Wilhelm Busch

Melchisedek

 

„Aber Melchisedek, der König von Salem, trug Brot und Wein hervor. Und er war ein Priester Gottes des Höchsten. Und er segnete den Abram."

1. Mose 14, 18 und 19a

 

Diese Predigt beginne ich mit widersprechenden Gefühlen. Ich bin voll großer Freude, weil wir hier eine so herrliche und tiefsinnige Geschichte des Alten Testaments vor uns haben. Sie hat auch die Psalmdichter und den Schreiber des Hebräerbriefes nicht losgelassen. Zugleich aber bedrückt es mich, dass sie nicht allgemein verständlich ist, sondern dass dies eine Geschichte nur für Christenleute ist, für wirkliche Streiter des Herrn, für solche, die in den „Fußtapfen des Glaubens des Vaters Abraham" wandeln.

Vor kurzem wollte ich am Jungfernstieg in Hamburg in ein großes Hotel gehen. Doch da las ich am Eingang ein Schild: „Nur für eng­lische Offiziere." — So steht gleichsam über unsrer Geschichte: „Nur für solche, die Jesus angehören." Wir überschreiben den Text:

 

 

Jesus und seine müden Streiter

 

1. Das Kampfgetümmel

Der Gottesmann Abraham liebte die Stille. Aber es ging ihm wie den Knechten Gottes zu allen Zeiten: Immer wieder wurde er aus der Stille herausgerissen.

Da kam eines Tages ein schweißbedeckter Bote angestürzt: „Feinde haben die Stadt Sodom überfallen, alles geraubt und die Bewohner als Sklaven mitgenommen. Auch dein Neffe Lot ist verschleppt!" Armer Abraham! Es gibt in dieser Welt keine Ruhe für die Streiter des Herrn. Abraham weiß das. Darum rüstet er sofort 318 Knechte und zieht mit ihnen los, Lot zu befreien.

Es muss jedem auffallen, dass Abraham so viele Waffen zur Hand hatte und dass er so schnell gerüstet war.

Das ist ein gutes Bild für die Streiter des Herrn: Sie lieben die Stille, aber sie wissen auch: „Wir sind im Kampfe Tag und Nacht..." Ja, sie sind im Kampfe Tag und Nacht! Der Alltag bedrückt die Kin­der Gottes genauso wie die Weltmenschen. Wenn auch die Streiter des Herrn im Gebet herrliche Durchhilfe erfahren dürfen, so gefällt es dem Herrn doch oft, sie gerade in äußeren Dingen durch beson­dere Nöte und Stürme zu führen. Es bleibt ihnen von den Kämpfen und Sorgen dieser Welt nichts erspart.

Aber sie haben einen noch härteren Kampf zu führen, nämlich den Kampf gegen das eigene Herz, gegen Fleisch und Blut. Wer dem Herrn Jesus, seinem Erlöser, angehört, der möchte Ihm ganz ge­hören, der will dem Geiste Gottes gehorsam werden. Fleisch und Blut aber stehen gegen den Heiligen Geist. Unser Herz will uns bald zur Selbstgerechtigkeit und zum Hochmut verführen, bald will es uns auf die breiten Sündenstraßen der Welt locken. Da muss ein Chri­stenherz den Kampf aufnehmen und es lernen, „mit Christus gekreuzigt sein". Da fleht man um Seine Hilfe: „Herr Jesus, halte die Nägel fest, mit denen mein alter Mensch mit Dir gekreuzigt ist!" Es gibt im Alten Testament eine sehr lehrreiche Geschichte, in der uns erzählt wird, dass Israel das Land Kanaan einnahm und die heid­nischen Kanaaniter vertrieb. Aber es wurden nicht alle Ureinwohner verjagt. Wir lesen im Richterbuch: „Der Herr ließ die Heiden blei­ben, auf dass die Geschlechter der Kinder Israel streiten lernten." So lässt der Herr, solange wir leben, unsre alte, widergöttliche und ungeistliche Natur rumoren, damit wir streiten lernen. Aber mit all dem ist die ganze Schwere des Kampfgetümmels, in das ein Streiter Jesu gestellt wird, noch nicht ausgesprochen. Der Apostel Paulus sagt im Epheserbrief, dass wir nicht mit Fleisch und Blut allein, sondern mit den Mächten der Finsternis zu kämpfen haben. Christen wissen etwas von der heimlichen Macht Satans. Und darum halten sie es wie Abraham, der seine Waffenrüstung immer bereit hatte. Sie legen den Schild des Glaubens und das Schwert des Wortes Gottes nicht aus der Hand.

