Winrich Scheffbuch
Wie eine
Gemeinde lebendig wird
Hektische
Betriebsamkeit täuscht
Es
geht nicht um kleine Reparaturen
Ein
Fest mit peinlichen Erinnerungen
Lass
doch dein Licht auslöschen nicht
Vertreibt
die Kirche ihre eigenen Leute?
Wir
stehen in einem geistlichen Kampf
»Herr,
erneure deine Kirche und fange bei mir an!«
»Ohne
mich könnt ihr nichts tun!«
Sein
Wort ist wahr und trüget nicht
Menschen
können verloren gehen
Vom
Gerichtstag Gottes wird geredet
Ein
von Gott geheiligtes Leben
Das
Wunder einer lebendigen Gemeinde
Der
unbiblische Monopolanspruch
Jugend
braucht besonders viel Liebe
Die
Gemeinde als Basis der Mission
Am
meisten profitiert die Heimatgemeinde.
Wie
wir die Missionsmatineen erfanden
Die
große Gemeinschaft des Volkes Gottes
Voll
Glauben und heiligen Geistes
Was
kann ein einzelner schon tun?
Unzählige
warten auf einen Besuch
Die
wieder entdeckte Hausandacht
Sollte
ich nicht traurig dreinsehen? Jerusalem liegt wüst
und ihre Tore sind vom Feuer verbrannt.
Nehemia
2, 3
Nicht anders als in großer Trauer reden wir von den
schlimmen Schäden in Kirchen und Gemeinden. Es schmerzt tief, durch die Trümmer
zu gehen und zu wissen, was da zerbrochen ist.
In den letzten Jahrzehnten wurde viel, hart und
manchmal auch erbarmungslos an der Kirche kritisiert. Neues Leben aber hat es
nicht gebracht. Mit dem schonungslosen Aufdecken der Missstände hat man die
heilende Salbe noch nicht gefunden.
Zynisches Besserwissen und spöttisches Urteilen hat
den Zerfall des Volkes Gottes nur beschleunigt.
In all den Jahren gab es aber auch andere. In aller
Stille trugen sie Leid. Sie fühlten mit dem Volk Gottes, dem sie zugehörten und
das sie liebten. Sie klagten nicht laut an. Mit einem wunden Herzen trauern sie
um die missgebildete und verderbte Gestalt der Gemeinde Gottes.
Sie wissen auch um ihre Mitschuld: Wir hätten viel
früher wehren und eindeutiger bekennen müssen. Warum war unser Glaube so
schwach und wenig leuchtend, dass er den Vormarsch der Gottlosigkeit nicht
aufhalten konnte?
Wenn Gott Missstände aufdeckt und Unrecht straft,
fängt er nicht bei den Gräueln der Welt an. Er züchtigt zuerst seine Gemeinde,
die von ihm abgefallen und abtrünnig geworden ist. Es macht betroffen und
erschüttert, wie Gottes Volk immer wieder durch die Jahrtausende hindurch
Gottes Zürnen herausfordert
Ob man die Kirche wirklich lieben kann, ohne um sie zu bangen? Es wäre
schlimm, wenn die in der Kirche Verantwortlichen diese Last nicht Tag und Nacht
bedrücken würde. Manche wollen uns diese Angst mit ein paar frommen Sprüchen
ausreden. Kennen sie den Ernst der Bibel nicht, dass der verloren ist, der
Gottes Rettung verwirft?
Mir sind jene kirchlichen Beamten unheimlich, die so sicher
optimistische Prognosen über die Zukunft ihrer Kirchenorganisationen wagen. Ich
kann es nicht ertragen, wenn sie sich leichthin prophetisch geben und
schlichtweg behaupten, dass eines Tages das Pendel des Niedergangs
zurückschlage. Als ob sie den so sicher in ihrer Tasche hätten, der allein
seine Gemeinde vor den Pforten der Hölle bewahren kann. Wissen sie wirklich
nicht, dass Gottes Volk sich in seiner Sünde immer mit trügerischen Träumen in
Sicherheit gewiegt hat?
Jesus sprach von einem Felsengrund, auf dem seine Gemeinde gegründet
sei. Genau das macht mir angst. Können wir das auf unsere bestehenden Gemeinden
beziehen? Gilt das auch für unsere Kreise, Jugendklubs und Verwaltungsstellen,
dass sie eine auf dem Felsengrund stehende Jesusgemeinde sind?
Jesus selbst bangte um seine Gemeinde. Darum betete er anhaltend für sie
und ihre Bewahrung in der Stunde der Versuchung. Nur dann ist die Gemeinde
unüberwindlich, wenn sie glaubend, betend und liebend bei ihrem Herrn bleibt.
Wir wissen, wie Paulus unerschrocken viele Leiden um Jesu willen tapfer
ertrug. Aber aus Angst um die Gemeinde konnte er weinen. Das ist keine
persönliche Rührung; es geht viel tiefer. Er ist ganz tief erschüttert und
betroffen, weil er an die kommenden Bedrohungen der Gemeinde denken muss.
Mitten in der Gemeinde werden Männer aufstehen, die falsche Lehren verkündigen.
Darum stehen in der Bibel so viele Mahnungen, wach und nüchtern zu sein.
Die Sorge vor dem Abfall der Gemeinde findet sich in allen apostolischen
Briefen. Keiner braucht sich dieser Angst zu schämen. Sie ist kein Zeichen des
Unglaubens, sondern des Glaubens.
Um die Gemeinde Gottes in allen Völkern ist mir nicht bange. Gott kann
sich auch aus Steinen Kinder erwecken. Aber Angst habe ich, ob unsere Kirchen
und Gemeinden wirklich Gemeinde Gottes sind.
Oft wird heute der Liedvers gesungen: »Weck die tote Christenheit aus
dem Schlaf der Sicherheit!« Ob das den fröhlich
Singenden immer bewusst ist, was sie damit ausdrücken?
Ich war ein Kind, als ich zum ersten Mal einen Toten sah. Ich erschrak
über die scharfen Gesichtszüge und die gelbliche Haut.
Ich verstehe gut, wenn manche das Reden von der »toten Christenheit« als
ärgerlich empfinden. So wenig zimperlich es sonst bei kirchlichen Diskussionen
auch zugehen mag, wenn das Gespräch auf den möglichen geistlichen Tod einer
Gemeinde kommt, tritt peinliches Schweigen ein. »Darf man so lieblos urteilen?«, wird dann gefragt. »Wir wollen doch die Hoffnung nicht
aufgeben.«
Heute in unserer modernen Welt spricht man ungeniert über alle Themen,
auch über Tod und Sterben. Nur am Bett von unheilbar Kranken, die um ihr Leben
kämpfen, kommt es uns manchmal wie ein Dolchstoß vor. Dort ist der Tod
bestürzend nah und real. Dann überkommt uns auch diese eigentümliche Scheu, von
ihm zureden.
Die Hilflosigkeit vor dem Tod könnte auch der Grund sein, warum in christlichen
Kreisen alles scheu verstummt, wenn an die Gefahr einer toten Christenheit
erinnert wird. Dabei muss sich jeder selbst prüfen und der möglichen Bedrohung
durch den geistlichen Tod wach gegenübertreten.
Geschieht das wirklich? Wann wird dies in den Synoden verhandelt? Findet
sich diese selbstkritische Frage in den umfangreichen Tagesordnungen unserer
Kirchengemeinderäte? Rechnen auch evangelikale Gruppen mit der sehr realen
Gefahr, dass auch bei ihnen mehr stirbt und krankt als lebt?
In den Kirchen werden gerne eindrucksvolle Statistiken hochgehalten,
wenn gefragt wird, ob noch Leben da ist. Uns werden aber kaum die
mannigfaltigen Dienste und Aktivitäten imponieren können, wenn sie nur durch
einen gewaltigen Einsatz von Finanzmitteln am Leben erhalten werden. Leben
kommt auf Dauer nicht von Apparaten.
Mich erinnert das ein wenig an Sterbende, die in den Kliniken wochenlang
mit kostspieligen Maschinen am Leben gehalten werden. Alle wichtigen
Körperfunktionen können maschinell ersetzt werden. Das Herz pumpt weiter, und
der Atem hört nicht auf. Wenn nur für einen Augenblick eine der Maschinen
abgestellt würde, dann wäre der Tod schon da.
Manche hektische Betriebsamkeit und Unruhe müsste uns stutzig machen. Ob
das nicht nur den nahen Todeskampf signalisiert?
Nicht zuletzt sollten wir uns auch bewusst machen, dass es wohl nirgends
auf der Welt so finanzstarke Kirchen gibt wie bei uns in Deutschland. Dafür
sollten wir Gott danken - aber auch wissen, dass dies eine Erweckung nicht
überflüssig macht.
Es muss darum von der Gefahr der »toten Kirche« gesprochen werden. Hier
liegt der wunde Punkt, dem nicht ausgewichen werden darf. Aber nur dort, wo
Leben ist, spürt man am besten, wie der Tod um sich greift, und leidet auch
richtig darunter. Die anderen werden nur lächeln können, weil sie das Empfinden
dafür verloren haben.
Da ist eine Gemeinde, die ist sich keiner Schuld bewusst. Die Bibel
berichtet von ihr. Doch das Urteil Jesu Christi ist so hart über die Kirche in
der Stadt Sardes: »Du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot!« (Offenbarung 3, 1).
Eine schlimme Täuschung wird da vorgeworfen, ein Etikettenschwindel. Es
ist so ähnlich, wie wenn im Schaufenster ein falscher Preis ausgezeichnet ist. Die
Käufer werden irregeführt.
Noch viel furchtbarer ist, was vor Jahren an einer Universität geschah.
Da standen leckere Gläser mit Orangensaft im Flur. Dabei lag ein Zettel: »Lasst
es euch gut schmecken!« Keiner, der trank, konnte
ahnen, dass der Saft vergiftet war. Man konnte sich den Tod holen.
Genau das wird der Gemeinde von Sardes vorgeworfen. Äußerlich lief alles
flott. Die Gemeindeveranstaltungen waren gut besucht. Die Organisation klappte.
Die Gemeinde hatte einen guten Ruf. Nach allem, was wir wissen, wurde dort auch
keine krasse Irrlehre vertreten. Keiner wurde verfolgt. Warum auch? Die
Gemeinde war ja bei allem Betrieb tot.
Wenn man auf die Frucht schaute, war nichts da. Seit Jahren hatte keiner
mehr aus Sardes zum Glauben an Jesus Christus gefunden. Kein Gleichgültiger
wurde vom Wort Gottes überführt. Nicht einer der im Zweifel Ertrinkenden fand
zur Gewissheit.
Wen trifft das nicht? Die Gemeinde führte den großen Namen Jesu und
seiner mächtigen Taten in ihrem Mund. Aber Kraft und neues Leben ging davon
nicht mehr aus. Und über ihre vielen eifrigen Tätigkeiten urteilt Jesus, dass
sie hohl sind und ihnen noch das Beste fehlt.
Wir erleben es heute oft, wie Menschen sich enttäuscht von der Kirche
abwenden. Sehnsüchtig suchten sie die große Botschaft vom Leben. Nun wenden sie
sich ärgerlich ab, ohne ihr jemals richtig begegnet zu sein. Darum reißt eine
tote Gemeinde viele mit ins Verderben. Sie redet zwar von Jesus Christus, kann
aber die Suchenden und Verzweifelten nicht mehr in seine Gegenwart führen.
Es ist ein furchtbares Urteil, das über einer Gemeinde gefällt wird:
tot!
Und doch ist es voller Hoffnung, wenn es noch in dieser Welt vor dem
Jüngsten Tag begriffen wird. Jesus kann Tote erwecken, und er will es auch tun.
Man sollte einmal einen Blick hineinwerfen in die vielen schwachen und
bedrängten Kirchen in aller Welt. Sie sind an die Wand gedrückt und wissen, wie
arm sie sind. Sie können ihre Hoffnungen nicht mehr auf sich selbst setzen,
sondern allein auf den Gott, der Tote erweckt. Sein Geist, der neues Leben
schafft, macht sie zuversichtlich.
Und bei uns? Auf viele Kirchentüren würde ein Kleber passen: »Erweckung?
Nein danke!« Da freut man sich an den Traditionen, die
noch nicht erstorben sind. Stolz blickt man auf sein reiches theologisches
Wissen. Auch wenn das Verwalten des überkommenen kirchlichen Lebens etwas Mühe
macht, für eine Erweckung ist einfach kein Bedarf.
So kommt der Tod auch äußerlich sichtbar in Raten. Die Bibelstunde ist
schon lange eingestellt. Ein Gebetskreis kam zum letzten Mal vor 20 Jahren
zusammen. Bald lässt man die ersten Gottesdienste ausfallen. Die Kranken
klagen, dass sie nicht mehr besucht werden. Man braucht nicht lange zu warten,
bis die völlige Todesstarre eingetreten ist. Eine ganze Reihe der Organe sind
schon abgestorben. Von dort greift die Vergiftung auf den ganzen Leib über.
Das Bild des Leibes wird in der Bibel gerne für die Gemeinde Gottes
benützt. Daran kann man wunderbar das Zusammenwirken der vielen Glieder
darstellen. Aber wenn einzelne Gliedmaßen abgestorben sind, müsste das doch
alarmieren.
Da gehören Gruppen und Kreise zur Gemeinde, die sich längst innerlich
von der geistlichen Gemeinschaft mit Jesus Christus getrennt haben. Vielleicht
eint sie noch das Eintreten für eine gerade aktuelle politische Kampfparole.
Aber die Kraft Jesu kann sich nicht mehr durch ihren Glauben hindurch in das
alltägliche Leben hinein verwirklichen. Der Glaube stirbt ab und ist tot, ohne
Werke.
In solche Gemeinden hinein ruft Jesus, der ewige Herr: »Werde wach und
stärke das andere, das sterben will!«
Er gibt heute niemanden auf. Er besitzt die Schlüssel des Todes und will
überall neues Leben schaffen. Wenn er aufruft, wach zu werden und zur Besinnung
zu kommen, dann zielt Gott nicht allein auf die Rettung einer erstarrten
Gemeinde. Ihm geht es immer um die Welt. »Stärke das andere, das sterben will!« Mutlose sollen neue Hoffnung gewinnen. Resignierte sollen
das Wunder einer Neugeburt erfahren. Verzweifelte sollen aus Schuld und Sünde
befreit werden. Aber die Scheinkirche trägt ja nur noch den Namen, sie hat kein
Leben mehr. Darin ist sie schon so tot, dass sie nicht mehr erkennen kann, wie
ihr der erneuernde und Leben schaffende Geist Gottes fehlt. In ihrer
selbstgefälligen Sicherheit kämpft sie sogar leidenschaftlich gegen eine
Erweckung durch Gottes Geist.
Und sie machten sich auf und
entfernten die Götzenaltäre ... Und die Priester und Leviten bekannten ihre
Schuld und heiligten sich ... und stellten sich an ihren Platz, wie sich's
gebührt.
2. Chronik 30, 14-16
Schon lange waren breite Risse an der Hausfassade zu sehen. Jeder, der
vorbeikam, sah die Schäden und wunderte sich, dass niemand für Abhilfe sorgte.
Eines Tages geschah dann das Unglück. Ein ganzer Teil der Außenmauer
stürzte zusammen und fiel krachend in die Tiefe. Die Feuerwehr rückte an, um
die Reste des Hauses zu sichern. Mit Balken und Trägern versuchten sie, Mauer
und Dach abzustützen.
Da entdeckte plötzlich ein Feuerwehrmann, dass da im 3. Stock noch Leute
waren. Er wagte sich mutig in das gefährdete Haus und sah, wie dort einige
Männer neue Tapeten auf die rissigen Wände klebten.
»Raus!« brüllte der Feuerwehrmann. »Das Haus
ist am Einstürzen!«
Aber die drehten sich nicht einmal um. »Direkt aufdringlich!« meinte einer, während er fortfuhr, seine Tapete
einzukleistern. »Der will uns einen Schrecken einjagen!«
sagte der andere und mühte sich mit großer Sorgfalt, die Tapete so an die Wand
zu drücken, dass die Muster genau zusammenpassten.
Ob nicht manche Reform in der Kirche einer ästhetischen Ausbesserung auf
einer rissigen Wand ähnelt?
Neue Liturgien werden eingeführt. Das Gesangbuch wird auf den neuesten
Stand gebracht. Das Gemeindeleben gibt sich zeitnaher, und die Verwaltung wird
gestrafft. Das mag gut und wichtig sein. Nur, was nützt das alles, wenn Gott
gegen sein Volk steht und Versäumnisse und Ungehorsam heimsucht? Er fordert
mehr als nur ein paar kosmetische Reparaturen. Er will eine Reformation an
Haupt und Gliedern.
Ein merkwürdiges Fest wird Jahr um Jahr in unseren evangelischen Kirchen
gefeiert. Es ist kein freudiger Anlass. Schämen müsste man sich da, am
Reformationsfest.
Was soll denn gefeiert werden? Wäre es nicht besser, an diesem Tag in
Trauer und Reue zu verharren? Dann könnten Christen sich erschütternd bewusst
machen, wie schlimm die Kirche ihrer eigentlichen Sendung von Gott her untreu
werden kann.
Man könnte glauben, das Bild stamme aus einer unwirklichen
Zukunftsvision: Menschen gaben sich als Stellvertreter Jesu aus, obwohl ihr
Leben so verkommen war, dass es jeder Beschreibung spottet.
Damals stand ein ganzer Kontinent unter dem Zeichen des Kreuzes. Überall
in Städten und Dörfern standen Kapellen und Kirchen. Priester bevölkerten das
Land. Eine Menge christlicher Feste wurde gefeiert. Auch das öffentliche Leben
war ganz stark von der Frömmigkeit geprägt.
Doch die Fäulnis hinter dieser christlichen Maskerade stank zum Himmel.
Ein Todesgeruch lag über dem Land. Aus dem Leib Christi, seiner Gemeinde, war
ein verwesender Leichnam geworden.
Es war kennzeichnend für den Schlaf der Sicherheit damals, dass jede
warnende und kritische Stimme sofort verworfen wurde. In einem schier
grenzenlosen Hochmut wurde sie als Lüge und »antikirchlich« verdammt. Es gab
keine selbstkritische Prüfung im Licht Gottes. Die Kirchenorganisation hatte
sich selbst mit der Sache Gottes in eins gesetzt. So konnte jede mahnende
Rückfrage nur als Gotteslästerung empfunden werden.
Trotz der offenkundigen und weithin sichtbaren Schäden gefiel die Kirche
sich damals selbst, weil sie Anerkennung durch Staat und Öffentlichkeit genoss.
Aber es war nur eine weltliche Macht. Keine geistliche Vollmacht stand
dahinter, die neues Leben hätte vermitteln können. Auch der Glanz war nur aus sehr
durchsichtigen Gründen von der Welt verliehen. So war eigentlich alles, was an
Kirchenschein prangte, letztlich nur das Kennzeichen einer Scheinkirche.
Auch der große Zulauf von Menschen änderte daran nichts.
Es ist die befreiende Botschaft Jesu, dass eine Umkehr möglich ist.
Überall wo Jesus predigte, in der Synagoge oder auf der Straße, stellte er die
Dringlichkeit einer konkreten Buße heraus.
Leider gibt dieses Wort heute zu Missverständnissen Anlass. Seitdem die
Polizei ihre »Bußgeldbescheide« verschickt, steht dieses Wort für Strafmandate.
Jesus wollte etwas ganz anderes, wenn er zur Buße aufrief. Von einem
falschen Weg sollte man umkehren und Gott gehorsam werden. Entschlossen ist das
Steuer herumzureißen und die richtige Fahrtroute einzuschlagen.
