„Da fiel das Haus auf die Fürsten und auf alles Volk, das
darin war, dass der Toten mehr waren, die in Simsons Tod starben, denn die bei
seinem Leben starben."
Richter 16, 30b
An der herrlichen Promenade, die in Frankfurt am Main
entlang führt, steht das Städelmuseum. Das enthält eine reiche Gemäldesammlung.
Mein Elternhaus lag dicht hinter dem Museum. Als ich noch
ein Junge war, führte meine Mutter uns jeden Sonntag nach dem Gottesdienst
dorthin. Bald waren wir wie zu Hause unter den Kunstschätzen.
Wenn ich mir diese Vormittage in das Gedächtnis rufe, dann
steht immer ein Bild Rembrandts vor meiner Seele: ein riesengroßes Gemälde,
das die Blendung Simsons darstellt. Man sieht einen sehr starken Mann, der sich
in Fesseln am Boden wälzt. Triumphierende Philister schleppen eine glühende
Eisenstange herbei, um ihm die Augen auszustechen. So wurde mir die tragische
Gestalt dieses „Richters in Israel" früh vertraut.
Aber erst bei tieferem Bibelstudium erkannte ich, dass er —
wie alle alttestamentlichen Erzväter, Heilande und Propheten — einen Zug hat,
der ihn zum „Schatten" Jesu werden lässt. Den möchte ich aufzeigen.
1. Er stirbt in grenzenloser Einsamkeit
Wer war denn Simson?
Gottes Volk seufzte unter dem Druck der Heiden, der
Philister. Da bestimmte Gott schon vor dessen Geburt den Simson zum Erlöser des
Volkes Gottes. Im Richter-buch nennt die Bibel solche Männer „Richter"
oder „Heilande". Mit diesem letzten Ausdruck werden wir darauf gestoßen,
dass solch ein Mann ein Hinweis ist auf den wirklichen Heiland und Erlöser,
Jesus Christus.
Gerade an Simson nun wird deutlich, dass ein wirklicher
Erlöser von oben kommen muss. (Und unsere Zeit sollte es nach all den Erfahrungen
endlich auch begreifen.) Simson hat wohl große Taten vollbracht. Aber seine
Kraft wurde immer wieder gebrochen, weil er sich mit den heidnischen Frauen
einließ. Ist das nicht die Geschichte manches Mannes, den Gott zum Segen
gesetzt hatte?!
Solch ein Weib, die Delila, brachte ihn in die Gewalt der
Feinde. Sie schor ihm heimlich seine langen Haare ab, das äußere Zeichen seiner
Gott-Verlobtheit. Nun verließ ihn seine Kraft. Er wurde gefesselt, geblendet
und in einen Kerker geworfen. Dort wuchsen ihm die Haare und die Kraft wieder.
Nach einiger Zeit feierten die Philister ein Fest im Tempel
ihres Götzen Dagon. Zur Erhöhung der Festesfreude holte man Simson aus dem
Kerker, stellte ihn zwischen zwei Säulen, drückte ihm eine Harfe in die Hand.
Nun sollte er singen.
Aber Simson warf die Harfe weg, ergriff die zwei Säulen und
neigte sich kräftig. Da stürzte der Tempel ein. Simson ward mit den Tausenden
unter den Trümmern begraben.
Ich habe im Geist diesen Simson dort zwischen den Säulen
stehen sehen, den Riesen mit der albernen Harfe in der Hand. Er ist ganz
verlassen. Ringsum nur spottendes Lachen.
Und nun ist mir, als tauche hinter diesem einsamen Mann das
Bild des Gekreuzigten auf. Auch Ihn hat man lächerlich machen wollen. Davon
spricht die Dornenkrone. Er ist ganz verlassen. Ringsum nur Spott und Gelächter
und Hass.
Dies einsame Sterben Jesu hat einen tiefen Sinn, der schon
im Alten Testament aufgezeigt wird. Jesaja 59, 16 steht: „Gott sieht, dass niemand
da ist, und verwundert sich, dass niemand ins Mittel tritt; darum hilft er sich
selbst." Und Jesaja 63, 4f.: „Die Zeit, die Meinen zu erlösen, ist
gekommen. Und ich sah mich um, und da war kein
Helfer. Und ich verwunderte mich, und niemand stand mir
bei." Jesus starb so allein, damit deutlich wurde: Wir konnten nichts zu
unserm Heil beitragen. „Es ist in keinem ändern Heil, ist auch kein anderer
Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darin sie könnten selig werden, als
allein der Name Jesus."