 

2. Eine herrliche Begegnung

Abraham hat mit seinen 318 Knechten in der Nacht die Feinde über­fallen, sie besiegt und seinen Neffen Lot befreit. Er ist ein müder Mann, als die Sonne aufgeht. Stellen wir uns einmal vor, was es für den Alten bedeutet: der Marsch, die geopferte Nachtruhe, der heiße Kampf in der Dunkelheit!

Nun kommt er ermattet aus dem Kampf. Da tritt ihm eine geheim­nisvolle Person entgegen: Melchisedek, der König von Salem. Melchisedek heißt auf deutsch: König der Gerechtigkeit. Und Salem heißt: Frieden. Der Hebräerbrief sagt uns deutlich, dass dieser König der Gerechtigkeit in dem Reiche des Friedens Jesus ist. Der Sohn Gottes, der — als die Zeit erfüllt war — Fleisch und Blut annahm und unser Bruder wurde, war vordem von Ewigkeit her beim Vater. Er selbst tritt dem Abraham entgegen.

Nicht anders geht es heute zu. Er selbst, der König des Friedens, macht sich auf, Seine müden und ermatteten Streiter zu stärken. Sein Reich ist wirklich ein Reich des Friedens. Dieser Friede geht über alles Begreifen. Die Bibel sagt: Er ist „höher als alle Vernunft". Es hat noch selten so viel nervöse, zerrüttete, angeschlagene Leute gegeben wie heute. Unser Kopf gleicht einem Radio. Wenn man das andreht, ertönt alles wild durcheinander: Tanzmusik, Gottesdienst, Politik, Karnevalsschlager. Jawohl, so ist auch unser zerquälter Kopf. Und wir können uns nicht vor uns selber retten. Aber nun tritt Jesus zu uns, und da heißt es: „Ach mein Herr Jesu, dein Nahesein / bringt großen Frieden ins Herz hinein..."

Die Bibel berichtet nicht viel über die Begegnung zwischen Abraham und Melchisedek. Aber wir spüren zwischen den Zeilen, welch eine unsagbare Erquickung diese Begegnung für Abraham bedeutete. Ich habe in meinem Bücherschrank eine Menge Lebensbeschreibungen von großen und kleinen Kindern Gottes. Es ist wohl keine darunter, die nicht von solchen Erquickungsstunden nach heißem Kampf äuße­rer und innerer Anfechtung berichten kann.

„...und Melchisedek segnete den Abraham." So segnete Jesus Seine

Jünger, ehe Er gen Himmel fuhr, nach all den Stürmen des Karfrei­tag. Diesen Segen wünscht Paulus den verfolgten Christen hin und her im Lande. Den durfte er auch selbst erfahren, als er im Gefängnis in Rom schrieb: „...der uns gesegnet hat mit allerlei geistlichem Segen in himmlischen Gütern."

 

3. Die Gaben des Melchisedek

In unserer Geschichte heißt es :„Er trug Brot und Wein hervor." Das ist seltsam und muss uns geradezu befremden. Wenn es sich bei dem Melchisedek um irgendeinen der eingeborenen Fürsten gehandelt hätte, dann hätte er ganz bestimmt nicht Brot und Wein hervorge­bracht, sondern erst einmal ein paar fette Hammel. So pflegte man nämlich damals seine Gäste zu bewirten. Vielleicht hätte man auch einen Ochsen an den Spieß gesteckt.

Dass Melchisedek Brot und Wein brachte, um den Abraham zu er­quicken, gibt den Streitern Jesu Christi einen wichtigen Hinweis. „Brot und Wein" — das kommt in der Bibel noch einmal vor, und zwar in der Geschichte von der Einsetzung des Abendmahles: „Jesus nahm das Brot, brach's, gab's seinen Jüngern und sprach: Nehmet hin und esset. Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird." Das Brot, das gebrochen wird, ist der Hinweis auf den Leib Jesu Christi, der für uns in den Tod gegeben wurde zur Versöhnung der Sünder mit Gott. „Desgleichen nahm er auch den Kelch, dankte, gab ihnen den und sprach: Nehmet hin und trinket alle daraus. Das ist der Kelch des neuen Bundes mit Gott in meinem Blute, das für euch und für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden." Der Wein deutet auf das Blut Jesu Christi hin, das am Kreuze auf Golgatha vergossen wurde. Es ist mächtig, dies Blut! Denn von ihm sagt Gottes Wort: „Das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde."

Hier wird nun deutlich gesagt, wodurch der Herr Seine müden Strei­ter erquickt: durch das Wort von der Versöhnung, durch das Blut, das Vergebung der Sünden schenkt. Es gibt keine stärkere Erquickung für Kinder Gottes als den Blick auf das Kreuz Jesu, in dem uns all dies gegeben wird. Von ihm steht im 34. Psalm: „Welche auf ihn sehen (wie Er für uns am Kreuze hängt), die werden erquickt."