnte, der würde erschrecken, wie der Teufel oft die nächsten Angehörigen benutzt, um Eheleute auseinanderzutreiben. Da wird gehetzt und gestochert, bis so ein armes Weiblein glaubt, es sei betrogen, oder bis so ein armer Mann sich einbildet, er sei an die Falsche geraten. Darum lobe ich mir die wackere Frau, von der ich jetzt noch erzählen will. Da lebte in Frankfurt am Main eine Witwe, die sich mit ihren heranwachsenden Kindern mühsam durchschlug. Eines Tages brachte ein Telegramm Aufregung in die Woh= nung. Der älteste Sohn, der fern von zu Hause war, teilte mit: „Habe mich verlobt. Komme übermorgen mit meiner Braut." Da war zuerst betretenes Schweigen. Hätte dieser Sohn nicht vor allem für seine Mutter und für seine Geschwister sorgen sol= len? Und — wie war denn nun diese Braut? Keins kannte sie. Etwas beklommen ging man an dem Abend auseinander. Die Mutter aber war eine rechte Christin. Sie schüttete in der Nacht ihr Herz dem Herrn aus. Und am nächsten Morgen ver= sammelte sie alle um sich und sagte: „Jetzt gebe ich ein strenges Gebot. Ihr sollt euch nur freuen mit eurem Bruder und die neue Schwester mit Liebe aufnehmen. Und jetzt das Wichtigste: Ich will, daß wir alle nur das Gute an dem Mädchen sehen. Sollte jemand von euch einen Fehler entdecken an ihr, dann darf man mit niemand darüber sprechen. Dann sagt Ihr das nur Gott." Währenddessen saß das Brautpaar auf der Bahn. Dem Mäd= chen war es schwer ums Herz: Wie würde sie bestehen vor den kritischen Blicken der Schwägerinnen, von denen ihr Geliebter so viel Rühmliches zu berichten wußte? Aber von der freudigen Begrüßung an waren alle Sorgen ver= flogen. Es umgab sie eine solche Liebe und Herzlichkeit, daß sie ihr Herz ganz öffnete und namentlich ein unbegrenztes Ver= trauen zu der Mutter ihres Bräutigams gewann. Liebe und Frieden regierten. Und sie sind geblieben — nun seit über dreißig Jahren.------ Warum soll ich es verschweigen? Die Witwe, die so lieb und weise handelte, war — meine Mutter. Ja, das ist ein Festtag! Mutters 80. Geburtstag! Namentlich in unserm Fall, wo die Mutter acht verheiratete Kinder und ungezählte Enkel hat. Da heißt es: Strömt herbei, ihr Völkerscharen . ..! Wenn auch der gefallene Sohn schmerz« lieh vermißt wird und die Tochter aus Amerika nur mit einem lieben, langen Brief vertreten ist, so ist es doch eine stattliche Festversammlung. Da gibt's ein Festmahl. Der Kaffee fließt in Strömen. Und jeder hat so viel zu erzählen, daß die Mutter einmal lachend sagt: „Bei uns fehlt es gar nie an Rednern, sondern nur anHörem." Wie gut darum, daß es auch feierliche Festreden gibt, bei denen dann alles still werden muß. In den „Sprüchen Salomos" gibt es ein „Lob der tugendsamen Hausfrau". Da heißt es: „Ihre Söhne stehen auf und preisen sie selig." So ist es hier. Wie sollte es auch anders sein! Die Söhne wissen, daß sie nicht nur eine liebe Mutter, sondern eine bedeutende Frau ist, zu der viele auf« schauen. Und diese Reden sind nicht Festtagsgeschwätz. Nein! Sie körn« men aus dem Herzen. Denn — darüber sind wir uns alle klar: Solch eine Mutter gibt es auf der Welt nicht wieder. Unten am Tisch flüstern die kleinen Enkel miteinander: „Wenn ich in den Ferien bei ihr war, hat sie mir extra Himbeergelee hingestellt, weil sie weiß, daß ich das so gern esse!" „Ja, und sie hat gewußt, daß ich keine Haut in der Milch mag. Da hat sie mir immer ein Sieb gebracht." O ja, einen Strom von Liebe hat diese Mutter ausgehen las« sen. Wie schnell die Stunden verrinnen! Auf einmal ist alles zu Ende. Der Bruder muß aufbrechen zu einem Vortrag. Jener Schwager muß zu einer Sitzung fort. Die starke Stimme des Bruders tönt durch den Tumult: „Wir wollen zum Schluß noch einen Psalm lesen und einen Vers sin« gen!" Jeder setzt sich, wo er einen Platz findet. Jeder ist ein wenig betrübt, daß das schöne Fest zu Ende ist. Aber dann packen uns die Worte eines herrlichen Lobepsalms. Und jeder lobt von Herzen mit, daß Gott uns solch eine liebe Mutter geschenkt hat, die unsere Jugendzeit herrlich machte. „So! Und nun soll Mama sich noch einen Vers wünschen!" Jeder ist jetzt innerlich bereit, schallend einzustimmen in einen Vers wie: „Nun danket alle Gott, mit Herzen, Mund und Hän= den . . Einen Augenblick lang ist es sehr still. Dann sagt die Mutter leise: „Singt mir: Es ist ein Born, draus heil'ges Blut/für arme Sünder quillt..." Wir sind erschüttert. Paßt es denn hier? „Arme Sünder .. ." Aber schon hat der Bruder den Klavierdeckel aufgeschlagen, greift in die Tasten. Und wir verstehen: So ist das im Leben der Christen! Am Ende eines reichgesegneten Lebens heißt es doch: Nichts hab' ich zu bringen, Alles, Herr, bist Du! Gewaltig und vielstimmig erklingt es nun: „Es quillt für mich das teure Blut, Das glaub und fasse ich. Es macht auch meinen Schaden gut, Denn Christus starb für mich!" Unter diesem Singen werden alle unsre schönen Lobreden aus= gewischt. Sie sind gar nicht mehr vorhanden. Groß steht allein der Heiland da, dessen Gnade Sünder zu Kindern des lebendU gen Gottes macht. O Mutter! Liebe Mutter! Wie hast du uns in die Welt der Wahrheit geführt! Don Uöanbfpcüdjen Kürzlich führte mich eine Vortragsreise an den Rhein. Schön war die Fahrt über kleine, gewundene Westerwaldsträßlein. Schließlich ging's durch eine grüne Schlucht hinab — und da lag vor uns der wundervolle Rheinstrom. Schon blinkten da und dort Lichter auf, der Abend brach her= ein. Und da merkte ich, daß ich nun doch auch müde geworden war. So beschlossen wir, die Nacht in einem der zahlreichen Hotels zu verbringen. Bald saßen wir in der heimeligen Gaststube beim Abendessen. Ich wollte gerade ein Stück Kartoffel in den Mund schieben, als mein Blick auf einen schön gemalten VVandspruch fiel. Dieser Spruch brachte mich so zum Lachen, daß ich fast an meiner Kar» toffel erstickt wäre. Da stand: Ihr sagt, der Jäger sei ein Sünder, Weil er nicht oft zur Kirche geht. Im grünen Wald ein Blick zum Himmel ist besser als ein schlecht Gebet. Was doch solch ein Wandspruch für eine Macht hat! Den gan» zen Abend über ließ mich dieser dumme Spruch nicht los. Und schließlich konnte ich ihn auswendig aufsagen, obwohl mein alter Kopf nur noch sehr schwer etwas auswendig behalten kann. Es ging mir dabei auf, daß man mit Wandsprüchen doch recht vorsichtig sein muß. Was immer vor einem hängt, das stiehlt sich unmerklich in Herz und Kopf und sitzt schließlich unaus» löschlich im Gehirn fest. Darum kann ich es nicht recht begreifen, daß sogar Christen» leute sich heute manchmal so dumme Sprüche ins Zimmer oder in die Wohnküche hängen. Komme ich da kürzlich auf einer meiner Reisen zu lieben Christen und finde an der Wand — schön gerahmt — den Spruch: „Blau ist keine Farbe, sondern ein Zustand." Ich muß sagen, daß mich das recht gestört hat. Ich jedenfalls wollte solch einen armseligen Unsinn nicht immer vor Augen haben. Ach, was gibt es doch für kümmerliche Wandsprüche! In uns» rer Stadt ist ein Laden, wo solche Dinger verkauft werden: gemalte und gebrannte Sprüche, gerahmte und ungerahmte. Auf Holz und auf Kacheln. Dort stand ich einmal vor dem Schau» fenster und schaute mir diesen Querschnitt durch den geistigen Besitz unsrer Zeit an. Es war erschütternd! „Immer lustig, im= mer froh / wie der Mops im Paletot." Oder: „Wer angibt, hat mehr vom Leben." „Jeder Mensch hat seinen Vogel." Und: „Einer spinnt immer." Lauter solches Zeug. Und das wird also doch offenbar gekauft und an die Wand gehängt! Wie muß es in Herzen und Köpfen aussehen, die das ertragen! Da kann man schließlich nur sagen, was auf einem dieser armseligen Sprüche zu lesen war: „Nicht ärgern, nur wundem." Aber nun muß ich doch noch einmal auf den Jägervers in dem Rheinhotel zurückkommen: „Ihr sagt, der Jäger sei ein Sünder, / weil er nicht oft zur Kirche geht. / Im grünen Wald ein Blick zum Himmel / ist besser als ein schlecht Gebet." Während ich etwas müde diese deutsche Volkspoesie anstarrte, ging mir auf: Da ist alles drin enthalten: Die Abneigung gegen die ernsten Christen. Natürlich können die nur „schlechte und heuchlerische Gebete" hersagen. Da ist doch so ein „wehrschafter, teutscher Jägersmann" ein andrer Kerl! Man sieht ihn förmlich in seinem aufgeblasenen Pharisäismus vor sich. Aus dem Vers spricht die blinde, strahlende Selbstgerechtigkeit des unbekehr= ten Menschen. Und — es kam mir auf einmal so vor: Spricht aus dem Vers nicht auch eine letzte Sorge und Unruhe, ob denn wirklich mit Gott alles in Ordnung sei? Ja, die Unruhe wird er= stickt. Aber — sie schwelt unter der Oberfläche. Anne Menschen, die sich selbst betrügen! Da möchte ich lieber einen schönen Bibelspruch an die Wand hängen. So ein Wort Gottes hat doch einen Nährwert für die Seele. Und