Auch wenn das Wort in Misskredit geraten ist, die Sache der Buße muss
von uns heute begriffen werden. Das stellt jeden einzelnen Christen in die
Verantwortung vor Gott. Wir können ihm nicht dienen, wenn wir gleichzeitig
seine Gebote brechen und den Heiligen Geist betrüben.
Dasselbe gilt von der Gemeinde. Für das Wirken Gottes unter seinem Volk
wird es entscheidend wichtig sein, ob hier ein Geist der Buße, der Beugung und
der Reue herrscht. Da wird man sich vom Wort Gottes, das ins Gewissen trifft,
immer wieder in Frage stellen lassen müssen. Und an der Heiligkeit Gottes haben
sich auch alle anderen Aktivitäten der Gemeinde messen zu lassen.
Die öffentliche Volksbewegung der Reformation hatte darin ihre Kraft,
dass die Buße ganz neu als die Tür zur Erneuerung des Lebens begriffen wurde.
Buße wurde als ein fröhlicher Schritt in die Fülle des Lebens verstanden. Darum
wurde betont, dass das ganze Leben eine einzige Buße sein solle.
Von den damaligen Verwaltern der Kirche wurde eine solche Umkehr
verworfen. Mit ihrer Weigerung zeigten sie nicht nur, wie weit sie sich von
Gott und seinem Wort entfernt hatten. Sie verbauten sich selbst die Tür zu
Gottes Wirken.
Auch in den nachfolgenden Jahrhunderten der Kirchengeschichte lief es
manchmal ganz ähnlich ab, auch bei evangelischen Kirchen. Geistliche Kritik und
Rufe zur biblischen Erneuerung wurden überheblich abgewürgt. Man tat so, wie
wenn Gottes Segen unverlierbar in die Institution eingeschlossen wäre. Die
Mahner hat man dann oft genug aus der Kirche hinausgetrieben, nur um Ruhe zu
haben.
Ob wir uns das heute auch leisten können? Sollten wir nicht viel
sorgfältiger und selbstkritischer urteilen, wenn Schäden der Kirche beim Namen
genannt werden? Müssten sie nicht sehr genau im Licht der Bibel geprüft werden?
Wenn Gott zur Buße ruft, möchte er an alte Segenszeiten wieder
anknüpfen. Er will seine vom Götzendienst und vom Unglauben überfremdete
Gemeinde erneuern und zu neuem Leben erwecken.
Überhaupt keine Gemeinde, egal wo sie sich in dieser Welt versammelt,
ist frei von der Gefahr, von Zeitströmungen, Menschenmeinungen oder religiösen
Irrlehren überschwemmt zu werden. Wer dies weiß, wird oft erschrocken fragen:
»Herr, bin ich's?« Er wird darum bitten, dass ihm die
Augen geöffnet werden, seine Versäumnisse und seine Schuld klar im Licht Gottes
zu sehen.
Wenn die Buße fehlt und man nicht mehr konkret sagen kann, welche
Verfehlung und Schuld man aufgeben will, wird die Predigt von der Vergebung
leicht zur billigen Gnade.
Lass doch dein Licht
auslöschen nicht!
Mir scheint es nicht richtig zu sein, wenn heute unter Christen ein
Geist der Resignation herrscht. Wenn wir auf uns sehen, dann kann man zwar
verzagt sein. Das Evangelium zeigt uns jedoch, dass Jesus Christus alle Macht
hat im Himmel und auf Erden. Es gibt keinen Punkt im Heilsplan Gottes, der uns
nicht Mut machen würde, in den nächsten Jahren große Erweckungen zu erbitten.
Gott will auf unsere Gebete antworten.
Auch wenn heute der Abfall von Gott bis weit in die Christenheit hinein
beängstigend fortgeschritten ist, so habe ich doch große Hoffnung. Gottes Ernte
ist noch lange nicht eingebracht.
Der Gott, der Jesus von den Toten auferweckt hat, will heute sein Reich
bauen und seine Gemeinde aus allen Völkern und Nationen sammeln. Er will heute
bestimmt nicht weniger tun als in früheren Jahrhunderten.
Hoffnungslos und verzweifelt schauen heute viele unserer Zeitgenossen in
die Zukunft. Unsere Welt ist von Angst geprägt. Überall wird von trostlosen und
dunklen Aussichten gesprochen. Oft genug verschmachten auch Christen in dieser
letzten betrübten Zeit aus Furcht und Warten der Dinge, die da kommen sollen.
Da kann es weit gesehen werden, wenn wir das Licht des Glaubens und der
Zuversicht hineinleuchten lassen in die dunkle Welt.
Schon Aaron war der Dienst zugewiesen, die Lampen im Heiligtum Israels
herzurichten, dass sie vor dem Herrn beständig leuchteten. Auch in der längsten
Nacht durften diese Lichter nicht verlöschen.
Das ist ein Bild für den Dienst, den die Gemeinde einer glaubenslosen
Welt zu tun hat. Darum beten wir auch mit einem alten Lied: »Lass doch dein
Licht auslöschen nicht!«
Diese Welt ist verloren, wenn nicht mehr von lebendigen Gemeinden her
der helle Schein Gottes in die Herzen der verzweifelten Menschen fällt.
Hier muss sich jede Gemeinde fragen lassen, welchen Lichtschein sie zu
geben vermag. Will sie mit ihrer modernen Weltoffenheit anziehend wirken? Oder
will sie mit ihrem Eintreten für Recht und Gerechtigkeit leuchten? Oder möchte
sie durch attraktive Mitarbeiter Menschen gewinnen?
Das kann alles dazugehören und mag Bedeutung haben. Es wäre aber arm um
eine Gemeinde bestellt, wenn sie nicht weithin sichtbar durchscheinend wäre für
das Licht der Welt, das in Jesus Christus zu uns gekommen ist. Dann wird eine
Gemeinde viele lebendige Erfahrungen im Glauben machen. Und doch wird sie nicht
nur von sich und ihren Gefühlen reden. Durch das helle Licht des Evangeliums
ist ihr die ganze Gabenfülle aufgeschlossen, die Gott ihr und der Welt in Jesus
Christus schenken will.
Was eine Gemeinde der Welt zu geben hat, kann im Letzten nur der helle
Lichtschein Jesu Christi sein. Allein von seinem Brennen nehme unser Licht den
Schein.
Viele Menschen wenden sich heute enttäuscht von der Kirche ab. Ich bin
aber überzeugt, dass in vielen eine große Sehnsucht nach Gott lebt.
Die heutige Gestalt der Volkskirche bietet eine groß-artige Chance, den
vielen Menschen nachzugehen, die ohne Kontakt mit der Kirche leben. Überall
wird man freundlich aufgenommen. Fast jeder zeigt sich erfreut, wenn man ihn
aufsucht. Der Besuch vom Pfarrer oder von einem anderen Mitarbeiter war schon
seit Jahren erwartet worden. Bei solchen Gesprächen wird man aber auch bald
feststellen, wie sehr viele heute über das enttäuscht sind, was sie bei Christen
gefunden haben.
Die heute bei Christen eingespielten Formen allein müssen Menschen von
heute leer und unbefriedigt lassen. Jeder Mensch hat im Grund seines Wesens
Heimweh nach Gott, der ihn in dieses Leben gestellt hat. Manchmal bricht der
Hunger in einem Verlangen nach Gottes Wort durch. So kann in den Gottesdiensten
überhaupt nichts so Wichtiges wie Gottes Wort geboten werden.
Ein bekannter Schriftsteller schrieb in sein Tagebuch: »Wieder ging ich
in der Predigt völlig leer aus. Spüren die Pastoren nicht, wie ihre Predigt vor
den verlesenen Bibelworten als eitel und leer zusammensackt?«
Es gibt heute Gottesdienste, in denen zwar von Frieden, Umwelt,
Zärtlichkeit und Menschenrechten gesprochen wird, aber ein Bibelwort nicht
einmal mehr als Text verlesen wird.
Prof. Dr. George Peters, der Gründer des Seminars für missionarische
Fortbildung der Arbeitsgemeinschaft evangelikaler Missionen in Korntal,
schreibt in seinem wichtigen Buch »Gemeindewachstum« (Liebenzell 1982, S. 187):
»Zweifellos ist vieles, was sich heute Kirche nennt, nicht wirklich Gemeinde
Jesu Christi, sondern eine religiöse Einrichtung zur Aufrechterhaltung der
eigenen heiligen Traditionen. Diese Traditionen sind reich an Ritualismus und
Symbolismus, aber arm an Botschaft; ihre Form lässt das Herz leer und
unbefriedigt. Die religiöse Einrichtung gibt eine Schlange statt einen Fisch
und einen Skorpion statt ein Ei (Lukas 11, 11-12). Es ist daher nicht
überraschend, dass Massen von Menschen religiösen Einrichtungen den Rücken
kehren und zu tätigen lebendigen Gruppen und Bewegungen hingezogen werden. Die
Kirche kann die Schuld dafür auf niemand abwälzen. Es war nicht die Welt, die
die Menschen weggezogen und gefangen genommen hat, sondern vielmehr die Kirche,
die sie weggetrieben hat, indem sie das Evangelium vom Herrn der Kirche
aufgegeben hat. Sie hat ihren eigenen Leuten das Brot des Lebens geraubt. Die
Anklage sollte man über viele Kanzeln in vielen Kirchen schreiben: >Mein
Volk tut eine zwiefache Sünde: mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und
machen sich Zisternen, die doch rissig sind und kein Wasser geben< (Jeremia
2, 13). Ein Großteil der Christenheit hat Jesus Christus als den lebendigen
Herrn durch eine organisierte Religion ersetzt. Und von dieser Religion, nicht
von Jesus Christus, haben sich die Menschen abgewandt.«
Gott weicht in seiner Geduld auch heute nicht von der Gemeinde, die ihn
so oft verleugnet. Darum bin ich nicht mutlos. Er hat bestimmt für unser Volk
noch Großes vor. Und auch für die Welt!
Ich will heute nicht müde meine Sense in die Ecke stellen, während mein
Herr mich auf sein Erntefeld schickt. Er spricht von viel Frucht, die jetzt
eingebracht werden soll. Das Feld ist reif zur Ernte! (Johannes 4, 35).
Ich weiß, dass du weder kalt
noch warm bist. Ach, dass du kalt oder warm wärest! Weil du aber lau bist und
weder warm noch kalt, werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.
Offenbarung 3, 15-16
Überall wird mit großem Einsatz und viel Mühe versucht, neues Leben in
den alten Kirchen hervorzubringen. Warum aber scheitern die guten Konzepte und
die aufrichtigen Bemühungen so häufig?
Keiner wird diesen Programmen absprechen können, dass sie gut und
gründlich durchdacht sind. Niemand soll meinen können, es fehle am ehrlichen
und lauteren Willen der Betreiber. Nicht halbherzig, sondern fast immer mit
breiter Unterstützung und viel Aufwand wurden die Experimente gemacht.
Ich kann mir nicht denken, dass noch gründlichere Analysen über den
schwindenden Einfluss der Volkskirchen erstellt werden müssten. Die Statistiken
sind umfassend und erdrückend. Alle Zusammenhänge des Gemeindelebens sind
soziologisch, kommunikationswissenschaftlich, pädagogisch, psychologisch,
theologisch und bestimmt auch volkswirtschaftlich genauestens durchleuchtet
worden. Nichts wurde ausgelassen oder versäumt.
Und doch erinnere ich mich mit Grauen an Tagungen, die dies zum Thema
hatten. Bedrückt wurde unter dem Eindruck der kirchlichen Nöte diskutiert. Aber
selbst in stundenlangen Debatten hatte man oft keine fünf Minuten Zeit für eine
Gebetsgemeinschaft, wo man das alles hätte Gott vor die Füße legen können.
Warum hat nicht einer seine Bibel herausgeholt und vorgelesen: »Es soll nicht
durch Heer oder Kraft geschehen, sondern durch meinen Geist, spricht der Herr
Zebaoth« (Sacharja 4, 6). Das hätte doch die Sachlichkeit der Zahlen und Thesen
nicht überflüssig gemacht. Im Gegenteil, das hätte menschlichem Bemühen und
Einsatz erst Sinn gegeben,
Aber wie tief darüber selbst kirchliche Fachleute im unklaren
sind, wird schnell offenbar, wenn nur ein Tagungsteilnehmer den Vorschlag des
Gebets macht. Im Nu wird er sich mit allerlei möglichen und unmöglichen
Missdeutungen konfrontiert sehen: »Sind wir Ihnen nicht fromm genug?« - »Wenn er will, kann er ja ein Gebet sprechen. Wir
machen aber jetzt weiter!« - »Wollen Sie den anderen
den Glauben absprechen?« - »Zum Beten hatten wir lange
Zeit, heute sind Taten fällig.«
Dabei sind die meisten kirchlichen Mitarbeiter deshalb kraftlos, weil
sie selbst schon lange den Leerlauf spüren. Sie klammem sich voll Hoffnung an
eine vielleicht irgendwann noch machbare Lösung und schöpfen ihre Zuversicht
allein aus der Irrationalität des Glaubens. Wer viel im Dienst enttäuscht
wurde, wird am Ende verbittert sein: Auf so viel treue Hingabe und große Mühe
hin wurde keine Frucht sichtbar.
Das ist ein seelsorgerliches Problem. Wie kann man frustrierte
kirchliche Mitarbeiter auf die fehlende geistliche Vollmacht hin ansprechen?
Werden sie nicht den Eindruck gewinnen müssen, als ob man alle Schuld an der
gegenwärtigen Misere allein auf sie abladen wolle?
In der Friedenssehnsucht unserer Tage wirkt das Wort »Kampf« wie ein
Überbleibsel aus fremden Tagen. Dabei stehen Christen in einem großen Kampf,
demgegenüber das Ringen mit dem eigensüchtigen Fleisch und mit den Begierden
des Bluts nur als unbedeutend bezeichnet werden kann. Dabei scheitern wir schon
in diesem Kampf täglich hoffnungslos.
Nun rechnen eine ganze Reihe von Christen überhaupt nicht mit den
Angriffen des Teufels. Sie leugnen die Existenz einer solchen Großmacht. Ganz
anders Jesus Christus. Er nannte ihn den »Fürsten der Welt«. Die Apostel
warnten vor seinen Zerstörungen. Sie erlebten, dass er »umhergeht wie ein Löwe
und sucht, wen er verschlingen kann« (1. Petrus 5, 8).
Nur ein Ziel kennt diese Macht der Finsternis: Gottes Herrschen und
Wirken in der Welt soll verhindert werden. So zeigte Jesus in einem Gleichnis,
wie der Satan kommt, wenn das Wort Gottes verkündigt ist, und wegnimmt, was da
ins Herz gesät worden ist (Markus 4, 15; Matthäus 13, 19). Paulus erlebte es in
seinem Predigtdienst, wie »der Gott dieser Welt den Ungläubigen den Sinn
verblendet hat, damit sie das helle Licht des Evangeliums nicht sehen« (2. Korinther
4, 4).
Wer irgendwo im Dienst. Gottes steht, sollte sich dies dauernd
vergegenwärtigen. Wir könnten dann bestimmt nicht mehr so harmlos und manchmal
auch naiv an die Aufgaben herangehen. Schließlich sind Mitarbeiter Gottes keine
routinierten Handwerker, die alle Pannen in den Griff bekommen. Sie sind auch
keine tüchtigen Geschäftsleute, die immer Erfolg haben müssen.
Jede Arbeit im Reich Gottes übersteigt Kraft und Können auch des
Mächtigsten. Keiner verfügt von sich aus über den Schlüssel zu den Herzen
derer, die er erreichen will. Keiner kann mit seiner Kraft und mit seinen
Fähigkeiten Menschen aus der Gottlosigkeit herausholen. Keiner kann allein mit
seinem Reden Angst und Traurigkeit besiegen.
Nun hat aber Jesus seinen Jüngern Macht gegeben über alle Gewalt der
Finsternis. Wir können im festen Vertrauen auf ihn große Durchbrüche erwarten.
Was wir auch wirken, es wird bleibende Frucht nur sein, wenn es im Glauben
getan ist. Jesus Christus hat uns dazu bestimmt, dass wir hingehen und Frucht
bringen, und diese Frucht dann auch Bestand hat.
»Sollen wir vielleicht noch mehr Gottesdienste in unser Programm
einplanen?« werden manche fragen. Dabei geht es doch
niemals um irgendeine Vermehrung von Verkündigungsterminen. Die Frage heißt
ganz einfach, ob das Wort uns durchdringt und im Glauben mutig und fest macht.
Es geht um eine qualitativ tiefere Wirkung.
In meinem Pfarrdienst hat es mir tiefe Eindrücke gemacht, wie junge
Leute in kürzester Zeit für große Aufgaben gereift und gewachsen sind. Da gab
es oft anfangs schwerwiegende Bedenken gegen die Berufung eines jungen
Mitarbeiters. Er hatte ja auch seine Leistung noch nicht unter Beweis gestellt.
Dort aber, wo eine bewusste Hingabe im Glauben an Jesus Christus gegeben war,
konnte man viel wagen. Gott gibt auch die Gaben je nachdem, wie der Dienst übertragen
wird.
Der schlimmste Tadel, den Jesus in der Bibel über eine Gemeinde
ausgesprochen hat, lautet so: »Mittelmäßig temperiert!«
Dabei war jene Gemeinde von Laodizea bestimmt stolz auf ihre ausgewogene und
für niemand anstößige Gemeindearbeit. Sie bot für jeden etwas.
Aber Jesus kann nur Christen brauchen, die für ihn glühen. »Ach, dass du
heiß wärest!« Nur in einer ganz rückhaltlosen Hingabe an ihn sind wir
brauchbare Werkzeuge in seinem Dienst.
Darum kann dann Jesus auch schockieren, wenn er urteilt, die Christen in
Laodizea wären besser eiskalte Atheisten geblieben als solche lauen und
unentschiedenen Mitläufer.
Es kommt ihm in erster Linie überhaupt nicht darauf an, was wir an Gaben
für ihn einbringen. Viel wichtiger ist doch, ob wir uns ihm ganz zur Verfügung
stellen. Das kann ein schon vom Tod gezeichneter Körper sein oder ein alter
Mensch, dessen Kraft gebrochen ist.
Darum möchte ich auch nie die Hoffnung aufgeben, wenn mir eine Gemeinde
müde oder schläfrig erscheint. Was kann dort ein einzelnes Gemeindeglied doch
wirken, wenn Jesus Raum gegeben wird! Die Ausstrahlungskraft einer Gemeinde
hängt dann meist nicht von dem ab, was man bei einem flüchtigen äußerlichen
Urteilen meint. Es kann uns lange Zeit verborgen bleiben, wie in aller Stille
treu Glaubende Werkzeuge Gottes waren, die viel bleibende Frucht wirkten.
Man könnte darüber erschrecken, wie viele Methoden zur
Gemeindeerneuerung angeboten werden. Ich möchte meinen, dass es viele Wege gibt.
Gott liebt die Originalität und die Eigenheit seiner Leute. Darum sollte man
möglichst wenig an der äußeren Form kopieren.
Kein Rezept zur Gemeindebelebung kann ich empfehlen, wenn es nicht am
Anfang und dann ganz bestimmend zu einer neuen und unmittelbaren
Christusbegegnung hinführt. Das haben auch altgediente
Mitarbeiter dringend nötig.
Das darf auch nicht ein Punkt unter vielen sein in den Aufgaben der
Gemeinde. Dies muss vielmehr in allen Programmen die beherrschende Mitte sein,
von der her alle anderen Dienste und Tätigkeiten einer Gemeinde ihre Kraft und
ihr Leben bekommen.
Es könnte sein, dass Mitarbeiter darüber schon oft gepredigt haben und
es auch anderen mahnend sagten. Und dennoch wird man sich schwer tun, es bei
sich selbst immer wieder zu verwirklichen.
