Wilhelm Busch

Simsons Tod

 

„Da fiel das Haus auf die Fürsten und auf alles Volk, das darin war, dass der Toten mehr waren, die in Simsons Tod starben, denn die bei seinem Leben starben." Richter 16, 30b

 

An der herrlichen Promenade, die in Frankfurt am Main entlang­ führt, steht das Städelmuseum. Das enthält eine reiche Gemälde­sammlung.

Mein Elternhaus lag dicht hinter dem Museum. Als ich noch ein Junge war, führte meine Mutter uns jeden Sonntag nach dem Got­tesdienst dorthin. Bald waren wir wie zu Hause unter den Kunst­schätzen.

Wenn ich mir diese Vormittage in das Gedächtnis rufe, dann steht immer ein Bild Rembrandts vor meiner Seele: ein riesengroßes Ge­mälde, das die Blendung Simsons darstellt. Man sieht einen sehr starken Mann, der sich in Fesseln am Boden wälzt. Triumphierende Philister schleppen eine glühende Eisenstange herbei, um ihm die Augen auszustechen. So wurde mir die tragische Gestalt dieses „Rich­ters in Israel" früh vertraut.

Aber erst bei tieferem Bibelstudium erkannte ich, dass er — wie alle alttestamentlichen Erzväter, Heilande und Propheten — einen Zug hat, der ihn zum „Schatten" Jesu werden lässt. Den möchte ich auf­zeigen.

 

 

Der sterbende Sieger

 

1. Er stirbt in grenzenloser Einsamkeit

Wer war denn Simson?

Gottes Volk seufzte unter dem Druck der Heiden, der Philister. Da bestimmte Gott schon vor dessen Geburt den Simson zum Erlöser des Volkes Gottes. Im Richter-buch nennt die Bibel solche Männer „Richter" oder „Heilande". Mit diesem letzten Ausdruck werden wir darauf gestoßen, dass solch ein Mann ein Hinweis ist auf den wirk­lichen Heiland und Erlöser, Jesus Christus.

Gerade an Simson nun wird deutlich, dass ein wirklicher Erlöser von oben kommen muss. (Und unsere Zeit sollte es nach all den Erfahrun­gen endlich auch begreifen.) Simson hat wohl große Taten vollbracht. Aber seine Kraft wurde immer wieder gebrochen, weil er sich mit den heidnischen Frauen einließ. Ist das nicht die Geschichte manches Mannes, den Gott zum Segen gesetzt hatte?!

Solch ein Weib, die Delila, brachte ihn in die Gewalt der Feinde. Sie schor ihm heimlich seine langen Haare ab, das äußere Zeichen seiner Gott-Verlobtheit. Nun verließ ihn seine Kraft. Er wurde gefesselt, geblendet und in einen Kerker geworfen. Dort wuchsen ihm die Haare und die Kraft wieder.

Nach einiger Zeit feierten die Philister ein Fest im Tempel ihres Göt­zen Dagon. Zur Erhöhung der Festesfreude holte man Simson aus dem Kerker, stellte ihn zwischen zwei Säulen, drückte ihm eine Harfe in die Hand. Nun sollte er singen.

Aber Simson warf die Harfe weg, ergriff die zwei Säulen und neigte sich kräftig. Da stürzte der Tempel ein. Simson ward mit den Tau­senden unter den Trümmern begraben.

Ich habe im Geist diesen Simson dort zwischen den Säulen stehen sehen, den Riesen mit der albernen Harfe in der Hand. Er ist ganz verlassen. Ringsum nur spottendes Lachen.

Und nun ist mir, als tauche hinter diesem einsamen Mann das Bild des Gekreuzigten auf. Auch Ihn hat man lächerlich machen wollen. Davon spricht die Dornenkrone. Er ist ganz verlassen. Ringsum nur Spott und Gelächter und Hass.

Dies einsame Sterben Jesu hat einen tiefen Sinn, der schon im Alten Testament aufgezeigt wird. Jesaja 59, 16 steht: „Gott sieht, dass nie­mand da ist, und verwundert sich, dass niemand ins Mittel tritt; darum hilft er sich selbst." Und Jesaja 63, 4f.: „Die Zeit, die Meinen zu erlösen, ist gekommen. Und ich sah mich um, und da war kein

Helfer. Und ich verwunderte mich, und niemand stand mir bei." Jesus starb so allein, damit deutlich wurde: Wir konnten nichts zu unserm Heil beitragen. „Es ist in keinem ändern Heil, ist auch kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darin sie könnten selig werden, als allein der Name Jesus."