wenn dann mitten im Alltagsgeschäft der Blick dar= auf fällt, dann erfährt man wahrhaftig den Zuspruch des leben= digen und gegenwärtigen Herrn. Es ist ja interessant, daß der Herr dem alttestamentlichen Volke Israel befohlen hat, sie sollen die Gebote Gottes an die Pfosten ihrer Häuser schreiben. Das war nun auch eine Art von Wandspruch. Wie ein göttliches Stoppsignal leuchteten diese In= Schriften dem Menschen entgegen, der sich anschickte, auf den Weg der Sünde zu gehen. In meinem Studierzimmer hängt ein einziger Spruch. Es ist das Wort, das ich meinem gefallenen Jungen einst am Konfir= mationstag mitgab: „Freuet euch, daß eure Namen im Himmel geschrieben sind." Ja, solch ein Heilandswort kann sich gar nicht genug dem Herzen und dem Gehirn einbrennen. Und wenn ab und zu — mitten im Alltagstrubel — mein Blick auf diesen Wandspruch fällt, dann wird mein Herz fröhlich, getrost und weit. Es war nach dem Kriege. Mein lieber Bruder war aus der Gefangenschaft nach Hause gekommen. Er fand sein Haus zer= bombt und seine Familie evakuiert. Nach unendlichen Mühen hatte er mit seiner großen Kinderschar und seiner Frau ein Un= terkommen gefunden in einer ganz engen, halbverwüsteten Be= hausung. Das war ein Gedränge und Gewimmel in den bedrän= genden vier Wänden! Da sollte man nun zwischen Kochtöpfen und Kindergeschrei Predigten und Vorträge vorbereiten! Wie sollte das wohl gut gehen! Als ich ihn besuchte, leuchtete mir von der Wand ein Spruch entgegen. Es waren zwei Zeilen aus einem herrlichen Pfingst= lied: . in dem rasenden Getümmel Schenk uns Glaubensheiterkeit. . Da wußte ich, daß es hier trotz allem fröhlich zugehen mußte. Und so war es auch. Nun muß ich zum Schluß noch von einem Wandspruch er= zählen, der in meinem Elternhaus hing. Es war nur ein blauer Karton, auf dem in silberner Schrift stand: „Ich will euch tra= gen bis ins Alter und bis ihr grau werdet." Als wir Kinder größer wurden, fanden wir, dieser Karton sei doch nicht mehr schön. An und für sich nicht. Und dann war er auch schon ein wenig mitgenommen. Und als wieder mal ein Hausputz kam, wurde er von uns kurzerhand weggeworfen. Aber meine liebe Mutter war gar nicht einverstanden damit. Sie „zog ihn wieder an Land", wie man so sagt, und hängte ihn in die Waschküche. Das wird es ja sicher nicht häufig geben: Waschküche mit Wandspruch! Und nun hat unsre Mutter es oft ausgesprochen, wie sehr dies Wort an den Großkampftagen der Hausfrau, an den Wäschetagen, sie erquickt habe. Das Wort wurde ihr so wichtig in schweren Tagen — als mein Vater starb, als wir Haus und Heimat verloren —, daß der alte schäbige Karton heute einen Ehrenplatz in ihrem Schlafzimmer hat. Ja, es ist schon so: „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf mei= nem Wege." „2?c|ucfj Decbeteri!' „Halt! Halt!" Atemlos kam die kleine Schwester mir auf dem langen Gang des Krankenhauses nachgerannt. Ich hatte gerade meinen Finger gekrümmt, um an einem Zim= mer der Privatstation anzuklopfen. „Nun, was gibt's denn?" „Bitte, gehen Sie nicht in dies Zimmer, Herr Pfarrer!" sagte sie, noch etwas atemlos. „Aber warum denn nicht? Dies ist doch ein evangelisches Krankenhaus. Da ist es meine Pflicht, von Zimmer zu Zimmer zu gehen, um ..." „Ja, aber dieser Herr...", sie zeigte auf das Namensschild= chen an der Tür. Nun schaute ich auch hin und las den Namen eines bekannten Geschäftsmannes. Wie oft hatte ich den auf Reklameschildem gesehen! „. . . also — dieser Herr", fuhr die Schwester aufgeregt fort, „hat ausdrücklich und energisch gebeten, man möge auf keinen Fall einen Pfarrer zu ihm lassen. Er will bestimmt keinen Be= such von Ihnen! Er wird Sie hinauswerfen!" „Schwester!" sagte ich. „Ich bin nun 25 Jahre Pfarrer und habe allmählich Nerven wie Drahtseile. Schließlich muß man so etwas ja auch einmal erleben." Damit klopfte ich an. Die Schwe= ster rang die Hände. „Herein!" rief eine sympathische, kräftige Männerstimme. Ith trat hinein. Im Bett lag ein alter Herr. „Wie freue ich mich", sagte ich, „Sie persönlich kennenzuler= nen! Ihren Namen kenne ich von der tollen Reklame Ihrer Firma." Er lachte: „Na, und wer sind Sie?" „Ich bin der evangelische Pfarrer Busch." „Ach so! Na ja! Sie sind ja schon lange in unsrer Stadt. Ihren Namen habe ich auch oft gehört. Da ist es mir recht, wenn ich Sie auch einmal kennenlerne. Nur — Herr Pastor — von Ihrem Gott reden Sie bitte nicht!" „Pech" lachte ich ihn an. „Genau davon wollte ich mit Ihnen sprechen!" „Ausgeschlossen!" winkte er ab. „Kommt nicht in Frage! Da= mit bin ich restlos fertig! Sehen Sie, als ich ein Junge war, da hat man mir die Psalmen eingetrichtert. Wenn andre Jungen draußen spielten, mußte ich das langweilige Zeug lernen. Da be= kam ich den ersten Abscheu. Und dann habe ich mir als Mann ein Weltbild und eine eigene Lebensanschauung aufgebaut. Die Propheten, die mir die Wahrheit verkündet haben, heißen Dar* win und Häckel..." Mich überkam ein wilder Zorn über die Gottlosigkeit unsres gebildeten Bürgertums. „Herr N.!" fuhr ich auf ihn los, „wenn mir ein löjähriger dummer, grüner Junge so etwas sagen würde, dann ... na ja, dann würde ich lächeln und denken: Du wirst noch dahinter kommen, daß die Naturwissenschaft selber nicht mehr an diese Propheten glaubt. Aber, wenn ein alter Mann . .. mit grauen Haaren . .. der am Rande der Ewigkeit steht . . . mir so etwas erzählt...! Herr N.! Sie werden bald vor Gott stehen! Wollen Sie da solch einen Unsinn vor Ihm,dem Heiligen, auspacken?..." Erstaunt sah er mich an. Der Ton war ihm offenbar neu. Und mich überkam auf einmal eine Scham, daß ich mich nicht besser beherrscht hatte. Schließlich waren wir ja in einem Kranken* haus. Und da soll man die Leute aus Prinzip nicht aufregen. Also — ich atmete dreimal tief. Währenddessen war eine Weile Schweigen. Und da überkam mich ein ganz großes Mit* leid mit diesem armen Mann — ohne Gott. So fing ich noch einmal an: „Ich habe eine Schar Kinder. Als die noch klein waren, sang meine Frau abends immer mit ihnen noch ein Lied. Die Kinder lagen schon in ihren Bettchen und sangen mit hellen Stimmchen mit. — Wie oft habe ich dann in meinem Studierzimmer den Federhalter weggelegt und habe zu* gehört..." Aufmerksam folgte der alte Herr meinen Worten. Ich machte weiter: „Und da war ein Kinderlied, das ich ganz besonders gern hörte. Vielleicht kennen Sie es. Weil ich Jesu Schäflein bin, Freu ich mich nur immerhin Über meinen guten Hirten, Der mich wohl weiß zu bewirten, Der mich liebet, der mich kennt Und bei meinem Namen nennt..." Während ich dieses Lied hersagte, ging eine tiefe und seltsame Bewegung über das Gesicht des alten Herrn, und ich fuhr fort: „Sehen Sie, sooft ich dies Lied hörte, mußte ich denken: Ein Mann, ein richtiger Mann, kann es nach allen Kämpfen seines Lebens gar nicht weiter bringen, als daß er am Ende wie ein kleines Kind sagen kann: Ich freue mich unbändig, daß der Sohn Gottes mein Hirte ist und daß er mich liebhat und kennt und errettet... Nein, weiter können wir es nie bringen. Das ist das Schönste und das Höchste!.. Ganz langsam liefen zwei Tränen über das Gesicht des Kran= ken. Dann seufzte er tief auf: „Ja, so ist es wohl!" Aber dann fuhr er — wie gequält — hoch und fragte erschrocken: „Ja, soll ich denn alles, was ich mein Leben lang gehabt und geglaubt habe, über Bord werfen?" „Aber gewiß!" rief ich fröhlich. „Nur fest über Bord mit all dem Kram, den Sie im Angesicht der Ewigkeit doch nicht brau= dien können! Über Bord damit! Und dann werfen Sie selbst sich in die Arme des Sohnes Gottes, der für Sie starb und der Sie er= kauft hat für Gott! Ja, werfen Sie sich in diese offenen Arme!" Leise klopfte es an die Tür. Die Schwester erschien vorsichtig. Sie schaute erstaunt, als sie uns in so vertraulichem Gespräch sah. Aber dann winkte sie mir. Ich verstand. Es war Zeit zu gehen. Fest drückte ich dem alten Herrn die Hand und verließ leise das Zimmer. Bald nachher ist mein Patient gestorben. Ob wohl...? Es bleiben viele Fragen im Leben offen. ,...al8 cuenn taufenb Tfeufel (Id) an meine Kotffctjöfje tjängten.'1 Gespannt schauten die vielen hundert Jungen auf den Mann, der dort vorne zu ihnen sprach. Gewiß, wir bekommen mancherlei Besuch in unsrem Essener Jugendhaus. Und diese Besucher sagen dann meist ein kurzes Wort. Das ist zuweilen recht nichtssagend. Man sieht es dann den jungen Gesichtem an, wie sie sich langweilen. Aber bei dem dort vorne war es ganz anders. Wenn er auch einen grauen Spitzbart hatte — er sprach so, daß jeder Junge fühlte: „Der kennt sich aus bei Jungen!" „Also — wie gesagt — es stand damals nicht gut mit mir", fuhr der alte Mann fort. „Ich war damals in der Obersekunda. Ihr wißt ja, wie das ist: Da war so 'ne dumme