Unkorrigiertes Manuskript

Ruit, 23.August 2020                                                                   Lukas 18,9-14

 

Jetzt könnte ich wetten. Als ich die Geschichte las, hat im Stillen jeder – ausnahmslos - alle gedacht: Ich danke Gott, dass ich nicht so bin wie dieser Pharisäer.  Viele Leute kennen diese Gleichnis. Und sie nicken gerne zustimmend und sagen: Wie gut, dass ich nicht so bin wie dieser Pharisäer. Ich bin viel besser. Und wir vergleichen uns mit anderen, die viel verwerflicher leben als wir. So  können wir all das aufzählen, warum wir besser sind. Genau wie dieser fromme Beter im Tempel.

         Diese Reaktion haben Psychologen ausführlich erforscht. Es gehört zur Eigenart von uns Menschen, dass wir uns unser Können, unser Wissen, auch unsere Leistung fortwährend überschätzen. Übrigens Männer viel stärker als Frauen. So halten sich 90% der Lehrer für die überdurchschnittlich gute Pädagogen. Oder Autofahrer, besonders Männer, halten sich zu 90 % für bessere Autofahrer. Eine objektive, neutrale Bewertung der eigenen Person ist nicht möglich. Die Psychologen sagen auch, dass sich die meisten Menschen für besser halten als sie wirklich sind.

         Der Grund ist, wir sind alle so verliebt in uns selbst, dass wir gar nicht erkennen oder merken, was uns fehlt. Und am schlimmsten sind die, die gar nicht merken, wie sie sich maßlos überschätzen. Sie halten sich immer für die Besten. Wir kritisieren leicht andere, aber nicht uns selbst.

         Die Eigenliebe ist aber besonders schlimm in Glaubensdingen, vor Gott, Darum wandte sich Jesus mit dieser Beispielgeschichte ganz besonders gegen Leute, die sich selbst einschätzten, dass sie gerecht und gut gut wären, vor Gott und den Menschen. Das trifft doch auf uns zu. Wir sind doch Leute, die alles richtig machen. Verglichen mit vielen anderen, die mit ihrem Leben Gott dienen wollen.

         Genau darum stellt uns Jesus in das strahlend helles Licht vor dem lebendigen Gott. Sein Urteil ist unbestechlich wahr. Das Wort Gottes reibt sich immer mit unserem Denken. Schon damals bei Jesus entsetzten sich die Leute, weil sein Wort ganz anders war als das der Schriftgelehrten. Es war gewaltig. Es passt sich nicht an. Es schlägt zu und trifft ins Gewissen. Auch heute.

         Man kann sich lange als groß und gut ansehen, wenn man sich nur im eigenen Licht sieht. Sobald man aber in das Licht der Gegenwart des Heiligen Gottes tritt, erfährt man plötzlich diese tiefe Erschütterung. Wer bin ich! „Geh von mir hinaus, ich bin ein sündiger Mensch.“

 

Dieser fromme Beter hat nie begriffen, dass alle Menschen voller Sünde sind und vor Gott nicht bestehen können.

Eigentlich müsste jeder Mensch zugeben, wir sind nicht so, wie wir sein sollten. Wir sind sündige Menschen. Aber wir tun sehr schwer mit dieser simplen Wahrheit. Keiner kann mit seinem Leben vor Gott bestehen. Eigentlich müsste sich doch jeder wache Mensch dieser schrecklichen Not stellen. Doch alle leben sehr gleichgültig weiter in der Welt.

         Es ist tragisch, dass dies Sündenbewusstsein heute auch aus der christlichen Predigt verschwunden ist. Man meint, es sei das Wichtigste,  was wir für Gott tun. Aber entscheidend ist doch, was Gott für uns tut. Solange wir leben, tun wir schwer, vor dem lebendigen Gott unsere völlig Armut, Hilflosigkeit, Ohnmacht und Schwäche einzugestehen. Im hellen Licht der Heiligkeit Gottes ist alles offenbar. Wir sind alle Sünder und mangeln des Ruhms, den wir bei Gott haben sollten.

         Da wird sichtbar, was Jesus so entscheidend wichtig ist beim Beten: Unsere Hilflosigkeit. Erst vor der Heiligkeit Gottes, vor seiner Allwissenheit und Allgegenwart wird uns in seinem Licht bewusst, wie verdorben und verpfuscht wir dahin leben. Darf ich überhaupt mich Gott nahen? Wo ich ihn doch nicht geehrt und ihm gehorcht habe, sein Wort auf die Seite gedrängt. Herr, ich bin nicht wert, dass du mich annimmst.