Davon lebt eine Gemeinde, dass sie Ausleger des Wortes Gottes hat, die
immer selbst zuerst für sich schöpfen und gestärkt werden. Dann können sie es
auch in ihrem Reden als Zeugen bestätigen und mit ihrem Leben unterschreiben.
Heute werden Seelsorger gesucht - keine Techniker, sondern solche, die
ihre eigene Seele nicht haben verwahrlosen lassen. Sie müssen an sich selbst
erfahren haben, wie Vergebung Jesu die Wunden in der Tiefe der Seele heilt.
Es wäre schon merkwürdig, wenn wir Menschen für Christus gewinnen
wollten, aber das eigene Herz würde nicht brennen.
Darum ist der entscheidende Schritt zur Erneuerung und Erweckung einer
müden Gemeinde, dass sie sich auf das Wesentliche des Glaubens konzentriert.
Ohne hartes und entschlossenes Ringen wird das nicht gelingen können. Und im
persönlichen Leben ist das nicht anders als in der Gemeinde.
Mir hat es in meinem Gemeindedienst sehr geholfen, von Anfang an viele
Verpflichtungen einfach zu streichen. Das ist sehr schwierig. Die Kreise und
Veranstaltungen haben ihre eigene Bedeutung. Wenn sie über eine eigene Leitung
verfügen, ist es meist problemlos. Da aber die meisten Mitarbeiter einer
Gemeinde überlastet sind, kommt man auf dem Weg zu einer lebendigen Gemeinde
ohne eine Kürzung des Betriebs wirklich nicht weiter.
Wenn Mitarbeiter überarbeitet und nur noch rotierend überreizt im Dienst
stehen, ist der Schaden wahrscheinlich weit größer als der Nutzen. Denn hier
entsteht geistlicher Schaden, der zerstörend in die Tiefe wirkt.
Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass jede Kürzung und jede
Streichung weh tut und bedauerlich ist. Es ist sehr schmerzlich, wenn auch
dringend benötigte Dienstgruppen für eine bestimmte Zeit in ihrer Arbeit ruhen
müssen.
Auf keinen Fall darf in der Sammlung um das Wort Gottes und beim Gebet
rationalisiert werden. Das bleibt die einzige Kraftquelle, wo alle Mitarbeiter
neue Freude schöpfen.
Durch die Verzettelung im Vielerlei kommt die Müdigkeit auf. Auch wenn
noch die großen Taten Gottes verkündigt werden, so sind doch die matten Ohren
und die müde Seele nicht mehr fähig, das aufzunehmen. Als wären
es leere Worte, hohl und nichts sagend, überfällt die Hörer eine Schläfrigkeit.
Die Gemeinde könnte denken, ihr würde etwas von einer fernen dogmatischen Geisterwelt
erzählt. Die Treuen nicken weiterhin ergeben und fromm und sagen »Ja«, aber ihr
Gähnen können sie nur mühsam unterdrücken.
Da müssen wieder viele Glaubende mitten aus der Gemeinde es mit eigenen
Worten bezeugen, was sie selbst im Glauben erlebt haben. Wir leben doch nicht
in einem Museum Gottes, wo alte Schätze aus längst vergangenen Tagen
konserviert werden. Wir haben Jesus Christus, den auferstandenen Herrn, mitten
unter seiner Gemeinde und freuen uns seiner Nähe und warten auf sein wunderbares
Tun.
Nichts halte ich von jenen Aufmöbelungsprogramrnen,
die rasch neues Leben in etwas verstaubten Gemeinden versprechen. Sie erinnern
mich immer an jene Medikamente, die kurzfristig das Fieber herunterdrücken.
Aber wenig später treibt es wieder in die Höhe, weil die furchtbare Krankheit
in der Tiefe nicht geheilt ist.
Es scheint mir sehr gefährlich zu sein, dass viele Christen heute durch
neue Programme und Methoden völlig in Atem gehalten sind. So gut sie auch
ausgedacht waren, sie führen doch weiter von der Heilung weg. Das ist ja die
Krankheit und der schwere Schaden, dass Gottes Kraft und seine Macht nicht in
uns wirken kann.
Da hilft uns nicht irgendein Name eines besonders mit Gaben gesegneten
Evangelisten. Da hilft uns keine besondere Handauflegung allein. Es muss zu
einer neuen Glaubenshingabe an Jesus Christus, unseren Herrn, kommen. Wann
endlich wird uns Jesus Christus ganz und völlig in seinen Dienst nehmen können?
Nicht unser Tun darf im Mittelpunkt einer Gemeinde stehen. Eine
lebendige Gemeinde sammelt sich um den gegenwärtigen Herrn und um sein Wort.
»Ich möchte nur ihn erkennen und die Kraft seiner Auferstehung!« - So fasste es Paulus zusammen (Philipper 3, 10). Darum
wird eine Gemeinde nie aufhören können, von dem wunderbaren Tun Gottes zu
berichten und zu erzählen, der sie aus der Finsternis zu seinem wunderbaren
Licht berufen hat.
Einer lebendigen Gemeinde wird davon der Mund voll sein. Sie muss immer
und überall davon reden, anschaulich und praktisch.
Darum hat sie auch viel in der Welt heute zu sagen.
Darum legt
alle Unsauberkeit und alle Bosheit ab, und nehmt das Wort bereitwillig an, das
in euch eingepflanzt ist und das eure Seelen retten kann. Seid aber Täter des
Worts und nicht nur Hörer; denn sonst betrügt ihr euch selbst.
Jakobus 1, 21-22
Welch ein Schatz ist die Bibel!
Dennoch müssen wir uns mit der Tatsache auseinandersetzen, dass
ausgerechnet das Bibellesen viele Christen in einen Schlaf der Sicherheit
geschaukelt hat.
Es sind ja meist Christen, die ärgerlich den Kopf schütteln: »Warum
sollen wir denn eine Erweckung brauchen? Die Kirche steht noch im Dorf. Die
Bibel liegt noch immer an ihrem Platz auf dem Altar. Auch den Konfirmanden wird
sie feierlich überreicht.«
Aber die Frage kann trotz all dem nicht von der Hand gewiesen werden, ob
nicht weithin das Erbe der Reformation Unter uns geschwunden ist. Auch die
Impulse der Erweckungsbewegung sind an vielen Orten nicht mehr wirksam.
Bibellesen macht nicht selig. Sonst hätten die Schriftgelehrten, mit
denen sich Jesus stritt, schon längst zu einer klaren und eindeutigen
Gotteserkenntnis gefunden. Sie konnten ganze Bücher des Alten Testaments
auswendig aufsagen. Aber in ihrem Gewissen waren sie von Gottes heiligem Wort
nicht überführt.
So hat Jesus ihnen vorgehalten: »Ihr meint, ihr hättet in der Schrift
das ewige Leben!« Aber so, wie sie die Schrift
gebrauchen, merken sie überhaupt nicht, was die sagen will. Und darum finden
sie in ihr das ewige Leben nicht, sondern fahren mit ihrer ganzen
Schriftkenntnis zur Hölle. So täuschen sie sich.
In den geistlichen Frühlingszeiten waren es dann auch die Bibelausleger
und Seelsorger, die vor einem selbst-verständlichen Bibellesen gewarnt haben.
Entscheidend ist, wie man die Bibel liest. Sie haben geklagt, man fände
nirgends in der Welt so viel Laues und Schläfriges wie bei denen, die Gottes Wort lesen und sich dabei mit ihrem unbekehrten
Herzen sehr sicher vorkommen.
Das Wort Gottes zielt auf das Gewissen. Nur dann wird es richtig gelesen
und verstanden, wenn es in die Arme des Erlösers und Heilandes Jesus treibt.
Welcher Bibelausleger hat recht?
Verwirrend können die vielerlei Meinungen über die Bibel wirken. Manche
Auslegungen sind unvereinbar gegensätzlich. Doch das spricht nicht gegen die
Bibel, sondern gegen uns.
Luther vergleicht einmal in seiner Psalmenvorlesung
unsere Art des Umgangs mit der Bibel mit einer »wächsernen Nase«, die man nach
seinen eigenen Gedanken zurechtdrücken will. Wer hat das noch nicht probiert,
die Bibel an die eigenen Gedanken anzupassen?
Das wäre eine schlimme Not, wenn wir uns heute nicht mehr demütig unter
Gottes Wort beugen könnten. Schon sprechen einige laut davon, dass man heute
für das Ende des 20. Jahrhunderts eigentlich die Bibel ganz neu schreiben müsste.
Deutlicher könnte kaum sichtbar werden, wie leicht die Schärfe und das
Unbequeme der Offenbarung Gottes umgebogen und damit stumpf gemacht wird.
Luther klagte die an, die das heilige Wort Gottes zugunsten ihrer
»närrischen und unbeständigen Meinungen« und Auslegungen missbrauchen. Sie
bringen es so weit, dass Gottes Wort, das doch für alle passen soll, keinem
mehr passt. »Aber wie das Eisen alles zermalmt und zerschlägt, so zermalmt auch
das Wort Christi alles Große. Es demütigt die Stolzen. Bringt alles Verdrehte zurecht. Züchtigt die Zuchtlosen. Beugt die Hocherhabenen.
Beschwichtigt die Zornigen. Macht die Geizigen freigebig, die Ungelehrten
gebildet, die Weisen zu Narren.«
Das Bibelwort wird auf den Hörer immer als ein fremdes Wort treffen
müssen, um wirklich durchschlagen zu können. Dann kann ans Licht gezogen
werden, was als Sünde versteckt vergiftet. Wenn aber das Wort Gottes nach
unserem Denken umgebogen ist, kann es nicht mehr treffen und auch nicht mehr in
das Helle vor das Angesicht Gottes ziehen.
Manfred Hausmann warnt vor einer Anpassung der Bibel, weil dadurch die
unmittelbare und aktuelle Wirkung des biblischen Wortes zerstört wird: »Als ob
es möglich wäre, die Bibel den Bedürfnissen des modernen Menschen anzupassen!
Das Wort Gottes passt sich nicht an, sondern schlägt zu. Wer von Anpassung
redet, der verfälscht das Wort Gottes von Grund auf. Er verfälscht den Sinn des
Kreuzes, er verfälscht die Botschaft des Ostermorgens und das Wetterleuchten
des Jüngsten Tages. Er verfälscht alles und jedes.«
(Das abgründige Geheimnis, Neukirchen, S. 104f.)
Man sollte auch nicht so tun, als ob irgendwelche Denkvoraussetzungen
zum Lesen der Bibel nötig wären. Sie ist für den, der aufrichtig nach Gott
sucht, nicht schwer verständlich, wenn sie betend gelesen wird.
Es war reformatorische Erkenntnis: Ein einfacher Mensch kann das Wort
richtiger auffassen als der Gelehrte, wenn er dabei lebendig und erwärmt wird,
während der andere mit all seinem Wissen kalt bleibt.
In Kirchen und Gemeinden wird heute grundverschieden über die
Eindeutigkeit und Zuverlässigkeit des biblischen Wortes gedacht. Für weite
Kreise der Gemeinden ist die Autorität und Reinheit des biblischen Wortes tief
erschüttert. Eine kritische Einstellung zur Bibel hindert die Freude am Wort
und das Vertrauen.
In einer Kirche des Wortes Gottes muss eine solche Bibelnot sich lähmend
auf alle Bereiche der Gemeinde auswirken. Wenn das Wort der Bibel seiner
verpflichtenden Autorität beraubt ist, wird das Hören, wie ein Jünger hört,
kaum mehr möglich sein.
Wo heute Erweckung der Kirche gewollt wird, muss vorher in der
Bibelfrage Klarheit herrschen. Jeder Christ muss sich bewusst machen, wo er
steht und ob Gottes Wort in der Bibel für ihn unbedingte Norm des Glaubens und
Lebens ist.
Interessant dürfte sein, hier die Position Jesu zu überprüfen. Er hatte
schon von den Schriften des Alten Testaments eine unvergleichlich hohe Meinung.
Diesen Schriften unterwarf er sich ohne jede Einschränkung und ohne
irgendwelche Korrektur. Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Begründung für
diesen Schritt Jesu: Er wollte darin dem himmlischen Vater gehorsam sein.
Nicht zu deuteln ist auch an seinem Bekenntnis: »Die Schrift kann nicht
gebrochen werden!« (Johannes 10, 35). Von daher wird
es für Bibelleser geboten sein, wohl die Gabe ihres Denkens voll in Anspruch zu
nehmen, gleichzeitig aber alle Vernunft unter den Gehorsam Christi gefangen zu
nehmen (2. Korinther 10, 5). Dies ist für uns kein blinder Schritt. Es hat doch
schließlich eine entscheidende Bedeutung auch für uns, ob Jesu Lehre auch in
der Schriftfrage von Gott war oder nicht.
Nun könnte es aber auch heute so sein, dass wir häufig fruchtlos über
das verlässliche und wahre Wort der Bibel diskutieren, weil wir zu wenig auch das aktuelle Wirken Gottes im Gewissen durch sein Wort mit
einbeziehen.
Gott hat durch seinen Geist ganz unzweifelhaft schon bei der Abfassung
der biblischen Schriften mitgewirkt. Aber auch heute ist dieses Wort Gottes
ganz eng verknüpft mit Gottes heiligem Geist, der neues Leben schenkt. So
werden durch dieses Wort Gottes Christen klar geführt, so dass man sagen kann:
Sie werden in alle Wahrheit geleitet. »Sie werden die Wahrheit erkennen, und
die Wahrheit wird sie frei machen« (Johannes 8, 32).
Ob die Gemeinden, Gruppen und Gemeinschaften heute vom Geist Gottes
erneuert werden können, hängt dann vor anderem zuerst davon ab, ob Christen
sich demütig und lernbereit unter das Wort Gottes stellen und sich von ihm
unterweisen lassen. Nur dann kann Gottes Geist Schuld aufdecken, lehren,
bessern und zur neuen Gerechtigkeit des Lebens erziehen.
Es lässt sich in der Geschichte der Christenheit ganz deutlich zeigen:
Wo die Reinheit der biblischen Botschaft angezweifelt und Gottes Wort durch
Menschengedanken verdunkelt wurde, kamen schwere Krisenzeiten für die Kirche.
Und umgekehrt waren es Zeiten der Erneuerung, des geistlichen Wachsens und der
Tat des Glaubens, wenn erkannt wurde: »Jesus Christus, wie er in der Heiligen
Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im
Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben« (1. These der Banner
Theologischen Erklärung 1934).
So tut nun Buße und bekehrt euch, damit eure
Sünden getilgt werden; dann werden Zeiten der Erfrischung vom Herrn kommen.
Apostelgeschichte 3, 19-20
Überall in der Welt erleben wir heute mächtige Erweckungen. In kleinen
und oft auch von außen hart bedrängten einheimischen Gemeinden ist der Andrang
groß. Die kleinen, kümmerlichen Kirchen sind überfüllt, obwohl mehrmals
nacheinander Gottesdienst gehalten wird. Oft fehlen ausreichend Mitarbeiter,
.um die vielen Taufbewerber zu unterweisen. Sprunghaft wachsen die Gemeinden.
Evangelisten ziehen in Stammesgebiete, wo das Evangelium bisher noch nicht
gepredigt wurde. Auch hier entstehen neue Gemeinden.
Warum nur bleibt es bei uns in Europa so still?
Doch wer sich umschaut, erlebt auch bei uns Gewaltiges. Da entstehen an
den Gymnasien Gebetsgruppen und Schülerbibelkreise. Junge Leute gründen ohne
Mitwirkung von Hauptamtlichen eine blühende Jugendarbeit, wo viele junge
Menschen zum Glauben kommen. Unübersehbar ist die große Zahl aktiver
Hausbibelkreise. Trupps von mutigen Christen ziehen in die Fußgängerzonen der
Großstädte und laden durch ihr Lied und Wort zu Jesus ein.
Das sind nicht oberflächliche Bewegungen. Dahinter stehen
Entscheidungen, die einen völligen Bruch bedeuten. So wie in den Erweckungen in
der Dritten Welt mit Ahnenkult und Aberglauben gebrochen wird, so sind auch
alle geistlichen Aufbrüche in unserem Land durch sichtbare Taten des
Glaubensgehorsams geprägt.
Wir können durchgängig unter anderem folgende
Kennzeichen beobachten:
1. Alle unbereinigte Schuld
muss im Licht Jesu vergeben werden.
2. Im täglichen Leben darf
nichts mehr zweideutig oder zwielichtig sein.
3. Gottes Wort gegenüber
schulden wir unbedingten Gehorsam.
4. Vom ersten Tag des Christseins an muss Jesus Christus auch öffentlich bekannt
werden.
Solche Erweckungen lassen sich, wenn sie echt sein sollen, nicht organisieren.
Sie tragen auch in vielen Äußerlichkeiten ihr ganz eigenes Bild. Und sie
geschehen auch dort, wo viele schon längst die Hoffnung aufgegeben hatten.
Darum werden sie sogar oft in den traditionsreichen Landeskirchen viel
intensiver erlebt als in Freikirchen. Sie durchdringen Konfessionen und
Traditionen mit neuem Leben. Dies kann nur durch Gottes Geist geschehen, der
Menschen beruft und in ihnen jene Umkehr bewirkt, die der Anfang eines neuen
Lebens ist. Dort geschieht die Neugeburt, wo Gottes Gericht persönlich erkannt
und seine Gnade im Glauben ergriffen wird.
Träger der Erweckung verstehen sich gerne als »Volksaufwiegler«, die
Namenschristen aus einer »Friedhofsruhe« aufschrecken müssen. Leider wird da
oft die meiste Kraft verbraucht.
Auch gibt es religiöse Sondergruppen, die unter dem Deckmantel eines
geistlichen Aufbruchs ihre Sonderlehren vertreiben und gläubige Menschen an
sich binden wollen. Sie bringen neue, zusätzliche Offenbarungen oder auch
erlebbare Erfahrungen, die in die. Mitte des Glaubens gerückt werden. Immer
führen sie aber über die Bibel und auch über Jesus hinaus, der sündige Menschen
durch seine Vergebung gerecht und heilig macht.
Ganz im Gegensatz dazu zeigt sich echtes geistliches Leben in einer
tiefen Demut. Und doch lassen sich Spannungen nie vermeiden. So ist im
Bewusstsein vieler Christen bürgerliche Rechtschaffenheit, Kirchgang, der
Gebrauch der Sakramente, Konfirmation und Beerdigung an die Stelle einer
Glaubensentscheidung für Jesus Christus getreten. Kein Wunder, dass diese an
und für sich segensvollen Einrichtungen nun unter den kritischen Beschuss der
Neubekehrten kommen.
Es wäre schade, wenn die darüber ausbrechende Streiterei nur immer an
der Frage der Taufe oder des Werts einer Kirchenmitgliedschaft hängen bleiben
würde. Letztlich geht es doch viel mehr um die Notwendigkeit einer persönlichen
Entscheidung. Man sollte darüber nachdenken, wie im volkskirchlichen Raum der
Sehnsucht nach einer persönlichen Entscheidung für Christus ein neuer Platz
zugewiesen werden kann. Es sind nicht nur junge Christen, die das wünschen und
öffentlich zum Ausdruck bringen möchten.
In allen Kirchen, ganz gleich ob Freikirchen oder Volkskirche, lässt
sich das geistliche Leben nicht einfach in die nächste Generation vererben. Gott
hat nun einmal keine Enkel! So kommt es, dass in der zweiten Generation nach
einer Erweckung Formen und Leben erstarren.
Wo kirchliche Praxis nur noch äußere Routine ist, wird - wenn auch
ungewollt - das Missverständnis geschürt, als ob mit einem bloß äußerlich
traditionellen Christentum schon alles in bester Ordnung wäre. Dort werden auch
Taufe und Abendmahl nicht mehr als tröstendes Heilsangebot Gottes begriffen,
sondern als ein Schlaftrunk, der das ewige Heil unverlierbar garantiert. Das
muss zu Spannungen führen.