Mädchengeschichte. Und in der Schule kam ich mit meinen Lehrern nicht zurecht. Ich konnte ihnen nicht mehr gut in die Augen sehen. Und zu Hause — ja, da stimmte es auch nicht. Ich war so verkehrt. Mein ganzes Leben war nicht in Ordnung. Ich fühlte das deut= lieh. Aber ich wollte es mir nicht eingestehen. Und darum ha= derte ich mit der ganzen Welt." Regungslos saßen die Jungen. Ja, diesen Zustand kannten sie sehr gut. Der Redner erzählte weiter: „Und da kam ich mal wieder in dies Jugendhaus. Damals lebte der Pastor Weigle noch. Genau wie ihr jetzt, so saß ich in der großen Schar. Und doch war es mir, als wenn der Pastor Weigle nur zu mir spräche. Ich weiß eigentlich gar nicht mehr, was er sagte. Nur ein Satz — der fuhr mir ins Herz: Du mußt dich dem Herrn Jesus ganz ausliefern, dann bringt er dein Leben in Ordnung, und du wirst ein sehr fröhlicher Mensch! Du mußt dich dem Herrn Jesus ganz ausliefern ...! Der Satz stand jetzt einfach in meinem Herzen. Und als die Stunde zu Ende war, verabschiedete ich mich gar nicht mehr von meinen Freunden. Ich lief los — nach Hause. Ich wollte mit meinem Leben in Ordnung kommen. Ach, das war ja so einfach: Ich mußte mich nur Jesus ausliefem. Sofort mußte das geschehen. Ich rannte, um schnell in mein kleines Dachzimmer zu kommen. Dann stand ich auf der Treppe zu meinem Zimmer. Und da kamen auf einmal die Bedenken. War das bisherige Leben nicht doch ganz schön? Gab ich nicht alle Freiheit preis, wenn ich Jesus meinen Herrn sein ließ? Immer langsamer wurden meine Tritte. Aber dann wußte ich auf einmal: Wenn ich den entscheidenden Schritt jetzt nicht tue, dann finde ich den Mut nicht mehr. Und dann kommt mein Leben nie in Ordnung. Nie! Jetzt stürmte ich die Treppe hinauf. Und — ihr könnt mir's glauben: Es war, als wenn der Teufel neben mir her liefe und mir ins Ohr flüsterte: Tu es nicht! Tu es nicht! Im Sturmschritt nahm ich immer zwei Stufen auf einmal. Und da war's, als wenn sich tausend Teufel an meine Rockschöße hängten: Tu es nicht! Tu es nicht! Aber — da war ich schon in meinem kleinen Zimmer. Ich fiel auf meine Knie und sagte: Herr Jesus! Du willst mich haben, und ich will dich haben. Ich habe ein böses Herz. Nimm es ganz hin. Du bist für mich gestorben und hast mich erkauft. Ich will von heute ab dir gehören. Als ich vom Knien aufstand, war auf einmal eine große Freude und eine große Stille in meinem Herzen. Und .. Er machte eine kleine Pause. Regungslos saßen die Jungen. „Und", fuhr er mit lauter Stimme fort, „ich habe es bis zum heutigen Tage nie bereut, daß ich diesen Schritt getan habe." (Je Ijatte eo an 5en TTecoen Es war einmal ein Mann ... Halt, so darf ich nicht anfangen! Denn der Herr Schwarz, von dem ich erzählen will, lebt ja noch. Also: Ich kenne einen Mann ... Nein, — halt! Jetzt ist's wieder verkehrt. Denn der Herr Schwarz, wie ich ihn heute kenne, ist ein ganz anderer Mann als damals, da diese Geschichte passierte. Also fange ich nun doch an: Es war einmal ein Mann, der hieß ... ach, das geht ja niemand etwas an! Nennen wir ihn Schwarz. In Wirklichkeit hat er einen viel schöneren Namen. Dieser Herr Schwarz „hatte es an den Nerven". Das wußten alle. Und wer es nicht wußte, der brauchte ihn nur anzusehen. Wo der Herr Schwarz hinkam, da wurde die Milch drei Meilen im Umkreis sauer. So war der! Oft geschah es, daß sich Müllers — die wohnten im Stockwerk über Schwarzens — bedeutsam ansahen. Durch den Fußboden hörte man deutlich, wie Herr Schwarz tobte. Dann schüttelte Herr Müller den Kopf und sagte: „Nein! So was!" Und Frau Müller sagte: „Er hat's eben an den Nerven." Und die große Tochter meinte: „Mir tut die arme Frau leid!" Ach ja, die Frau Schwarz konnte einem schon leid tun. Aber die hatte gute Nerven und ein stilles Herz. Und wenn sie je= mand darauf ansprach, dann sagte sie nur: „Sie wissen doch, er hat es an den Nerven." Ja, die Nerven von Herrn Schwarz, die wurden der ganzen Gegend zur Last. Da waren zum Beispiel zwei Jungen in der Nachbarschaft. Die spielten in einem christlichen Posaunenchor. Da muß man ja ab und zu üben, sonst gibt's falsche Töne. Aber dazu kamen die Jungen nicht. Denn kaum hatten sie die Posaunen angesetzt, da erschien Herr Schwarz und schrie: „Ihr wißt doch, daß ich's an den Nerven habe! Ich verbitte mir diese Rücksichts* losigkeit!" Da hörten die Jungen erschrocken auf. Und der ganze Posau= nenchor kam immer mehr herunter. Alles wegen der Nerven von Herrn Schwarz. Und auf dem Büro gar, wo Herr Schwarz arbeitete! Da kam man aus der dicken Luft gar nicht mehr heraus. Immer gab's Krach, weil Herr Schwarz es doch an den Nerven hatte. Am allerärmsten aber war der Herr Schwarz selbst. Wenn einmal die Sonne schien und die Vögel sangen und ein Mailüft= chen wehte, daß allen Leuten vor Vergnügen fast die Haut zu eng wurde, so geschah es wohl, daß Herr Schwarz auch lächeln wollte. Aber dann fiel ihm ein, daß er's ja an den Nerven hatte. Und dann knurrte er seine Frau an, sie solle das Fenster zu= machen. Man hole sich ja eine Schwindsucht bei dem Durch= zug. Eines Tages bekam ich es auch mit Herrn Schwarz zu tun. Er hatte nämlich einen Sohn. Der kam treu in unsern Jugend= kreis, lernte dort den Herrn Jesus als seinen Erlöser kennen und schenkte ihm sein Herz und Leben. Das war nun in der damaligen Zeit gar nicht so einfach, weil der Adolf Hitler regierte. Und der wollte Herz und Leben der Jugend für sich haben. Und der Herr Schwarz hielt das für ganz richtig. Also hatte er einen Grund, den Weg seines Sohnes sehr zu mißbilligen. Und wenn Herr Schwarz etwas mißbilligte, dann tat er das außerordentlich gründlich. So hatte der Junge schwere Tage. Schließlich wurde es so schlimm mit Herrn Schwarzens Ner-ven, daß er einen Arzt aufsuchen mußte. Der behorchte den armen Mann von vorn und hinten, schüttelte den Kopf und sagte schließlich: „Es sind die Nerven, Herr Schwarz. Sie müs-sen eine Erholung haben." Und so landete Herr Schwarz in einem Sanatorium. Eines Tages steht der Sohn vor mir: „Herr Pastor! Jetzt müssen Sie recht für mich beten." Er sieht ganz kläglich ins Wetter. „Warum denn, mein Junge?" „Ach, mein Vater hat morgen Geburtstag. Und da hat meine Mutter gewollt, daß ich ins Sanatorium zu ihm reise und ihn besuche." „Ist das so schlimm?" „Ja! Mein Vater versteht mich einfach nicht. Er wird die ganze Zeit nur mit mir zanken. Ich möchte, die Reise wäre schon vorüber!" „Sprich nicht so böse! ,Du sollst Vater und Mutter ehren', heißt Gottes Gebot! Sei du nur recht lieb zu deinem Vater!" Aber der Junge tut mir leid. Ich möchte nicht in seiner Haut stecken. Ich kenne zur Genüge Herrn Schwarzens „Nerven". Der Junge reist schweren Herzens los. Bänglich wandert er durch den Park zum großen Eingangsportal des Sanatoriums. In der Halle trifft er seinen Vater. Strahlend kommt der auf ihn zu: „Mein lieber Junge! Wie schön, daß du mich besuchst!" Der Junge staunt. So etwas ist er nicht gewöhnt. Er weiß nicht, was er von dieser Herzlichkeit denken soll. Der Vater legt ihm den Arm um die Schulter: „Willst du etwas essen? Nein? Dann sei so gut und geh mit mir in den Park. Ich muß dir etwas Wichtiges erzählen. Das braucht niemand zu hören." Bald sitzen sie unter einem Baum im Gras. Jetzt wird der Vater ganz feierlich: „Mein lieber Junge!" sagt er. „Es ist für einen Vater nicht leicht, das auszusprechen, was ich jetzt sagen muß. Aber es muß gesagt werden: Du bist auf dem richtigen Weg. Und ich war auf dem verkehrten Weg. Darum muß ich dich um Verzeihung bitten." Die Tränen glänzen in seinen Augen, als er dem Sohn die Hand hinstreckt: „Kannst du mir vergeben?" Der springt auf: „Vater!" Ich habe zwei Berichte über den Vorgang unter dem Baum bekommen: in einem Brief des Herrn Schwarz und in einem mündlichen Bericht des Sohnes. Aber in jedem der beiden Be= richte war hier eine Lücke. Lassen wir also die beiden einen Augenblick allein in ihrer Erschütterung. Inzwischen besinnen wir uns auf etwas Seit» sames. Das, was da in einem modernen Nervensanatorium ge» schah, ist schon in der Bibel verheißen: „Ich will die Herzen der Väter bekehren zu den Kindern ..." Immer noch sitzt Herr Schwarz mit seinem Sohn unter der alten Buche im Park. Er hat ja so viel zu erzählen: „Als ich hierher kam, wurde ich schon am ersten Morgen dem berühmten Nervenarzt, der die Sache hier leitet, vorgestellt. Der untersuchte mich gründlich, gab dann einige Anweisungen für die Kur. Dann konnte ich gehen. Aber als ich an der Tür war, sagte er noch: ,Übrigens, Herr Schwarz, das Schlimme ist, daß Sie keinen Frieden mit Gott haben. Danach sollten Sie sich umsehen!' Ich glaube, der Arzt hatte keine Ahnung, was für einen Sturm er mit diesen Worten in meinem Herzen hervorrief. Ja, euer Pastor