 

2.  Sein Tod wird zum Sieg

Kehren wir zu Simson zurück! Große Taten hatte er zu seinen Leb­zeiten getan. Aber die Bibel berichtet, „. . . dass der Toten mehr waren, die in seinem Tod starben, denn die bei seinem Leben star­ben". Sein Sterben war der entscheidende Sieg über die Feinde des Volkes Gottes.

Wer spürt hier nicht, dass wir uns mitten im Neuen Testament befin­den!

Ja, so steht es mit Jesus, unserm Herrn und Heiland. Große Dinge hat Er getan, als Er über die Straßen Palästinas ging: Er stillte den Sturm, Er sättigte Tausende, Er heilte die Aussätzigen, Er weckte die Toten auf. Und da und dort glaubte der eine oder andere an Ihn. Aber ganz anders wurde es nach Seinem Tode am Kreuz. Er endigte mit dem Jubelruf: „Es ist vollbracht!" Welch ein Siegesschrei! Und sofort wird offenbar, dass Sein Kreuzestod der Sieg ist: Der Haupt­mann bekennt sich zu Ihm. Der schüchterne Nikodemus tritt als Sein Jünger hervor. Drei Tage später zittern alle Seine Feinde vor dem Auferstandenen. An Pfingsten lassen sich 3000 auf Seinen Namen taufen. Einen Saulus, der den Kampf gegen Ihn aufgenommen hat, macht Er zu Seinem größten Zeugen.

O, ich möchte mit den Augen Gottes einen Augenblick über die Welt sehen können, um die große Schar derer zu zählen in allen Kontinen­ten, die jetzt, mitten in die Ratlosigkeit der Welt hinein, singen: „Lamm Gottes, deinen Wunden / verdank ich's Tag und Nacht, / dass sie den Rat gefunden, / der Sünder selig macht..." Die unzählbare Schar aus „allen Völkern, Sprachen und Zungen" wird „an jenem Tage" durch das Lob „des geschlachteten Lammes" offenbar machen, dass Sein Sterben am Kreuz der große Sieg war über Welt, Hölle, Teufel, Sündenmacht und Sündenschuld.

 

3.  Sein Tod wirkt viele Tode Blicken wir noch einmal auf den Simson!

Er starb nicht allein. Sein Tod wirkte tausend Tode. Er riss viele Philister in sein Sterben hinein. So auch Jesus: Er riss viele in Sein Sterben hinein. Nun versteht mich bitte recht! Manche meinen sicher, ich spräche jetzt von den Märty­rern. O nein! Die würden heftig protestieren: „Jesus hat uns nicht in Sein Sterben hineingerissen, sondern in Sein ewiges Leben."

Was soll denn das heißen: Jesus riss viele in Sein Sterben hinein?

Wer sich klar zu Jesus bekennt, der merkt bald: Meine natürliche Art ist Gott ein Greuel. Ich bin fleischlich und sollte geistlich sein. Ich muss anders werden.

Nun kann ich mich nicht selbst anders machen. Aber ich kann Gottes Todesurteil von Golgatha auf mich beziehen. Ich kann mich mit Jesus in den Tod geben. Ja, ich muss es! Täglich muss ich das tun.

O bleibt nicht in eurem alten Wesen! Ihr geht sonst ewig verloren. Paulus sagt: „Ich bin mit Christus gekreuzigt!" Sein ganzes stolzes Pharisäerleben ist in Jesu Tod hineingerissen. Und er ermahnt: „Welche Christo angehören, die kreuzigen ihr Fleisch samt den Lüsten und Begierden." Wer das also nicht tut, der gehört Christo nicht an — und wenn er noch so „christlich" wäre!

In uns allen lebt ein heidnisches Philisterwesen. Die Bibel nennt es den „alten Menschen", der „durch Lüste im Irrtum sich verdirbt". Der „alte Mensch" ist immer gedeckt von der Vernunft. Dies Phili­sterwesen will Jesus in Seinen Tod mitnehmen. Und die große Frage ist: Sind wir zu solchem Mitsterben bereit?