         Aber das ist ja eben der Punkt, warum ich beten darf und muss. Jesus sucht die Verlorenen, Gestrandeten, Darum ist es gar nicht wichtig, mit welchen wohl klingenden Worten wir beten. Je mehr wir uns unwürdig fühlen, um so mehr sollen wir zum ihm kommen. Mühselig und beladen. Und wenn unsere Sünde blutrot wäre, soll sie doch schneeweiß werden.

         Ach wie schwer ist das oft mit den feierlichen Kirchengebeten. Und dabei quält uns doch so unser Versagen und wie die Sünde und der Widerspruch gegen Gott unser Leben prägt. Ich kann die Gewalt der Sünde in meinen Gedanken, Worten und Werken gar nicht so klar sehen, wie das mein Herr und Gott an mir sieht.

         Darum erzählt Jesus von diesem Ganoven, der plötzlich begriffen hat, wer der lebendige Gott ist. Er wagte nicht, seine Augen zum Himmel zu erheben. Welch ein Herr! Er erschrickt und zittert vor der heiligen Größe und Majestät des lebendigen Gottes. Das ist ganz selten, nicht nur heute, sondern zu allen Zeiten. Auch die Kumpels dieses Zöllner dachte alle ganz schnoddrig: Gott gibt es den wirklich?

         Jesus sprach das ganz harte Wort von der engen Pforte. Die Pforte ist weit und der Weg breit, der zur Verdammnis führt und viele sind, die auf ihm hineingehen. Wie eng ist die Pforte und wie schmal der Weg, der zum Leben führt. Und wenige sind, die ihn finden. 

         Manche unter uns waren in Bethlehem in der Geburtskirche. Da hat man eine ganz kleine Eingangspforte und muss sich richtig bücken. Da wollten vor Jahrhunderten stolze Reiter auf ihren Pferden hinein. Darum hat man den Eingang so klein gemacht.

         Warum macht denn Jesus die Pforte so eng und den Eingang so schmal?

Jesus sprach von der engen Pforte und dass nur wenige selig werden. Weil man so lange vor Gott nicht erkennen kann und will, dass wir verlorene Leute sind.

         Jeder Mensch müsste zugeben, dass wir vielfältig gesündigt haben. Und wir verfehlen das Leben, das Gott will, vielfach. Aber ziehen wir daraus auch die nötigen Schlüsse. Wir müssen neu geboren werden – von oben. Der Geist Gottes muss eine 

neue Geburt in uns wirken.

         Es ist keine Schande, vor Gott arm zu sein. Nein, das ist der Anfang neuen Lebens, das Gott in uns wirkt. Wer in  mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht. Demütigt euch unter die gewaltige Hand Gottes.

 

Das unglaubliche Wunder, das allein die Gnade Gottes vollbringt

Darf ein solche krimineller Ganove wie ein Zöllner überhaupt in den Tempel. Ja, weil wir alle vielfach scheitern vor Gott und mannigfaltig sündigen. Ohne Jesus kann ich nichts. Das hat der Zöllner schmerzhaft erkannt. Mag ich ringen, wie ich will, fließen auch der Tränen viel. Tilgt das doch nicht meine Schuld. Herr mir hilft nur deine Huld.

         Unverdiente Gnade ist von den ersten Glaubenzeugen an das einzige, was uns aus unserem verfehlten Leben retten kann. Noah fand Gnade in dem schrecklichen Sterben der Welt in der Sintflut. Und Abraham fand Gnade und glaubte dem Herrn. Und mit seiner Gegenwart und Nähe rechnete er täglich und erlebte seine Wunder. Und ein Paulus gehörte zu den hervorragendsten Pharisäer, bis ihm Jesus vor Damaskus offenbarte: Gar nichts du und alles ich. Er erkannte in seinem Gewissen, ich bin ohne die Gnade von Jesus verloren in Zeit und Ewigkeit.

         Diese stolze Selbstbewusstsein heute, die freche und gegen Gott überhebliche Selbstbehauptung und der eingebildete gute Wille ist das größte Hindernis beim Glauben. Das ist das Elend des mündigen Menschen, der die Gnade Gottes nicht kennen will. Das ist das Größte, wenn die Gnade nicht weicht.