hat dasselbe zu mir gesagt. Aber von dem habe ich im= mer gemeint, daß er nur die notwendige Volksaufklärung auf» halten will, damit seine Kirche ihre Macht nicht verliert. Doch nun sagte der berühmte Nervenarzt genau dasselbe. — Sieh, mein Junge, in diesem Augenblick wußte ich: Ich liege schief. Mein Leben ist verkehrt! Ich bin dann zu der Schwester gegangen und habe sie gefragt: Schwester, wie finde ich Frieden mit Gott? — Die war natürlich sehr erstaunt und brachte mir dann ein Neues Testament. Das habe ich in diesen Tagen heiß» hungrig gelesen und — dabei habe ich meine Hände gefaltet und zu Gott geschrien: Laß mich den rechten Weg finden! . . . Jetzt habe ich ihn gefunden ... Ach, weißt du, das, was ich ,meine Nerven' genannt habe, war zu 90 Prozent mein verkehrtes Herz. Na ja, 10 Prozent mögen immerhin die Nerven sein. Und da müßt ihr Geduld mit mir haben. Aber — jetzt wird alles anders!" Das wurde ein schönes Geburtstagsfest! Es kam ein andrer Mann aus dem Sanatorium zurück. Gewiß, Herr Schwarz ist nicht der Stärkste. Aber er ist heute die Freund» lichkeit selbst. Als ich kürzlich mit ihm über die Straße ging, da sprangen ihm die Kinder entgegen und hingen sich an seine Hand. Und wenn die Jungen Posaunen blasen, dann nickt er ihnen zu und sagt: „Das ist schön, daß ihr dem Herrn Jesus mit Posaunen die Ehre gebt." Und seine Frau erst! Die hat das Lachen wieder gelernt. Und der Herr Müller meint, wenn er's mal an den Nerven hätte, dann wolle er auch zu dem berühmten Arzt gehen. Aber der Herr Schwarz wird nicht müde, ihm zu erklären: „Nicht der Doktor hat mein Herz fröhlich gemacht, sondern der Herr Jesus Christus." Vielleicht begreift der Herr Müller das auch noch eines Tages. Bis heute schüttelt er nur den Kopf und sagt: „Nein! So was!" „flaula Ijat bran gebadjt!" Lachend, schwatzend, lärmend drängten Scharen von Kindern durch die weiten Türen der Kreuzes=Kirche. Sie brachten den ganzen Lärm der Großstadtstraße mit in die Vorhalle. Aber wenn sie den weiten Raum, der durch die Glasfenster ein ge» dämpftes Licht erhielt, betraten, wurden sie stiller. Ich stand am Altar. Es war nett zu beobachten, wie schnell sich das Gewühl entwirrte. Jedes Kind gehörte zu einer Gruppe. Und jede Gruppe hatte ihren festen Platz. Die eifrigen Helfer und Helferinnen teilten die Liederbücher aus. Machtvoll setzte die Orgel ein. Und dann erklang es aus vielen Kinderkehlen: „Nun laßt uns gehn und treten Mit Singen und mit Beten Zum Herrn, der unserm Leben Bis hierher Kraft gegeben. Wir gehn dahin und wandern Von einem Jahr zum andern..." Ob die Kinder es wohl merkten, daß an diesem ersten Sonn» tag im Jahre 1943 jeder Vers aus dem Neujahrslied Paul Ger» hardts ein besondres Licht bekam? Die Ältesten fühlten es gewiß! Ihre Väter waren draußen im Krieg, in Afrika, Rußland, Frankreich, Norwegen oder sonst irgendwo in der Feme. Und die Mütter hatten sorgenvolle Gesichter, weil die Lebensmittel immer knapper wurden. Die ersten Bomben waren auf Essen gefallen. „Durch so viel Angst und Plagen, Durch Zittern und durch Zagen, Durch Krieg und große Schrecken, Die alle Welt bedecken ..." sangen die Kinder. Wie aktuell war dies Lied aus dem 17. Jahrhundert! Die Orgel verklang. Der Gesang schwieg. Ich las den 23. Psalm: „Der Herr ist mein Hirte . . . Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir ..." So! Nun sollte die Gruppenbesprechung beginnen. Die Helfer und Helferinnen schlugen ihr Testament auf und stellten sich vor ihre Kinder. Da drängte es mich, ein kurzes Wort zu sagen: „Kinder! Was ist denn eigentlich ein dunkles Tal? Was meint der David, wenn er vom ,finstern Tal' spricht?" Einer von den großen Jungen kennt sich aus. „Wenn man sterben muß!" ruft er. „Ganz recht! Der Tod ist ein sehr finstres Tal. Wohl dem, der dann sagen kann: ,Du bist bei mir'! — Was für finstre Täler gibt es sonst noch?" Die Kinder überlegen. Jetzt meldet sich ein kleines Mädel-chen. Sie hat ein lichtes Kleidchen an. Eine große blaue Schleife schmückt ihr Haar. „Ein finstres Tal ist, wenn die Flieger Bomben schmeißen und die Sirenen heulen und wenn man dann so schrecklich Angst hat." Dabei nickt sie ernsthaft. Mir krampft sich das Herz zusammen. Ich wußte noch nicht, wieviel Schreckliches auf uns wartete: daß diese Kirche kahl und ausgebrannt dastehen würde; daß die belebten Straßen ringsum schon bald wüste Trümmer sein würden. Aber — eine Ahnung des Kommenden lag über uns allen. „Ja, mein Kind!" wandte ich mich zu dem Mädelchen. „Das ist ein schrecklich finsteres Tal. Und nun wollen wir miteinander ausmachen: Wenn's kommt, dann sagen wir: Du bist bei mir, lieber Heiland! Und dann fürchten wir uns gar nicht mehr. — Wollt Ihr daran denken?" „Ja", riefen die Kinder. Sie alle wollten an das Wort denken: „Ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Un= glück; denn du bist bei mir!" Es schien ihnen so gut, ein Mittel gegen die Furcht zu haben. Es war kurz vor Mitternacht an diesem Sonntag. Da heulten die Sirenen los. Wild und schrecklich zerriß ihr Lärmen die Nacht* stille. Ich saß noch in meinem Studierzimmer. Über mir in den Schlafzimmern hörte ich auf einmal Trappeln und Laufen. Schnell stand ich auf, um nach meinen Kindern zu sehen. Da stürmte die Jüngste im Nachthemdchen schreckensblaß die Treppe herunter, das Gesichtchen von Angst verzerrt. Ich fing sie in meinen Armen auf. „Papa! Ich hab' so Angst!" stammelte sie. „Aber Renate!" sagte ich. „Was haben wir gerade heute mor= gen gelernt? ,Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du, Herr, bist bei mir'!" „Ach Papa", seufzte sie, während ihr Gesicht ruhig wurde. „Das habe ich ja ganz vergessen." „Natürlich!" erwiderte ich etwas bitter. „Das machen die Großen genauso. Das Wichtigste vergißt man." Dann gingen wir in den Keller. Und bald fielen die Bomben. — Am nächsten Morgen schien die Sonne. Unser Haus war ver* schont geblieben. Es war wie im Frieden. Ich saß am Schreibtisch und arbeitete. Da flog plötzlich — knall! bumm! — die Tür auf. Meine vitale Jüngste kam herein* gestürmt. Hinter sich her zog sie ein kleines Mädchen, das nicht recht mit wollte. „Papa!" schrie meine kleine Tochter aufgeregt. „Die Paula hat dran gedacht!" Ich drehte mich um, etwas ärgerlich, ein wenig zerstreut, auch ein bißchen neugierig — nun, eben wie Väter, wenn sie so jäh aus der Gedankenarbeit gerissen werden. „Was ist los mit Paula?" Natürlich kannte ich Paula. Es war die innig geliebte Freundin. Es gab keine Mahlzeit, ohne daß die Ereignisse im Leben der kleinen Paula vorgebracht wurden. Sie war katholisch. Aber die Kleine-Mädchen-Freundschaft war so innig, daß Paula einfach in den Kindergottesdienst mitgeschleppt wurde. Meine Tochter wurde ärgerlich, weil der Vater so langsam „schaltete". „Die Paula hat wirklich dran gedacht! Du weißt doch — vom finstern Tal — bei ihnen hat's gebrannt — Brandbomben — da hat sie drangedacht!" Mir ging ein Licht auf. „Erzähl mal, Paula! Wie war das?" Und dann kam eine rührende Erzählung: Wie die Brandbomben ins Haus Heien, wie die Männer aufgeregt aus dem Keller stürmten, um zu löschen, wie die Mutter weinte und voll Angst war. Da hatte die kleine Paula sich vor der Mutter aufgestellt und vor all den Leuten im Keller aufgesagt: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du, Herr, bist bei mir!" Da war die Mutter ganz ruhig geworden. Ich saß wieder still am Schreibtisch. Draußen hörte man die Stimmen der kleinen Mädchen, die fröhlich spielten. Mir aber war ganz feierlich zumute. Und dann mußte ich ein wenig seufzen: „Wie schön könnte unser Leben sein, wenn wir immer dann ein großes Wort Gottes zur Hand hätten, wenn es gilt!" ?u>el ©poctler unb eine alte $cau Den ganzen Nachmittag hatte ich Besuche in den Häusern gemacht. Wirklich, das ist ein Abenteuer, wenn man als Pfarrer in der Großstadt durch die Häuser geht! Da kommt man durch alle Zonen: Man erlebt eisige Ablehnung und kalte Feindschaft — die reinste Pol-Landschaft! Man kommt auch in die gemäßigte Zone kühler Höflichkeit und einwandfreier konventioneller Temperatur. Und je und dann gerät man in tropische Hitze, wo einem der Schweiß ausbricht. Da soll man unter allen Umständen einen Weinbrand trinken, eine Zigarette rauchen, den Opa begrüßen, die Wohnung besichtigen, Schmeicheleien anhören. „Welch ein Glück, daß wir Sie haben!" sagte mir eine Dame. Und ichkonnte nur stammeln: „Wie schade, daß Sie von dem Glück keinen Gebrauch machen, um am Sonntag meine Predigt zu hören." Also — ich war einen Nachmittag lang abwechselnd durch alle Zonen gekommen. Und jetzt war ich erschöpft. Da war noch ein Besuch zu machen. Den hatte ich mir bis zu» letzt aufgehoben. Denn darauf freute ich mich. Die Leute kannte