„Aber Melchisedek, der König von Salem, trug Brot und Wein
hervor. Und er war ein Priester Gottes des Höchsten. Und er segnete den
Abram."
1. Mose 14, 18 und 19a
Diese Predigt beginne ich mit widersprechenden Gefühlen. Ich
bin voll großer Freude, weil wir hier eine so herrliche und tiefsinnige
Geschichte des Alten Testaments vor uns haben. Sie hat auch die Psalmdichter
und den Schreiber des Hebräerbriefes nicht losgelassen. Zugleich aber bedrückt
es mich, dass sie nicht allgemein verständlich ist, sondern dass dies eine
Geschichte nur für Christenleute ist, für wirkliche Streiter des Herrn, für
solche, die in den „Fußtapfen des Glaubens des Vaters Abraham" wandeln.
Vor kurzem wollte ich am Jungfernstieg in Hamburg in ein
großes Hotel gehen. Doch da las ich am Eingang ein Schild: „Nur für englische
Offiziere." — So steht gleichsam über unsrer Geschichte: „Nur für solche,
die Jesus angehören." Wir überschreiben den Text:
1. Das Kampfgetümmel
Der Gottesmann Abraham liebte die Stille. Aber es ging ihm
wie den Knechten Gottes zu allen Zeiten: Immer wieder wurde er aus der Stille
herausgerissen.
Da kam eines Tages ein schweißbedeckter Bote angestürzt:
„Feinde haben die Stadt Sodom überfallen, alles geraubt und die Bewohner als
Sklaven mitgenommen. Auch dein Neffe Lot ist verschleppt!" Armer Abraham!
Es gibt in dieser Welt keine Ruhe für die Streiter des Herrn. Abraham weiß das.
Darum rüstet er sofort 318 Knechte und zieht mit ihnen los, Lot zu befreien.
Es muss jedem auffallen, dass Abraham so viele Waffen zur
Hand hatte und dass er so schnell gerüstet war.
Das ist ein gutes Bild für die Streiter des Herrn: Sie
lieben die Stille, aber sie wissen auch: „Wir sind im Kampfe Tag und
Nacht..." Ja, sie sind im Kampfe Tag und Nacht! Der Alltag bedrückt die
Kinder Gottes genauso wie die Weltmenschen. Wenn auch die Streiter des Herrn
im Gebet herrliche Durchhilfe erfahren dürfen, so gefällt es dem Herrn doch
oft, sie gerade in äußeren Dingen durch besondere Nöte und Stürme zu führen.
Es bleibt ihnen von den Kämpfen und Sorgen dieser Welt nichts erspart.
Aber sie haben einen noch härteren Kampf zu führen, nämlich
den Kampf gegen das eigene Herz, gegen Fleisch und Blut. Wer dem Herrn Jesus,
seinem Erlöser, angehört, der möchte Ihm ganz gehören, der will dem Geiste
Gottes gehorsam werden. Fleisch und Blut aber stehen gegen den Heiligen Geist.
Unser Herz will uns bald zur Selbstgerechtigkeit und zum Hochmut verführen,
bald will es uns auf die breiten Sündenstraßen der Welt locken. Da muss ein
Christenherz den Kampf aufnehmen und es lernen, „mit Christus gekreuzigt
sein". Da fleht man um Seine Hilfe: „Herr Jesus, halte die Nägel fest, mit
denen mein alter Mensch mit Dir gekreuzigt ist!" Es gibt im Alten
Testament eine sehr lehrreiche Geschichte, in der uns erzählt wird, dass Israel
das Land Kanaan einnahm und die heidnischen Kanaaniter vertrieb. Aber es
wurden nicht alle Ureinwohner verjagt. Wir lesen im Richterbuch: „Der Herr ließ
die Heiden bleiben, auf dass die Geschlechter der Kinder Israel streiten
lernten." So lässt der Herr, solange wir leben, unsre alte, widergöttliche
und ungeistliche Natur rumoren, damit wir streiten lernen. Aber mit all dem ist
die ganze Schwere des Kampfgetümmels, in das ein Streiter Jesu gestellt wird,
noch nicht ausgesprochen. Der Apostel Paulus sagt im Epheserbrief, dass wir
nicht mit Fleisch und Blut allein, sondern mit den Mächten der Finsternis zu
kämpfen haben. Christen wissen etwas von der heimlichen Macht Satans. Und darum
halten sie es wie Abraham, der seine Waffenrüstung immer bereit hatte. Sie
legen den Schild des Glaubens und das Schwert des Wortes Gottes nicht aus der
Hand.
2. Eine herrliche Begegnung
Abraham hat mit seinen 318 Knechten in der Nacht die Feinde
überfallen, sie besiegt und seinen Neffen Lot befreit. Er ist ein müder Mann,
als die Sonne aufgeht. Stellen wir uns einmal vor, was es für den Alten
bedeutet: der Marsch, die geopferte Nachtruhe, der heiße Kampf in der
Dunkelheit!