Darin erkennt man Gottes Wirken, dass Menschen unruhig werden und
besorgt fragen, wie sie denn mit Gott Frieden bekommen können.
Dafür haben aber manche Gemeindeglieder einfach kein Verständnis. Sie
sind so sehr von der souveränen Gnade Gottes überzeugt, dass sie schön die
ganze Welt in die geschehene Rettungstat Jesu eingeschlossen glauben. Auch die
Ungläubigen und Gottlosen sind demnach schon versöhnt. Sie wissen es nur nicht.
Man muss es ihnen eben noch sagen.
Aber auch andere in der Gemeinde werden sich gegen ein Wachrütteln
wehren. Es sind alle jene, die sehr stark die
objektiven Heilsmittel der Kirche betonen und darauf vertrauen. Dort in den
kirchlichen Handlungen ist für sie das Heil der Christen abgesichert und bedarf
keiner zusätzlichen persönlichen Antwort mehr. Sie haben deshalb auch gar kein
Verständnis für das missionarische und evangelistische Bemühen auch an
getauften Christen. Für sie ist die objektive Zugehörigkeit zur Kirche genug.
An einer Klärung mit der Bibel in der Hand werden wir nicht
vorbeikommen. Es muss allen Christen klar werden, wie oft Gottes Wort davon
spricht, dass man von Gott in Ewigkeit verstoßen werden kann, wenn man sein
Angebot der Vergebung und des Friedens verwirft.
Jesus sprach in vielen Gleichnissen von einer großen Scheidung: An dem
Gerichtstag wird das Unkraut auf dem Acker vom Weizen getrennt und verbrannt.
Oder aus dem Fischernetz werden die faulen Fische ausgelesen und weggeworfen.
Da stehen die Brautjungfern vor einer verschlossenen Tür, die ihnen nicht mehr
aufgeschlossen wird. Zwei mahlen auf einer Mühle, einer wird angenommen, der
andere verworfen.
Paulus ruft die Christen in Philippi auf: »Schafft, dass ihr selig
werdet, mit Furcht und Zittern!« Um aber dem Missverständnis
zu wehren, dass wir mit selbst gestrickter Frömmigkeit unser Heil schaffen
könnten, setzt er hinzu: »Denn Gott ist's, der in euch wirkt beides, das Wollen
und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen« (Philipper 2, 12f).
Dieses wichtige Datum steht vielen näher, als sie ahnen. »Wir müssen
alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi« (2. Korinther 5, 10). Davon
muss in Predigten und Bibelstunden gesprochen werden, weil dieses Ziel des
Lebens leicht verdeckt wird von den Sorgen der Welt und dem Rennen nach
irdischen Gütern.
Wie konnte nur die Meinung entstehen, dies sei
ein dunkles oder gar finsteres Thema? Man sollte einmal in die Psalmen
hineinschauen, wie voll Freude und Zuversicht auf jenen kommenden Gerichtstag
gewartet wird. Dann wird Gott die Erde richten und seinen Frieden bringen. Die
geschundene Natur wird sich freuen und fröhlich sein. Die »Bäume werden in die
Hände klatschen«.
Wenn wir uns aber fürchten, so ist dies ein erschreckendes Zeichen. Ist
unser Leben nicht vor Gott in Ordnung gebracht?
Wie die ersten Christengemeinden werden auch heute lebendige Gemeinden
nur in naher Erwartung der Wiederkunft Jesu Christi leben können. Angesichts
von Spannungen in der Gemeinde erinnerte Paulus die streitenden Gruppen, dass
sie einander nicht richten dürften, weil sie ja alle vor den Richterstuhl
Christi gestellt würden (Römer 14, 10).
In der evangelistischen Predigt vor den Ungläubigen wird das Thema des
Gerichts nicht ausgeklammert, sondern steht im Mittelpunkt. So hat Paulus
angesichts der Weisheit Athens, bevor er noch von Jesus sprach, auf diesen
Gerichtstag hingewiesen, wo jeder sich verantworten muss.
Wo das biblische Wort in seiner Weite und Tiefe wieder entdeckt und
verkündigt wird, wacht unter den Gemeindegliedern die seelsorgerliche
Verantwortung auf. Man wird sich an die Praxis der ersten Christen erinnern,
die sich sogar »Tag und Nacht« mit Tränen ermahnten (Apostelgeschichte 20, 31)
und durch Zuspruch im Glauben stärkten.
Dieser Dienst ist dringlich, um Menschen vor dem zukünftigen Zorn Gottes
zu erretten. Es ist allen Arten der Verkündigung abzuspüren, ob dies
seelsorgerliche Ringen überhaupt stattfindet. Da wird lebensnah und anschaulich
gesprochen werden müssen, damit jeder der Hörer sich wieder findet. In allem
geht es aber um Entscheidungen für die Ewigkeit.
Auf dem Feld der Ethik sind viele Christen verunsichert. Ein Ringen um
Heiligung des Lebens wird nicht selten als »gesetzlich« missverstanden. Auch daran
kann man die herrschende geistliche Verarmung erkennen. Da weiß man nicht mehr,
dass Gottes Ordnungen nicht einengen, sondern zum befreiten Leben führen.
Heiligung bedeutet nie Verlust oder Verzicht, sondern Gewinn. Sie geschieht aus
der großen Freude, dass Gottes Geist alle Lebensbereiche durchdringen will. Wie
soll auch das neue Leben anders realisiert werden als konkret und leibhaftig. In
einer lebendigen Gemeinde freut man sich mit, wenn Neubekehrte erste Schritte
im Glauben gehen und dabei erkennen, dass Jesus Christus die Macht des Teufels
zerstört hat. Das ermutigt andere und lädt sie zum gleichen Gehorsam des
Glaubens ein, wenn sie erkennen, wie Gottes Gnade in Herzen von verbitterten
und verzweifelten Menschen sich Raum schafft.
Oft habe ich erlebt, wie Bekehrungen und die Berichte, die solche zum
Glauben gekommene Christen gaben, für andere der stärkste Anstoß waren, sich
selbst eindeutig für Jesus Christus zu entscheiden.
Vielleicht ist in manchen Kirchen der Gottesdienst noch zu steif und
feierlich, als dass solche Berichte von der Kanzel aus gegeben werden könnten.
Dann sollten daneben andere Formen der Gemeinschaft entwickelt werden, wo
Gottes große Taten, die heute geschehen und erlebt werden, verkündigt werden
können. Versammlungen der landeskirchlichen Gemeinschaften oder Hauskreise
können dies voll nutzen.
Solches Zeugnis dürfte auch der Grund sein, dass unter den verfolgten
und bedrängten Kirchen in aller Welt so viele lebendige Gemeinden sind. Durch
staatliche Zwangsmaßnahmen wird ihnen jede öffentliche Mitwirkung verwehrt.
Auch soziale oder andere gesellschaftliche Dienste sind ihnen versperrt. In
dieser Isolierung werden sie genötigt, das Evangelium auf dem allerkleinsten
Raum, der ihnen bleibt, auszuleben. Dies führte immer wieder zu einer ganz
außergewöhnlichen Dichte des Lebenszeugnisses.
Weiter setzt das einfache Beispiel einer harmonischen Ehe oder des
geordneten Zusammenlebens von Eltern und Kindern ein weit beachtetes Zeichen
der Erneuerung durch Christus, das viele Ungläubige still beobachten.
Bei uns in der großen Freiheit wird die Ausstrahlung bestimmt nicht
weniger stark sein. Doch leider lassen es hier viele Christen an der
notwendigen Konsequenz des Glaubensgehorsams fehlen. Die beste Verkündigung
kann durch das schlechte Beispiel des Lebens der Christen vollständig unwirksam
gemacht werden.
Die Stärke der ostafrikanischen Erweckungsbewegung liegt bis heute in
ihrer vorbildlich gelebten Gemeinschaft der Christen. In den Versammlungen
freut man sich mit und erlebt unmittelbar, wie z. B. eine zerstrittene Ehe
geheilt wird. Offen bekennt man vor anderen auch seine Verfehlungen gegenüber
den Mitchristen in Lieblosigkeit und Nachrede. Da wird der Sieg Jesu erlebt,
wenn ein zum Glauben gekommener Sohn seine Eltern um Verzeihung bittet.
Manche mögen denken, solche Taten seien nun wirklich nicht groß und weltverändernd. Doch niemand sollte verächtlich lächeln.
Sind die Taten Jesu im Neuen Testament denn viel anders? Hat die Heilung eines
Aussätzigen die Ungerechtigkeit der römischen Politik und Ausbeutung verändert?
Für eine lebendige Gemeinde ist es allein entscheidend, dass Gottes
Macht und Herrlichkeit unter uns dort sichtbar wird, wo bisher 'der Teufel nur
zerstörte.
Christus hat die Gemeinde gereinigt durch
das Wasserbad im Wort, um sie als seine Gemeinde vor sich zu stellen in
herrlichem Schmuck, ohne Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen, vielmehr
heilig und untadelig.
Epheser 5, 26-27
Wer ist die Schönste im ganzen Land?
Junge bekehrte Christen veranstalten gerne solch eine Brautschau.
Welcher Gemeinde sollen sie sich anschließen? Sie stehen dabei leicht in der
Versuchung, eine ideale und vollkommene Gemeinde auswählen zu wollen.
Sie werden rasch feststellen, dass bei allen bestehenden Gemeinden viele
Mängel schon äußerlich zu sehen sind. Das führt heute eine große Anzahl von
Christen dazu, sich überhaupt keiner Gemeinde anzuschließen. Sie gründen lieber
einen Hauskreis, der aber im luftleeren Raum hängt.
Schlimm daran ist, dass sie sich von den anderen Christen getrennt
haben, bei denen Jesus Christus trotz aller Schäden dennoch wirkt.
Andere wandern wie Zugvögel nach einer bestimmten Zeit weiter zu einer
anderen Gemeinde, wo sie hoffen, alle ihre Träume verwirklicht zu finden. Nach
kurzer Zeit aber ziehen sie ernüchtert weiter.
Wenn es eine geben würde, so wäre sie in dem Augenblick, wo ich ihr
beitrete, nicht mehr rein. Ganz offen werden uns im Neuen Testament die Schäden
der urchristlichen Gemeinde von Jerusalem erzählt. Zwei Menschen ziehen eine
üble Schau ab und lügen ins Gesicht der Apostel (Apostelgeschichte 5).
Innerhalb der Gemeinde entstehen starke Spannungen, die den Dienst der Gemeinde
behindern. Einheimische und »Zugezogene« reden schlecht übereinander (Apostelgeschichte
6). Selbst Apostel denken nur an das eigene Volk und vergessen die Sendung zu
den Heiden (Apostelgeschichte 10). Dazu kam noch Streit unter den
verantwortlichen Gemeindeleitern (Apostelgeschichte 15).
Aus den Briefen des Neuen Testaments erfahren wir von einer ganzen Menge
von Schäden, die damals die Gemeinden zerstörten.
Warnend sagte es Paulus den Gemeindeältesten
von Ephesus bei seinem Abschied, dass die tödlichen Bedrohungen der Gemeinde
immer von innen kommen, von denen, die mit falschen Lehren Menschen an sich
binden. Eine Gemeinde ist immer versucht, bedroht, umkämpft. Dies gilt am
allermeisten für eine lebendige Gemeinde.
Es tut mir immer weh, wenn gerade die missionarisch gesinnten Christen
sich absetzen und eine neue kleine Gruppe gründen, die allein ihres Weges geht.
Das schmerzt im Blick auf die vielen, die unbetreut und unversorgt in
volkskirchlichen Gemeinden Mitglieder sind. Es ist schon eine schwerwiegende
Entscheidung, wenn man sich von diesem großen Erntefeld einfach absetzt oder
sich selbst den Zugang verbaut, weil man nicht mehr dazugehört.
Unsere Landeskirchen haben den einen Vorteil, dass man so offen wie wohl
in wenig anderen kirchlichen Gruppierungen Schäden unbekümmert anmahnen kann.
Dazu kommt die große Freiheit für das Wirken und Arbeiten freier
missionarischer und evangelistischer Werke und Vereine, die weithin doch
uneingeschränkt sich innerhalb der Volkskirche entfalten können, ohne sich ihr
unterordnen zu müssen.
Dass in einer unvollkommenen Gemeinde trotz aller offenkundigen Mängel
und Schäden dennoch Jesus mächtig wirkt, diese Erfahrung muss man auch machen.
Die Gegenwart des Herrn ist nicht unser Verdienst, sondern seine freundliche
Barmherzigkeit, die völlig unverdient ist. Er bewirkt die entscheidenden Durchbrüche,
nicht wir.
Da heißt es in den Berichten von den Aposteln plötzlich: »Und der Herr
tat zur Gemeinde hinzu.« Oder an einer anderen Stelle
von den Missionsboten: »Der Herr war mit ihnen.« Oder
bei der Verkündigung vor Ungläubigen: »Der Herr tat das Herz auf.«
Äußerlich wird man von dem Wirken Jesu vielleicht kaum etwas wahrnehmen
können. Und doch geschieht es, wo Gemeinde Jesu sich versammelt. Dort wirkt
Gottes Geist in aller Stille. Das ist auch der Grund, warum Christen sich einer
Gemeinde fest anschließen müssen. Sie sollen Gottes Kraft und seine Nähe so
erfahren, dass sie verändert und erneuert werden.
Als Solist kann man nicht Christ sein!
Baptisten, Heilsarmee, Pfingstler,
Landeskirchen, Methodisten .. .
Die Vielfalt von Kirchen und Denominationen verwirrt. Wer hat recht,
fragen viele. Wer kann sich mehr als andere auf die Bibel berufen?
Die äußerlichen Unterschiede kann man mit dem Auge sehen. Sie sind
bestimmt auch für die meisten Christen entscheidend. Warum einer gerade jener
Kirche angehört und nicht dieser, wird wohl am häufigsten mit sehr äußerlichen
Erscheinungen der Kirchenform verteidigt werden. Wie selbstverständlich nimmt
man dabei in Anspruch, dass diese liebgewordenen Besonderheiten allesamt aus der
Bibel abgeleitet und durch Gottes Wort gestaltet sind.
Eine sorgfältige Überprüfung aber kann in allen Details deutlich machen,
wie viele Organisationsformen und Strukturen von den geschichtlichen Abläufen
mitbestimmt wurden. Dessen braucht sich keiner zu schämen. Vielmehr befreit
eine solche Erkenntnis zu einer größeren Offenheit, die Form und Struktur einer
Gemeinde von heute neu im Licht der Bibel zu durchdenken und zu planen.
Dabei könnte man sicher dem Gedanken Abschied geben, als ob die
überkommene Form schon in sich Gott gefälliger und dem Evangelium gemäßer wäre.
Das müßte in jedem Fall erst noch überprüft werden.
Es würde das Wachsen und Ausbreiten einer lebendigen Gemeinde sehr schwer
behindern, wenn bibeltreue Christen stur aus konservativer Treue an
überkommenen Organisationsformen festhalten würden, ohne diese jeweils zu
prüfen.
Auf der anderen Seite sollte dem heutigen Trend entschlossen Widerstand
geleistet werden, wenn als Reaktion auf Bürokratie Und Überorganisation manche
junge Christen jede Form und jede Bindung an eine Kirchenstruktur als unnötig
und sogar unbiblisch abzutun versuchen.
Es ist meine große Sorge, dass aus den gegenwärtigen Programmen und
Methoden zum Gemeindewachstum sich rasch eine Abwehrreaktion bildet. Sie könnte
sich schnell in einer äußerlichen Neuorganisation erschöpfen, ohne neues Leben
zu schaffen. Diese Gefahr droht heute, weil Gemeindereform auf der Tagesordnung
aller Kirchen steht. Und die Diskussion wird leicht durch ideologische
Zwangsvorstellungen davon bestimmt, wie alles geformt sein müsse.
In den großen Erweckungszeiten der Kirche, angefangen von der ersten
Christengemeinde in Jerusalem, legte man die Kraft und den Nachdruck auf die
Verkündigung des Evangeliums von Jesus Christus. Über Gemeindeformen und Strukturen
wurde - das zeigt auch die Apostelgeschichte - kaum gesprochen. Ganz ähnlich
lag in der Reformationszeit der Akzent eindeutig auf der Predigt von der
Erlösung durch Jesus Christus. Die Struktur der neuen Kirche wurde nur
provisorisch geordnet und dann in weiten Teilen bis heute beibehalten.
Wenn Gott Menschen erweckt, Gemeinden wachsen und viele zum lebendigen
Glauben an Jesus Christus kommen, dann sollte man nie an starren, überkommenen
Formen kleben, sondern jeweils neue, gut funktionierende und wirksame
Organisationsformen schaffen. Hier gibt es bestimmt noch unendlich viele
Möglichkeiten, den Reichtum der Formenfülle Gottes auch für die Gemeinschaft
der Christen nutzbar zu machen. Wenn Gott schon so viele Blumen und Vögel
geschaffen hat, dann wird er uns auch die Ideen geben wollen, sein Volk noch
viel besser als bisher zu sammeln und zum Dienst zu mobilisieren!
Es ist einfach falsch, wenn man so tut, als ob nur eine ganz bestimmte
Form der Bibelarbeit, des Gottesdienstes, des Singens, des Diensteinsatzes, der
Gemeinschaft dem Evangelium gemäß wäre. Was das Evangelium betrifft, sind ohne
inhaltlichen Verlust an der Treue zu Jesus unzählig viele neue
Organisationsformen möglich. Was von den biblisch geprüften Modellen die besten
sind, das wird sich allein nach Kriterien der Zweckmäßigkeit feststellen
lassen.
Es ist zu hoffen, dass neues geistliches Leben sich in vielfältigen und
ganz verschiedenen neuen Formen Raum schafft, auch in den alten Kirchen und
Gemeinschaften.
»Alles hört auf mein Kommando l« - Wo nach diesem Stil Gemeinden,
Gruppen oder Missionen geleitet werden, wird schnell viel geistliches Leben
abgewürgt. Leider finden sich auch in manchen heutigen Erneuerungsbewegungen
immer wieder Töne, die »unbedingten Gehorsam« gegen Menschen fordern. Doch
Menschen sind immer eng und beschränkt. Einzelne können nie Verständnis für die
große Weite des Heiligen Geistes in vielen Menschen mit ihrer je originalen
Besonderheit aufbringen.
In den letzten Jahren sind durch Gottes wunderbares Wirken neue
Jugendgruppen, Hauskreise, Bibelgruppen, Kinderstunden unter Führung begabter
Nichttheologen entstanden. In nicht wenigen Gemeinden aber müssen sie um ihre
Berechtigung kämpfen. Zu Unrecht wirft man ihnen vor: »Sie ordnen sich nicht in
das Gemeindeleben ein!«
Vielleicht ist das typisch deutsch, so von oben nach unten zu denken.
Ganz sicher wollen sich eine Reihe von diesen Gruppen
nicht dem Pfarrer oder dem Kirchengemeinderat wie Befehlsempfänger
unterstellen.
. »Dann sind sie nicht kirchlich!« kann man
dann hören. Wirklich? Stimmt das?
Wir müssen aufpassen. Schon unter demokratischen Gesichtspunkten ist
eine solche Forderung falsch. Auch im öffentlichen Leben werden freie
Initiativen begrüßt. Es wäre furchtbar, wenn das ganze bürgerliche Leben durch
staatliche Ämter dirigiert würde. Sollen in der Kirche wirklich nur
organisierte und mit HaushaItsmitteln bezahlte
Gruppen »kirchlich« sein?
Erst recht lebt in dem neutestamentlichen Gedanken des allgemeinen
Priestertums ein anderes Gemeindebild. Eine evangelische Gemeinde am Ort ist
viel größer, lebendiger und weiter, als dies in den Kirchengemeinden in
Erscheinung tritt.