ich als rechte Christen. Der heranwachsende Sohn war mir ein tüchtiger Mitarbeiter. Und die Eltern waren Leute, die den Herrn Jesus von Herzen liebhatten. Bald saß ich behaglich in der Sofaecke der Wohnküche. Die Mutter drehte die Kaffeemühle. „Jetzt habe ich doch einen Grund, einen guten Kaffee zu machen. Ich trinke ihn nämlich so gern!" lachte sie. Und mir gegenüber hatte sich's in einem Sessel der Vater gemütlich gemacht. Ein angeregtes Gespräch war sofort im Gang. Es ging so zu, wie bei jenem schwäbischen Kaufmann, den ich einmal in den Zeiten des Nazireiches besuchte. Als da das Gespräch in die üb» liehe politische Schimpferei ausarten wollte, sagte er einfach: „Wir wollen zum Wesentlichen kommen." Und dann sprach man von göttlichen Dingen. So war's hier auch. Dabei fragte ich: „Sagen Sie mir doch, Herr Lovis, wie sind Sie eigentlich auf diesen Weg der Nach» folge Jesu gekommen?" Eine Weile schwieg er nachdenklich. Dann wurde eine Gegen» frage gestellt: „Haben Sie die Frau Mankus noch gekannt?" Seltsam! Immer wieder stieß ich auf diese Frau! Es laufen im Ruhrgebiet viele Leute herum, die durch sie zum Herrn Je» sus geführt worden sind. Ich habe solche im vornehmen Villen» viertel getroffen und ebenso in grauen Mietskasernen. Sie war der Ewigkeit nahe, als ich sie kennenlernte. Mein erster Besuch ist mir unvergeßlich: Ein trübes Mietshaus in einem Bergarbei» terviertel! Ein kleines Stüblein! Eine einfache Frau, Witwe eines Bergmanns, der „vor Kohle" gearbeitet hatte. Aber nach wenigen Minuten hatte ich die armselige Umgebung vergessen. Da sah ich nur noch die „Mutter in Christo". „Ja, ja! Die Frau Mankus! Die hatte scharfe Pfeile in ihrem Köcher!" unterbricht der Mann im Sessel unser nachdenkliches Schweigen. „Erzählen Sie mal!" bitte ich. „Nun, ich war damals ein junger Bursche von etwa 16 Jah-ren. Eine Zeitlang war ich im evangelischen Jugendkreis gewe-sen. Aber dann fand ich einen Freund, der mich für den Sport begeisterte. Wir beide wurden Mitglieder im Sportklub. Und zwar eifrige Mitglieder! Nicht nur so Zuschauer. An einem Sonntagmorgen war ein großes Sportfest. Mein Freund und ich holten uns Preise. Das waren nur einfache künst-liehe Lorbeerkränze. Aber — wir waren stolz, als wir damit nach Hause zogen. Ja, wir waren stolz. Auf dem Heimweg trafen wir Frau Mankus. Weil sie unsere Eltern kannte, grüßte sie uns freundlich: ,Ah! Ihr seid Sieger! Da freut Ihr euch!' Und dann sagte sie nachdenklich: /Wenn man siegen will, muß man richtig laufen.' ,Wir sind auch richtig gelaufen!' erklärte mein Freund. Mutter Mankus sah uns an und sagte mit Nachdruck: ,Wer auch läuft und läuft zu schlecht, der versäumt sein Kronenrecht...' Dann ging sie. Mein Freund sah ihr nach und erklärte: ,Die spinnt!' Aber bei mir, Herr Pfarrer, da hatte es eingeschlagen. Ich kannte das Lied. Mir war mit einem Male klar, daß ich auf dem besten Wege war, ,mein Kronenrecht', das mir der Herr Jesus am Kreuz erworben hat, zu verlieren. Seitdem ist es bei mir so, wie Ihre Jungen im Jugendkreis singen: Nun gehören unsre Herzen Ganz dem Mann von Golgatha ..." Er schwieg. Ich auch. Denn ich dachte an die vielen Vorträge, Konferenzen und Tagungen, wo wir überlegt hatten, wie man die Jugend für das Evangelium gewinnen könnte. Da wurden psychologische und soziologische Einsichten erörtert; da zerbrach man sich den Kopf und suchte „neue Wege". Und über all dem geschah es, daß eine Bergmannswitwe ein altmodisches Lied zitierte — und ein junger Sportsmann entschloß sich, dem Herrn Jesus zu gehören! Ja, das kann einen Jugendpfarrer schon beunruhigen. Bonbons, ©djoFolabc-unb ©laubenefcücbte Sommerfest der evangelischen Jugend! Der Gottesdienst geht zu Ende. Zum Schluß singt man zu Po= saunenschall einen Vers aus dem schönen Sommerlied von Paul Gerhardt: .. gib, daß der Sommer deiner Gnad In meiner Seele früh und spat Viel Glaubensfrücht' erziehe!" Heiß brennt die Sonne am Himmel und bestrahlt fröhliches Volk. Dort ist ein Wettspiel im Gang, hier sitzen sie im Gras und singen frohe Fahrtenlieder zum Klang der Klampfen. Da hinten üben die Buben ihre Kraft beim Tauziehen. Und dazwi= sehen wandern die Papas und Mamas und gedenken mit leich= ter Wehmut ihrer eigenen Jugend. Ein toller Betrieb herrscht an dem Tisch, wo einer Bonbons, Lakritzen, Schokolade und Selterswasser verkauft. Er hat alle Hände voll zu tun; denn jeder will zuerst bedient werden. Je= der hat's eilig. Der Verkäufer ist kein „ambulanter Händler". Er gehört ganz einfach „dazu". Der Verkauf ist der Dienst, den er an diesem Tag übernommen hat. Jetzt drängt sich ein Bub nach vorn. „Was willst du, mein Junge?" Er zeigt auf die Bonbons: „Was kosten die sauren Drops?" „Es gibt zwei für einen Pfennig." „Und was kosten die Karamellen?" „Das Stüde einen Pfennig!" „Und die Lakritzen?" „Die Dose fünf Pfennig." „Und die Schokolade?" „Ein Riegel zehn Pfennig. Und eine Tafel sechzig." „Und was kostet die Limonade?" „Vierzig Pfennig." Nun überlegt er. In seinen ziemlich dreckigen Händen wird das Geld gedrückt. Geduldig wartet der Verkäufer. Schließlich Kat der Bub sich zu einem Entschluß durchgerungen: „Geben Sie mir eine Karamelle für einen Pfennig!" Alle lachen. Nur der Verkäufer nicht. „Gern, mein Junge!" sagt er und liefert die verlangte „Ware". — Zwei Tage später sitzen wir zusammen über dem Worte Got= tes. Einer wirft die Frage auf: „Woran merkt man das, wenn man dem Herrn Jesus gehört?" Mancherlei Antworten werden gegeben. Ich schaue nach dem jungen Mann, der beim Sommerfest den Verkauf der Süßig= keiten hatte. Er versteht und sagt etwas verlegen: „Ja, wenn da so einer kommt und hält den ganzen Betrieb auf und am Ende kauft er für einen Pfennig ein — ich muß ge= stehen: so einem Burschen hätte ich früher eine Ohrfeige ver= paßt. Aber jetzt hat mich der Herr Jesus angenommen. Und da habe ich gar keine Gereiztheit mehr gespürt. Im Gegenteil — ich konnte den Jungen richtig liebhaben. Das kommt doch sicher daher, daß der Herr Jesus immer bei mir ist und daß er in mei= nem Herzen durch den Heiligen Geist wohnt." „Ja!" antwortete ich, „das kommt sicher vom Hermjesus her!" Und dann sprachen wir darüber, daß das neue Leben mit Je= sus nicht zunächst in großen Dingen sich zeigt, sondern in den kleinen, alltäglichen Dingen. Und da meinte einer: „Wenn ich mir viel Mühe gebe, freund= lieh zu allen Menschen zu sein, dann geht es immer schief. Wenn ich aber mich einfach dem Herrn Jesus ganz hingebe, dann wirkt er alles." „Ja", sagte ich, „mein Großvater hat immer gesagt: Wenn der Frühling kommt, dann muß man nicht in den Wald gehen, um die alten Blätter von den Bäumen zu schlagen. Die fallen von selber ab, weil die neuen Triebe kommen. So geht es auch, wenn der Herr Jesus in unser Leben kommt." Und dann sangen wir zusammen noch einmal die Bitte von Paul Gerhardt: „Gib, daß der Sommer deiner Gnad In meiner Seele früh und spat Viel Glaubensfrücht' erziehe!" uni» mic umc fo tuotjl! Kürzlich habe ich in meinem Jugendkreis eine Rede gehört, die ich bestimmt nie wieder vergessen werde. Diese Rede hielt unser Freund Rolf, ein junger, starker Schlosser von 19 Jahren. Natürlich kann ich das, was er sprach, nicht so eindrücklich hin= schreiben, wie er es uns sagte. Das ist schade. Aber — versuchen will ich's immerhin. Also: Rolf stand auf, schwang seine starken Arme, als wenn er sich Luft pumpen müsse und erzählte: „Als ich 14 Jahre alt war, waren wir wegen der Bombenan-griffe aus Essen evakuiert. Wir wohnten in Württemberg in einem kleinen Dorf, in dem große Bauern lebten. Und eines Tages habe ich mit meinen Freunden Eier geklaut. Als ich nach Hause kam, merkte meine Mutter gleich, daß etwas nicht stimmte. Sie sah mir mein schlechtes Gewissen an. Und dann dauerte es auch gar nicht lange, da hatte sie alles raus. Die hat mir vielleicht den Kopf gewaschen! Und dann sagte sie: ,So, nun bring dem Bauern die Eier zurück und entschuldige dich!" Mit den sechs Eiern in der Tasche zog ich los. Mir war schwummerig zumute. Als ich vor dem Hof ankam, sah ich den Bauern nach dem Stall gehen. Schnell lief ich zu ihm hin. ,Was willst du?' fragte er ärgerlich; denn die Bauern waren natürlich nicht gut auf die Stadtjugend zu sprechen. Da sagte ich ihm alles. Aber ehe ich fertig war, fiel er über mich her. Und dann kriegte ich eine Wucht Prügel, sag ich euch, wie ich sie noch nie vorher gekriegt habe. Ich schrie zuerst immer ,Halt!' Denn ich hatte ja die sechs Eier in der Tasche. Aber als ich merkte, daß die doch kaputt waren, da ließ ich's gehen. Denn — versteht Ihr das? — mir war es so wohl, so wohl, weil jetzt alles raus und gut und erledigt war." — „Versteht Ihr das?" fragte Rolf noch einmal seine Freunde. Und die nickten lachend. Ja, das verstanden sie wohl, daß ein beladenes Gewissen eine schwere Last ist und daß einem wohl ist, wenn die Last von uns genommen wird. Und dann setzte Rolf noch einmal an. Er schwang seine star- ken Arme. Da wurde es wieder ganz still. Und er sagte: „Wenn mir damals schon so wohl wurde — was meint Ihr, wie wohl mir erst wurde, als der Herr Jesus mir zusicherte: Dir sind deine Sünden vergeben! — Alles, alles gut durch Ihn! Das kann man nicht beschreiben." Dann hörte er auf. Aber wir sahen, wie sein gutes, starkes Gesicht leuchtete. Und ich dachte, daß diese seltsame Jungen* rede sich jetzt als ein herrlicher Ton einfügt in das Lob, welches aus allen Erdteilen aufsteigt zum Throne unsres Erlösers. Und es war mir, als hörte ich den Chor der himmlischen Heerscharen: „Das Lamm, das erwürgt ist, ist würdig zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Preis und Ruhm." i>ec leere {Hat? „Wenn Sie nun schon mal in Lübeck sind", sagte mein Gast* geber, „dann sollten Sie sich unbedingt das berühmte Altarbild von Hans Memling ansehen." Ich überlegte: „Hans Memling. 