         Gnade wird völlig frei geschenkt. Darum gehen so viele achtlos daran vorbei. Welch eine Erquickung, wenn Sünde vergeben ist. Das ist die größte Botschaft auch heute. Gott hört dein Gebet, wo du dich schonungslos aufrichtig in Gottes Licht erkennst,

Gott bringt sogar völlig verpfuschtes Leben wieder zurecht

Jesus spricht es über diesem schrecklichen Übertäter mit einer langen Liste von schlimmen Gaunerstücken aus: Er ging hinab gerechtfertigt. Er war mit Gott in Ordnung gekommen. Er hatte Frieden mit Gott und war ein neuer Mensch, in dem Christus durch Glauben und Liebe wirkte.

         Es hat ja in der Reformation eine große Rolle gespielt, aber ist heute noch wichtiger. Nicht durch große Opfer und Taten, sondern durch das Erkennen im Glauben, wie Jesus unser Leben ist. Er löst die Schuld und schafft Neues. Es ist nicht unser Tun und Können, sondern das Annehmen der unverdienten Gnade Gottes.

         „Watergate“ war damals ein schlimmes Schurkenstück, als im Präsidentenwahlkampf hohe Mitarbeiter bei der gegnerischen Parteizentrale eingebrochen sind. Als alles an Licht kam, versuchten sie zu lügen und zu vertuschen. Einer aber, Colson, hat die Wahrheit bekannt und im Gefängnis Jesus in sein Leben aufgenommen. Die Karriere war abgebrochen, aber das Werk von Jesus begann durch die Gnade. Unzähligen Menschen hat er geholfen. Gefängniswesen in aller Welt. Seehaus.

Was würde es bedeuten, wenn du Gottes Gnade aufnimmst.

         Was uns aber am meisten freuen muss, diese Gnade ist eine freie Gnade. Man muss sie nicht verdienen. Ja, wenn es keine freie Gnade wäre, so wäre sie gar nicht für uns; das ganze Evangelium würde über den Haufen fallen. Wenn es heißen würde: „Dies gilt nur dem, der Sanftmut, Geduld oder Liebe hat,“ da würde keiner von uns selig. Da stünden wir alle, wir würden immer dürsten und dürsten, und könnten niemals trinken, wir würden verzweifeln.

         Solang man sich noch in seiner Eigenliebe gefällt, so lange man noch Gefallen an sich selber hat, in guten Tagen, wo es einem ein gar angenehmes Gefühl ist, dass man ein Christ ist, solange der schändliche Pharisäer noch nicht aus dem Herzen hinausgefegt ist, solange man sich immer noch besser fühlt als die anderen. Solang man seine Sünden, seine Gräuel nicht im Lichte des Geistes erkennt, solang ist diese freie Gnade, dieses “ganz umsonst“ dem Herzen ein Abscheu. All mein Beten und Singen soll umsonst sein? Bin ich denn nicht besser, als andere Sünder? Aber es gibt eine freie Gnade umsonst. Umsonst ist sie uns gegeben von der göttlichen Barmherzigkeit; umsonst füllt Gott die Hungrigen mit Gütern; umsonst fallen die Schätze des Hauses Gottes den Sündern in den Schoß, umsonst haben alle Seligen ihre Kleider gewaschen und hell gemacht im Blute des Lammes; umsonst können die Sünder in die blutige Gerechtigkeit Christi eingekleidet werden; umsonst dürfen sie vereinigt mit ihm schon in dieser Zeit leben; umsonst dürfen sie mit ihm leiden, umsonst mit ihm sterben, umsonst in die selige Ewigkeit gehen; umsonst können alle Sünder, auch die schlimmsten Sünder, diese Gnade erlangen.

         Heute bewegt alle Menschen unheimlich, wie die Angst vor einer Ansteckung lähmt. Dabei ist es sicher nicht der gefährlichste Virus in der Welt. Aber haben wir vergessen: Allein Gottes Gnade beschirmt dich. Mit ewiger Gnade will Gott sich deiner erbarmen. Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber seine Gnade soll nicht von dir weichen.

         Dann können wir getrost beten, wie es im Psalm 32 heißt:

In der Angst rief ich den HERRN an, und der HERR erhörte mich und tröstete mich. Der HERR ist mit mir, darum fürchte ich mich nicht; was können mir Menschen tun?

Darum bekannte ich dir meine Sünde und verhehlte meine Missetat nicht. Ich sprach: Ich will dem HERRN meine Übertretungen bekennen. Da vergabst du mir die Missetat meiner Sünde.
Um des willen werden die Heiligen zu dir beten zur rechten Zeit; darum, wenn große Wasserfluten kommen, werden sie nicht an dieselben gelangen.
Du bist mein Schirm; du wirst mich vor Angst behüten, dass ich errettet gar fröhlich rühmen kann.