»Wer sich unserer Gemeinde nicht unterstellt, der trennt sich von der
Gemeinde!« - Dieser Führungsanspruch klingt unbrüderlich
und ist es wohl auch. Denn nicht daran erkennt man eine Gemeinde, dass sie sich
um den Pfarrer sammelt, sondern daran, dass sie sich um den Herrn Jesus in Wort
und Tat sammelt.
Nein, dadurch wird die Einheit der Gemeinde Jesu bestimmt nicht zerrissen,
wenn sich Missionskreise oder Jugendgruppen in großer Selbständigkeit ohne
Pfarramt versammeln. Der Leib Christi ist zuerst geistlich verbunden und erst
in zweiter Linie -- und daraus folgend - auch organisatorisch.
Zeitgemäße Jugendarbeit, Mission und Diakonie waren als wagemutige
Neuanfänge in der Geschichte der Christen nur dort möglich, wo freie Kreise die
oft schwerfällige Struktur der Volkskirche übersprangen und den Dienst allein
auf private Rechnung und eigenes Risiko begannen.
Es gibt wohl keinen Pfarrer, der nicht beim Begegnen mit den meist sehr
selbstsicher und unproblematisch auftretenden freien Gruppen trocken schlucken
muss. Vielleicht sehnt sich jeder Hauptamtliche mehr, als andere wissen, auch
nach dieser Freiheit. Ich habe jedenfalls immer die Erfahrung gemacht, dass man
von diesen Gruppen reich beschenkt wird, wenn man sie brüderlich als Glieder
der Gemeinde Jesu aufnimmt und sie anerkennt.
Der Geist Gottes weht nun einmal, wo er will.
Ob man sich richtig mitfreuen kann, wenn andere Aufbrüche und Wachsen
erleben, aber bei einem selbst bleibt alles still?
Daran kann jeder auf einfache Weise prüfen, ob es ihm selbst zuerst um
die Sache Gottes geht oder um seinen eigenen Pferch, dem er vorsteht.
Wenn nur möglichst viele zu einem Iebendigen
Glauben an Jesus Christus kommen! Christen, denen das Reich Gottes wichtiger
ist als ihre eigene Denomination, werden sich
mitfreuen über alles Leben, auch wenn es außerhalb ihrer eigenen Kirche
aufbrechen sollte.
Nicht verschweigen will ich, dass dies zur bitteren Anfechtung werden
kann für die treuen Diener Gottes. »Ist Gott von uns gewichen?«
werden sie sich prüfen. »Liegt ein Bann auf uns, dass Gottes lebenschaffender Geist nicht auch bei uns wirkt?«
Dabei ist es allein Gottes Geheimnis, weil alles Leben, das er bringt,
aus Gnaden kommt. Es steckt kein Verdienst und keine Würde dahinter.
Oft muss Gott seine treuen Arbeiter erst noch demütigen, bevor er ihnen
das Erleben einer großen Ernte schenkt.
Wer will das verstehen können, dass Gott bis heute an seinem Volk noch
nicht müde wurde. Er hätte seine untreuen Diener doch längst verstoßen müssen.
Von Luther stammt das Wort: »Wir sind es doch nicht, die da könnten die
Kirche erhalten. Unsere Vorfahren sind es auch nicht gewesen. Unsere Nachkommen
werden es auch nicht sein. Sondern der ist's gewesen, ist's noch und wird es
sein, der da spricht: >Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende,
Jesus Christus.<«
Nicht dass wir Sünden der Verantwortlichen in Kirchen und Gemeinschaften
verharmlosen wollten! Aber eine Gemeinde lebt auch von dem Wunder der
Vergebung. Darum schenkt Jesus oft genug Frucht, wo wir überhaupt nichts mehr
erwarten.
Dies sollte uns nicht lässig und oberflächlich machen in unserer Hingabe
für Gott, hoffentlich aber demütig. So stehen auch über der sehr anfechtbaren
Gemeinde die großen Verheißungen Gottes:
Sie ist Gottes Haus - 1. Timotheus 3, 15.
Die Pforten der Hölle können sie nicht überwältigen - Matthäus 16, 18.
Sie ist auf unsichtbare Weise mit Jesus verbunden - 1. Korinther 12, 27.
Bleibt fest in der brüderlichen Liebe!
Hebräer 13, 1
Kalt und zugig ist es heute in unserer Welt geworden. Kommt es von der
Hetze, der man täglich ausgesetzt ist? Oder ist schon bei so vielen die Liebe
erkaltet?
In den Städten wohnen sie in modernsten Wohnblocks auf engstem Raum
beieinander. Aber was weiß man schon von denen, die nebenan wohnen und was sie
bekümmert? Der Mensch von heute ist dauernd massenweise von Menschen umgeben
und doch ganz allein und einsam.
Dies muss alle wachen Christen herausfordern. Besonders die kleinen
Gruppen in den Gemeinden könnten heute modellhaft für andere sichtbar machen,
wie heimatlose und vereinsamte Menschen das Wunder der Familie von Jesusleuten
erleben.
Über jeden Pioniergeist, der neue Wege beschreitet, freue ich mich. Kühn
und ideenreich müssten Formen entwickelt werden, die anziehend sind. So war es
in den früheren Erweckungsbewegungen auch. Damals wurden Formen der Gemeinschaft
entdeckt, die ihrer Zeit weit voraus waren und doch so zeitnah, um Heimat und
Geborgenheit geben zu können. Kurzerhand haben sie manchen alten Zopf einfach
abgeschnitten, um das Wesentliche und Wichtigste, das Evangelium von der
rettenden Liebe Gottes, möglichst echt und zeitgemäß mitzuteilen.
Für den eingespielten Ritus der sonntäglichen Gottesdienste werden viele
dankbar sein. Ich fürchte aber, dass sich viele suchende und im Glauben
tastende Menschen unserer Tage dort fremd fühlen.
Das fängt schon mit der Stille an, die für manche, die neu da sind,
einfach beklemmend wirkt. Nun weiß ich natürlich auch, wie wichtig Stille ist
und welcher Segen in der Stille liegen kann. Doch ob Christen sich gerade
deshalb treffen, um gemeinsam zu schweigen, wird man wohl fragen müssen. Das
könnte eigentlich jeder besser allein daheim im Kämmerlein. Liegt nicht das
Besondere der Versammlung im Begegnen der Schwestern und Brüder im Angesicht
Gottes?
Ich kann es mir nicht vorstellen, dass etwa die Christen in Korinth im
Gottesdienst nur ihre eigene Ermutigung und Stärkung im Predigtwort gesucht
hätten. Sie hätten sich dann ganz heimlich, möglichst weit hinten auf den
Plätzen verdrückt und sich nicht darum gekümmert, wer neben ihnen saß.
Man braucht es ja nicht gleich den Christen damals nachzutun und sich
umarmend und küssend um den Hals zu fallen. Wir sind nun einmal Deutsche und
tragen schwer an unseren steifen Formen.
Der Rat des Paulus aber bleibt dennoch bedenkenswert: »Die brüderliche
Liebe sei herzlich!« Das wird ohne ein nettes Grüßen
nach rechts und links und ein freimütiges Austauschen mit dem Platznachbarn
nicht möglich sein.
Das gibt eine Unruhe, besonders wenn Kirchen - und darum beten wir! -
überfüllt sind. Doch der Leiter der Versammlung könnte einfach sagen: »Wir
wollen jetzt stille werden.« Dann hätte auch dieser
meist beim Einleiten des Gebets ohne Sinn und Verstand gebrauchte Satz wieder
seinen richtigen Platz gefunden.
Wenn heute Gruppen mit einer neuen und fremden Lehre viele an sich
ziehen, liegt deren Anziehungskraft wohl kaum an den biblischen Irrtümern, die
sie vertreten. Meist geht es dort ungezwungen und fröhlich zu, wie es neuen
Bewegungen eigen ist. Wenn wir kritisch prüfen und das Gute behalten, könnten
wir viel lernen.
Der Leiter einer landeskirchlichen Gemeinschaft kam unter heftigen
Beschuss. Er hatte versucht, den Ablauf der Versammlung neu und auch etwas
originell zu planen. Ob das alles gute und gereifte Ideen waren, sei einmal
dahingestellt.. Nur hat es mir leid
getan, dass es über seinem neuen Weg nicht zu einem offenen Gespräch kam,
sondern er gleich »abgeschossen« wurde. Darum möchte ich ihm jetzt doch noch
ein wenig den Rücken stärken.
Die Väter der Gemeinschaftsbewegung wollten die eingespielten Formen
kirchlichen Lebens durchbrechen. Sie wollten dem persönlichen Glaubenszeugnis
Raum schaffen. So war für sie jede Regel, jede starre Wiederholung nicht aus
dem Herzen kommend. Darum wandten sie sich gegen das aus dem Gebetbuch
vorgelesene Beten und forderten das »freie Reden des Herzens mit Gott«. Sie
hatten recht damit. Sie wollten auch nicht, dass ein Zeugnis vom Papier
abgelesen wird, sondern dass es »von Herzen kommt«, auch wenn es in holpriger
Sprache und ungelenk vorgetragen wird.
Ich freue mich mit, wenn in einem Gebet Gott in der Alltagssprache von
heute angerufen wird, auch wenn es nicht so feierlich klingt wie in der
Kirchensprache. Dass man sich dennoch auch für ein Gebet sorgfältig vorbereiten
und seine Gedanken ordnen sollte, das braucht deshalb nicht vergessen zu
werden.
Aus dem Herzen soll es kommen und echt sein, richtig aus dem Leben
gegriffen. Das war den Vätern im Glauben einst wichtig.
Nie sollte das Reden und Auslegen der Schrift allein den Hauptamtlichen,
den bezahlten Predigern, überlassen bleiben. Es wäre schlimm, wenn die
berufenen Verkündiger die Vielfalt der Zeugen aus der Gemeinde zurückdrängen
würden, wie man es leider auch in Erweckungsgruppen und Gemeinschaften nach
einer gewissen Zeit beobachten kann.
Wie reich würde ein Gemeindeleben, wenn die Schwestern und Brüder ihre Glaubenserfahrungen unkompliziert und lebensnah erzählten,
dass es ansteckend wirkt auf andere. Und wie fröhlich geht es dann gleich zu in
den Versammlungen. Es ist natürlich wichtig, was schon Paulus betonte, dass
alles verständlich und klar ausgesprochen wird. Man kann mit solchen Berichten
und Glaubenszeugnissen bestimmt nicht im Gottesdienst beginnen, sondern sollte
es erst in kleinen Gruppen und Kreisen einüben und Erfahrungen sammeln. Man
kann sich mit erfundenen Geschichten und peinlichen seelischen Ergüssen auch
blamieren. Auch hier wird der Leiter seine Verantwortung wahrnehmen und alle
erwarteten Beiträge sorgfältig vorher prüfen müssen.
Wenn wir dem Persönlichen Raum schaffen wollen, so darf das nicht zu
einem Tummelfeld labiler, ungehemmter und schwärmerischer Persönlichkeiten
werden, die ihr Ich mit dem Geist Gottes verwechseln.
Immer muss das Zeugnis des Glaubens die ganze Gemeinde erbauen. Wenn
dann ein Ungläubiger in den Gottesdienst käme - auch dafür beten und arbeiten
wir! -, der würde überführt und könnte bekennen, dass Gott wahrhaftig unter uns
ist.
Das notvollste Handikap des Reiches Gottes dürfte von Anfang an im
Personal gelegen haben. Wie viel Pannen hätten doch vermieden werden können,
wenn Gott häufiger seine Engel eingesetzt hätte! Oder er hätte sich auch
verlässlichere Kinder aus Steinen erwecken können. Das stimmt. Nur benützt Gott
normalerweise bis heute für seinen Dienst Menschen. Also uns!
Nun leben nicht wenige Christen in dem komischen Hochmut, als würde in
ihrer Persönlichkeit und in ihrer Erscheinung sich Christus demonstrativ
darstellen. Wahrscheinlich leiden dann die anderen um so mehr unter den immer
noch sichtbaren alten Unarten des Charakters und der eigensinnigen Veranlagung.
Das wird sehr oft das Wirken des Geistes Gottes dämpfen, ja oft auch völlig
verhindern.
Für uns heutige Individualisten wird Gemeinschaft unentbehrlich. Wo
können denn sonst noch die Ecken und Kanten unseres ungeheiligten Wesens
abgeschliffen werden? Deshalb braucht eine christliche Gemeinschaft überhaupt
nicht vollkommen zu sein. Es ist viel wichtiger, dass dort Christen ihre Mängel
erkennen, daran leiden und sich demütig darunter beugen.
Wenn nun unsere angeborene Lebensart mehr Hindernis als Hilfe für Gott
ist, dann liegt dies nicht an den Gaben, die uns Gott wunderbarerweise
geschenkt hat, sondern ausschließlich an dem verkrampften selbstsüchtigen
Gebrauch.
Das. ist das Geheimnis lebendiger Gemeinden, dass man dort offen mit
sich selbst ins Gericht gehen kann. Sonst herrscht ja in der Welt eine große
Empfindsamkeit und Wehleidigkeit. Auch Christen nehmen es leider häufig viel
genauer mit der Ehre, die ihnen zuteil wird, als mit der Selbstverleugnung. Es
würde uns darum gut anstehen, einander in der Liebe Christi zu kritisieren.
Dann müssten heute auch nicht so oft die Ungerechtigkeiten der Welt oder
die Sünden der Väter angeprangert werden. Man hätte genug zu schaffen mit den
eigenen Verfehlungen. Darüber zu reden, macht auch Bibelauslegungen
anschaulich, lebendig und lebensnah. Dass Gott uns unverdient aus lauter Gnade
gerecht und heilig macht, kann dann nie mehr trockener Lehrstoff sein. Und
nicht zuletzt zieht das Bekenntnis der eigenen Untreue und des Versagens viele
Ungläubige an und macht ihnen Mut.
In Gemeinschaftsstunden habe ich sehr viel menschliche Wärme erlebt.
Einen Bruder kann ich überhaupt nicht vergessen, weil der einmalig herzlich und
warm die Anwesenden grüßte. Man spürte es ihm richtig an, wie er sich über
jeden freute, der gekommen war. Das waren keine eingespielten Redewendungen,
das kam von Herzen. Und dabei schaute er sie alle fröhlich lachend an. Da
verstand ich den Apostel Paulus, der einmal den Thessalonichern schrieb, es sei
bei ihnen nicht nötig, die brüderliche Liebe zu erklären. Sie seien selbst von
Gott gelehrt, einander zu lieben.
Da sehe ich in meiner Erinnerung große Versammlungen vor mir, wo
bewährte Christen die jungen fest mit hineinnahmen in
den Verkündigungsdienst. Sie gingen ehrend und liebend auf die Jungen zu und
rieben es ihnen nicht unter die Nase, dass ihnen noch viel fehle an Erkenntnis
und Erfahrung. Es ist ganz sicher, dass die jungen Christen nicht rasch die
tiefe Schriftkenntnis der alten Brüder erreichen werden; dafür sind sie aber
die Missionare der jungen Leute von heute.
Unsere Versammlungen müssen so angelegt sein, dass auch junge Leute mit
16 oder 25 Jahren sich darin wohl fühlen können.
Ein erfahrener Gemeinschaftsleiter sagte mir einmal: »Wenn ich weiß,
dass die Jungen Jesus gehören und ihn lieb haben, dann kann ich ihnen viel Raum
geben, auch wenn ich manches anders machen würde. Sie sollen wissen, dass man
sie mag.«
Eine solche Haltung macht manch kritisches Gespräch nicht überflüssig,
hilft aber mit, dass die kommende Generation die Stafette des Evangeliums weiterträgt.
Nur eine lebendige Gemeinschaft von Christen wird auch die netten
menschlichen Formen finden, die nötig sind. Mit diesen Äußerlichkeiten allein
wird aber eine Gemeinde noch nicht zu neuem Leben erweckt werden können.
Eine wahre Flut von geselligen Veranstaltungen schwappte über die
Kirchengemeinden. Aber selbst in aktiven Gemeinden gingen von den
Kaffeenachmittagen viele Vereinsamte auch einsam wieder nach Hause. Sogar der
Pfarrer, der gekonnt die Rolle des Conférenciers spielt, ist häufig der
Einsamste von allen. Was nützt am Ende alles lustige Lachen am Tisch, wenn
niemand da ist, der auch die inneren Nöte sieht und dort hilft. Wem kann man dann
ganz vertraut das Herz ausschütten? Mit wem kann man beten? Wer könnte raten,
vielleicht auch behutsam kritisieren?
Die Gemeinschaft und Einheit der Christen wird vor allem anderen durch
die Liebe zu Jesus Christus bestimmt. Über alle trennenden Unterschiede hinweg
werden sie entdecken, wie sie in Jesus eins sind. Beim Beten und beim Hören auf
das Wort Gottes kann das am besten erlebt werden. Da merkt man: »Das ist
Fleisch von meinem Fleisch«, richtige Blutsverwandtschaft.
Darin steht ja unsere Gemeinschaft, dass Jesus Christus sich nicht
schämt, uns »Brüder« zu nennen (Hebräer 2, 11). Das wird sich in der Treue zum
Wort zeigen. Jesus wies darauf hin: »Wer den Willen Gottes tut, der ist mein
Bruder und meine Schwester« (Matthäus 12, 50).
Wenn das Wort »Schwestern und Brüder« bei uns fremd klingt, könnte dies
einen Mangel in den Gemeinden andeuten. Es gibt dort dann zwar Damen und
Herren, Kollegen und Mitarbeiter, aber eben kaum mehr Schwestern und Brüder.
Eine solche Bruderschaft beginnt mit zwei oder drei, die sich in Jesu
Namen treffen. Sie wird ausstrahlen und wachsen. So stark wird sie sein, dass
sie auch tief greifende politische Gegensätze verträgt oder was sonst Menschen
gegeneinander aufbringen mag.
In Singapur fand ich in einem Schulungszentrum für kirchliche
Mitarbeiter eine originelle Beschreibung, wie sie als Christen Gemeinschaft
praktizieren:
Wir praktizieren Gemeinschaft im Tun - wenn wir Geschirr spülen,
Volleyball spielen, die Wände neu streichen oder reisen.
Wir haben Gemeinschaft im Wort Gottes - reden darüber und tauschen uns
aus.
Wir leben eine Gemeinschaft im Gebet und im Dienst für Gott.
In unserer Gemeinschaft empfinden wir Mitgefühl füreinander und manchmal
leiden wir auch mit.
Wir wollen einander verstehen in unserer Gemeinschaft - mich selbst,
meine Familie, meine Gesellschaft, mein Volk und meine Kultur. Über allem
erleben wir die Gemeinschaft des Geistes - ein harmonischer Zusammenklang einer
inneren Einheit und Übereinstimmung.
Aber die vom Volk, die ihren Gott kennen,
werden sich ermannen und danach handeln.
Daniel 11, 32
Auch im Reich Gottes sorgen radikale Neuerer für Schlagzeilen. Ihre
Pläne sind gigantisch. Man könnte meinen, sie hätten ihre Methoden von den
großen Baukonzernen gelernt. Bevor sie überhaupt nur einen Stein zum Bau legen,
wollen sie zuerst alles Alte in die Luft sprengen. Dann wird abgeräumt und
planiert. Erst dann können die Bagger anrücken und die Fundamente ausheben.
Niemand sollte diesen eifrigen Reformern den guten Willen absprechen.
Sie treten für eine gute Sache ein. Ob sie aber die Grundgesetze des
geistlichen Wachsens kennen, muss bezweifelt werden.