15. Jahrhundert ..." Und dann erinnerte ich midi wieder: „Richtig! Dies wundervolle Kreuzigungsbild habe ich vor Jahren einmal gesehen. Aber — ist das denn gerettet? Das hing doch in der großen Marienkirche. Und die ist doch völlig ausgebrannt!" „Ja", sagte mein Gastgeber. „Das ist eine seltsame Geschichte. Es war in der Passionswoche 1942. Da ging ein schrecklicher Fliegerangriff über die Stadt. Als er vorüber war, brannte es an allen Enden. Und wie eine riesige Fackel loderte über all den Bränden das Feuer der herrlichen Marienkirche. Da war nun ein kleiner, unbekannter Soldat. Dem fiel auf einmal das schöne Bild von Memling ein. Kühn entschlossen ist er mit ein paar Freunden in die brennende Kirche eingedrun* gen und hat unter Lebensgefahr das Bild gerettet." Nun war ich natürlich doppelt gespannt, dies Bild zu sehen. Aber als ich dann am nächsten Tage davorstand, vergaß ich ganz den tapferen Retter über einer seltsamen Entdeckung. Das Bild stellt die Kreuzigung des Herrn Jesus dar. Man sieht die ragenden Kreuze. Und unter ihnen ist ein buntes Ge* wimmel von Gestalten. Da drängen sich Kriegsknechte und neu* gieriges Volk, weinende Frauen und stolze Priester. Aber — genau in der Mitte — gerade unter dem Kreuze des Heilandes — da ist ein Platz ausgespart; da ist eine leere Stelle. Immer wieder fiel mein Blick auf diesen leeren Platz unter dem Kreuze des Sohnes Gottes. Und auf einmal war es mir, als wenn der Maler mir eine Frage stellen wollte: Was meinst du, wer auf dem leeren Platz unter dem Kreuze stehen soll? Ich wußte die Antwort: Ich muß dort stehen, wenn ich Frie= den mit Gott haben will. Ich muß hier stehen, wenn meine Schuld vor Gott von mir genommen w’erden soll. Mein Platz ist hier, wenn ich in Zeit und Ewigkeit selig werden will. Immer wieder fällt mir der leere Platz unter dem Kreuze ein. Und dann muß ich den Liedvers beten: „Herr, laß deine Todespein An mir nicht verloren sein!" 2?dbecfe'tt6 bec fLlmmat „Das ist ja erstaunlich!" rufe ich so laut, daß der junge Mann, der vor uns geht, sich verwundert umschaut. Aber es ist auch zu seltsam! Mit einem Male ist das moderne Zürich mit seinem tollen Verkehr, mit seinen eleganten Straßen, seinen luxuriösen Läden und mit seinem mondänen internatio* nalen Getümmel hinter uns zurückgeblieben. Und nun schlendern wir durch eine entzückende Altstadt mit schiefen Giebelhäusern, altmodischen Gasthausschildern und vie= len Erinnerungen an das alte Zürich: Da ist das Haus, in dem der geniale Lavater wohnte. Dort ein Wirtshaus, in dem der junge Goethe einige Wochen lebte. Und hier die Stammkneipe des weinseligen und begabten Dichters Gottfried Keller. Aber als ich zwei Stunden später die Züricher Altstadt ver= ließ, war ich nicht nur alten Erinnerungen begegnet. Ich habe dort etwas erlebt, was mich wohl nie mehr loslassen wird. Eine Pre* digt habe ich gehört über einen Bibeltext, über den selten genug gepredigt wird. Und die Predigt hat nicht ein Pfarrer gehalten. Die Prediger waren zwei sehr alte Gebäude. Aber nun will ich die Sache der Reihe nach erzählen: Mein Begleiter blieb vor einem alten, dürftigen Haus stehen: „Sehen Sie sich das Haus genau an. Hier hat Lenin lange Zeit als Emigrant gelebt. Von hier aus hat er sich aufgemacht, um die russische bolschewistische Revolution zu entfesseln." Nachdenk* lieh stand ich still. In dieser Armseligkeit hatte er gelebt — der Mann, der eine Welt in Brand gesetzt hat. Vor meiner Seele stand eine Landkarte, die ich kürzlich ge= sehen hatte. Auf der waren die bolschewistischen Länder rot eingezeichnet. Wie eine Riesenflut sah es aus. Und hier also, in diesem armen Hause, hatte der Emigrant Lenin gelebt! Wie arm muß er gewesen sein! Er hatte kein Geld und keine Armee; nichts, was man braucht, um die Welt zu er* obern. Er hatte nur — das Wort. Da hörte ich im Geist den Bibeltext: „Die Zunge ist ein klei= nes Glied und richtet große Dinge an. Siehe, ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet's an!" So hat es der Apostel Jakobus im 3. Kapitel seines Briefes gesagt. Sehr nachdenklich gingen wir weiter. Der Weg führte über die Limmat=Brücke. Da ragte hinter dem entzückenden Barock* Rathaus und hinter der schönen gotischen Wasserkirche groß und mächtig das Großmünster auf. Wenige Schritte — und wir standen vor dem gewaltigen Bau. „Hier hat der Reformator Zwingli das Evangelium verkündigt. Von hier aus nahm die Reformation ihren Weg durch die ganze Schweiz", sagte erklärend mein Begleiter. Geradezu erschrocken stand ich still. Und wieder hörte ich das Bibelwort: „Die Zunge ist ein kleines Glied und richtet große Dinge an." Im Geist sah ich den schlichten, mannhaften Leutpriester aus dem Toggenburg die Kanzel dieses Münsters besteigen. Er hatte nichts, was dem Menschen Einfluß gibt: Er hatte kein Geld und keine Macht. Er hatte nur — das Wort. Aber mit diesem Wort vom Kreuz rief er die Stadt Zürich aus dem Todesschlaf. Dann lief das Feuer weiter durch die ganze Schweiz. — Genf! Dort nahm der gewaltige Calvin es auf. — Mein Geist verfolgte den sieghaften Weg des Evangeliums: Frankreich, Holland, England. — Und alles das ging zurück auf den armen Priester, der hier nur — nur? — das Wort vom Kreuz sagte! „Die Zunge ist ein kleines Glied und richtet große Dinge an." Auch dies Großmünster zeugte davon. „Siehe, ein kleines Feuer, welch einen Wald zündet's an!" Langsam gingen wir wieder dem modernen Zürich zu mit seinem Lärm und Getümmel. Wir waren sehr still. Ganz neu war uns aufgegangen, welche Macht in unsrer Zunge liegt. Und dann fiel mir noch ein Wort der Bibel ein, „daß wir Menschen Rechenschaft geben müssen über jedes unnütze Wort, das wir geredet haben". Wie einleuchtend ist das doch, wo das Wort solch eine unheimliche Wirkung hat! — ,,£>ec ln bec Witte...!'' Eine kleine Gesellschaft hatte sich zusammengefunden. Die meisten waren Männer der Industrie mit ihren Frauen. Irgendwo kam das Gespräch auf das Christentum. „Ach nee!" rief Dr. X. lachend. „Ich mag diese Christen nicht. Ich habe doch Leute kennengelemt, die nicht rauchen und nicht bechern. Ungemütliche Menschen! Ich meine, die Freuden des Lebens machen uns erst glücklich!" „Genauso habe ich vor fünf Jahren auch gesprochen", mischte sich ein Herr ins Gespräch, der bisher nur still zugehört hatte. „Aber heute ..." „Was ist heute?" wurde er gleich neugierig von allen bestürmt. „Nun, heute —" er warf einen strahlenden Blick auf seine junge Frau, die ihm glücklich zunickte. „Nun, was ist heute mit Ihnen los?" fragten mehrere ungeduldig. „Heute bin ich glücklich, weil mein Leben verändert und neu wurde. Alles wurde neu." „Und das hängt mit dem Christentum zusammen?" fragte einer. „Aber ja!" lächelte der Herr. „Erzählen Sie uns doch, wie es kam", bat eine junge Frau. Und man sah ihren Augen an, wie auch ihr Leben es nötig hatte, daß alles neu würde. Und der Herr berichtete: „Sehen Sie, ich kannte Gott nicht. Darum zog ich die Konsequenzen und trat aus der Kirche aus. Nun, wir hatten äußerlich ein gutes Leben. Wir waren reich, jung, angesehen. Aber — glücklich waren wir nicht. Und dann zerbrach meine Ehe fast völlig — durch meine Schuld ..Eine Zeitlang schwieg er, und man spürte ihm an, wie dunkel jene Zeit gewesen war. Niemand unterbrach die Stille. Dann fuhr er fort: „Eines Tages erzählte mir meine Frau sehr aufgeregt, sie sei am Abend vorher in einer Kirche gewesen. Dort habe eine Mannschaft von jungen Leuten von einem neuen Leben erzählt, das man mit Gott führen könne. Dringend bat sie mich, doch diesen Abend mitzugehen; denn die Mannschaft spräche die ganze Woche. Nun, mir kam das Ganze