Nun kommt er ermattet aus dem Kampf. Da tritt ihm eine
geheimnisvolle Person entgegen: Melchisedek, der König von Salem. Melchisedek
heißt auf deutsch: König der Gerechtigkeit. Und Salem heißt: Frieden. Der
Hebräerbrief sagt uns deutlich, dass dieser König der Gerechtigkeit in dem
Reiche des Friedens Jesus ist. Der Sohn Gottes, der — als die Zeit erfüllt war
— Fleisch und Blut annahm und unser Bruder wurde, war vordem von Ewigkeit her
beim Vater. Er selbst tritt dem Abraham entgegen.
Nicht anders geht es heute zu. Er selbst, der König des
Friedens, macht sich auf, Seine müden und ermatteten Streiter zu stärken. Sein
Reich ist wirklich ein Reich des Friedens. Dieser Friede geht über alles
Begreifen. Die Bibel sagt: Er ist „höher als alle Vernunft". Es hat noch
selten so viel nervöse, zerrüttete, angeschlagene Leute gegeben wie heute.
Unser Kopf gleicht einem Radio. Wenn man das andreht, ertönt alles wild
durcheinander: Tanzmusik, Gottesdienst, Politik, Karnevalsschlager. Jawohl, so
ist auch unser zerquälter Kopf. Und wir können uns nicht vor uns selber retten.
Aber nun tritt Jesus zu uns, und da heißt es: „Ach mein Herr Jesu, dein
Nahesein / bringt großen Frieden ins Herz hinein..."
Die Bibel berichtet nicht viel über die Begegnung zwischen
Abraham und Melchisedek. Aber wir spüren zwischen den Zeilen, welch eine
unsagbare Erquickung diese Begegnung für Abraham bedeutete. Ich habe in meinem
Bücherschrank eine Menge Lebensbeschreibungen von großen und kleinen Kindern
Gottes. Es ist wohl keine darunter, die nicht von solchen Erquickungsstunden
nach heißem Kampf äußerer und innerer Anfechtung berichten kann.
„...und Melchisedek segnete den Abraham." So segnete
Jesus Seine
Jünger, ehe Er gen Himmel fuhr, nach all den Stürmen des
Karfreitag. Diesen Segen wünscht Paulus den verfolgten Christen hin und her im
Lande. Den durfte er auch selbst erfahren, als er im Gefängnis in Rom schrieb:
„...der uns gesegnet hat mit allerlei geistlichem Segen in himmlischen
Gütern."
3. Die Gaben des Melchisedek
In unserer Geschichte heißt es :„Er trug Brot und Wein
hervor." Das ist seltsam und muss uns geradezu befremden. Wenn es sich bei
dem Melchisedek um irgendeinen der eingeborenen Fürsten gehandelt hätte, dann
hätte er ganz bestimmt nicht Brot und Wein hervorgebracht, sondern erst einmal
ein paar fette Hammel. So pflegte man nämlich damals seine Gäste zu bewirten.
Vielleicht hätte man auch einen Ochsen an den Spieß gesteckt.
Dass Melchisedek
Brot und Wein brachte, um den Abraham zu erquicken, gibt den Streitern Jesu
Christi einen wichtigen Hinweis. „Brot und Wein" — das kommt in der Bibel
noch einmal vor, und zwar in der Geschichte von der Einsetzung des Abendmahles:
„Jesus nahm das Brot, brach's, gab's seinen Jüngern und sprach: Nehmet hin und
esset. Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird." Das Brot, das gebrochen
wird, ist der Hinweis auf den Leib Jesu Christi, der für uns in den Tod gegeben
wurde zur Versöhnung der Sünder mit Gott. „Desgleichen nahm er auch den Kelch,
dankte, gab ihnen den und sprach: Nehmet hin und trinket alle daraus. Das ist
der Kelch des neuen Bundes mit Gott in meinem Blute, das für euch und für viele
vergossen wird zur Vergebung der Sünden." Der Wein deutet auf das Blut
Jesu Christi hin, das am Kreuze auf Golgatha vergossen wurde. Es ist mächtig,
dies Blut! Denn von ihm sagt Gottes Wort: „Das Blut Jesu Christi, des Sohnes
Gottes, macht uns rein von aller Sünde."
Hier wird nun deutlich gesagt, wodurch der Herr Seine müden
Streiter erquickt: durch das Wort von der Versöhnung, durch das Blut, das
Vergebung der Sünden schenkt. Es gibt keine stärkere Erquickung für Kinder
Gottes als den Blick auf das Kreuz Jesu, in dem uns all dies gegeben wird. Von
ihm steht im 34. Psalm: „Welche auf ihn sehen (wie Er für uns am Kreuze hängt),
die werden erquickt."