Kommentar 23. November 2017

„Tochter Zion“: Das Adventslied vom sieghaften König

 

Das Lied „Tochter Zion, freue dich!“ gehört zu den beliebtesten und bekanntesten Weihnachtsliedern. Mitreißend ist die Melodie Georg Friedrich Händels (1685–1759) in Kombination mit dem später entstandenen Text des Philosophen und Theologen Friedrich Heinrich Ranke (1798–1876). Der große Jubel gilt Jesus, dem Christus des lebendigen Gottes. Der Prophet Sacharja verheißt mitten in der Katastrophe der Völker (Sacharja 9,9): „Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.“

Welch eine Liebe!


Wie klein die Tochter Zion, die Gemeinde Gottes, auch sein mag, sie soll in Jubel ausbrechen. Der ersehnte Messias kommt zu seinem geplagten und verwüsteten Jerusalem und richtet sein Friedensreich auf. Voller Gnade erbarmt er sich seines Volkes und hilft ihm. Welch ein Liebe! Was für ein Heil für das bedrängte Volk! Seit Jahrhunderten wartete Israel auf den verheißenen Messias. Sie wussten: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!

Demut ist sein Markenzeichen

Bei den biblischen Propheten ist für den sehnlich erwarteten Messias seine Niedrigkeit kennzeichnend. Und so wird auch in den Evangelien beim Einzug von Jesus in Jerusalem herausgestellt, wie er demütig auf einem Esel reitet. Zwar kommt Jesus Christus aus der Herrlichkeit des himmlischen Vaters, aber schon bei seiner Geburt in Bethlehem fand er keinen Raum in der Herberge. Das Kind liegt armselig in einer Futterkrippe. Mitten in einer kriegerischen und zerstrittenen Welt richtet er sein ewiges Friedensreich auf. Das sind seine Siege, wenn Menschen ihn in ihrem Leben aufnehmen, ihm untertan sind und ihm nachfolgen.

Ein britisches Siegeslied diente als Vorlage

Händel, der geniale Komponist großer Oratorien, gelang 1747 ein großer Wurf mit der eindrucksvollen Melodie, die heute vor allem mit dem weltweit bekannten Adventslied „Tochter Zion, freue dich!“ verbunden wird. Doch ursprünglich war das Ende des Kriegs zwischen der englischen Krone und schottischen Freiheitskämpfern der Anlass für die Komposition. Der im Exil lebende Charles Edward Stuart wollte den schottischen und englischen Thron für die Stuarts zurückerobern. Der Herzog von Cumberland (1721–1765) aber schlug 1746 den Aufstand der Schotten gegen die englische Herrschaft nieder. Den Stuarts war damit endgültig die Rückkehr auf den Königsthron verwehrt. Händel gab der begeisterten Freude des Volkes im dritten Akt seines Oratoriums „Josua“ (1747) Ausdruck. Der Chor ehrt den Sieger im Triumphchor. Und die Sänger übernehmen den Part der Trompeten und Pauken: „Seht, der heldenhafte Eroberer kommt, lasst die Trompeten schallen und schlagt die Trommeln!“ Auch in das Oratorium „Judas Makkabäus“ (1751) fügte Händel den triumphalen Marsch ein.

Der Text entstand nach einer Glaubenskrise

Der deutsche Text zu „Tochter Zion“ geht auf Friedrich Heinrich Ranke zurück, ein Bruder des berühmten Historikers Leopold von Ranke. 1798 in Wiehe an der Unstrut geboren, wuchs er in einem Kreis von sieben Geschwistern als Sohn des Gerichtsdirektors Jakob Israel Ranke auf. Im Theologiestudium in Jena wurde sein biblischer Glaube tief erschüttert, so dass er nicht mehr Pfarrer werden wollte. Stattdessen stürzte er sich mit Idealismus auf die Erziehung der Jugend. Neben der Freundschaft mit dem „Turnvater Jahn“ suchte Ranke die Begegnung mit bewussten Christen wie Christian Friedrich Spittler und Johann Christoph Blumhardt in Basel, Pädagogen wie Christian Heinrich Zeller in Beuggen und Johannes Falk, dem Gründer des Rettungshauses für verwahrloste Straßenkinder in Weimar und Dichter des Liedes „O du fröhliche“.

Geistliches Volkslied in Schulbüchern

Ranke war in Erlangen und Nürnberg als Pädagoge tätig. In Erlangen zog ihn der Musiksalon bei Professor Karl von Raumer an, der wie Ranke in Rettungshäusern unter Straßenkindern arbeitete. Besonders wichtig war für Ranke nach der schweren Glaubenskrise aber die geistliche Gemeinschaft im Kreis von Mitchristen der Erweckung und des Pietismus im Haus des Professors. In seinem Salon verfasste Ranke dann 1820 den deutschen Text zum Lied „Tochter Zion, freue dich“. Dass die messianische Verheißung Sacharjas schon in England mit der Melodie Händels verbunden wurde, ist gut möglich. Ranke übersetzte auch das viel ältere Lied „Herbei, o ihr Gläubigen“ ins Deutsche, ebenso das bekannte englische Andachtsbuch „Pilgerreise“ des Puritaners John Bunyan. Das Adventslied „Tochter Zion, freue dich“ erschien zunächst in einer „Sammlung christlicher lieblicher Lieder“ (1826) und fand dann seinen Weg in die Schulbücher. Ranke nahm 1826 eine Pfarrstelle in Bayern an, wurde Dekan, Theologieprofessor, Konsistorialrat und starb 1876 als Oberkonsistorialrat in München im Alter von 77 Jahren.

Die herrliche Musik ist nicht das Wichtigste

Manche mögen daran Anstoß nehmen, dass ausgerechnet ein britischer Patriotenmarsch geistlichen Zwecken dient. Aber warum soll die grandiose Musik Händels nur britischen Militärs in blutigen Schlachten vorbehalten sein? Ist es nicht besser, wenn sie über alles hinaus den König aller Könige und Herrn aller Herren preist? Jesus richtet sein Friedensreich unblutig auf. Er kommt als Heiland und Erlöser, wo Menschen ihn als König in ihr Leben aufnehmen. So ist sogar die herrliche Musik Händels nicht das Wichtigste, sondern mehr noch der biblische Text, der von der größten Weihnachtsfreude spricht. Dieses Lied ist Ausdruck der Weihnachtsfreude und ein Stück Vorgeschmack des himmlischen Gotteslobs.

(Die Autoren, Beate und Winrich Scheffbuch, leben in Stuttgart. Sie forschen und schreiben über

Kirchenlieder, ihre Komponisten und Dichter.)