sehr lächerlich vor. Aber schließlich wurde ich doch neugierig und ging mit. Ich war schon sehr lange nicht mehr in einer Kirche gewesen. Ich setzte mich — recht als unbeteiligter Zuschauer — auf eine Seitenbank, wo ich die ganze Geschichte überschauen konnte. Es beeindruckte mich, daß die Hälfte der Besucher junge Leute waren. Aber dann wurden mir die Zuhörer gleichgültig. Denn es tra= ten nacheinander junge Menschen auf und bezeugten, wie in ihrem Leben alles neu geworden sei. Ich mußte ein wenig über ihren Eifer lächeln. Doch dann kam das, was mein ganzes Leben umgeworfen hat. Da trat einer auf und schilderte mit ein paar kurzen Worten die Kreuzigung des Herrn Jesus. Man sah förmlich die drei Kreuze in den Himmel ragen. Und dann rief er mit großem Nachdruck: ,Der in der Mitte stirbt für dich!. . Der Mann schwieg. Und es fragte jetzt auch keiner mehr wei= ter. Jeder verstand, daß am Kreuze Jesu unser Leben die ent= scheidende Wendung erfahren kann. tJm $e£tal Langsam wanderten wir mit unseren Freunden durch das Fextal zurück. Ich wollte midi jetzt losreißen von den trüben Gesprächen. Ach, wie unbeschreiblich herrlich ist doch die Welt! Tief zog ich die Luft ein, die wundervoll reine Luft dort droben im Engadin in 2000 Meter Höhe, wo das Auge die Schönheit kaum fassen kann. Die grünen, weiten Matten, die weißen Gletscher, die in den tiefblauen Himmel ragen. Mein Freund stimmte eins seiner netten Schweizer-Lieder an: „Schwitzerländli isch gar chli.. Aber er hörte mittendrin auf. Und dann gingen wir weiter. Es lag ein Druck auf uns allen. Denn es war ja Juli 1939. Die Schatten des drohenden Krieges lagen düster über uns. In ein paar Tagen mußten wir zurückreisen in das Ruhrgebiet. Was würde das für ein Trümmerfeld werden, wenn der Krieg losging! Und das war's ja nicht allein. Wir kamen aus quälender Verfolgung. Was würde aus der evangelischen Jugendarbeit, was aus meiner Familie und mir selbst werden, wenn Hitler bei Kriegsbeginn jede Rücksicht auf die Wirkung im Ausland aufgab und zum schwersten Schlag gegen die Christen ausholte! So waren wir in schweren Gedanken an den Rand des Tales gekommen, von wo aus der Weg hinunter geht zu den blaugrünen Seen des Engadin. Ein kleines, schneeweißes Kirchlein steht dort am Rand. Beim Vorübergehen hörten wir die Töne einer Geige herausklingen. Wir blieben stehen. Mein Schweizer Freund ging auf die Tür zu. Sie war offen. Leise traten wir ein. Hell fiel das Sonnenlicht in den schmucklosen Raum, in dem die Bergbauem sich am Sonntag zum Gottesdienst versammeln. Vorn stand ein Harmonium. Daran saß eine Frau. Neben ihr sahen wir die Geigerin stehen, ein junges Mädchen. Einen Augenblick setzte sie die Geige ab und beobachtete uns. Aber als wir uns ganz still in den letzten Bänken niederließen, spielten die beiden weiter. Offenbar waren es Kurgäste aus einem nahen Sanatorium. Die ruhigen Klänge taten unsem erregten Herzen wohl. Nun spielten sie einen einfachen Choral. Mein Freund versuchte es, oh es die beiden wohl stören würde, wenn er mit-sänge. Aber die Geigerin lächelte nur freundlich herüber. Da sang er fröhlich mit. Und wir andern fielen nacheinander ein. Bald ging die Tür auf. Ein paar Kurgäste kamen still herein und setzten sich in die Bank vor uns. Sie entdeckten, daß auf den Bänken Gesangbücher lagen. Mein Freund half ihnen, das Lied aufzuschlagen. Und bald sangen auch sie mit. Wieder ging die Tür auf. Ein paar Bauern kamen herein mit ihren Frauen. Schnell hatten sie aufgeschlagen, und ihre kräftigen Stimmen verstärkten unsem Chor. Immer wieder ging die Tür. Immer wieder kamen Leute herein. Wir wurden richtig eine kleine Gemeinde. Ein Lied nach dem andern wurde aufgeschlagen und gesungen. Bis die Geigerin ihr Instrument sinken ließ. „Noch eins!" bat jemand. Und dann sangen wir — ich weiß nicht, wer ihn vorgeschlagen hatte, denn er kam wie von Gott selbst zu uns — den gewaltigen Vers: Du wirst dein herrlich Werk vollenden, Der du der Welten Heil und Richter bist; Du wirst der Menschheit Jammer wenden, So dunkel jetzt dein Weg, o Heilger, ist. Drum hört der Glaub' nie auf, zu dir zu flehn. Du tust doch über Bitten und Verstehn. Und bei diesem Lied geschah es, daß Stück für Stüde die Last von unsern Herzen abfiel. Fröhlich traten wir hinaus in die strahlende Sommerwelt. . . In dunklen, grauenvollen Bombennächten — im düsteren Gefängnis — in lohenden Bränden und im Zerbrechen einer Welt aber erquickte mich der Glanz dieses Tages. Nicht der Glanz und die Herrlichkeit der Berge und Matten. Sondern — das Lied ging mit: „Du wirst dein herrlich Werk vollenden ...!" In Dunkelheit und Grauen sangen wir es: „Du tust doch über Bitten und Verstehn." TlOit einer, bec fldj gefangen gibt../ Eines Abends schellte es an meiner Tür. Ich war — was nicht oft geschah — allein zu Hause. So öff= nete ich selber, leicht verwundert, wer denn zu solch später Stunde noch etwas von mir wollte. Da stand ein gutgekleideter, großer und umfangreicher Herr. Typ: Direktor in der Industrie. Als er mich sah, griff er mit beiden Händen nach meiner Hand und keuchte: „Retten Sie mich! Retten Sie mich!" „Der Mensch ist betrunken oder verrückt!" dachte ich er= schrocken. Aber ich nahm mich zusammen und führte ihn in mein Zimmer. Und nun erfuhr ich eine fürchterliche Geschichte: Er war Di= rektor in einem der größten Industriezweige, ein angesehener Mann. Er hatte eine liebe Frau, entzückende Kinder — kurz alles, was der Mensch zu seinem irdischen Glück ersehnt. Aber — nun kam das schreckliche Geheimnis —: Sein Vater war ein Trinker gewesen und hatte dem Sohne ein entsetzliches Vermächtnis im Blut hinterlassen. Weil er seinen Vater in seiner Betrunkenheit oft gesehen hatte, erfüllte ihn eine Abscheu vor dem Alkohol. Aber zwei= oder dreimal im Jahr kam es wie Feuer über ihn. Dann mußte er trinken — sinnlos trinken. Dann kroch er schließlich besinnungslos in sein Bett und schlief zwei Tage, um schließlich mit brennender Scham zu erwachen, krank und zerschlagen an Leib und Seele. „Ich ruiniere mein Leben. Meine Frau und meine Kinder müssen mich verachten! Und doch — ich muß!" keuchte er. Jetzt gerade war es wieder über ihn gekommen. Wie ein Ra= sender war er ausgegangen, um sich zu betrinken. Und da — es war im Sturm der grauenvollen Sucht wie ein lichter Moment — war ihm eingefallen, welche äußeren und inneren Qualen er nun wieder heraufbeschwor. Er wollte innehalten — und konnte nicht. So kam er zu mir. Weinend saß der starke Mann vor mir: „Retten Sie mich!" Ich war erschüttert. Jeder, der diesen Mann oberflächlich kannte, mußte ihn für den glücklichsten Menschen der Welt halten. Welcher Jammer ist doch oft hinter den Fassaden des Erfolgs! Er griff nach meiner Hand: „Retten Sie mich!" Ich riß mich zusammen: „Wie sollte ich Sie retten können?! Die Ketten des Teufels sind doch viel zu stark, als daß ich sie zerbrechen könnte. Wie soll ich das können, wo Sie selbst es nicht einmal konn= ten!" Mit einem unbeschreiblichen Jammerlaut sank er im Sessel zusammen: „Haben Sie mir sonst nichts zu sagen?" „Doch!" sagte ich. „Doch! Wir sollten uns nach einem um= sehen, der stärker ist als der Teufel." „Und wo sollte ich so einen finden?" fragte er resigniert. Mich wunderte, daß er keinen Einspruch erhob, als ich vom Teufel sprach. Aber wer einmal so die Macht der Finsternis gespürt hat, der weiß, daß es einen „Mörder von Anbeginn", einen Teu= fei gibt. „Wo sollte ich so einen finden, der stärker ist als der Teufel?" murmelte er. Da sagte ich nur einen Namen: „Jesus!" Er fuhr auf. Mit einem rührenden Hoffnungsblick im Auge: „Jesus! — Meinen Sie wirklich?" Ich nickte. Und dann knieten wir nieder und riefen Jesus an, den Jesus, der die Werke Satans zerstört; den Jesus, der mit Blut Sünder erkauft hat; den Jesus, der stärker ist als Satan. Oh, das war kein feierlich=liturgisches Gebet. Das war, wie der Psalmist sagt: „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir!"