In meinem über zwanzigjährigen Dienst in volkskirchlichen Gemeinden habe
ich immer wieder beschämt erlebt, wie Gott einen nur noch glimmenden Docht
nicht vollends zum Verlöschen bringt. Es kann in einer erstarrten Gemeinde
jämmerlich aussehen. Schon eine große Zahl von aktiven Christen hat ihr den
Rücken gekehrt und sie abgeschrieben. Nur Gott hat den schon zerknickten Stab
nicht völlig abgebrochen. In seiner Barmherzigkeit schenkte er mitten in den
Ruinen neues geistliches Leben.
So erweckte Gott in den zurückliegenden Jahrhunderten seine Kirche.
Mitten in erstarrten und erkalteten Gemeinden, wo alles verloren schien, schuf
Gott eindrucksvolle Aufbrüche.
Darum sollten alle jene, die ziemlich forsch Thesen der Kirchenkritik
vortragen, behutsam und vorsichtig sein. Schon mancher, der sich selbst als
Prophet berief und sich mit viel Lärm von seiner angestammten
Kirche trennte, hat am Ende nur eine kleine Sekte gegründet, in der es sehr
päpstlich zuging. Die Missstände waren dort bestimmt nicht kleiner als in der
verlästerten Kirche, weil schon der kritische Blick der Selbstprüfung und der
Rat der sorgsam abwägenden Schwestern und Brüder fehlte.
Als einst die Israeliten aus der babylonischen Gefangenschaft in das
zerstörte Jerusalem zurückkehrten, rief ihnen Gott durch seinen Propheten
Haggai zu: »Mein Geist soll unter euch bleiben. Fürchtet euch nicht!« (Haggai 2, 5). Mit ihrer kleinen Kraft sollten sie
unerschrocken ihre Steine aufs Baugerüst tragen. Nichts wird umsonst sein. »Sei
getrost, alles Volk im Land, und arbeitet!« (Haggai 2,
4). Gott wird das Werk gelingen lassen. Nichts soll beim Aufbau der Stadt
Gottes umsonst und vergeblich sein.
Jesus erinnerte an das Senfkorn. Daran verdeutlichte er die Ausbreitung
des Reiches Gottes. Das Wachsen geschieht in aller Stille und doch wie
selbstverständlich. Die ganze Kraft steckt schon im kleinen Samenkorn.
Wer will nicht rasche und gewaltige Erfolge auch im Bau lebendiger
Gemeinden? Diese Sehnsucht tragen wir wohl alle in uns. Doch wir dürfen nicht
der Gefahr erliegen, schnelle Erfolge anzupeilen. Wir freuen uns an großen
Zahlen, fürchten aber auch das rasch sich verzehrende Strohfeuer.
Auch muss dem Missverständnis entgegengetreten werden, als ob es
hauptsächlich um eine rasche zahlenmäßige Erweiterung der Gemeinde ginge.
Natürlich spricht die Bibel vom Wachsen der Gemeinde, meint aber auch damit,
dass Jesus Christus als Haupt eine immer stärkere Bedeutung für alle Glieder
bekommt.
Mitarbeiter Gottes sollen sich mit Geduld wappnen. Es war bei den großen
Bewegungen Gottes typisch, dass die Gründungspioniere selten auch noch das
Wachsen in die Weite in der ganzen Größe erleben durften.
Die Berichte über Gründung neuer Gemeinden und Missionsreisen in der
Apostelgeschichte machen ganz eindeutig klar, wie das Wirken der Christen nie
hektisch auf Erfolge nach außen gerichtet war. So sind heute Erscheinungen, die
man fast als Evangelisationshysterie bezeichnen könnte, sehr schädlich für das
Wachsen der Gemeinde. An den ersten Christengemeinden könnte man wieder lernen,
wie sie täglich einfach das lebten, was sie in Jesus fanden. Sie freuten sich
an der tiefen Gemeinschaft unter Gottes Wort. Schon das war ein mächtiges
Zeugnis für die ungläubige Umgebung. Unkompliziert und ohne Scheu gingen sie
auf andere Leute in der Umgebung, wo sie lebten, zu. Mit ihnen sprachen sie wie
selbstverständlich über die großen Taten Gottes.
Das hat Gott bestätigt und Frucht daraus gewirkt.
Neulich flatterte mir eine Einladung ins Haus, über die ich erschrocken
bin: »Unsere Gemeinde wächst. Unsere XY-Kirche ist eine lebendige und
dynamische Gemeinde. Unsere Gottesdienste sind freundlich. Immer mehr Menschen
fühlen sich in unserer Mitte wohl.«
Was ist daran gefährlich?
Jeder Kaufmann weiß, dass man in der Werbung den Mund nicht zu voll
nehmen darf. Enthusiastische und schwärmerische Menschen werden mit dieser
Gefahr besonders zu kämpfen haben, während andere vielleicht auch - und das
soll nicht verschwiegen werden - ihre Sachen unter Preis verkaufen.
In der Bibel steht das nachdenklich machende Wort: »Wer den Harnisch
erst anlegt, soll sich nicht rühmen wie der, der ihn abgelegt hat« (1. Könige
20, 11).
Ich bin aber fest davon überzeugt, dass Gott auch heute das kleine
Senfkorn zu einem großen Baum wachsen lassen kann. Es wird auch in aller Stille
mächtig in die Höhe schießen.
Die Kerngemeinde ist bei vielen verpönt. Man will eine Kirche für alle.
Nun, wer will das nicht? Fraglich bleibt nur, wie man wirklich missionarisch
mobil wird.
Der Weg Jesu ging über den Jüngerkreis in die Welt. Wer diesen innersten
Kreis überspringt, wird weder »Kirche« sein können noch »alle« erreichen.
Da es sich hier um geistliche Grundgesetze des Reiches Gottes handelt,
kann eine solche Aktivität - auch wenn sie jahrelang Wirbel macht - nur
Leerlauf sein. Der Gottesdienst wird leer. Die Mitarbeiter fehlen. Die
Verdrossenheit steigt.
Das muss nicht so sein. Viele wird man nur erreichen können, wenn man
zuerst wenige im Glauben zurüstet. Der Geist Gottes muss sie erwecken und zu
aktiven Christen machen.
Elias Schrenk, der Wegbereiter der Evangelisation, merkte es erst nach
zwei Jahren aufreibender Dienste, wie alle Wirkung verpuffte. Seitdem sagte er:
»Das erste für einen Pfarrer muss sein, dass er einen Grundstock von Betern
bekommt. Findet er die nicht, sitzt er mit seinem Ruderboot auf der Sandbank.«
Solche Kerngemeinden fehlen heute schon in manchen Orten. Das wird schnell
eine Überlebensfrage der Kirche werden. Darum sollte zuerst alle Kraft darauf
verwandt werden, bewusste und überzeugte Christen zusammenzurufen in einen
Kreis, wo sie sich gegenseitig in der Nachfolge Jesu stärken können.
Gerne gebrauche ich dafür das Wort »Mannschaft«, das sich in den letzten
Jahrzehnten im Volk Gottes bewährt hat. Es erinnert an eine bewegliche Truppe
und schreibt die Dienstverpflichtung fest.
Das Wort »Mitarbeiterkreis« könnte dazu verführen, dass im Lauf der Zeit
schließlich nur noch organisatorische Fragen des Dienstes besprochen werden.
Nötig ist aber eine geistliche Bruderschaft, die hier praktiziert werden soll.
In anderen Versammlungen der Gemeinde wird dies meist nur in Andeutungen
möglich sein.
Bei diesen Zusammenkünften müsste es gelingen, eine persönliche und
vertraute Atmosphäre zu schaffen. Nicht jeder sollte eingeladen werden, sondern
wirklich nur solche, die eine geistlich stärkende Gemeinschaft suchen. Dort
können auch Glaubenserfahrungen ausgetauscht und
persönliche Nöte mitgeteilt werden. Genügend Zeit sollte am Ende übrig bleiben,
um die vielen Dienste und Belastungen der Teilnehmer im gemeinsamen Gebet vor
Gott zu bringen.
In solch einer Mannschaft können unbekümmert auch Pannen besprochen
werden, die in der Gemeinde Not machen. Weil es ein relativ geschlossener Kreis
ist, sollte in diesem Bruderkreis auch aufbauende Kritik geübt werden.
Abraten würde ich davon, den Gottesdienst gleich mit solchen bruderschaftlichen Elementen durchdringen zu wollen. Hier
in der Mannschaft könnte ausreichend der urchristliche Brauch fortgesetzt
werden, dass ein Glied dem anderen Handreichung tut.
Bruderschaft ist kostbar und heilig. In der volkskirchlichen Weite sind
die meisten Veranstaltungen sehr weit offen und unverbindlich in der Verpflichtung
zum Nächsten. Daher bekommen die Zusammenkünfte in der Mannschaft die Bedeutung
der geistlichen Zurüstung und Mobilisierung.
Um nicht andere Verpflichtungen deswegen aufgeben zu müssen, wird man
sich höchstens in 14tägigem Abstand treffen können. Aber auch dann, wenn man
sich nur einmal im Monat begegnen kann, werden von diesen Zusammenkünften
wichtige geistliche Impulse zur Reifung im Glauben und zur Stärkung im Dienst
ausgehen.
Neues Leben entsteht immer dort, wo man miteinander die Bibel liest.
»Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen!«
mahnt Paulus (Kolosser 3, 16). Das Wachsen der Gemeinde kann nur von Bewegungen
kommen, die im Wort Gottes wurzeln.
Auch die Gabe des Heiligen Geistes bleibt immer gebunden an Gottes Wort.
Wo über die Schrift hinaus neue Lehren oder Prophetien vertreten werden, kann
nicht Gottes Geist wirksam sein.
Es wäre unsinnig, in blindem Eifer nun einfach die Zahl der Bibelstunden
zu vermehren. Man sollte statt dessen besondere
Sorgfalt darauf legen, alle Dienste und Tätigkeiten der Gemeinde im Wort Gottes
zu verankern. Wenn sie lebendig sein und geistliche Anstöße geben sollen,
brauchen sie diesen Wurzelboden. Auch alle Ordnungen des Gemeindelebens sind im
Licht des Wortes zu prüfen, ob sie neben einem wirksamen Funktionieren auch die
Herrschaft Christi widerspiegeln.
Dass aber die Bibelstunde ein wesentlicher Mittelpunkt des Lebens in
einer Erweckungsgemeinde sein wird, darüber können wohl kaum Zweifel bestehen.
Es ist bedrückend, wie in den letzten Jahren lautlos in vielen Gemeinden die
Bibelstunden abgeschafft wurden. Schon vorher haben sie ihren Todesstoß
bekommen, wo sie nur noch theologische Referate zum Inhalt hatten. Das
Entstehen der Hauskreise hat bestimmt segensreich manche Lücke gestopft, aber
das Fehlen einer Bibelstunde wird ein spürbarer Mangel im Leben einer jeden
evangelischen Gemeinde oder Gemeinschaft sein.
Eine Bibelstunde darf nie langweilig sein, sollte auch nicht das
Sorgenkind der Gemeinde bleiben. Der Name »Bibelstunde« bleibt immer
problematisch. Wir sagen einfach »Bibeltraining«, um auszudrücken, dass wir
hier einen neuen Stil benützen wollen.
Suchende, Fragende und Ungläubige lassen sich gerne zu solchen
Bibelabenden einladen, wenn sie locker, fröhlich und auch zeitlich (z. B. 45
Minuten) begrenzt durchgeführt werden. Auch wenn dort biblische Lehrfragen in
größeren Zusammenhängen behandelt werden, so sollten wir dennoch auf eine
missionarische Ausrichtung achten. Zugleich sind solche Abende
Einführungsstunden für Anfänger im Glauben.
Darum ist es sehr schade, wenn Bibelstunden vielfach nur eine andere
Form der sonntäglichen Predigt bieten. In diesen Zusammenkünften soll im Wort
Gottes geforscht werden. Die Gemeinde darf teilnehmen an dem Ringen, was Gott
durch sein Wort in unsere aktuellen Lebensfragen hinein sagen will. Thematische
Reihen bewähren sich beim Einladen von neuen Freunden. Interessenten müssen die
Möglichkeit haben, auch ein-mall in diese Abende hineinschnuppern zu können. Es
muss ihnen die Gelegenheit geboten werden, für einige Wochen an einem Bibelkurs
teilzunehmen, ohne sich für immer fest an den Kreis der Bibelstundenleute
binden zu müssen.
Noch einmal sei an die erste Christengemeinde erinnert. Sie war nicht
dauernd fixiert auf das zahlenmäßige Wachsen. Sie wollte ganz
Evangelisationsbewegung sein. So rief Paulus die Gemeinde zum Gebet auf, »damit
das Wort des Herrn laufe« (2. Thessalonicher 3, 1).
Sie waren glücklich, wenn sie feststellen konnten, dass »das Wort des
Herrn sich in der ganzen Gegend ausbreitete« (Apostelgeschichte 13, 49). Und
auch in Ephesus war das Wachsen der Gemeinde geprägt von einer mächtigen
Bibelbewegung: »So wuchs das Wort durch die Kraft des Herrn und wurde mächtig«
(Apostelgeschichte 19, 20).
Es wäre wirklich zu wenig, wenn wir heute nur über Missstände und
fehlendes geistliches Leben in Kirche und Gemeinde klagten. Wir müssen handeln.
Es liegt viel in unserer Hand, ob das Wort Gottes reichlich unter uns wohnen
kann.
Dazu gehört auch, dass jeder Hörer in Bibelstunde und Gottesdienst eine
Bibel vor sich hat. Obwohl in der Dritten Welt oft Bibeln kaum zu kaufen sind,
gehört es dort zum typischen Bild eines Gottesdienstes, dass
jeder seine Bibel auf den Knien liegen hat. So führt die Predigt in das Wort
hinein, und die Gemeinde wird im Wort gefestigt und erbaut.
Wandelt nur würdig des Evangeliums Christi,
damit ihr in einem Geist steht und einmütig mit uns kämpft für den Glauben des
Evangeliums und euch in keinem Stück erschrecken lasst von den Widersachern.
Philipper 1, 27-28
Als wir in unserer Gemeinde begannen, die sonntäglichen
Gottesdienstopfer durch Beschluss des Kirchengemeinderats für freie
Missionswerke zu geben, wurden Stimmen laut: »Wir brauchen das Geld doch hier.
Sie können es doch nicht einfach weggeben!«
Bei Gemeindegliedern könnte ein solches Denken häufig auch vorhanden
sein: Den Blick durch den Horizont des Kirchturms begrenzt, sehen sie nur ihre
Ortsgemeinde. Was draußen in der Welt geschieht, geht sie - so meinen sie -
nichts an.
Wenn aber eine Gemeinde geistlich erwacht, wird sie sich dem
Missionsbefehl Jesu verpflichtet wissen. Wir sind ein Glied in einer großen
Kette. Durch uns sollen Menschen in die Nachfolge Jesu gerufen werden, die dann
ihrerseits wieder hingehen und Boten des Evangeliums sind. Bis zur Wiederkunft
Jesu wird die Christenheit nicht einmal mit der Mission »in den Städten Israels
zu Ende kommen« (Matthäus 10, 23).
Es darf in den lebendigen Gemeinden nicht einen Christen geben, der sich
nicht als Bekenner des Evangeliums in die Welt gesandt weiß, um andere für das
Reich Gottes zu gewinnen und sie in den Gehorsam des Glaubens zu rufen.
Tatsächlich wird aber Mission in den Gemeinden oft nur von sehr kleinen
Kreisen unterstützt. Das muss nicht schlecht sein. Jedenfalls scheint es besser
zu sein, als auch alle jene für Mission zu aktivieren, die im Innersten dafür
kein Verständnis aufbringen können - ein Weg, der hier und da beschritten wurde
mit dem Ergebnis, dass am Ende sehr viel »Mission« genannt wurde, was mit dem
biblischen Missionsbefehl nichts mehr zu tun hatte. Bei allem Verständnis für
politische, gesellschaftliche, soziale und kulturelle Aufgaben können diese
doch nie den Ruf zur Bekehrung und die Predigt des Glaubens ersetzen. Leider
haben wir uns heute mit der traurigen Tatsache auseinanderzusetzen, dass
biblische Mission oft umfunktioniert wurde.
Für die Gemeinde gibt es im Wort Jesu eine eindeutige Priorität für das
Evangelisieren. Wie lebendig-eine Gemeinde ist, wird sich dann gerade dort
zeigen, wo sie ihre eigenen Grenzen überspringt und sich aktiv um die Rettung
von Menschen kümmert.
Die Krise der Mission ist somit eine Krise des Christseins
heute. Man kann nicht große Stücke auf Jesus Christus halten, sich auf ihn
berufen, gleichzeitig aber seinen wichtigsten Auftrag vernachlässigen oder gar
verleugnen. Er wollte Menschen zur Umkehr rufen, zum Gehorsam Gottes
verpflichten. Er wollte das Reich Gottes bauen und verlorene Menschen
zurückführen zu Gott.
Es leben in unserer Welt Millionen Menschen, die sich von Gott
losgerissen haben und den Weg zu ihm nicht mehr finden. Sie wissen nichts von
der großen Versöhnung, die Gott durch Jesus Christus gestiftet hat. Sie wissen
nichts von der befreienden Vergebung der Schuld. Sie kennen den Frieden nicht,
den man schon mitten in der wilden und grausamen Welt im Vertrauen auf Jesus
Christus haben kann. Wie können das Christen nur für sich behalten? Sind sie
wirklich so herzlos?
Heftig ereifern wir uns manchmal über Unrecht und Unmenschlichkeit in
den Krisenherden der Welt. Jesus Christus aber wird seine Gemeinde am Jüngsten
Tag zur Rechenschaft ziehen über der unbewusst und manchmal auch gleichgültig
begangenen missionarischen Unterlassung. Das Evangelium vorzuenthalten, bleibt
ein Verbrechen gegen die Würde aller Menschen, für die es ein Grundrecht sein
muss, dass sie die Liebe Gottes erfahren und den Weg der Rettung kennen, der
durch das letzte Gericht Gottes hindurchführt.
Beim Geld wird es sehr praktisch.
Die sonntäglichen Opfer sind nur deshalb so kümmerlich, weil
weitsichtige Gemeindemitglieder ihre Gaben direkt an Missionen schicken, für
die sie auch beten. Warum haben so wenig
Kirchengemeinderäte den Mut, einen Großteil der Gottesdienstopfer dorthin zu
geben, wo Menschen missionieren und Zeichen der Liebe Jesu setzen?
Ist es nicht peinlich, dass man in der Sprache der kirchlichen
Haushaltspläne solche Kollekten »Fremdopfer« nennt? Sind wir so weit von der
Arbeit im Reich Gottes entfernt, »entfremdet«?
Gott lässt sich nichts schenken. Eine Gemeinde, die mit vollen Händen
nach draußen gibt, wird vom reichen Segen Gottes leben. Man muss es
ausprobieren!
Schon Paulus hat der Gemeinde in Korinth geraten, mit dem Segen Gottes
zu rechnen: »Wer kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer reichen
Segen sät, der wird auch reichen Segen ernten« (2. Korinther 9, 6).
Gemeinden haben das in akuten Finanznöten regelrecht ausprobiert. Sie
wussten nicht, wie sie ihre eigenen Verpflichtungen finanzieren könnten,
bestimmten aber dennoch ihre Gottesdienstopfer für weltmissionarische Aufgaben.
Am Ende kamen dann von allein und ohne besondere Aufforderung so viele Gaben
für die Ortsgemeinde zusammen, dass alles ohne Schwierigkeiten geregelt werden
konnte.
Nun geht es aber im Austausch zwischen Gemeinden und Mission bestimmt
nicht nur ums Geld. Ganz andere Zusammenhänge sollten da in den Vordergrund
rücken.
Alle christlichen Gemeinden und Gemeinschaften stehen fortdauernd in der
Gefahr, zu erstarren und zu verknöchern. Wo das passiert, erlöscht
aber das geistliche Leben und die Grenze zwischen Gemeinde und Welt wird
verwischt.