2. Sein Tod wird zum
Sieg
Kehren wir zu Simson zurück! Große Taten hatte er zu seinen
Lebzeiten getan. Aber die Bibel berichtet, „. . . dass der Toten mehr waren,
die in seinem Tod starben, denn die bei seinem Leben starben". Sein
Sterben war der entscheidende Sieg über die Feinde des Volkes Gottes.
Wer spürt hier nicht, dass wir uns mitten im Neuen Testament
befinden!
Ja, so steht es mit Jesus, unserm Herrn und Heiland. Große
Dinge hat Er getan, als Er über die Straßen Palästinas ging: Er stillte den
Sturm, Er sättigte Tausende, Er heilte die Aussätzigen, Er weckte die Toten
auf. Und da und dort glaubte der eine oder andere an Ihn. Aber ganz anders
wurde es nach Seinem Tode am Kreuz. Er endigte mit dem Jubelruf: „Es ist
vollbracht!" Welch ein Siegesschrei! Und sofort wird offenbar, dass Sein
Kreuzestod der Sieg ist: Der Hauptmann bekennt sich zu Ihm. Der schüchterne
Nikodemus tritt als Sein Jünger hervor. Drei Tage später zittern alle Seine
Feinde vor dem Auferstandenen. An Pfingsten lassen sich 3000 auf Seinen Namen
taufen. Einen Saulus, der den Kampf gegen Ihn aufgenommen hat, macht Er zu
Seinem größten Zeugen.
O, ich möchte mit den Augen Gottes einen Augenblick über die
Welt sehen können, um die große Schar derer zu zählen in allen Kontinenten,
die jetzt, mitten in die Ratlosigkeit der Welt hinein, singen: „Lamm Gottes,
deinen Wunden / verdank ich's Tag und Nacht, / dass sie den Rat gefunden, / der
Sünder selig macht..." Die unzählbare Schar aus „allen Völkern, Sprachen
und Zungen" wird „an jenem Tage" durch das Lob „des geschlachteten
Lammes" offenbar machen, dass Sein Sterben am Kreuz der große Sieg war
über Welt, Hölle, Teufel, Sündenmacht und Sündenschuld.
3. Sein Tod wirkt
viele Tode Blicken wir noch einmal auf den Simson!
Er starb nicht allein. Sein Tod wirkte tausend Tode. Er riss
viele Philister in sein Sterben hinein. So auch Jesus: Er riss viele in Sein
Sterben hinein. Nun versteht mich bitte recht! Manche meinen sicher, ich
spräche jetzt von den Märtyrern. O nein! Die würden heftig protestieren:
„Jesus hat uns nicht in Sein Sterben hineingerissen, sondern in Sein ewiges
Leben."
Was soll denn das heißen: Jesus riss viele in Sein Sterben
hinein?
Wer sich klar zu Jesus bekennt, der merkt bald: Meine
natürliche Art ist Gott ein Greuel. Ich bin fleischlich und sollte geistlich
sein. Ich muss anders werden.
Nun kann ich mich nicht selbst anders machen. Aber ich kann
Gottes Todesurteil von Golgatha auf mich beziehen. Ich kann mich mit Jesus in
den Tod geben. Ja, ich muss es! Täglich muss ich das tun.
O bleibt nicht in eurem alten Wesen! Ihr geht sonst ewig
verloren. Paulus sagt: „Ich bin mit Christus gekreuzigt!" Sein ganzes
stolzes Pharisäerleben ist in Jesu Tod hineingerissen. Und er ermahnt: „Welche
Christo angehören, die kreuzigen ihr Fleisch samt den Lüsten und
Begierden." Wer das also nicht tut, der gehört Christo nicht an — und wenn
er noch so „christlich" wäre!
In uns allen lebt ein heidnisches Philisterwesen. Die Bibel nennt es den „alten Menschen", der „durch Lüste im Irrtum sich verdirbt". Der „alte Mensch" ist immer gedeckt von der Vernunft. Dies Philisterwesen will Jesus in Seinen Tod mitnehmen. Und die große Frage ist: Sind wir zu solchem Mitsterben bereit?