------ Von dem Tage an war die Macht des Teufels gebrochen. Es gab noch heiße Kämpfe. Es gab auch Niederlagen, die jetzt noch viel schrecklichere Scham hervorriefen als früher. Aber — der Bann war gebrochen. Als wir später einmal zusammensaßen — wir waren inzwi= sehen Freunde geworden —, sagte er: „Du ahnst nicht, wie ge= fährdet ich bin. Ohne Jesus bin ich im Nu verloren. Darum muß ich mich jeden Tag Ihm in die Hände geben. Jeden Morgen rufe ich Ihn an. Und da bete ich — ja, lache mich nicht aus! mit erhobenen Händen." „Warum?" „Ach, das habe ich einmal im Felde gesehen! Da ergab sich eine feindliche Kompanie nach hartem Kampfe. Es war ergrei» fend zu sehen, wie sie alle Waffen wegwarfen und mit erhoben nen Händen auf uns zuliefen. Da dachte ich: So also sieht die völlige Auslieferung aus. Und sieh! So möchte ich mich völlig Jesus in die Hände geben. Ich laufe jeden Tag mit erhobenen Händen, schwach und wehrlos, in Seine Retterarme. Nur so, ja nur so kann ich noch leben." Der Mann ist jetzt längst in der Ewigkeit. Ganz getrost ging der Kämpfer durch das Todestal in jene Welt, wo wir Jesus sehen dürfen und wo aller Kampf zu Ende ist. Und weil er längst ewig genesen ist, habe ich es gewagt, seine Geschichte zu erzählen. Äec Reporter ©ottes Der bekannte Schriftsteller Stefan Andres hat ein aufsehenerregendes Buch veröffentlicht: „Der Reporter Gottes". Da fährt der Reporter mit seinem Aufnahme* wagen mitten zwischen die Menschen, hält ihnen das Mikrofon vor den Mund und fragt sie, was sie von Jesus halten. Nun, Stefan Andres wird mir nicht böse sein, wenn ich seinen Reporter Gottes auch einmal in Anspruch nehme. Er soll am 1. Mai so ein wenig sich umhören, was die Leute denn eigentlich über ihren Beruf und über ihre Arbeit denken. Der Reporter: Ich befinde mich mit meinem Aufnahmewagen am Rand eines großen Platzes, wo sich Tausende zu einer i.=Mai=Kundgebung versammeln. Da kommen gerade zwei junge Burschen vorbei... Hallo! Kommen Sie doch mal her! Sagen Sie: Was halten Sie von Ihrer Arbeit? Hier, sprechen Sie in das Mikrofon! Denken Sie, daß Tausende Ihnen jetzt zuhören!... Was sind Sie? Bergleute! Ah, ein wichtiger Beruf!. .. Ein junger Mann: ...und ein verd. .. schwerer! Sie haben's bestimmt leichter hier in Ihrem Auto. Aber — immerhin — ich bin stolz auf meinen Beruf. Ohne uns ständen alle Rä= der still. . . Wollen Sie noch mehr wissen? Der Reporter: Nein! Danke! Vielleicht sagt Ihr Kumpel noch ein Wort. Ein anderer junger Mann: Was soll ich Ihnen sagen? Wer die Arbeit kennt und sich nicht drückt, der ist verrückt. Das ist meine Meinung ... Der Reporter: Der eine ist stolz auf seinen schweren Beruf. Dem andern ist er eine Last. Seltsam, daß die beiden Freunde sind. — Aber da drüben hält gerade ein Mercedes 300. Karl, fahr mal rüber! ... Ah, Herr Direktor! Verzeihen Sie, daß ich Sie belästige. Können Sie nicht mal eben ins Mikrofon sagen, was Sie von ihrem Beruf halten? Der Industrielle: Gern! Allerdings, viel Zeit habe ich nicht! Was ich von meinem Beruf halte? Wir Industrieleute sind von unserer Arbeit besessen. Sie ist uns alles. Verstehen Sie? Alles! Sie ist unsre Religion! Sie ist unser Gott! Sie füllt uns ganz aus ... Noch etwas? Der Reporter: Nein! Danke! ... Da fährt er hin. Welch ein gehetzter Mann! Es sieht aus, als ob er auf der Flucht wäre. Vielleicht ist er auf der Flucht — vor dem lebendigen Gott. Wer die Arbeit oder sonst etwas zu seinem Gott macht, der muß natürlich aufpassen, daß er nicht dem lebendigen Gott begegnet! ... Aber — kann man dem wirklich weglaufen? ... Hallo, mein Herr! Ich bin vom Rundfunk! Sprechen Sie in das Mikrofon und sagen Sie uns, was Sie von Ihrem Beruf halten. Was sind Sie? . . . Staatsbeamter! ... Also, was denken Sie ... Der gutgekleidete Mann: Ja, ja! Ich bin schon dran. Meine Meinung ist: Wir sind auf der Welt, um vorwärts zu körn* men. Die meisten Leute heute haben keinen Ehrgeiz. Das ist ein Fehler. Vorwärts! Vorwärts! In einem demokratischen Staatswesen stehen jedem alle Möglichkeiten offen. Ich gebe zu, daß ich mit Abitur mehr Chancen habe. Aber — bitte — das habe ich eben auch erkämpfen müssen. Wer es zu nichts bringt, den kann ich nur bedauern. Er verdient es auch nicht besser... Der Reporter: Danke sehr! . .. Ihm ist also sein Beruf eine Art von Leiter, auf der er von einer Sprosse zur andern auf* steigt . . . Und wenn er ziemlich weit oben ist, dann kippt die Leiter um und — er stirbt. Und dann? ... Mir scheint, er hat jeden Ehrgeiz, nur nicht den, ein Kind Gottes zu werden .. . Hallo, Fräulein! Darf ich Sie bitten, an meinen Aufnahmewagen zu kommen? Ganz recht. Ich bin vom Rundfunk. Sie sollen unsern Hörern sagen, was Sie von Ihrer Arbeit halten. Ich nehme an, daß Sie auf einem Büro arbeiten... Das Mädchen: Ganz recht! Ich bin Sekretärin bei ... na, das tut ja nichts zur Sache. Was ich von meinem Beruf halte? Du lieber Himmel! Darüber habe ich noch nie nachgedacht... Hallo! KarUHeinz! Warte einen Augenblick. Ich komme gleich mit . . . Ach Pardon! Jetzt haben die Leute das mit= gehört. Na, macht nix! Also — mein Beruf? Nun, ich habe einen netten Chef. Ich verdiene gut. Nette Kollegen! Was will ich mehr? Die Arbeit? Ach ja, ziemlich langweilig. Aber man muß doch was verdienen. Man will sich doch amüsieren, gut anziehen, mal ins Kino gehen und so. Sie verstehen? Na ja! Also -- ist's gut? Auf Wiedersehen, Sie komischer Rundfunkonkel... Der Reporter: Da läuft sie ihrem KarUHeinz nach. Ihr also ist die Arbeit nur eine Möglichkeit, zu Geld zu kommen, um sich zu amüsieren. Die Arbeit selber bedeutet ihr gar nichts. ... Nun muß ich hier weg! Die Kundgebung hat ange= fangen. Geräuschkulisse: (Man hört einen Redner in der Ferne schreien) . . . fordern wir Verkürzung der Arbeitszeit! (Brausendes Geschrei): Bravo! Richtig! Bravo! ... Der Reporter: Fahr weiter, Karl! Da drüben — siehst du? — steht einer mit so 'ner grünen Joppe. Den wollen wir mal anpeilen . . . Hallo! Ja, Sie meine ich! Kommen Sie doch mal her, bitte! Ich bin vom Rundfunk. Sagen Sie doch mal — bitte, hier ins Mikrofon —, was Sie von Ihrer Arbeit halten. Der Mann mit der grünen Joppe: Von meiner Arbeit? Lieber Herr, ich möchte, ich hätte welche! Ich bin Flüchtling. Wis= sen Sie, einer von den 800 in der Aurora=Halle... Der Reporter: Nun, verlieren Sie nur nicht den Mut! Der Mann mit der grünen Joppe: Den Mut verlieren? Ich? Nein! Ich glaube an die Führung Gottes in unserm Leben. Und zu der Führung Gottes gehört auch, daß Er uns zeigt, wo unser Platz ist, wo wir dienen können. Früher war mein Platz auf meinem kleinen Hof. Nein! Ich hatte kein Rittergut. Nur einen ganz kleinen Hof. Und ich habe mich quälen müssen. Aber ich habe mir gesagt: Wo Gott mich hinstellt, da bin ich richtig. Und da darf ich meine Arbeit vor Seinen Augen und mit Seiner Hilfe tun . . . Der Reporter: . . . und jetzt? .. . Der Mann: Jetzt muß ich warten. Und da habe ich gelernt, daß man für seinen Arbeitsplatz Gott danken sollte. Das haben die Leute da (er zeigt mit einer etwas müden Bewegung über die Menge) noch nicht begriffen. Unser Beruf gehört zu dem, was Gott uns anvertraut hat zu Lehen. Verstehen Sie das: zu Lehen! Und dafür muß man dankbar sein . .. Und dafür ist man Ihm, ja, Gott! verantwortlich . . . Noch was? .. . Der Reporter: Nein! Danke! Ich bin froh, daß Sie meinen Hörem das gesagt haben . . . Inhaltsverzeichnis Seite Lukas 15 im Zeltlager...................................... 5 „Sturm auf dem Meer" in Stuttgart........................10 Der Befreier...............................................12 Christliche Seefahrt Der gestörte Schlaf.....................................14 Der merkwürdige Vogel...................................17 Noch ein Brief........................................18 Kindergeschichten Daran habe ich noch nie gedacht!......................20 Bums!.................................................21 Eine unheimliche Beichte.................................22 Friede auf Erden.........................................24 Geöffnete Augen..........................................28 „Niemand soll sich unterstehen ..."......................29 Mörderlich...............................................31 Nach 35 Jahren (Erlebnis eines Großstadtpfarrers)........34 Mutter Warum das Eis so spät kam.............................36 Was heißt denn das: „Mutter?".........................38 Der Pfiff in der Nacht................................40 Die böse und die gute Schwiegermutter....................41 Am 80. Geburtstag.....................................44 Von Wandsprüchen.........................................45 „Besuch verbeten!".......................................49 „. . . als wenn tausend Teufel sich an meine Rockschöße hängten"......................................51 Er hatte es an den Nerven................................. „Paula hat dran gedacht!"....................................57 Zwei Sportler und eine alte Frau.............................60 Bonbons, Schokolade — und Glaubensfrüchte....................63 und mir war so wohl!"...................................65 Der leere Platz..............................................66 Beiderseits der Limmat.......................................67 „Der in der Mitte ...!"......................................69 Im Fextal ...................................................71 „Wie einer, der sich gefangen gibt...".......................73 Der Reporter Gottes..........................................75