Durch die Missionen steht die Gemeinde mitten in dem großen Kampffeld,
wo Licht und Finsternis miteinander kämpfen. Unter dem Ringen mit Aberglauben,
Dämonenfurcht und anderen Religionen wird bei den Missionen der Angriff auf das
Reich Gottes und die siegende Kraft des Wortes Gottes viel intensiver erlebt
als im nachchristlichen Abendland.
Natürlich stehen auch hier Reich Gottes und Reich der Welt in einem
Ringen auf Leben und Tod. Durch die Berichte der Missionen wird die Gemeinde
aus einer gefährlichen Gleichgültigkeit herausgerissen. Ihr muss deutlich
werden, dass sie an ihrem Ort in demselben Kampf des Glaubens steht.
Die Berichte über den Lauf des Evangeliums in der Welt sind selbst glaubensweckende Predigt. So sind ja auch die Berichte in
der Apostelgeschichte über die Missionsarbeit des Paulus ein Evangelium, durch
das wieder Menschen in die Nachfolge Jesu gerufen werden.
Somit stellen die Berichte aus der Mission einen nicht zu
überschätzenden Beitrag zur Erweckung und Belebung der Gemeinden dar. Die
Berichte der Missionare sind in bester Weise ein Mittel zur Evangelisierung der
Gemeinden, ein Ruf in die konkrete Nachfolge Jesu.
Missionen sind auf finanzielle Unterstützung angewiesen. Das. zwingt
sie, Nöte, Schwierigkeiten, Gebetserhörungen mit den Gemeinden auszutauschen.
Dadurch werden die Geber zu Empfängern. Die von Jesus selbst stammende
Erkenntnis: »Geben ist seliger als nehmen« (Apostelgeschichte 20, 35), erfüllt
sich auch hier. Die Heimatgemeinde hat teil an der reichen Glaubenserfahrung
der Mission und den Segnungen des Reiches Gottes, wenn sie selbst Opfer bringt
und betend, mitleidend und hoffend sich dahinterstellt.
Es begann mit einem verkrachten Abend.
Ganz neu war ich in der Gemeinde und wollte alle für die Mission
gewinnen. Und dann kam der erste Missionsabend.
Es war schrecklich. Eine Wycliff-Bibelübersetzerin
gab uns einen ausgezeichneten und spannenden Bericht, aber nur fünf Besucher
waren gekommen. Zuerst meinte ich: »Warten wir noch ein paar Minuten mit dem
Beginn. Da kommen noch viele.« Aber niemand kam mehr.
Ich schämte mich vor der Missionarin, die wegen uns von weit her
angereist war. Doch die sagte sehr sicher: »Der Herr wird wissen, wofür das gut
war.«
Gut war auf jeden Fall, dass wir uns überlegten, was wir besser machen
konnten. Das durfte nicht mehr passieren.
Wir suchten einen Termin, wo alle kommen könnten. Darum gingen wir auf
den Sonntag. Der Gottesdienst bleibt nach wie vor der große Magnet des
Gemeindelebens. Da trifft sich das Volk Gottes. »Warum können wir uns nicht im
Anschluss daran noch etwas zusammensetzen?« fragten
wir uns. Der einzige überzeugende Abhaltungsgrund lag im Kochen der Frauen. So
wurde die Idee geboren, ihnen diese Mühe einmal abzunehmen und dafür für alle
gemeinsam zu kochen. Dann könnten wir doch noch eineinhalb Stunden nach dem
Gottesdienst zusammensein.
So entstanden die Missionsmatineen. Sie bestehen aus Gottesdienst, Missionsbericht
und anschließendem Mittagessen. Etwas »nötigen« wir die Leute,
»hereinzukommen«. Wir verzichteten auf eine Anmeldung, da dies einige
abgehalten hätte. Beim Gottesdienst konnten wir dann sagen: »Ihr Essen ist
schon gekocht, lassen Sie uns nicht darauf sitzen. Kommen Sie!«
Manchen fiel es schwer, auf den heimischen Braten zu verzichten. Wir
wollten absichtlich nur ein schlichtes Essen anbieten, aber mit Liebe
zubereitet. Aus dem Mitarbeiterkreis spendete einer die Unkosten des Essens. So
konnten wir sagen: »Es kostet nichts, kommt!«
Das Opfer ging ohne Abzug an die Mission. Wir wollten keine kleinlichen
Geldkrämer sein, sondern weit denkende Haushalter unseres Herrn. So wurden
diese Essen zu Festen, die man nicht leicht vergessen wird. Auch Familien mit
Kindern konnten teilnehmen. Das Essen war frei, und im Gottesdienst konnte
jeder opfern, was er wollte.
Die Frauen in der Küche haben sicher den größten Anteil daran, dass in
unserer Gemeinde die Liebe zur Mission so stark entbrannt ist. Aber das Essen
ist nicht das Wichtigste bei diesen Treffen. Es könnte bestimmt auch ein kalter
Imbiss sein, wenn er wirklich nett zubereitet ist.
Uns liegt daran, dass die Leute pünktlich nach Hause kommen. Ob sie dann
um 13 Uhr ihr gewohntes Nickerchen machen, Kaffee trinken, Geburtstag feiern -
ihr Sonntag soll nicht angetastet werden, aber die durch das Kochen sonst
belegte Zeit soll sinnvoll für das Reich Gottes eingesetzt werden.
Was nicht übersehen werden darf: Missionsberichte können sehr langweilig
sein. Dann laufen die Leute weg. Auch das beste Essen kann sie nicht halten.
Deshalb legen wir Wert darauf, dass über den notvollen Weltproblemen davon
berichtet wird, wie Jesus heute sein Reich baut und Taten wirkt. Ein
Missionsbericht muss neben vielen aktuellen Sachinformationen eben auch Glauben
stärken und zum Dienst herausfordern. Missionsveranstaltungen müssen Gemeinde
bauen. Und so ist nicht alles, was heute von fernen Ländern erzählt wird,
allein deshalb schon Mission.
Christen sehnen sich nach Einheit des Volkes Gottes.
Darum ist es schade, dass im Gewand der Einheit manche Vielfalt und
selbständige Aktivität im Reich Gottes zerstört wurde. Manches, das schön
blühte und heranwuchs, wurde mit dem Rasenmäher der Einheit kurz und kahl
geschoren. So ist auf biblische Grundlinien zu achten.
Jesus selbst .hat die Einheit der Christen als Abbild der .Einheit
gesehen, die er mit dem ewigen Gott hat: »... damit sie alle eins seien. Wie
du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein« (Johannes
17, 21).
Diese Einheit Jesu mit dem Vater war nicht äußerlich sichtbar, nicht
organisatorisch. Vielmehr gestaltete sie sich in einer inneren Einheit des
Wollens und Tuns. Nur im Hören auf das gemeinsame
Wort Gottes und im Gehorsam der Nachfolge Christi kann die Gemeinschaft des
Volkes Gottes im Geist und in der Wahrheit erfahren werden. Dagegen bringt jede
äußere organisatorische Vereinheitlichung die Gefahr mit sich, Besonderheiten
des Lebens abzuschneiden und anzupassen. Dies führte im Verlauf der
Kirchengeschichte auch dazu, dass im Namen Christi die wahren Bekenner Jesu verfolgt
wurden. Allein schon diese Erfahrung sollte sehr vorsichtig machen im
Durchsetzen gemeinsamer äußerer Organisation.
Die äußerliche Vielfalt sollte heute wieder neu als Geschenk und
Reichtum begriffen werden. Auf dem Feld der Mission und der Evangelisation
bietet sich ein geeignetes Feld zur Betätigung der vielen verschiedenen Kirchen
und Gemeinden in gemeinschaftlichem Handeln. Dies wird nur funktionieren
können, wenn die innere Einheit im Hören auf das Wort Gottes und im Gebet
gegeben ist. Sie kann nur in großer Freiheit praktiziert werden.
Es ist ein oberflächliches Urteil, wenn gerade in der Mission die
Zersplitterung der Christenheit beklagt wird. Durch die freien
Missionsgesellschaften erfährt ja die örtliche Gemeinde eindrücklich von der
Weite des Volkes Gottes.
Dazu kommt, dass die meisten Missionen auf de: Basis der Evangelischen
Allianz gegründet wurden. In den leitenden Gremien arbeiten Frauen und Männer
aus ganz verschiedenen Gemeinden zusammen. Mit ihrer Mitarbeit unterstreichen
sie, dass es ihnen allein um die Herrschaft Jesu, sein gültiges Wort, die Kraft
der Erlösung und andere Grundwahrheiten des Glaubens geht. Das könnte auch
manche Kirche aus ihrer konfessionellen Enge befreien.
So sind es häufig gerade Missionen, die daran erinnern, dass nicht
Kirchen selig machend sind, sondern Jesus Christus in ganz verschiedenen
Kirchen durch seinen Opfertod und seine Auferstehungskraft, mit der er heute
wirkt.
Damit hängt eng zusammen, dass auch Missionen in ihrem Arbeitsgebiet
meist nicht konfessionell arbeiten, sondern eng mit Christen anderer
Traditionen zusammen. Ein solches freies brüderliches Zusammenwirken beim Bau
des Reiches Gottes wirkt tief und stärkend.
Es waren wesentlich Missionen, die unter Christus-gläubigen den
Grundstein zu einer Zusammenarbeit auf biblischer Basis gelegt haben.
Unabhängig von den geschichtlich bedingten Eigenheiten wurde die Gemeinschaft
des Glaubens in' Jesus Christus erlebt. So sollten heute Gemeinden mit
möglichst vielen Missionen zusammenarbeiten, um einen weiten Überblick zu
gewinnen, was Gott an großen Taten in seinem Reich wirkt. Vielleicht müssen
auch einmal im Lauf der Jahre gewachsene Bindungen zu einer Mission gelöst und
neue Beziehungen geknüpft werden. Ausschlaggebend darf allein sein, dass eine
Gemeinde möglichst umfassend am Handeln Gottes in der Welt beteiligt ist, um
das Wachsen und Werden des Reiches Gottes staunend zu verfolgen.
Auch wenn die Geschichte der evangelischen Missionen noch nicht alt ist,
so haben sie doch einen entscheidend wichtigen Dienst beim Bau lebendiger
Gemeinden in ihren Heimatkirchen geleistet. Man kann es wohl kaum anders als
eine bedauerliche Fehlentwicklung bezeichnen, wenn einige »Missionen« solche
Beziehungen fast ausschließlich benützen, um mit sensationellen Nachrichten
möglichst viel Geld zu beschaffen.
Bewährte und verantwortlich geführte Missionen haben auf die geistliche
Pflege ihrer Freundeskreise immer großen Wert gelegt. Neben Vorträgen,
Bibelstunden und Evangelisationen haben sie immer auch viel Seelsorge in den
Heimatgemeinden geübt. Der Missionar im Heimatdienst bedeutet auch heute eine
ganz wichtige Bereicherung im Verkündigungsdienst der Gemeinde.
Wenn die Gemeinde eine Basis für die Weltmission darstellt, wird sie
auch an ihrem Ort selbst missionarisch sein müssen. Einer solchen Gemeinde kann
es nicht genügen, ein erfolgreiches Programm abzuwickeln. Sie wird ihre
Veranstaltungen, Dienste und Verlautbarungen daraufhin überprüfen, ob Menschen
bis in die Tiefe ihrer Lebensgewohnheiten hinein bekehrt werden, bis in ihr
Fühlen, Denken und Wollen.
Nun steht eine Christengemeinde mitten in der Welt. Auf Schritt.. und
Tritt ist sie in Kontakt mit vielen Menschen. Überall dort wird sie diese
bestimmte Zuspitzung brauchen, jene klare missionarische Stoßrichtung. Das
Evangelisieren geschieht ja nicht zuerst in besonderen Abenden der
Verkündigung, sondern in den vielen Kontakten mit Menschen.
Die machtvollste und oft auch fruchtbarste Evangelisation geschieht
durch die vielen Gemeindeglieder an ihren ganz verschiedenen Wohn- und
Arbeitsplätzen. Wenn sie nur alle von dem Eifer durchdrungen wären, anderen das
Geheimnis des Glaubens aufzuschließen, dann würden weite Teile unserer heutigen
Gesellschaft erreicht: Universitäten, Forschungslaboratorien, Erziehungsheime
und Krankenhäuser, Büros und Schulen. Eine solche persönliche Evangelisation
bildet die Basis einer lebendigen Gemeinde. Und eine Gemeinde wird nur in dem
Maß wachsen können, wie sie ihre Glieder zur persönlichen Evangelisation
mobilisiert.
Der Gemeindedienst wird Besuche machen wie bisher. Aber seine Gespräche
werden auch in aller lockeren Fröhlichkeit irgendwann eine besondere Dringlichkeit
bekommen müssen. Das Gespräch muss als Ziel das Gewinnen von Menschen und eine
bewusste Entscheidung zum Glauben an Jesus Christus anpeilen.
Bei allen Zusammenkünften wird man sich einfallsreich und mit viel Liebe
überlegen müssen, wie eine Atmosphäre geschaffen werden kann, wo es Menschen
leicht wird, sich für Christus zu entscheiden.
Die Chöre werden weiterhin singen und blasen. Aber neben allen
ästhetischen Überlegungen wird dort auch bedacht werden müssen, wie das
vertonte Wort Menschen treffen kann und zur Umkehr bewegt.
Mit den verpönten Straßenpredigten haben wir gute Erfahrungen gemacht.
Erstaunt werden viele in der Fußgängerzone stehen bleiben, wenn sie auf eine
Gruppe singender Christen stoßen. Es wirkt auch nett, wenn sie fröhlich und
unerschrocken die Leute ansehen und mit ihnen ein Gespräch suchen. Ein Klavier,
möglichst von einem Jugendchor begleitet, wirkt immer wie eine kleine
Sensation, weil es ja normalerweise im Zimmer steht. Aber auch Posaunen sind
attraktiv, wenn sie nicht zu schwere Choräle, sondern etwas leichtere und
flottere Musik darbieten. Die Leute sind überrascht, wenn der Pfarrer sich
vorstellt: »Wann hat Sie das letzte Mal Ihr Pfarrer besucht? Ich bin da, weil
ich Ihnen Wichtiges sagen möchte.«
Den größten Gewinn hatten immer wir selbst. Mit klopfendem Herzen gingen
wir jedesmal los. Die Anspannung legte sich auch mit
den Jahren nicht. Bis zur letzten Minute hofften wir, ein Regen würde uns die
Chance geben, den Einsatz abzusagen. Doch wie glücklich kehrten wir jedesmal heim. Bei heftigen Diskussionen und manchmal auch
Feindschaft erlebten wir überwältigend Gottes Beistand. Und vor allem
entdeckten wir, wie viele Menschen dort nach Gott hungern und ihn nicht finden
können.
Selbst vom Widerspruch und manchen Einwürfen haben wir profitiert.
Dadurch fanden wir zu neuer Freude an Gottes Wort und zu einer konkreteren
Hingabe im Dienst.
Jung im Glauben stehende Christen setzten sich dabei am meisten ein, oft
ohne Rücksicht auf ihre Stellung in der Stadt. Gefreut habe ich mich über die
jungen Leute, die sich auch nicht schämten, wenn Schulfreunde sie in dem
»frommen Haufen« erspähten.
Wer unter den Menschenmassen einer Großstadt evangelisiert, der hat die
Größe und Weite des Erntefeldes Gottes andeutungsweise vor Augen.
Jerobeam bestellte Priester
für die Höhen aus allem Volk. Wer da wollte, dessen Hand füllte er, und der
wurde Priester für die Höhen. Und dies geriet zur Sünde…
1. Könige 13, 33-34
An guten Mitarbeitern wird immer Mangel herrschen. Diese Nöte kennen
Gemeindeleiter gut. So werden sie Übergangslösungen erfinden müssen, mit denen
sie über die Runden kommen. Lücken werden notdürftig gestopft.
»Wir fragen nicht nach der inneren Haltung«, kann man dann hören.
»Wichtig ist doch, dass einer richtig anpacken kann. In das Christentum wird er
dann schon noch hineinwachsen!«
Mit einer solchen kurzsichtigen Einstellung haben sich viele christliche
Einrichtungen, ohne dass sie es merkten, selbst matt gesetzt. Nicht
hineingewachsen sind die meisten dieser Mitarbeiter, über den Kopf gewachsen
ist ihnen die ganze christliche Diakonie. Mit einer beißenden Ironie lehnen sie
sich offen gegen den christlichen Kurs des Werkes auf, wo er überhaupt noch
sichtbar ist.
Keiner darf überfordert werden. Die Leitenden tragen hier nun einmal die
Verantwortung. Wer junge Leute in den Dienst ruft, muss auch prüfen, ob sie
wirklich die Voraussetzungen erfüllen. Es geht doch in dem allem nicht um die
Ehre von Menschen. Wichtig kann doch nur sein, ob Gottes Heiliger Geist in
Menschen wirken kann.
In früheren Erweckungsbewegungen wurden die anstößigen Bedenken offen
auf den Tisch gelegt. Man war da nicht so zimperlich wie heute. Selbst der
friedsame und abgewogene Philipp Jakob Spener konnte
formulieren: »Lieber ein Mensch sein mit wenigen Gaben, aber von Gott gelehrt,
als ein doppelt doktormäßig eitler Weltnarr, der
vielleicht voller Kunst steckt, aber von Gott nicht gelehrt ist.«
Das muss schockierend auf eine Kirche wirken, die alles dem Amt zutraut
und darum nie danach fragt, ob nicht ein schlechter und untreuer Mitarbeiter
den Dienst des Amtes wirkungslos machen könne. Ein solches Denken herrscht vor,
wo alles Schwergewicht auf dem Verwalten des überkommenen Kirchenerbes liegt.
Dann wird auch das Bewahren als ausreichend angesehen und Erweckung bleibt
unerwünscht.
Der Kesselflicker John Bunyan hielt im England
des 17. Jahrhunderts den Predigern so unverblümt seinen Protest vor, dass er
für zwölf Jahre ins Gefängnis wanderte. Er klagte an:
»Wie viele Menschen sind durch die Unwissenheit und Leichtfertigkeit
blinder Prediger ins Verderben gestürzt worden! Es geschah durch Predigten, die
für den Glauben so schädlich waren wie Rattengift für den Körper. Wie wird dir's sein, wenn eine ganze Gemeinde dir in der Hölle nachschreit: Das haben wir dir zu danken! Du hast nicht
gewagt, uns unsere Sünden vorzuhalten, aus Furcht!«
Es wäre schlimm, wenn solche kritischen Anfragen sofort einfach als
Ehrverletzung abgetan würden. Christen dürfen mit Sorge und grundsätzlichen
Einwänden das Leben der Mitarbeiter beobachten. Nur von oben herab soll es
nicht kommen, weil auch die Kritiker wissen müssen, wie man sich selbst im Weg
stehen kann. Nur insoweit wird eine Gemeinde lebendig werden können, wie die
Glieder - ganz gleich ob sie als Profis oder als Amateure dienen - sich für das
Wirken des Heiligen Geistes öffnen. Den Heiligen Geist können empfangen, die
nach der Schrift an Jesus Christus glauben (Johannes 7, 37 ff).
Es müsste eigentlich unter Christen selbstverständlich sein, dass eine
gründliche Prüfung des Wissensstoffes und das Abschlusszeugnis einer
kirchlichen Ausbildung allein nicht genügen kann. Es
ist schlimm, wenn Ausbildungsstätten reine Wissenschaftsmühlen sind, wo man
sich um das Leben der Studenten nicht sorgt. Dann hat die Gemeinde das
biblische Recht, zusätzliche Ausbildungsstätten zu fordern, wo auch das Leben
im Glauben eingeübt und praktiziert wird. Nötig sind Werkstätten des Heiligen
Geistes.
Es ist nicht nur das Recht, sondern vielmehr sogar die Pflicht einer
Gemeinde, neben der Lehre auch das Leben der Diener Gottes zu prüfen.
Der Reformator Melanchthon sagte einmal: »Ich bin mir bewusst, niemals
aus einem andern Grund Theologie getrieben zu haben, als nur, um mich selbst zu
vervollkommnen, die Flecken in mir fortzuschaffen, die Mängel in meinem Wesen
wegzuräumen.«
Es hat sich bewährt, wenn Kritiker aus den Reihen der Gemeinde mit
Demut, Liebe und auch in seelsorgerlicher Weisheit handeln. Dann klagen sie
nicht nur an, sondern helfen zu einem befreienden Neuanfang.
Wer aus spannungsreichen Situationen unter Christen kommt, möchte beim
Lesen der Apostelgeschichte erleichtert aufatmen. Dann war also auch die
urchristliche Gemeinde gar nicht so ideal und perfekt, wenn es solche Spannungen
in Jerusalem gab:
Die hellenistischen Witwen wurden durch die aramäischen Gemeindekreise
benachteiligt und zurückgesetzt. Das geschah unbeabsichtigt, eben aus Versehen
und Gedankenlosigkeit. Aber es entlud sich in einem Getuschel zwischen den
kulturell verschiedenen Gruppen. Von der Gemeinde in Jerusalem kann man positiv
lernen, wie solche Missstände nicht einfach unter den Teppich gekehrt, sondern
selbstkritisch aufgedeckt, angesprochen und beieinigt werden.
Die Apostel konnten selbst keine weiteren Aufgaben mehr übernehmen, da
sie durch Gemeindeleitung, Verkündigung und Evangelisation völlig ausgelastet
waren. So kam es zur Einsetzung der Diakone.
Diese hauptamtlichen Mitarbeiter werden sich mit sehr vordergründigen
Aufgaben haben abgeben müssen: Kleiderverteilen, Übergangsbeihilfen,
Beschaffung von Wohnung, Spendensammlung, Essensverteilung und Krankenpflege.
Man möchte meinen, dafür sei ein gesunder Menschenverstand nötig und etwas
Menschenkenntnis, aber keine geistlichen und glaubensmäßigen
Voraussetzungen.
Weisheit und guter Ruf, was sicher auch Erfahrung und Begabung
einschließt,. wurden von der damaligen Christengemeinde in Jerusalem sehr genau
geprüft. Nicht verzichtet aber wurde auf die Frage, ob die Kandidaten »voll
Glaubens und heiligen Geistes« waren.
Darf das heute noch ein Kirchengemeinderat fragen bei der Vorstellung
eines neuen Pfarrers oder bei einer Neubesetzung im Kindergarten? Für den Bau
und das Wachsen einer Gemeinde ist dies die entscheidende Frage.
Wie kann man erkennen, ob jemand voll Glauben und heiligen Geistes ist?
»Es gibt kein Messgerät für den Glauben«, wird häufig betont. Paulus nennt aber
in 1. Korinther 12, 10 die Gabe der Geisterunterscheidung. Offenbar hatten die
Gläubigen in Jerusalem eine hohe geistliche Qualität, so dass sie erkennen
konnten und aus Erfahrung wussten, wie ein Leben im Heiligen Geist aussieht.
Auf jeden Fall gehört das Bekennen des Namens Jesu dazu. Während bei uns
oft diakonische Predigten im »wortlosen« Dienst gipfeln, steht hier bei der
Einsetzung der Diakone genau das Gegenteil. Sie waren sogar - mindestens bei
Philippus und Stephanus ist es eindeutig - kühne und herausfordernde
Evangelisten und Seelsorger.
Das kann nicht genug unterstrichen werden: Jeder Mitarbeiter in der
Gemeinde bleibt ein Diener und Zeuge Jesu. Auch wenn er in der Küche steht,
überlässt er das Zeugnis nicht anderen. Er muss weitererzählen, wie mächtig die
Gnade Gottes in seinem Leben wurde. Keinem wird das Recht zum Verkündigen
abgesprochen.
Es wird berichtet, dass das Wortzeugnis des Stephanus - ergänzt durch
das Beispiel der Tat - Widerstand und Erregung losbrechen ließ. Er wirkte in
der Kraft Gottes Zeichen und Wunder. Oft genug wird er auch mit seiner Kraft
und mit seinem Können angesichts der vielen Nöte, die ihm begegneten, am Ende
gewesen sein. Darum war die Ausrüstung »voll Glaubens« so wichtig. Er brannte
nicht aus und verlöschte nicht in seinem schwierigen Dienst.
Worin zeigte sich die Gabe des Heiligen Geistes im Dienst des Stephanus?
Nichts anderes wird neben den Wundern erwähnt
als das eindeutige Zeugnis von dem gekreuzigten Jesus, der allein Menschen
retten kann. Dass der Heilige Geist vor allem anderen Jesus groß macht, das
sollte auch in diesem Zusammenhang sehr genau beachtet werden.
Siehe, ich habe dir geboten,
dass du getrost und unverzagt seist. Lass dir nicht
grauen und entsetze dich nicht; denn der Herr, dein Gott, ist mit dir in allem,
was du tun wirst.
Josua 1, 9
Es wird vielen Christen, die um die Reinheit des Hauses Gottes eifern,
gehen wie Elia. Nach dem mühevollen Einsatz zog er sich resigniert und
deprimiert zurück. Er wollte aufgeben. Es gab keine Bekehrungen, keine
Gotteserkenntnis und keine Gottesfurcht.
»Ich bin allein übrig geblieben«, klagt er Gott. Dabei sieht er sich in
die Verteidigung gedrängt, ohne Ausweg.
.In diesem Augenblick erinnert Gott Elia nicht nur an seine unsichtbare
Nähe und sein verborgenes Wirken, sondern er sagt ihm auch: »Ich will
übriglassen siebentausend in' Israel, alle Knie, die sich nicht gebeugt haben
vor Baal, und jeden Mund, der ihn nicht geküsst hat« (1: Könige 19, 18).
Es mag manche Gründe geben, die einen Austritt aus dem Pluralismus der
Volkskirche sehr drastisch nahe legen. Und doch möchte ich aus geistlichen
Gründen vor einem solchen Aussteigen abraten. Solange die Bekenntnisse der
Kirche eindeutig gelten und die Bibel die Basis kirchlichen Handelns bleibt,
möchte ich auf eine Erweckung hoffen und dafür beten.
Auf keinen Fall können solche Durststrecken allein bewältigt werden.
Jeder Christ braucht eine praktizierte Bruderschaft in einem Bibelkreis mit
Gebetsgemeinschaft. Glücklicherweise praktiziert die Volkskirche ihr System der
parochialen Zugehörigkeit sehr großzügig. Bei extrem
und radikal geprägten Gemeinden wird das Ummelden in die Seelsorge einer
anderen Kirchengemeinde wohl die einfachste Lösung sein. Die Kirchenleitungen
sind gut beraten, wenn sie solch ein Überwechseln erleichtern und Suchende
freistellen. Schließlich tragen sie dafür die Verantwortung, dass manche
Gemeinden den biblischen Kurs völlig verloren haben.
Es ist aber daran zu erinnern, dass gerade die Volkskirche viel Raum zum
Entfalten freier Aktivitäten auch in solchen Gemeinden gibt, die nicht von der
Botschaft des Evangeliums geprägt sind. Zum Ausschöpfen dieser Freiheit möchte
ich ermutigen, weil aus dieser Gelegenheit Gott schon große Bewegungen gewirkt
hat.
Es war eine trostlose und trübe Zeit. Als Kind von neun Jahren musste
ich monatelang mit einem komplizierten Beinbruch im Bett liegen.
Es klingelte an der Haustür. Ein Mann aus der Gemeinde wollte mich
besuchen. Wie viel Zeit er sich nahm! Noch selten zuvor hatte ich es gespürt,
dass mich jemand ganz ernst nahm. Ich war ihm wichtig. Nicht mit meinen Eltern
wollte er reden. Er kam nur, um mich zu besuchen.
Und dann erzählte er. Wie meisterhaft konnte er Geschichten erzählen,
die ich bis heute nicht vergessen habe. Darin erklärte er, wie uns Jesus von
allen Seiten umgibt.
Dieser Mann stand nie auf der Kanzel einer Kirche. Er besuchte Kranke.
Monatlich gab er ein hektographiertes Blatt heraus, auf das er einige Liedverse
und kurze Gedanken geschrieben hatte. Die ließ er den Angehörigen zurück. Oben
drüber stand immer: »Ganz langsam den Kranken vorlesen!«
Er wusste, was Trauernde nach der Beerdigung bewegt. Weil es schnell
still wird nach der Beerdigung, machte er seine Besuche regelmäßig. Auch für
Trauernde hatte er ein monatliches Blatt gemacht. Zwölf Monate lang besuchte er
die Trauerfamilien. Und wenn er nur sein Blatt abgab, es war ein Gruß des
Gedenkens.
Man gibt sich heute große Mühe, den modernen Menschen auf zeitgemäße
Weise anzusprechen. Am besten erreicht man ihn aber in seiner Welt, wo er wohnt
und lebt. Nirgendwo lassen sich so leicht Gespräche führen wie dort. Es wird
kaum eine Türe geben, wo man abgewiesen wird. Vorausgesetzt ist dabei, man
fällt den Besuchten nicht auf die Nerven durch eine unausstehliche Art. Die
meisten werden bestätigen, daß sie auf einen Besuch
von der Kirche schon lange gewartet haben.
Wenn wir wirklich Menschen lieben, müssen wir auch ihre Umwelt, die sie
sich gestalten, kennen. Dazu gehört auch der
Kanarienvogel und das Bild an der Wand, ob es unserem Geschmack passt oder
nicht. Es gilt doch, einen Menschen in seiner besonderen Eigenart und seinem
Empfinden anzunehmen und zu verstehen. Wie kann das schon wohl tun, wenn die
nette Zimmereinrichtung oder die schön wachsenden Zimmerpflanzen bewundert
werden.
Eindruck hat es mir gemacht, wie ich zum ersten Mal von jenem Heft hörte,
mit dem in Amerika Gemeindeglieder für einen Besuch zugerüstet werden. Es kann
ein Unglück geben, wenn sture Deutsche das in die Hand kriegen. Da steht
nämlich: »Nach fünf Minuten musst du beim Wesentlichen sein!«
und daneben: »Was ist das Wesentliche? Lesen Sie bitte die nächste Seite.« Dort aber findet sich nur ein leeres Blatt. Unten steht
nur: »Hier trage jeder selbst ein, was ihm das Wesentliche ist.«
Sicher haben die Verfasser nicht gemeint, einer müsste mit der Stoppuhr
dasitzen, um zu wissen, wann fünf Minuten vorüber sind. Auch ist unbestritten,
dass der beste Seelsorger der ist, der zuhören kann. Darum gehen wir ja in die
Häuser, um zu hören, was die Leute drückt und wo sie nicht mehr weiterkommen.
Das Heft hat aber genau den Punkt getroffen, wo mancher Besuch scheitert.
Wenn wir in die Häuser gehen, so ist ja nicht unsere Person das Wichtigste.
Das Beste, das wir bringen können, bleibt Jesus und sein Wort. Das muss
eben auch mutig angesprochen werden. Ich habe es mir vorgenommen, wenn irgend
möglich am Schluss eines Besuchs zu fragen: »Darf ich noch mit Ihnen beten?« Schon in meinem 1. Semester des Theologiestudiums habe
ich erlebt, wie sich ein Professor über solch eine »Marotte« lustig machte. Das
stört mich heute nicht mehr. Gibt es einen besseren und sachbezogeneren
Beistand als das Gebet, wo man die Nöte, über die man eben sorgenvoll sprach,
vor den lebendigen Gott bringt? Oft genug hat es nach diesem Gebet die tiefsten
und offensten Aussprachen gegeben, weil man sich vor Gott am nächsten kam.
Hinter der Bewegung der Hauskreise stand in den meisten Fällen kein
systematisch organisierter Plan, auch keine von irgendwo gesteuerte
Initiative. Wo es so etwas gab, war es meist auch auf den Ort beschränkt und
von Nichttheologen ins Leben gerufen. Wir haben hier eine typische
Basisbewegung vor uns. Ein Notstand wurde entdeckt, und wache Christen, die den
Puls der Zeit fühlen, handelten und übernahmen selbst Verantwortung.
Für unsere Zeit scheint der Hauskreis ideal zu sein. Er kann dem
Menschen von heute Gemeinschaft erlebbar nahe bringen. Zudem ist er frei von
viel Ballast kirchlicher Probleme und Vorurteile. Er muss nicht einmal zwangsläufig
in ein konfessionelles Klischee eingebunden sein. Gleichzeitig kann er bieten,
was die wichtigsten Elemente des Gemeindelebens sind: Wort Gottes, Gebet und
Gemeinschaft im gegenseitigen Austausch und Gespräch.
Gegenüber allen kirchlichen Räumen lebt der Hauskreis auch von dem
Vorteil, dass er nicht in einer fremden, ungewohnten Umgebung zusammentritt.
Kein Kultursprung in eine gotische Architektur, auch nicht der Anblick von
Apostelbildern oder aktuellen Politpostern, wird da zwangsläufig gefordert. Die
Wohnung bleibt der Raum, wo sich unsere Welt und unser Empfinden am ehesten
widerspiegelt. Dort werden Probleme erlebt und somit auch leicht ausgesprochen.
Darin liegt die große missionarische Chance des Hauskreises.
Leider erliegen aber auch Hauskreise schnell der Verknöcherung. Wenn
nicht regelmäßig neue Freunde sich einfinden, die noch nicht Christen sind,
besteht doch die Gefahr, dass er sich zu einem sehr geprägten christlichen
Problemkreis entwickelt, in dem jeder seine feste Rolle spielt.
Solche Gefahren können leicht überwunden werden, wenn alle Teilnehmer im
Hauskreis offen sind zum Besuchen und Einladen von neuen Freunden. Wer weite
Wege gegangen und viele Treppen gestiegen ist, um einen einsamen Menschen dem
Hauskreis zuzuführen, der wird mit viel Liebe und Geduld auch beim Treffen
selbst dem neuen Besucher entgegenkommen und ihn nicht in eine starre Form zwingen
wollen.
Dass Gottesdienste und Hauskreise keine Gegensätze sein müssen, kann man
auch von den ersten Christen in Jerusalem lernen. »Sie hörten nicht auf, alle
Tage im Tempel und in den Häusern zu lehren und das Evangelium von Jesus
Christus zu predigen« (Apostelgeschichte 5, 42). Es hat sich aber aus vielen
Gründen bewährt, wenn der Pfarrer möglichst nicht an diesen Zusammenkünften
teilnimmt.
Auf keinen Fall darf er die Leitung haben, weil sich sonst kaum der
Reichtum der Gaben voll entfalten kann. Es ist aber schön, wenn der Pfarrer
voll unterstützend und betend hinter dieser Arbeit steht. Er selbst wird in
seiner Arbeit am meisten davon profitieren, wenn durch solche Hauskreise
mündige Christen in der Gemeinde heranwachsen.
Seit über 50 Jahren sind die Aufbrüche neuen Lebens in Deutschland tief
geprägt von der Praxis einer Stillen Zeit. Keiner kann die große Zahl derer
abschätzen, die den Tag mit dem Hören des Wortes Gottes und mit einer
gründlichen Gebetszeit beginnen.
Es war am frühen Morgen, als der Nachtzug aus Süddeutschland in Koblenz
einfuhr. Auf den Sitzen konnte man wirklich nicht schlafen. Da setzte sich ein
Herr ins Abteil und zog aus seiner Aktentasche die Bibel, um seine Stille Zeit
zu halten.
Wer hat nicht solche Erlebnisse schon gemacht? Wir haben damals dann
auch im Zug miteinander gebetet und die Stärkung der Gemeinschaft erlebt. Solch
ein gemeinsames Hören auf Gottes Wort erquickt noch mehr als die Stille Zeit
allein.
Ob in vielen Häusern und Familien nicht die Hausandacht zu schnell wegen
organisatorischer Schwierigkeiten abgeschafft wurde? Wir sollten diesen großen
Schatz wieder neu entdecken und beleben. Es darf nicht sein, dass allein die
oft sehr verschiedenen Zeiten des Tagesbeginns bei den Familienmitgliedern das
gemeinsame Lob Gottes und das Gebet verhindern.
Was stürmt allein auf Kinder ein, wenn sie zur Schule ziehen! Welchen
schlechten und verderblichen Einflüssen werden sie ausgesetzt sein?
Eine unserer Töchter verunglückte schwer auf dem Weg zur Schule. Man
holte uns Eltern an das Krankenbett und eröffnete uns, wie ernst es um das Kind
stand. Und dann erinnerten wir uns, wie dieser Tag begann mit dem gemeinsamen
Lob Gottes, mit dem Gebet um seine Leitung und Führung. Da wussten wir unser Kind
auch in dieser lebensgefährlichen Lage im Frieden Gottes geborgen.
Kinder sehen sehr wach und klar, wie Eltern versagen und sich auch an
anderen versündigen. Das macht unsere Hausandacht sehr natürlich und echt, wenn
wir das alles vor Gott als Schuld bekennen, was nicht recht war. Unter der neu
erlebten Vergebung Gottes beginnt das Vertrauen und
die Liebe zueinander neu zu wachsen. Die Hausandacht reinigt die
Familienatmosphäre.
In unseren Tagen wird das Glaubensleben der Kinder wieder einmal sehr
unterschätzt. Ich jedenfalls habe oft erstaunt in Familien festgestellt, mit
welchem tiefen Ernst und großer Hingabe Kinder schon in frühesten Jahren hier
mit eigenen Worten ihrem Kinderherzen Raum geben im Gebet.
Das Priestertum aller Gläubigen hat zuerst seinen Platz hier in der
Familie. Es kann nicht angehen, dass die Verantwortung für die Prägung unserer
Kinder im Glauben allein der Mutter zugeschoben wird. Sehr klar ist es im Neuen
Testament festgelegt, dass Männer ihrem eigenen Haus gut vorstehen müssen. Sie
sind für den Geist des Hauses voll verantwortlich. Mit der Hausandacht wird die
Richtung bestimmt.
Auch am Ende des 20. Jahrhunderts bleibt die Hausandacht ein ganz
wesentliches tragendes Fundament der Familie. Da kann die Freude an Gott
gemeinsam erlebt und Not und Sorge vor ihm ausgebreitet werden. Das müssen die
Kinder doch wissen, wo die Eltern ihre Kraftquelle haben.
Viele Gäste aus aller Welt waren bei uns. Wir haben sie immer wieder
gerne eingeladen, doch auch an der Hausandacht teilzunehmen, obwohl wir die mit
Rücksicht auf die Schule früh ansetzen mussten. Selbst die Sprachbarrieren
haben das große Gemeinschaftserlebnis nicht geschmälert. Über der
Gebetsgemeinschaft sind wir erst richtig in der Bruderschaft zusammengewachsen.
Die im christlichen Geist geführten Häuser waren schon in der ersten
Christenheit die Träger der Erweckung und der Mission. Es ist heute vielen
nicht mehr bekannt, welche heilenden und belebenden Kräfte von einer erneuerten
Familie ausgehen können. Das kann der Anfang der Erweckung einer ganzen
Gemeinde sein.
Sehr Großes bewegt uns. Wie kann Gottes lebenschaffender
Geist noch einmal seine Gemeinde erneuern?
Und doch fangen alle Wege Gottes sehr klein und unscheinbar an:
»Wer im Kleinsten treu ist, der ist auch im Großen treu; und wer im
Kleinsten unehrlich ist, der ist auch im Großen unehrlich« (Lukas 16, 10).